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achdem Shiva und ich uns ausgiebig begrüßt haben, öffne ich die Eingangstür und mein Mädchen verschwindet zwischen den Bäumen. Erst am Morgen, sofern ich mich hier aufhalte, kommt sie mit hinein. Sie ist ein Einzelgänger wie ich, aber wenn wir zusammen sind, genießen wir die Nähe des jeweils anderen. Vor vier Jahren habe ich sie übers Dark Net für eine horrende Summe gekauft. Sie war noch ein Baby und von Wilderern aus der Savanne entführt worden. Hätte ich sie damals nicht zu mir genommen, wer weiß, ob sie noch am Leben wäre. Shiva ist übrigens die einzige Lady, die an meiner Seite existieren darf, bei der ich nicht das Bedürfnis verspüre, ihr wehzutun.
Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich darüber nachdenke und überall die Lichter anspringen, während ich durch die einzelnen, großflächig angelegten Räume laufe. In der Küche schmeiße ich meine dürftigen Einkäufe auf den Tresen und gehe sofort rüber in mein Computerzimmer. Sobald der Laptop angeschlossen ist, lasse ich mich auf den Stuhl sinken, stelle die Musik an und rufe Dark Shoots
auf. Ich weiß, es ist so ein Spleen von mir, alles mit Dark zu benennen, aber das ist es eben. So bin ich. Dark und abgefuckt. Meine Finger werden wieder nervös und ich öffne
zum vierten Mal an diesem Tag den USB-Stick an meinem Hals. Etwas, das ich sehr früh begonnen habe. Heute bin ich dreiundzwanzig. Und auch wenn es Dinge gibt, die ich wesentlich mehr an mir verachten sollte, sind es eigentlich diese verfickten Adderall-Kapseln, die ich verteufle. Damals als Jugendlicher, habe ich sie im Heim von einer der Psychologinnen bekommen. Gegen ADHS. Im Prinzip ist Adderall nichts anderes als reines Amphetamin. Und das besitzt appetithemmende und stimulierende Eigenschaften. Es hält wach, fördert die Konzentration und fokussiert. Ich glaube, ich bin manchmal zu fokussiert und das Absetzen von dem Dreck habe ich systematisch und willentlich versäumt. Heute brauche ich so viel, weil es kaum noch anschlägt und mein Körper sich daran gewöhnt hat. Aber nur die scheiß Kapseln halten mich bei der Stange. Gerade jetzt. Normalerweise, wenn ich hier oben bin, ist das die einzige Zeit, in der ich sie nicht brauche. Nicht aber, seit ich Sannah im Waldhaus ihres Vaters, dem King, wieder begegnet bin. Seitdem geht es fast gar nicht mehr ohne. Ich kann von Glück reden, dass die vielen Nebenwirkungen, die die Scheiße auslösen kann, bei mir nicht zutreffen. Außer, dass ich mich oft zum Essen zwingen muss.
Meine Augen flimmern mit dem Monitor vor mir um die Wette, und als sich das von mir selbst erarbeitete Programm öffnet, sich seine rot-schwarzen Buchstaben auftun, werde ich ruhiger. Mein Postfach quillt wie gewöhnlich nicht über, aber da ich einige Wochen nicht nachgesehen habe, sind es doch mehr Angebote als sonst.
Dark Shoots
ist wie eine Partnerbörse im Dark Net zu verstehen. Eine Börse, über die nur ich Gewalt habe und in der sich nur einschreiben kann, wem ich es gestatte. Es gibt Frauen, die machen für die richtige Summe einiges, und ich habe kaum Probleme, normalerweise zwölf Mal im Jahr, eine Gespielin zu finden. Auf der Startseite ist direkt zu ersehen,
worum es sich handelt. S/M. Sadistische Spiele für drei Tage, die reich entlohnt werden. Wen das noch nicht abhält, der meldet sich über einen Gastaccount an und schreibt mir quasi eine Art Bewerbung mit Foto. Klingt seltsam? Ist aber so. Es gibt, zum Glück, für mich genug Frauen, die nicht viel abschreckt. Wie ich aussehe, wissen die Frauen vorher nicht. Auch erfahren sie nicht, wo genau sie diese drei Tage verbringen werden. Wähle ich sie aus, gebe ich eine Anzahlung, die von einem Fake-Konto umgehend bei ihnen eingeht. Genug, dass der Reiz, nochmal das Sechsfache zu erhalten, sie nicht mit der Kohle verschwinden lässt. Aber zu wenig, um wirklich etwas damit zu reißen. Frauen, die sich auf Dark Shoots
anbieten, sind meist keine unbeschriebenen Blätter. Wenn sie Dark Souls
verlassen, sind sie gezeichnet für ihr Leben.
