19 Freya

Bisher war sie Tobias erfolgreich aus dem Weg gegangen, aber nachdem Freya die Tische abgeräumt und alles in die Küche gebracht hatte, war eine Begegnung unausweichlich gewesen.

»Können wir jetzt endlich das Menü für die nächste Woche besprechen, oder willst du den ganzen Tag vor mir wegrennen?«

Sein amüsierter Gesichtsausdruck ärgerte sie. »Ich hatte einfach nur zu tun.«

»Klar.« Er saß auf der Eckbank am Küchentisch und klopfte auf den Platz neben sich. Dabei hielt er mit der anderen Hand einen Zettel in die Luft. Am liebsten hätte sich Freya so weit weg wie möglich von Tobias hingesetzt, denn seine Nähe beschleunigte ihren Puls spürbar. Aber es half nichts, sie mussten die Speisekarte durchgehen. Also rutschte sie neben ihn auf die Bank und zückte ebenfalls Stift und Papier.

»Was hältst du davon, wenn wir ein Surf and Turf einplanen? Auf so was stehen die Gäste immer. Das macht sich sowohl auf dem Teller gut als auch schön präsentiert auf großen Platten.«

Wollte er tatsächlich übers Essen reden? Ließ er sie so leicht davonkommen? Dankbar nahm Freya den Faden auf.

»Gute Idee. Als Turf könnten wir Reh nehmen, als Surf Seeforelle und Langustinen – natürlich nur, wenn du keine moralischen Bedenken hast.« Diese Spitze konnte sie sich nicht verkneifen. Zwar hätte auch Freya die Hummer nicht töten können, aber bei einem Gourmetkoch überraschte sie eine derartige Sensibilität schon. Irgendwie fand sie das süß. Ein Gedanke, den sie augenblicklich wieder verdrängte.

»Machst du dich über mich und Niklas lustig, Freya?«

»Niemals.«

Er grinste schief, sagte dazu aber nichts mehr. Freya merkte erst, dass sie ihn immer noch anstarrte, als er weiterredete und mit dem Finger auf den Menüentwurf tippte.

»Was soll es dazu geben? Pasta ist langweilig. Steinpilzrisotto und Feldsalat?«

»Perfekt.«

»Gut. Dann fahre ich später rüber zum Jäger und hole Rehfilet, auf dem Markt Gemüse und Pilze, und die Langustinen werden gefroren geliefert. Ich habe auch Scholle bestellt, als Abwechslung zu den einheimischen Fischen.«

Konzentriert arbeiteten sie die Speisekarte für die nächsten Tage aus, und auch Freya schrieb eine Einkaufsliste, damit Tobias nicht alles alleine besorgen musste.

»Kommenden Samstag ist übrigens die Eröffnung der Strandlounge by Hirschberg , so heißt der Pavillon jetzt offiziell. Ich habe gehört, es kommt ein Schlagersänger aus Österreich mit seiner Frau. Der wird als Freund der Familie und Ehrengast angekündigt.« Tobias legte den Kugelschreiber weg. »In Wirklichkeit kennen die sich überhaupt nicht. Es ist also ein bezahlter PR -Auftritt.«

»Alles immer nur Lug und Trug bei den Hirschbergs«, sinnierte Freya. »Ich vermute, wir haben dann wohl noch keine Reservierungen für Samstag?«

»Im Gegenteil. Einer meiner ehemaligen Stammgäste aus München will seinen Vierzigsten im Fischerfleck feiern. Er hat mich vorhin angerufen und gefragt, ob er uns für eine geschlossene Gesellschaft buchen kann. Dreißig Personen. Beim Menü lässt er mir völlig freie Hand. Sein Spitzname ist übrigens Schampus-Sven.« Er hob vielsagend die Augenbrauen. »Und er hat einen Lifestyleblog auf Instagram.« Tobias zückte sein Handy und zeigte Freya den Account.

»Beeindruckende Followerzahl. Ich hoffe, er postet fleißig von seinem Geburtstag in der Seelounge by Siebert and Wolf .« Sie kicherte erleichtert. »Mensch, so ein Glück. Ich hatte schon befürchtet …«

»… dass keiner mehr kommt? Nur wegen der Hirschbergs? Warum denkst du, dass wir hinter denen anstehen? Am Walchensee ist Potenzial für jeden, der sich Mühe gibt. Du solltest dir weniger Sorgen machen und ruhig an uns glauben.«

Das meinte er nicht nur in Bezug auf das Restaurant, das merkte sie an dem Ausdruck in seinen Augen.

