Sannah
S eit zwei Stunden hocke ich auf der inneren Dachkonstruktion, durch die ich Stunden zuvor aus diesem Schaukasten verschwunden bin. Ich habe einen dieser quadratischen Deckel leicht verschoben, liege mit der Waffe in der Hand auf einer der Streben und habe ihn so ganz genau im Blick. Frost … Dieser Name passt perfekt zu ihm. Er sieht kühl und unnahbar aus und dabei viel zu schön, was auf mich leicht verstörend wirkt. Früher habe ich Wiesen und Blumen schön gefunden. Gerüche. Viel mehr habe ich nicht zu Gesicht bekommen. Danach kam nur noch Dunkelheit. Ein unterirdisches Gefängnis und Tante Luce. Und dann, dieser eine Tag, an dem ich ihm zum ersten Mal begegnete. Und schon damals brachte er mich durcheinander. Schon damals hatte ich darüber nachgedacht, dass er fast so schön ist wie der dunkle Wald, in dem ich lebte – als ich ihn noch sehen durfte. Aber heute … so viele Jahre später, ist Frost noch dunkler und schöner geworden, als ich ihn in Erinnerung hatte. Und das ist etwas, das nicht gut ist. Denn schöne Dinge kann ich nicht leben lassen. Schöne, liebevolle Dinge töte ich für gewöhnlich. Anders überlebe ich nicht, weil sie es sonst sind, die mir wehtun.
Ich richte meinen Blick wieder auf Frost, verdränge die Stimme in mir, die mir gerade erzählen will, dass ich nicht warten soll. Dass ich ihn jetzt gleich, von hier oben aus töten soll. Aber etwas Zeit bleibt mir noch. Nur einen Moment lang, will ich ihn noch ansehen. Ihn beobachten. Eben hat er kurz mit einer Frau gesprochen, deren Stimme im ganzen Haus zu hören gewesen ist. Ihre Stimme hat wieder ein neues Gefühl in mir ausgelöst. Benennen kann ich es allerdings nicht. Zu hören, wie liebevoll sie mit ihm gesprochen hatte, entzündete eine andere Art Wärme in meinem Bauch. Eine brennende Wärme, die sich so bohrend anfühlte wie das Hämmern, dem Tante Luce mich ab und an ausgesetzt hatte. Eingesperrt in einen der Kellerräume. Stundenlang. Und nichts als dieses bohrende Geräusch, dass mir fast jedes Mal den Verstand geraubt hatte. Wenn sie mich dann aus diesem Gefängnis herausholte, war ich meist zu nicht mehr viel fähig gewesen und sie hatte sich frei an mir bedienen können. Weil sie mich liebhatte, weil sie mir helfen wollte. Zu gerne hätte ich ihr den Hals herumgedreht. Ähnlich war mein Empfinden während diesem Gespräch vorhin von Frost gewesen. Nur dass es diesmal nicht Tante Luce oder Frost selbst waren, die ich gerne gelyncht hätte, sondern die Frau, der die Stimme gehörte. Nach diesem Gespräch tippte er auf so einem kleinen Kasten herum.
Mit diesem Kasten öffnet er die Türen. So viel weiß ich schon. Mittlerweile sitzt er allerdings halb darauf, als wüsste er, dass ich genau darauf warte, ihn mir zu holen. Dabei könnte ich ihn auch ganz einfach von hier oben aus abknallen. Aber wo bliebe da der Spaß? In diesem Moment danke ich Hold dafür, dass, immer wenn Tante Luce fort gewesen war und er auf mich aufpassen sollte, er mich zusehen ließ, wie er die Waffen reinigte, überprüfte und alles, was man damit anstellen kann. Ich weiß selbst nicht, warum er mich dabei hat zusehen lassen, aber ich habe alles aufgesogen wie ein Schwamm. Vielleicht tat er es nur, um die Stille zwischen uns zu überbrücken. Manchmal hat er mir dazu sogar erklärt, wie etwas funktioniert. Wie man eine Waffe lädt und alles was dazu gehört. Ich bemerke, wie sich ein Grinsen auf meinem Gesicht breit macht.
Vor ein paar Minuten sind Frost die Augen zugefallen, und ich bin mir noch nicht sicher, ob er den Schlafenden bloß spielt oder wirklich abgedriftet ist. Immer wieder begutachte ich seinen Körper, seine Brust, die sich jetzt langsam und gleichmäßig hebt und senkt. Sehe in sein Gesicht, auf seine Augen … Er ist ein wirklich schönes Arschloch. Verdammt! Das da eben … Ich war nie zuvor einem Mann so nah. Außer ihm selbst, vor so vielen Jahren. Aber selbst da war es anders. Da hat er mich berührt, aber nicht so wie vorhin.
