I
ch spüre, wie er mich aus dem Wald trägt, höre die Katze nur noch ab und an leise jammern und kann doch nicht die Augen öffnen.
Seine Hände müssten mir Angst machen, aber in diesem Moment geben sie mir Trost. Seine warme Brust, die sich schnell hebt und senkt, seine schnellen Schritte, all das beruhigt mich gerade, obwohl genau er es war, der mich eben an den Abgrund gebracht hat.
Es war nicht mal der Schmerz, der mich getriggert hat. Nicht mal, dass er es war, der das getan hat. Es war das Gefühl zuvor, dass er und nur er mir geschenkt hat. In diesem Moment war er voll bei mir, ganz und gar. Und dann plötzlich war das alles weg. Ich war alleine in diesem Wald, mit diesen Gefühlen, und Frost hatte sich von mir entfernt. Ich weiß nicht, wo er hingegangen ist. Aber als ich das Messer dort unten auf meiner Haut spürte, seinen Kopf sah, der mich einfach nicht mehr wahrnahm, dann meine gefesselten Arme und Beine, dieses Ausgeliefertsein … Ich wurde vom Himmel zurückkatapultiert in die tiefste Hölle und egal, wie laut ich schrie, ihn darum bat aufzuhören … ich konnte nicht zu ihm durchdringen. Und dann kam die Stimme. Die Stimme, die mir sagte, dass ich selbst schuld sei. Dass sie mich wie immer
gewarnt hatte … und alles um mich herum versank in Schmerz.
Und erst als das Tier in meinen Kopf drang, als ich es schreien hörte, spürte ich, dass auch Frost zurückkam. Aber jetzt bin ich an einem Ort gefangen, den ich so nicht mehr erlebt habe, seit dem Tag, an dem man mir sagte, dass ich meine Nanny abgeschlachtet hatte. Ich wusste nicht, dass ich an diesen Ort wieder zurückkatapultiert werden kann. Und ich wusste erst recht nicht, wie viel Macht Frost über mich hat. Wie viel von meiner kaputten Seele er kennt, um mich so verletzen zu können.
»Wir sind gleich da«, höre ich seine inzwischen bereits vertraute, dunkle Stimme, und ich spüre, dass sie mir Trost spenden will. Und sie schafft es auch, aber ich kann einfach die Augen nicht öffnen, obwohl ich ihn ansehen will. Aber er ist seit eben mein Trigger. Der Trigger in eine Welt, die mein gesamtes Leben verändert hat. Aber vielleicht war schon meine Geburt alleine Trigger genug.
»Sannah?«, fragt er nah an meinem Ohr und ich grabe meinen Kopf nur fester an seine Brust.
Und als meine Finger wieder zum Leben erwachen, ich bewusst seinen nackten Rücken damit ertaste, hört auch Shiva mit ihren klagenden Lauten auf und wir betreten die Villa.
»Sieh mich an, Sannah.« Er klingt so befehlend wie immer und doch ist da auch etwas Zartes in seiner Stimme.
Aber ich kann ihn nicht ansehen. Ich bin immer noch so sehr in diesem Abgrund gefangen, von dem ich dachte, dass ich nie wieder dorthin zurückmuss.
»Sannah«, flüstert er, so zärtlich, so lockend …
Er legt mich ab, ich weiß nicht worauf, ich kenne mich hier noch kaum aus. Es ist nicht wie das einzige Zuhause, das ich jahrelang hatte. Der dunkle Keller, in dem ich alles kannte. Jeden Mauervorsprung, jede dunkle Ecke. Jede Qual, mit der ich irgendwie zurechtkam. Hier ist alles neu. Meine Empfindungen, dieses riesige Haus, die Geräusche, er … Ich.
Er berührt diese Stelle dort unten und ich zucke zusammen, bis ich merke, dass er mich dort bloß abtupft. Dann legt er eine Decke über mich, bevor ich spüre, dass er sich vor mich hingehockt hat. Seine Hände streichen mir das Haar hinter die Ohren und möchten mir etwas wie Liebe vermitteln. Ist das Liebe, die ich spüre? Können Hände, Finger oder eine Stimme, die einen erst in die Hölle schicken, danach mit Liebe füttern?
»Sannah«, sagt er wieder. Leise, schmeichelnd und ich möchte ihm zu gerne glauben.
Aber das eben … das ist so sehr mit meinem Vater verwoben, mit allem, was er mir durch andere Menschen angetan hat, dass ich nicht glauben kann, dass Frost es ernst meint, selbst wenn ich mir nichts sehnlicher wünsche als das.
»Hat sie das auch mit dir getan?« Seine Stimme ist nah bei meinem Ohr. »Das wollte ich nicht, Sannah.«
Ich spüre seine Lippen auf meiner Wange, möchte mich in diesem unschuldigen Kuss verlieren, aber ich kann ihm nicht trauen. Ich kann niemandem trauen. Und ich kann ihm in diesem Moment auch nichts sagen.
»Sannah«, sagt er erneut, als ein Geräusch aus dem Nebenraum ertönt.
Ein Klingeln, dasselbe wie beim letzten Mal, als diese fremde Frauenstimme im ganzen Haus zu hören war.
»Fuck«, schimpft Frost leise. »Ich muss da rangehen, Sannah. Ich bin gleich wieder bei dir.«
Als er sich erhebt, ich ihn was?
keifen höre und seine Schritte sich entfernen, da kann ich die Augen einen Spalt breit öffnen. Er hat die Tür hinter sich nicht verschlossen. Ich sehe ihn nicht, ich höre ihn nur. Und höre sie …