»Es ist nicht leicht für mich. Aber ich arbeite dran«, sagte sie leise und stand auf. »Wenn wir jetzt hier fertig sind, muss ich los. Ich hab noch was vor.«

Sein Blick war derart intensiv, dass er Freya bis ins Herz traf.

»Irgendwann werden wir darüber reden müssen, was gestern passiert ist.«

»Das war einfach nur der Zauber des Augenblicks, Tobias. Mehr nicht. Zwischen uns kann nichts sein, das wissen wir doch beide.«

Sie schwang sich aufs Fahrrad und fuhr hinüber nach Zwergern, durch den Wald und bis ganz ans Ende, wo die Spitze der Halbinsel auf den See hinausging. Sie hatte das tiefe Bedürfnis, weder den Fischerfleck , das Sporthotel noch irgendetwas anderes vom Ort zu sehen, sondern lediglich friedliche, unberührte Natur. Hier am bewaldeten, menschenleeren Ufer konnte sie endlich zur Ruhe kommen. In ihrem Rucksack hatte sie ein paar Fotoalben vom Dachboden mitgebracht und eine weiche Decke, die sie ordentlich ausbreitete. Sie schlüpfte aus Schuhen und T-Shirt und ließ sich, nur in Rock und Bikini-Oberteil, die Füße im kühlen Wasser und das Fotoalbum auf dem Schoß, nieder. Ihr breitkrempiger Strohhut spendete ausreichend Schatten, um die Bilder ohne Sonnenbrille betrachten zu können.

Den Frisuren und der Kleidung nach zu urteilen, stammte das erste Album aus den späten 1980er oder frühen 1990er Jahren. Die Fotos steckten alle einzeln in Plastikhüllentaschen, die zum Blättern hochgeklappt wurden. Wie jung ihre Eltern damals gewesen waren. Auf einem Bild hielt ihr Vater den kleinen Niklas im Arm. Auf einem anderen fütterte ihre Mutter ihn mit Brei und es wirkte so, als wäre er ihr eigener Sohn. Und nicht das Resultat von Johannes’ ebenso kurzer wie unerfreulicher Ehe mit einer Frau, die sich eigentlich weder binden noch Mutter werden wollte und nach Niklas’ Geburt mit einem anderen Mann durchgebrannt war. Freyas Mutter hatte viel später davon erzählt, wie kompliziert es gewesen war, diese Frau zu finden und das mit der Scheidung zu regeln, damit sie und Papa hatten heiraten können. Ihre Mutter hatte Niklas wie ein eigenes Kind geliebt, da war sich Freya sicher. In Stockholm hatten sie ihn beide schrecklich vermisst. Anfangs. Später nur noch Freya, so schien es jedenfalls, weil ihre Mutter mit jedem Jahr verhärmter geworden war. Freya blätterte weiter durch das Album. Auf einigen Bildern entdeckte sie Paul und Anette Hirschberg. Er, immer breit lächelnd, sonnengebräunt und selbstsicher. Sie, stets schick gekleidet, im Hintergrund. Es gab Aufnahmen aus dem Fischerfleck , doch keines der anderen Gesichter kam Freya bekannt vor.

Viele Fotos zeigten die Sieberts bei Familienfesten, Ostern, Weihnachten, beim Schlittenfahren mit Niklas, beim Wandern und im Urlaub.

Freya griff sich das nächste Album. 1995 hatte jemand vorne draufgeschrieben, und dieses Mal waren die Bilder mit Fotoecken ordentlich auf dicke Papierseiten geklebt. Freya selbst war damals drei Jahre alt gewesen und Niklas sechs. Auch hier ließ nichts darauf schließen, dass irgendjemand beziehungsweise irgendetwas die familiäre Idylle getrübt hätte.

Enttäuscht verstaute sie die Alben wieder und nahm sich vor, daheim in den aktuelleren weiterzublättern.

Sie schulterte den Rucksack und schob das Rad entlang des Ufers um den Zwergern Spitz, wo ein einsamer Kiesstrand flach in den See überging, bis zur kleinen Kirche Sankt Margareth. Sonnengelb gestrichen und bekrönt mit einem bauchigen Zwiebelturm, hielt sie seit Jahrhunderten die Stellung auf der Landzunge. Freya lehnte das Rad an die weiße Mauer, die das Kirchengelände umgab und ging hinein. Sie setzte sich in den Innenraum, der in seiner Größe eher an eine Kapelle erinnerte. Entsprechend zierlich fielen Barockaltar, Kanzel und Gestühl aus. Sonnenlicht drang durch die hohen Fenster auf üppigen Stuck und Blattgold. Es war still, und Freya fühlte sich wohl in der friedlichen Umgebung. Aus dem Fenster konnte sie Kühe gleich nebenan auf der Wiese grasen sehen.