Das eben hat so viele widersprüchliche Gefühle in mir ausgelöst. Ich wollte ihm wehtun, wie allen anderen Menschen auch, die mir zu nahekommen, und wollte ihn aber ebenso ganz nah an mir, bei mir spüren. Und mein Körper … Ich habe meine Periode gar nicht bekommen. Als ich nachgesehen habe, war es einfach eine klare Flüssigkeit, die sich da zwischen meinen Beinen gesammelt hatte.
Mit einem Mal endet die Musik, die hier gefühlt vierundzwanzig sieben läuft und ich starre gespannt nach unten. Ob er sich regt oder aufwacht oder irgendetwas tut. Nach zehn Minuten ist immer noch alles ruhig und ich beschließe, wieder nach unten zu krabbeln. So geräuschlos wie nur möglich, ziehe ich mich über die Unterkonstruktion, bis ich über dem Flur lande. Auch hier schiebe ich eine der Kassetten zur Seite und springe leise auf den Boden. Ich bleibe kurz hocken, sehe die sicher zehn Meter zu ihm hinüber, und als er regungslos bleibt, schleiche ich auf leisen Sohlen zu ihm. Immer wieder verharre ich, mit der Waffe auf seine Stirn gerichtet. Wappne mich dafür, dass er doch jeden Moment aufspringt. Und mit jedem Schritt, den ich näher auf ihn zukomme, ihn deutlicher sehe, beginnt wieder dieses Prickeln in mir und genauso die Wut auf ihn, dass er mich hier festhält. Mich einsperrt. Über mich verfügt, wie es Tante Luce und mein Vater schon getan haben. Als ich vor ihm zum Stehen komme, halte ich die Waffe so dicht vor seine Stirn, dass, wenn er sich nur verstellen würde, er spätestens jetzt die Augen öffnen würde.
Ich beobachte seine Lippen, wandere hinunter zu seiner Brust, über die leider, wie ich feststellen muss, zu viel Stoff gespannt ist, und lande unweigerlich bei der Stelle, die vorhin so hart in seiner Hose war. Ich frage mich … wie er dort unten aussieht. Einen nackten Mann habe ich noch nie gesehen. Zaghaft beuge ich mich vor, die Waffe weiter auf seinen Kopf gerichtet. Fahre vorsichtig mit meiner freien Hand nach vorn und lege meine Finger auf die Stelle. Da ist nichts Hartes mehr. Ich sehe kurz hoch. Vergewissere mich, dass er weiterhin schläft und drücke dann etwas fester mit einem Finger zu. Aber nur so viel, dass er hoffentlich nicht aufwacht. Doch plötzlich ist es da nicht mehr so weich wie gerade noch. Ich drücke noch einmal und mit jeder Sekunde, die verstreicht, wird es dort härter. Als ich spüre, dass sich sein Atem beschleunigt und ich zaghaft aufsehe, blicke ich in seine schönen Augen und auf seinem Gesicht liegt ein dunkles Lächeln. Scheiße!
Seine Hand schießt vor, ergreift meine mit der Glock darin und hat sie mir so schnell abgenommen, dass ich nichts dagegen ausrichten kann. Flink beugt er sich vor und da liegt etwas in seinem Blick, das warnend wie anziehend zugleich ist. Wie erstarrt verharre ich vor ihm. Wünsche mir in diesem beschissenen Moment, dass er wieder seine Lippen auf meine legt. Dass er mich berührt. Doch kurz vor meinem Gesicht stoppt er und flüstert:
»Lauf …«
Sofort wird mir die Ernsthaftigkeit seiner Worte bewusst. Ich warte nicht. Drehe mich um und renne los. Auf die Ausgangstür zu, die sich in diesem Moment wie von Geisterhand vor mir öffnet. Hektisch sehe ich mich um, spüre Regen, der auf mich prasselt wie Pflastersteine, und höre hinter mir Frost im Haus aufstehen. Panik durchströmt mich. Pure Panik, denn das da eben in seinen Augen, das war wahnsinniger als alles, was ich jemals bei Tante Luce gesehen habe.