Eigentlich wähle ich diejenige am Morgen meines ersten Tages hier aus. Alles im Umkreis von drei Stunden Fahrzeit ist okay. Aber immer in entgegengesetzter Richtung von Manhattan. Ich nenne ihr einen Platz, irgendwo in ihrer Nähe, und hole sie dort persönlich mit meinem scheibengetönten Jeep ab, der für diesen Zweck sogar ein Fake-Kennzeichen bekommt.
War sich die Kleine bis dahin unsicher, ob es vielleicht doch nicht das Richtige ist, was sie da tut, ist es spätestens, wenn sie bei mir einsteigt, in Ordnung. Ich verstehe auch nicht, warum ein Großteil der Frauenwelt auf Typen wie mich steht, aber ich wäre doch ein Idiot, würde ich es nicht ausnutzen. Nun, die restliche Zeit der Damen in Dark Souls,
wird ganz nach meinen Wünschen gestaltet, und es ist nun mal leider so, dass ich nicht um Erlaubnis frage, Dinge mit ihnen zu tun. Ich nehme mir was ich will. Spiele die Spiele, die ich brauche und bin froh, wenn die Damen all das über sich ergehen lassen und auf zwei Beinen hier wieder rausgehen können. Ein paar Mal hat das schon nicht funktioniert. Aber das sind Bilder, an die
ich mich nicht gerne erinnere. Sie machen mich zu einem noch schlimmeren Tier, als ich es sowieso schon bin.
Während ich mich durch die Bilder der Frauen scrolle, denke ich wieder darüber nach, wie gut es für meine Belange ist, so ein ausgebufftes, schlaues Arschloch zu sein. Seit ich mit der Tastatur umgehen kann, war mir klar, dass ich in diese Richtung mein Geld verdienen will. Und im Dark Net habe ich mit verschiedenen Dingen so viel Kohle gemacht, dass selbst Sam und Jared, geldlich gesehen, dagegen einpacken können. Auch davon wissen sie nichts. Es gefällt mir nicht, meine Familie in all diesen Dingen zu hintergehen, aber wie könnte ich zulassen, dass sie von meiner anderen Seite erfahren? Es ist schlichtweg nicht möglich. Und das bezieht sich nicht bloß auf das, was ich hier mit Frauen mache. Oder dass es auch Frauen gab, die dieses Grundstück nie wieder so verlassen konnten, wie sie es betreten hatten. Meine Spiele sind zuweilen hart, aber dass ich Frauen dabei töte, habe ich nie im Sinn gehabt. Als ich daran denke, wie ich damals zwei der Frauen mehr tot als lebendig einfach aus meinem Wagen geschmissen habe, stelle ich die Musik noch lauter. Schnell wandere ich mit meinen Gedanken zurück zu den anderen Dingen in meinem Leben. Meine Geschäfte …
Man kommt nicht an so viel Knete, wenn man dafür nicht Dinge tut, die normale Menschen nie machen würden. Durch meine Informationen sind mehr Leute gestorben als durch die Hände der Wichser, die wir im Auftrag plattmachen. Ich bin also alles, wogegen wir eigentlich kämpfen. Das würde meine Familie mir niemals verzeihen und noch weniger akzeptieren.