Schließlich fuhr sie auf einer schmalen Straße über die Halbinsel zurück, bis sie in den Wald einbog, um vorbei am Campingplatz wieder zum Fischerfleck zu gelangen.

»Wo warst du denn?«, begrüßte sie ihr Bruder. »Ich hab schon zweimal bei dir angerufen.«

»Tut mir leid, da hatte ich wohl kein Netz. Ich bin mit dem Rad rumgefahren und hab angefangen, in den alten Alben zu stöbern, aber nichts gefunden.« Sie zupfte eine Spinnwebe aus Niklas’ Haar. »Und du hast auf dem Dachboden rumgekramt, wie ich sehe.«

»Schrecklich staubig da oben.« Er wischte sich über die Schulter.

»Warst du wenigstens erfolgreich?«

»Wie mans nimmt. Ich habe noch mehr Fotos gefunden und auch viele Negative. In Umschlägen, du weißt schon, wie man sie früher nach dem Entwickeln bekommen hat. Neben unserer Familie sind hauptsächlich die Hirschbergs drauf – ja, auch der kleine Jonas.« Er schnitt eine Grimasse. »Dann noch Adelheid Bachmann, ein paar Stammgäste …«

Freyas Mut sank. Auch Niklas hatte also nichts gefunden.

»… und des Öfteren eine elegante Dame, an die ich mich sogar vage erinnere. Sie kam immer mit ihrem Mann in den Fischerfleck , der hatte eine Glatze und fuhr ein großes rotes Auto, das ich beeindruckend fand. Gewohnt haben sie natürlich im Sporthotel. Das war das Jahr, in dem Rosalie ertrunken ist.« Er griff hinter sich, zog eine Fotografie aus der Tasche seiner Jeans und hielt sie ihr hin.

»Das ist oben am Aussichtspunkt aufgenommen worden. Da, wo man anhalten kann, um den See zu knipsen!«, rief Freya aus.

»Richtig. Rechts steht Papa, links Paul Hirschberg und die Frau in der Mitte, die ihre Arme um die beiden legt, das ist sie.«

Besagte Dame war klein und kurvig, trug ein enges royalblaues Kleid mit Spaghettiträgern, das ihre Bräune betonte. Sie hatte langes, rotbraunes, ganz glattes Haar, dünn gezupfte Augenbrauen und Lippen, die hell geschminkt und mit einem dunklen Konturenstift umrahmt waren. Eine Schönheit, sicher noch keine dreißig Jahre alt. Freya erinnerte sie an italienische Filmdiven. Um den Hals trug sie eine teure goldene Kette mit glitzerndem Anhänger.

»Etwas zu aufgestylt für unsere beschauliche Gegend.«

»Wundern würde es mich nicht, wenn Papa die gut gefunden hätte«, bemerkte Niklas. »Ich meine, schau sie dir an.«

»Nur weil sie hübsch ist, heißt das doch noch lange nicht, dass unser Vater gleich was mit ihr anfangen musste.«

»Hey, du hast behauptet, er hätte ein Verhältnis gehabt. Ich habe mich lediglich auf die Suche nach einem Beweis dafür gemacht.«

Freya schnappte sich das Bild und nahm es eingehender in Augenschein. »Ein Beweis ist das nicht. Sie hätte auch was mit dem Hirschberg haben können. Oder mit keinem von beiden. Wir müssen rausfinden, wer sie war. Und ich weiß genau, wen wir fragen können.« Sie tippte mit dem Finger auf Paul Hirschberg, der mit zu weit aufgeknöpftem Hemd in die Kamera grinste. »Was für ein scheußlicher Schnauzbart. Hat etwa gedacht, er wäre Tom Selleck?«

Niklas lachte, »Könnte man fast meinen. Wenigstens hat er kein Hawaiihemd getragen.« Jetzt wurde er wieder ernst, »Willst du ihn echt auf diese Frau ansprechen?«

»Natürlich. Kommst du mit?«

»Jetzt gleich?«

Freya sah auf die Uhr. »Wir haben noch eine Stunde, bevor wir wieder aufsperren. Warum nicht?« Sie hoffte inständig, dass er mitkam. Niemals würde sie alleine zum Sporthotel fahren und um ein Gespräch mit dem Chef bitten.