»Lauf, Sannah«, ruft er mir hinterher und ich renne blindlings auf den unbekannten Wald zu. Ich habe keine Ahnung, wohin dieser Wald führt. Habe keine Ahnung, ob es richtig ist, was ich tue. Ich sollte stehenbleiben, sollte mich nicht jagen lassen, denn wahrscheinlich ist es genau das, was er will. Vielleicht treibt er mich sogar direkt in die Arme meines Vaters. Aber ich kann nicht anders. Ich muss rennen. Es ist wie ein Urinstinkt, denn ich weiß, Frost will mir mehr wehtun, als jemals ein anderer mir Schmerz zugefügt hat.
Während ich wie wild geworden durch den Wald hechte, schießt mein Blick kurz nach oben in die Baumkronen. Gerade geht die Sonne unter und ich weiß noch nicht mal, wie lange ich jetzt eigentlich hier bin. Einen Tag? Zwei? Es kommt mir viel länger vor. Ein Baum nach dem anderen schießt vor mir hoch und der Boden ist so aufgeweicht vom Regen, dass ich ein paar Mal fast hinfalle, weil ich immer schneller werde. Weil ich ihn immer dichter hinter mir spüre.
»Sannah«, höre ich ihn irgendwo hinter mir rufen.
Sannah … Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, fühlt sich heiß und eiskalt zugleich an. Würde er mir wirklich wehtun? Denk nach, Sannah, hättest du ihm wehgetan? Ich hätte … muss. Ich renne noch schneller, als er erneut nach mir ruft. Er klingt seltsam. Gar nicht mehr wie eben. Wovor renne ich weg? Warum renne ich weg? Denk endlich nach, Sannah …
»Bleib stehen, Redcat. Wir bekommen dich sowieso.«
Wir? Abrupt stoppe ich meinen Lauf, krache dabei leicht gegen einen der Bäume und blicke mich gehetzt um. Gerade schießen die letzten schwachen Lichtstrahlen durch die Baumkronen und da sehe ich Frost in einiger Entfernung stehen. Er scheint gar kein Interesse mehr zu haben, mich zu jagen, sondern beobachtet mich nur. Aber als meine Augen etwas schwenken, ein Stück weiter rechts von ihm und gar nicht so weit von mir entfernt, geht da noch etwas anderes durch den Wald. Etwas auf vier Beinen. Etwas Großes und Geschmeidiges in einem schimmernden Fell. Und es kommt langsam, aber beharrlich auf mich zu. Ich weiß nicht, was für ein Tier es ist, ich kenne kaum Tiere – wenn nur aus Büchern und Zeitschriften –, aber als es plötzlich zum Sprung ansetzt und ich den Instinkt verspüre, sofort weiterzurennen, bin ich so erschrocken und gebannt zugleich von diesem Anblick, dass ich mich nicht von der Stelle rühre. Seelenruhig sehe ich dabei zu, wie dieses Tier so weit und elegant springt, dass es mir den Atem raubt. Noch nie habe ich etwas so Schönes gesehen. Hier gibt es nur schöne Dinge, Sannah. Die Weite, die Wiesen, das Tier und er. Du darfst dem äußeren Schein nicht vertrauen. Ich ignoriere die Stimme und behalte das Tier im Auge, das jetzt unweit vor mir landet. So sanft, leicht und behände, dass ich nicht weiß, vor wem ich jetzt schneller davonlaufen muss. Dabei habe ich dasselbe Gefühl wie bei Frost. Ich möchte es berühren und gleichzeitig wegrennen. Das Fell des Tiers schimmert goldgelb in den letzten Sonnenstrahlen und die vielen kleinen, schwarzen Punkte, die es zieren, scheinen sich selbst im Stand zu bewegen.
Seine braunen Augen mustern mich eingehend, beinahe so wie die von Frost es tun, und völlig unerwartet gibt es fremde, fiepende Geräusche von sich, die irgendwie sehnsuchtsvoll klingen. Angst machen diese Geräusche mir nicht, aber als ich erneut auf Frost sehe, der sich jetzt erneut in Bewegung setzt, dann seine Stimme höre, die meinen Namen durch den Wald ruft, renne ich los.
»Sannah, Redcat … lauf, denn wenn die große Katze dich nicht frisst, ich werde es auf jeden Fall tun.«
Ich renne um mein Leben. Ich weiß nicht, was das ist, seit ich das Haus verlassen habe, aber seine Stimme klingt so ganz anders als in den Stunden zuvor. Sie macht mir tatsächlich Angst, obwohl ich eigentlich vor nichts sonst Angst habe. Töte ihn, Sannah, bevor er dich tötet … Der Regen nimmt nochmal an Intensität zu und gepaart mit der immer stärker einkehrenden Dunkelheit, sehe ich sehr viel schlechter, was vor mir liegt. Ich weiß nicht, wie nah Frost jetzt ist oder ob dieses Tier mich jeden Moment schnappt, ich weiß nur, ich muss hier weg.
