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eine Augen gleiten umher. Das hier ist der Raum von früher. Derselbe Tisch und wieder – genau wie damals – bin ich alleine. Er lässt mich alleine. Nur diesmal steht die Tür offen und Shiva ist bei mir.
Sie schleicht um den Tisch herum, und ich steige mit der Decke vom Tisch und breite sie auf dem Boden aus, bevor ich mich darauflege. Als ich meine Arme, wie ein Schneeengel bewege, wirft sie sich neben mich und gibt mir ansatzweise die Wärme, die gerade durch die Tür verschwunden ist. Ich weiß nicht, wo er hingeht. Weiß nicht, ob er zu dieser fremden Frau fährt oder meinen Vater holt. Weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat und was ich fühlen soll. Eben hat er gesagt, er liebt mich. Dann hat er gesagt, wenn er zurückkommt, beenden wir das hier. Was beenden wir? Die Spiele, die Liebe oder mein Leben? Ich weiß nicht mehr, was ich noch denken soll. Meine Finger fahren zu meinem nackten Bauch, und als das Bild aus der Wasserhöhle von eben vor mir erscheint, rolle ich mich zur Seite, an Shivas Rücken, die daraufhin laut schnurrt. Ich schlinge meine Arme um ihren Nacken, grabe mein Gesicht in ihr Fell und plötzlich spüre ich Tränen. Warm, nass und salzig laufen sie über meine Wange. Ein Loch frisst sich durch meinen Bauch und mit jeder Sekunde wird es
größer, und nur die Katze scheint dazu imstande zu sein, darauf zu achten, dass es mich nicht gänzlich auffrisst. »Ist das Liebe?«, frage ich Shiva und ihr wohliges Schnurren möchte ich so gerne als Zustimmung verstehen. Aber wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht.
Wird er mich wirklich noch töten wollen, nach dem, was wir eben miteinander geteilt haben? Oder holt er jetzt ihn
, damit er es tut? Hat Frost überhaupt dasselbe empfunden wie ich? Ist das überhaupt Liebe, was ich denke zu spüren? Aber warum tut Liebe dann weh? Weil niemand außer mir dich liebt, Sannah. Du spürst nur die Wahrheit, den Schmerz. Aber nun ist es endgültig zu spät für dich.
»Und warum hat er mich dann hier zurückgelassen und nicht eingesperrt? Warum steckt er mich hier hinein, wo ich jederzeit über den Zaun klettern kann?«, fauche ich meine Stimme an. Im selben Moment springe ich auf und auch Shiva folgt mir fauchend, wirkt verunsichert. »Hat er mich extra hier unbewacht bei dir zurückgelassen?«, richte ich meine Worte an sie. Ich laufe zur Tür hinaus, blicke auf den verhältnismäßig winzigen Zaun, der diese Hütte umgibt, und sehe wieder auf Shiva. Meine Freundin. Sie würde mich nicht davon abhalten, wirklich von hier zu verschwinden. »Will er mich so vor Vater schützen? Soll ich gehen?« Shiva setzt sich genau vor mir ab, sieht mich an, mit ihren wissenden braunen Augen und schnurrt leise. Nur leider weiß ich nicht, was es bedeuten soll. Heißt es, dass sie mir zustimmt oder dass ich mir keine Gedanken machen muss? Dass ich hier, mit ihr, auf ihn warten soll. Auf Frost warten soll. »Ich weiß gar nichts mehr, Shiva.« Sie lässt sich auf der Stelle fallen und dreht sich auf den Rücken, so, als solle ich sie jetzt unbedingt kraulen. Erneut geht mein Blick zu dem Zaun hoch, schweift umher, und als ich wieder unser Bild vor Augen und die Musik im Ohr habe … seine Küsse auf mir spüre, ihn in mir spüre, lasse ich mich neben die Katze fallen und grabe meine Hände in ihr Fell, während meine Augen zufallen.