»Also schön. Ich hole die Autoschlüssel.«

Paul Hirschberg ließ sie warten. Und zwar direkt vorne an der Rezeption.

»Wahrscheinlich sollen wir mitkriegen, wie der Laden brummt und ständig neue Gäste ankommen«, flüsterte Niklas sarkastisch und machte eine ausladende Geste. Außer ihnen war niemand hier. Die Mitarbeiterin hinter dem Tresen tippte in schnellem Stakkato irgendwas in ihren Computer. Als sie damit aufhörte, war nur noch das Ticken der großen Standuhr zu hören. Irgendwann öffnete sich die Bürotür neben der Rezeption, und der Chef trat heraus.

»Die Geschwister Siebert. Was verschafft mir denn diese Ehre? Wollt ihr euch anschauen, wie man eine schicke Beachlounge richtig aufzieht? Dann kommt mal mit.« Ohne eine Antwort abzuwarten, rauschte er an ihnen vorbei den Haupteingang hinaus, über den Parkplatz und hinunter zum Seeufer, wo der nagelneue Pavillon thronte. Freya und Niklas blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, wenn sie mit ihm sprechen wollten.

Man musste es dem Architekten lassen, das Gebäude mit seinen blau gestrichenen Wänden, dem vielen Glas und der durch Segeltaue abgegrenzten Terrasse zum See hin, sah beeindruckend aus. Ein teures Kupferdach betonte den sechseckigen Grundriss. Obenauf prangte ein bunt bemalter Metallfisch als Wetterfahne.

»Seht ihr das? So muss eine Außenbar ausschauen. Nicht aus Europaletten billig zusammengenagelt. Edelstahl, Glas, hochwertige Hölzer. Nur das Beste für unsere Gäste.« Unter dem Dachüberstand war eine speziell angefertigte Bar in die Wand eingelassen. Auf den Regalen standen bereits sämtliche Alkoholika, die ein Cocktailmixer für seine Arbeit brauchen könnte. Freya entdeckte zudem einen ganzen Stapel Sektkühler. Man war gerüstet für den Ansturm.

Zugegeben, die gepolsterten Barhocker wirkten bequemer als die im Fischerfleck . Durch die Scheiben sahen sie Frau Hirschberg im Inneren, wie sie auf die Maler einredete, die letzte Ausbesserungsarbeiten an den Wänden vornahmen. Sie deutete hierhin und dorthin, ihre Gesichtszüge hart und ihr Rücken kerzengerade.

»Sieht alles toll aus. Wir wünschen euch viel Erfolg«, sagte Niklas. »Aber deswegen sind wir nicht hier.«

»Das hab ich mir schon gedacht …«

»Wir sind hier, weil wir dich was fragen wollten, Paul. Wir haben beim Stöbern alte Fotos gefunden und möchten gerne wissen, wer diese Frau ist.«

Ohne weitere Umschweife hatte er das Bild gezückt und hielt es nun Paul Hirschberg unter die Nase. Offenbar wollte Niklas die Sache ebenso schnell hinter sich bringen wie Freya. Das Mienenspiel des Hoteliers zu beobachten war hochinteressant. Sein gönnerhafter Gesichtsausdruck verschwand schlagartig. Hatte er sich beim Anblick der schönen jungen Frau etwa erschrocken?

»Äh«, stammelte er, plötzlich um Worte verlegen. »Das ist, ah, ich weiß nicht …«

»Ich schon. Das ist Loredana Berwinkel.« Unbemerkt war Frau Hirschberg dazugekommen, und ein kurzer Blick auf ein zwanzig Jahre altes Bild hatte ihr genügt, um den Namen parat zu haben. Das hieß schon was.

»Loredana?«, echote Freya.

»Genau. Halbitalienerin. Der Berwinkel war ihr Mann, ein ganzes Stück älter, aber natürlich sehr wohlhabend, sonst hätte sie ihn nicht geheiratet. Sie waren früher regelmäßig zu Gast bei uns im Hotel. Irgendwann sind sie dann allerdings nicht mehr gekommen.« Ihre Stimme klang eisig. »Es wundert mich, dass du dich nicht an sie erinnerst, Paul. Ihr beide wart schließlich sehr innig miteinander. Das kann man ja auch sehen.« Sie tippte mit einem rot lackierten Fingernagel auf das Bild, auf das ihr Gatte noch immer ganz entgeistert starrte.