Und dann … höre ich ihn viel zu dicht hinter mir meinen Namen rufen, und als ich mich im Rennen umdrehe, ihn knapp hinter mir sehe und mich dann wieder nach vorn wende, um noch schneller zu laufen, stolpere ich und lege mich der Länge nach hin. Scheiße, scheiße, scheiße! Meine Knie schmerzen und ich glaube, ich habe sie mir aufgerissen. Als ich unter mich blicke, einen aus der Erde ragenden schwarzen Kasten erkenne, weiß ich, dass es zu spät ist, als ich mich aufrichten will.
»Sannah«, stürmt seine Stimme gegen den Regen an und eine Gänsehaut läuft über meinen Rücken.
Ich spüre seine Präsenz stärker als die harten Tropfen, die auf meine Haut prallen und überlege hektisch, was ich tun soll. Er ist so dicht hinter mir, dass ich kaum ein zweites Mal davonrennen kann, und wo dieses Tier sich jetzt befindet, weiß ich auch nicht. Denk nach, Sannah, was will er von dir? Was kannst du tun? »Macht dir das Spaß?«, zische ich zynisch und bleibe genau dort liegen wo ich bin, selbst wenn mir langsam furchtbar kalt wird.
»Das macht nicht nur Spaß, Sannah. Es ist alles, was ich jemals wollte.«
Er steht jetzt direkt hinter mir und seine Worte lassen wieder etwas Warmes in meinem Bauch entstehen. Aber in meinem Kopf, da machen sie mir Angst. Ich bin Sannah! Ich habe keine Angst! Zur Not töte ich ihn eben mit meinen bloßen Händen und das Tier gleich mit dazu! Und genau deshalb, rücke ich von diesem seltsamen Bodenkasten ab, stemme meine Handflächen in den Matsch und drücke mich hoch. Auf der Stelle wende ich mich ihm zu, lege mir schon alles Mögliche zurecht, was ich ihm an den Kopf werfen kann, doch als meine Augen ihn erfassen, wie er da – bloß einen Schritt entfernt – vor mir steht, versickert jedes meiner Worte wie die Regentropfen in der Erde unter mir.
Seine vollen Lippen sind leicht geöffnet, sein dunkles Haar ist pitschnass und hängt ihm ins Gesicht. Irgendwo unterwegs scheint er sein Shirt verloren zu haben, denn er steht wie vorhin unter der Dusche, bloß in seiner durchweichten, enganliegenden Jeans vor mir. Die Regentropfen perlen von seinem hübschen, markanten Gesicht auf seine starke Brust und er sieht aus wie der Traum eines jeden Mädchens. Aber ich bin kein normales Mädchen … Doch letztendlich ist es sein intensiver Blick, diese wahnsinnigen Augen, die mich so sehr an mich selbst erinnern, dass es mir eine scheiß Angst einjagt.
»Du musst nichts sagen, Sannah«, raunt er und macht einen Schritt auf mich zu.
Ich werde nervös, versuche ihn im Auge zu behalten und gleichzeitig auszumachen, wo sich das Tier befindet. Ich sehe es nicht. Genauso schnell, wie es eben plötzlich da war, ist es jetzt wieder fort. »Ich weiß nicht, was das hier soll, ich weiß nur, dass es noch keinem gutgetan hat, mir zu nahe zu kommen«, zische ich und gebe die Suche nach dem Tier auf. Besser, ich konzentriere mich auf das verlockend aussehende und gefährlichere Tier vor mir.
Ein vages Lächeln legt sich auf seine Züge und seine Augen gleiten über mein nasses Shirt, hinunter zu meinen nackten Beinen und wieder zu meinem Gesicht. »Du bist so schön, Sannah. So wild. In deiner Nähe kann ich mich kaum unter Kontrolle halten.«
»Und er will, dass du das hier tust?« Warum frage ich das überhaupt? Vater hat mich an Tante Luce abgegeben. Er wusste, was sie mit mir macht. Warum sollte er mich jetzt nicht dem noch größeren Raubtier zum Fraß vorwerfen?