Ich stocke kurz, denn eine der Bewerbungen zeigt mir ein Mädchen mit roten Haaren, allerdings ist es nicht so kraftvoll wie das von Sannah. Ihres ist tiefblutrot. Ich begutachte ihr Gesicht, versuche andere Ähnlichkeiten herauszufiltern, aber keine ist wie sie. Keine lässt mein Blut und mein Jagdfieber so in Wallung kommen wie Sannah. Ich lasse mich zurücksinken
und denke wieder Mal an den Tag, an dem sie hier in mein Haus kam. Etwa viereinhalb Jahre ist das jetzt her. Damals war dieses Anwesen erst kurz fertiggestellt und ich hatte vor Sannah erst zwei andere Frauen hier gehabt. Eigentlich alles war zu dieser Zeit noch anders. Es gab noch nicht die beiden Sicherheitszäune um das gesamte Areal, Shiva lebte noch nicht hier. Ich stand kurz vor meinem neunzehnten Geburtstag und saß an einem Abend wie diesem, genau an diesem Platz. Genau wie damals scrollte ich durch Dark Shoots …
und dann sah ich ihr Gesicht …
Vergangenheit
Fahr am Walden Pond links weiter, in den Wald hinein. Es ist eng, aber so viel Platz, dass du mit einem Wagen durchkommst. Halte dich auf dem Weg, du landest dann automatisch bei mir, Kleines. Solltest du jemanden von dieser Übereinkunft erzählen – auch im Nachhinein –, sehe ich mich leider gezwungen, mein Geld wieder einzukassieren. Und sollte in diesem Fall die Knete bereits futsch sein – habe ich andere Maßnahmen, wenn du verstehst.
Um neunzehn Uhr – ist ihre Antwort.
Um neunzehn Uhr? Normalerweise überschlagen sich die Ladys bereits in den vorausgehenden Mails vor Anmachsprüchen – klar, würde ich auch, bei der Summe. Aber diese hier ist anders. Ich hatte bisher eine Blonde, eine Braunhaarige … aber als ich das Foto dieser Rothaarigen sehe, ist da etwas … ich weiß auch nicht. Ihr Blick ist irgendwie voll durch und genau das zieht mich an wie verdammter Honig die Bienen.
Gegenwart
Als Sannah wieder vor meinem inneren Auge erscheint, lässt mich die Erinnerung grinsen … Fuck! Ich will keine andere. Ich will sie. Ich will sie quälen, so lange, wie sie mich jahrelang gequält hat. Und dann, wenn sie es fast nicht mehr aushält, will ich ihr das Gefühl geben, dass sie von hier verschwinden kann. Dass sie eine reelle Chance hat zu fliehen. Aber sie wird nicht fliehen können. Niemals wieder.
Damals nach Sannah, habe ich Dark Souls
justiert. Die beiden Sicherheitszäune wurden angebracht, ich ließ den kleinen Weg, der zur Villa führt, wieder bepflanzen und ich stellte alles auf Elektronik um. Wer die Fernbedienung nicht hat, kommt weder rein noch raus. Und ich holte mir Shiva. Sie ist besser als jeder Sicherheitszaun und zahm ist sie bloß bei mir. Außerdem gewöhnte ich mir ab diesem Zeitpunkt ab, die Frauen selbst herkommen zu lassen. Wobei Sannah die Einzige war, der ich die Adresse gegeben hatte. Zumindest dachte ich damals, dass es Sannah gewesen wäre.
Meine Gedanken kreisen wie wild hin und her, und als ich Shiva durch das Außenmikro höre, auf die Nachtsichtkamera sehe, die ihren Jagdbezirk überwacht … Als ich sehe, wie sie den Hirsch reißt, springe ich auf, ziehe mir meine Jacke über und renne zurück bis zum Jeep. Ich weiß, dass sie irgendwo dort draußen sein muss. Und wenn sie wirklich genauso krank ist, wie ich es bin, kommt sie vielleicht erst in der Nacht aus ihrem Versteck.
Es ist genau drei Uhr nachts, als ich einige Meter entfernt zum King-Anwesen parke. Aus dem Kofferraum schnappe ich mir den Sack, die Seile und schleiche mich dann wie am frühen Abend auf das Gelände. Ich habe ein gutes Gefühl. Zum ersten Mal
seit langem.
