»Ich weiß schon gar nicht mehr, wie sich Regen anfühlt«, sagte Allegra, die am Fenster stand und auf die Wellen herabsah, auf denen weiße Schaumkronen hüpften. Ein heftiger Sturm fegte über die schottische Küste hinweg. Regen trommelte unablässig an die Scheiben, Nebel zog über die Klippen hoch. »Am liebsten würde ich rausgehen und Singing in the Rain tanzen!«
Ihre Mutter lachte leise. »Das habe ich schon mal gemacht, vor dreißig Jahren. Ich habe versucht, einen schottischen Seebär in einer Hafenkneipe unter den Tisch zu trinken. Ist mir nicht gut bekommen.«
»Davon weiß ich ja gar nichts, Mama«, sagte Elena neugierig. »Erzähl mal.«
Allegras Mutter winkte ab und zwinkerte ihrem Mann zu. »Alte Zeiten. Macht ihr gefälligst eure eigenen Erfahrungen.«
Allegra drehte sich um. Sie ließ ihren Blick durch die gemütliche Suite wandern, eine wohlige Wärme stieg in ihr auf. Und das lag nicht allein am prasselnden Feuer im Kamin. Sie waren zusammen. Ihre Eltern saßen auf dem Sofa und hielten sich an den Händen, Elena lümmelte mit einem Sudokuheft auf einem Sessel, Arthur lag bäuchlings vor dem Kamin auf dem Teppich und las ein Buch.
Die Akademie war bis auf Weiteres geschlossen. Zusammen mit Madame Pinot, Christine Lamartin und Corlaeus hatten die Hellers der zerstörten Akademie in Avignon den Rücken gekehrt und sich in einem kleinen Hotel nicht weit von Inverness eingemietet, um zu besprechen, wie es weitergehen sollte. Florentine war ebenfalls hier, sie hatte sich in ihr Hotelzimmer zurückgezogen, um mit ihren Eltern zu telefonieren. Gabriella würde den Sommer zu Hause verbringen, Lorenzo hatte versprochen, eine oder zwei Wochen bei den Sorentos zu verbringen und mit Gaby zu trainieren. Quirin war nach München zurückgekehrt, Elena erhielt aber im Stundenrhythmus Nachrichten von ihm und lächelte immer wieder selig.
Allegra konnte es kaum fassen. Sie hatten es geschafft! Ihre Eltern waren wieder da. Die Zeit in der Traumwelt hatte zum Erstaunen der Ärzte kaum Spuren an ihnen hinterlassen. Ihr Vater musste nur manchmal nach Worten suchen, aber auch das würde sich mit der Zeit geben, hatte Dr. Lamartin versprochen. Es war ein Silberstreif am Horizont, es war die Hoffnung auf eine bessere Zukunft: Mortensen würde seine gerechte Strafe bekommen, und Allegra würde nach ihrer Ausbildung zusammen mit Arthur als Agentin in der Traumwelt unterwegs sein – das klang für Allegra nach einem perfekten Plan.
Als Arthur sein Buch zuklappte, um sich in der Hotelküche einen Kaffee zu besorgen, wie er verkündete – er hasste schwarzen Tee, egal ob mit oder ohne Milch –, winkte ihr Vater Allegra zu sich und legte ihr den Arm um die Schultern. »Du und Arthur Sorento, hm?«
Allegra musterte ihren Vater von der Seite. »Ja, wieso?«
Ihre Eltern tauschten einen amüsierten Blick. »Deine Urgroßmutter, du weißt schon, die Shifterin, hatte mit einem Sorento einmal eine …« Er machte eine Pause und verzog das Gesicht. Dann fiel ihm das Wort ein, das er suchte. »… eine Affäre. Das war damals ein großer Skandal«, erklärte er.
»Waaaas? Soll das heißen, ich und Arthur sind verwandt?« Allegra konnte nicht glauben, was sie da hörte. Sie hatte heute Morgen auf einen Zettel Allegra Sorento geschrieben, nur um zu sehen, wie das aussah. Und jetzt das?
»Nein, nein«, winkte ihr Vater hastig ab. »Ich denke nur, die Wege der Sorentos haben die Wege der Hellers im Laufe der Geschichte immer wieder gekreuzt. Vielleicht gibt es ja jetzt einen gemeinsamen Abschnitt?«
Allegras Wangen wurden heiß. »So weit sind wir noch nicht«, murmelte sie und suchte verzweifelt nach einem unverfänglicheren Gesprächsthema.
Ihr Handy rettete sie mit einem Summen.