Kurz sieht Frost verwirrt aus, fängt sich aber schnell wieder. »Die ganzen Jahre in Einsamkeit haben dir nicht gutgetan, Redcat. Aber ich verrate dir etwas«, sagt er, während seine Augen sich auf meine zwei Erhebungen legen. »Man kann auch einsam sein, wenn man sich unter tausenden von Menschen aufhält.«
Ich weiß nicht, was er meint. Ich kann nur auf seine raue Stimme hören, auf seine Lippen sehen, die er sich gerade leicht mit der Zunge ableckt, bevor er mir wieder in die Augen sieht.
Scheiße, wie ist das möglich? Er macht mir Angst, etwas, das ich eigentlich kaum kenne, und löst genauso etwas in mir aus, das ich eigentlich gar nicht kenne. Aber … es gefällt mir. Und trotzdem sage ich, als ich das Gefühl habe, dass er auch die letzte Distanz zwischen uns überwinden will: »Komm mir nicht zu nah!«
Zur Antwort bekomme ich ein lautes, durchdringendes Lachen, und als der Regen noch einmal an Stärke zunimmt, macht er einen Schritt so schnell auf mich zu, dass mir keine Zeit bleibt zu reagieren. Er ist mir jetzt so nah, seine Finger liegen so fest auf meinen Armen und sein Duft … seine Lippen …
»Was sonst, Sannah?«, flüstert er und seine Nähe macht mich völlig machtlos. »Was willst du tun, wenn ich dich berühre?« Er löst seine rechte Hand, lässt sie federleicht über meine Seite gleiten. »Willst du mich ausweiden wie deine Nanny?« Jetzt wandert seine Hand an den Ansatz einer meiner Erhebungen und mein gesamter Körper steht unter Strom. »Oder willst du vielleicht doch, dass ich genau das hier tue?«
Mein Atem geht schnell, meine Synapsen scheinen zu kollabieren und ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich will ihn von mir stoßen, an mich ziehen … aber ich kann nichts davon.
»Ich habe niemals eine Frau wie dich getroffen, Sannah.« Sein Gesicht kommt näher. Sein Atem trifft auf meine Haut. »Und eine Frau wie dich, die kann ich nicht gehen lassen.« Plötzlich legen sich zwei seiner Finger auf die Spitze einer meiner Erhebungen und diese Berührung löst so viele schlechte Erinnerungen in mir aus und doch auch so viele neue – gute Gefühle.
Alles in mir explodiert, als er zusätzlich seine Lippen auf meine legt und mich noch näher an sich zieht. Seine Zunge dringt ungestüm in meinen Mund ein, und ich höre ein tiefes Grollen, das aus seiner Brust kommt und das meine Beine weich werden lässt.
»Sannah«, knurrt er, während eines Zungenschlages, und ich bin froh, dass eine seiner Hände fest um meine Taille liegt. Dass er mich hält und mir trotzdem dabei nicht mehr Angst einjagen könnte, als ich mir eingestehen will. Ich weiß nicht, warum er das tut. Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem Tante Luce es immer getan hat. Weil mein Vater es so in Auftrag gegeben hat. Weil mein Vater mich quälen will. Aber mein Vater … der weiß nicht, dass mir die Nähe dieses Monsters diesmal gefällt.
Wieder ergreift er Besitz von meinem Mund. Wieder spüre ich diese Härte in seiner Hose, die er unnachgiebig und rücksichtslos an meinen Bauch drückt. Ich spüre den Regen, der meine Gedanken fortspülen und meine Ängste ausschalten will. Spüre den Wind, der sein peitschendes Lied verströmt, damit ich meine eigenen Ängste nicht mehr wahrnehme … Ich spüre das Leben … so stark, so enorm, dass es mir mehr gibt und zugleich Angst macht als jemals etwas anderes zuvor. Dieser Mann ist wie nichts, das ich kenne, und ich weiß, er will, dass ich sterbe. Aber ich will nicht sterben. Nicht so!
Meine Hände schießen vor, prallen gegen seine nackte, nasse Brust. Mein Mund löst sich von seinem und mein Atem geht so schnell wie der eines gehetzten Tieres. Ich sehe ihn an. Sehe das Funkeln in seinen Augen. Es ist so enorm, so einnehmend, dass ich, ohne nachzudenken, einen Schritt nach hinten mache. Doch kaum, dass ich zurücktrete, fällt mir der Bodenkasten wieder ein, aber es ist bereits zu spät. Meine Knie geben nach, ich rutsche nach hinten ab, doch diesmal ist es nicht die nasse Erde, die mich auffängt. Es sind Frosts Arme, die sich so schnell um mich schlingen, dass mir direkt wieder schwindelig wird.