»Ich mit ihr? Da hast du aber was ganz falsch in Erinnerung. Mit dem Johannes, mit dem hat sie sich blendend verstanden. Der war ja auch viel fescher als der alte Berwinkel.« Sein Lachen war zu laut und täuschte nicht über seine Nervosität hinweg.

»Stimmt«, lenkte Frau Hirschberg ein. »Jetzt weiß ich es wieder. Sie war hinter dem Johannes her wie der Teufel hinter einer armen Seele, und er war davon mächtig angetan.«

»Was interessiert euch das überhaupt? Habt ihr nix Besseres zu tun, als alte Geschichten aufzuwühlen? Ist wohl nicht genug Arbeit im Fischerfleck , dass ihr ausgelastet seid?« Pauls Selbstbewusstsein gewann wieder die Oberhand. »Nun ja, daran dürfte sich in nächster Zeit wohl auch nichts ändern, im Gegenteil.« Erneut lachte er unangenehm laut und wies auf seinen Pavillon.

Bisher hatte Freya nicht bemerkt, dass Jonas sich ebenfalls im Inneren des neuen Gebäudes befand. Er kam nun auch heraus und warf einen Blick auf das Foto, das sein Vater in Händen hielt. Obwohl er nichts sagte, konnte man seine Nervosität deutlich merken, sein Adamsapfel hüpfte beim Schlucken hektisch auf und ab.

»Hier, nimm es wieder.« Paul gab Niklas das Bild zurück. »Wenn sonst nichts mehr ist, wir haben zu tun.«

Höflich bedankten sich die Geschwister Siebert und verabschiedeten sich. Im Weggehen sah Freya aus den Augenwinkeln, wie Paul zurück ins Hotel stürmte und Anette und ihr Sohn die Köpfe zusammensteckten und heftig diskutierten.

Als sie den Parkplatz erreichten, hörten sie Schritte hinter sich.

»Freya!«, rief Jonas.

»Ich setz mich schon mal ins Auto«, brummte Niklas und lief weiter.

Freya wartete, bis Jonas sie erreicht hatte. Unwillkürlich verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Was gibt’s?«

»Meine Mutter ist außer sich. Was sollte das gerade?«

»Ich weiß nicht, was du meinst. Wir hatten lediglich eine Frage an deinen Vater, von ihr wollten wir ja gar nichts. Wenn sie sich einmischt, ist das ihre Sache.«

»Sie ist fuchsteufelswild. Als ob das Verhältnis zwischen unseren Familien nicht schon angespannt genug wäre.«

Freya lenkte ein. »Tut mir leid. Wir wussten ja nicht, dass dieses alte Foto eine derart heftige Reaktion bei ihr auslösen würde. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.« Sie löste die verschränkten Arme und Jonas schien nach ihrer Hand greifen zu wollen, zuckte aber wieder zurück.

»Ich finde es schade, dass wir uns nicht mehr sehen und dass es zwischen uns … Also, dass wir beide nicht …«

»Schon gut«, unterbrach sie ihn. »Ist besser so.«

Er schob seine Hände in die Hosentaschen. »Klar. Hast recht. Es hätte nie und nimmer klappen können. Okay. Dann müssen wir wenigstens nicht mehr so tun, als wären wir Freunde.«

Wie bitte? Was sollte das denn jetzt heißen? »Können wir nicht einfach normal miteinander umgehen?«

Er lachte kurz auf. »Ich denke nicht. Vor allem nicht, nachdem ihr meine Mutter derart vorgeführt habt. Ich sag dir eins, Freya, verscherzt es euch nicht noch mehr mit uns. Das haben viele getan, und keinem ist es gut dabei ergangen.«

»Soll das eine Drohung sein?« Die Situation wurde immer aberwitziger. Waren die Hirschbergs komplett verrückt?

»Kannst du verstehen, wie du willst.«

Er ließ sie stehen, und eine fassungslose Freya stieg zu ihrem Bruder ins Auto. Sie atmete tief ein, hielt die Luft an, überlegte, wie sie anfangen sollte und stieß die Luft dann hörbar aus.

»Ich hab alles gehört«, sagte Niklas mit dumpfer Stimme und machte den Motor an. Jetzt mussten sie sich beeilen, wenn sie nicht zu spät zur Arbeit kommen wollten.

»Verstehst du das, Niklas?«

»Nö. Aber ich zerbreche mir darüber auch nicht mehr den Kopf, denn das sind die Hirschbergs nicht wert. Wir haben den Namen der Frau, jetzt können wir nach ihr suchen. Wir gucken, was draus wird, aber vergiss diese Bagage einfach.«