Den Weg zum Waldeingang und letztendlich zum Waldhaus kenne ich bereits auswendig, sodass ich kein Licht benötige. Der Sack, den ich mir hinten in die Jeans geklemmt habe, kratzt mit jedem Schritt auf meiner Haut und erinnert mich damit an Sannah. Mein Herz pumpt wie das eines afrikanischen Bullen, und ich weiß nicht, warum ich nicht früher schon auf diese Idee gekommen bin. Warum ich nicht richtig nachgedacht habe. So ist Sannah … so war es damals schon. Ich hatte in dieser einen Nacht einfach nicht vorausgesehen, was sie vorhatte. Und gerechnet hatte ich schon gar nicht damit. Sannah bringt mein gesamtes Hirn zum Durchdrehen und lässt mich keine Minute mehr ich sein.
Sannah bedeutet so viel wie leuchtende Sonne. Aber wenn sie die Sonne ist, was bin dann ich? Der verdammte Mond? Doch sie ist nicht einfach nur die Sonne. Sie ist die Sonnenglut in Perfektion und ich … ich bin nicht schlicht der Mond. Ich bin wie die Mondfinsternis.
Immer war ich nur am Tag oder frühen Abend hier, nie in der Nacht, wenn die Dunkelheit alles verschlingt und man frei in ihr wandeln kann. Nie habe ich darüber nachgedacht, dass auch sie immer nur in Dunkelheit gelebt hat. In meinem Kopf leuchtet sie wie die Sonne, aber in Sannah selbst, da ist ebenso eine Finsternis wie in mir.
Ich schiebe die Eingangstür so leise auf, dass sie tatsächlich nicht das winzigste Geräusch von sich gibt. Langsam bewege ich mich von einem Raum zum nächsten, und als ich mir sicher bin, dass sie sich hier oben nicht aufhält, halte ich auf die Treppe zu, die nach unten führt. Zu ihr führt. Ich bin unterwegs, Sannah.
Und ich weiß, spüre, dass ich jetzt nicht umsonst gekommen bin.
Hier unten ist es so finster, dass ich mir nicht sicher bin, sollte ich ihr tatsächlich begegnen, ob nicht sie, die an diese Dunkelheit gewohnt ist, mir zuvorkommt. Ich verlasse mich
ganz auf all meine anderen Sinne. Und sie alle sind sowieso nur auf Sannah gepolt. Ich kann sie gar nicht verfehlen.
Ich will dich fühlen, Sannah, will dich berühren, dich quälen. Nur um dich am Ende nie wieder gehen zu lassen. Doch in meiner Dunkelheit wirst du nicht mal mehr die Luft zum Atmen bekommen.
Und als ich dem Gefühl nach, an dem Raum ankomme, in dem Sannah mir bei unserem letzten Treffen das Messer in den Bauch gerammt hat, höre ich etwas. Ich verdrücke mich hinter die Tür und lausche gebannt auf die Geräusche. Und dann sind da plötzlich nicht mehr nur noch Geräusche. Ich spüre es in jeder meiner Zellen. Sie ist da. Ein kleines Licht dringt unter der Tür hindurch und ich höre leise Schritte. Ihre Schritte. Sie sind kaum wahrnehmbar, aber ich höre sie nicht nur, ich spüre sie auch.
Jeder Aufprall ihrer Füße auf dem Steinboden schießt durch meinen Körper wie eine Aneinanderreihung winziger Explosionen. Sie steht jetzt genau vor dem Durchgang zu meinem Versteck. Ich rieche sie und bin ihr so nah wie schon lange nicht mehr. Als sie einen weiteren Schritt nach vorn macht, bewege ich meinen Kopf so weit, dass ich ihren Rücken erkenne. Dabei bin ich so geräuschlos wie meine Shiva. Ein zerschlissenes Kleid bedeckt ihren Körper. Ihre Füße sind nackt, und ich weiß nicht, ob all die Schatten, die auf ihr liegen, nur von dem Kerzenlicht stammen, das sie in der Hand trägt, oder ob sie wirklich so dreckig sind. Meine Hand bewegt sich langsam auf ihren Nacken zu und plötzlich bin ich nervös. Nervös, weil sie vielleicht meine Anwesenheit wahrnimmt. Nervös, dass sie mir vielleicht wieder entwischt. Es wäre das dritte Mal …