Ich habe es beendet. Unbekannter Absender.
Allegra starrte auf das Display. Wer hatte das gesendet? Was war gemeint? Sollte das etwa eine Drohung sein?
»Wie geht’s jetzt eigentlich weiter?« Elena legte ihr Rätsel beiseite und sah ihre Eltern erwartungsvoll an.
Bevor jemand antworten konnte, klopfte es. Zweimal lang, zweimal kurz. Das vereinbarte Zeichen.
Elena öffnete die Tür.
»Wir halten eine kurze Lagebesprechung ab«, kam jetzt eine Stimme von der Tür. Madame Pinot trat ein, gefolgt von der Direktorin und Corlaeus.
Schlagartig herrschte Stille, alle sahen sie gebannt an.
»Wir sind einen großen Schritt weiter. Sogar mehrere Schritte.« Sie zählte an den Fingern ab, während sie weitersprach. »Durch Sofia haben wir Mortensens Hauptquartier gefunden. Er hatte sich tatsächlich ein Stockwerk in einem der vermietbaren Bürohäuser in München gemietet, ist das zu fassen? Wir konnten sämtliche Sanduhren sicherstellen und auch bereits einige seiner Anhänger festnehmen.«
»Wie geht es Roland Miller?«, fragte Allegra dazwischen. Sie hatte nicht vergessen, dass der Sanduhrenhersteller ihr geholfen hatte.
»Mit Miller finden derzeit Verhandlungen statt. Er hat sich strafbar gemacht, indem er Sanduhren an Mortensen verkauft hat. Doch seine Reue ist echt. Wir werden sehen, wie sich die Dinge mit ihm entwickeln«, sagte Madame Pinot ausweichend. »Mortensen selbst wurde in seiner Wohnung gefunden. Da seine Seele in der Traumzeit gefangen ist, befindet er sich im Koma. Er wird überwacht, und wir werden ihn uns vornehmen, sobald wir die vordringlichsten Dinge hier geregelt haben.« Sie lehnte sich gegen den Kamin und verschränkte die Arme.
»Ich möchte auch noch etwas berichten. Bisher konnte ich darüber nicht offiziell sprechen, aber nun ist es so weit: Meine Nichte Olive hat zusammen mit Arthur an einem Heilmittel gegen Traummanipulation gearbeitet«, fiel die Direktorin ein. »Es sieht so aus, als könnten wir die Produktion demnächst starten – das heißt, dass du, Allegra, zwar noch an der Suche nach den Geschädigten beteiligt sein wirst, die Heilung aber werden wir übernehmen können. Fragen?« Christine Lamartin sah erwartungsvoll in die Runde.
»Ach … Ich habe mich schon gewundert, was Arthur die ganze Zeit getan hat. Er ist im Grunde ein hervorragender Student, doch in den letzten Wochen war er zu nichts zu gebrauchen. Das erklärt einiges.« Madame Pinot klang indigniert.
»Es gab, was die Sorentos betrifft, ein Missverständnis«, erklärte die Direktorin.
Allegras Kopf ruckte hoch. Missverständnis? Das konnte man so sehen … Aber Allegra schwieg. Vorerst. Momentan gab es Dringenderes zu bereden. Sie hob ihr Handy hoch, sodass alle die geheimnisvolle Nachricht erkennen konnten. »Das habe ich eben bekommen. Ich habe keine Ahnung, von wem.«
Corlaeus schlug seine Faust in die Handfläche. »Wir brauchen eine Sanduhr, sofort! Ich habe da so einen Verdacht. Allegra, du kommst mit mir. Zeig mir den Traum, den du für Mortensen gebaut hast. Christine?«
»Keine Einwände.«
Keine zwei Minuten später standen sie in der Nebelwelt.
Allegra sah sich um. Es war der richtige Ort, das spürte sie, aber da war nichts zu sehen. »Der Traum ist weg«, bemerkte sie, nicht wirklich überrascht.
»Das habe ich mir gedacht«, seufzte Corlaeus. »Die Nachricht war von Sofia, nicht wahr? Sie hat den Traum zerstört.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Allegra zögernd, »könnte schon sein. Sie war so wütend. Sie hat nicht getobt oder so, sondern war so … still wütend. Wissen Sie, was ich meine?«
Corlaeus seufzte erneut.
Allegra sah sich in der stillen Nebelwelt um und sprang mit einem Aufschrei zurück. Vor ihr im grauen Dunst schwebte ein Gesicht. Mortensen starrte sie aus eingefallenen Augen an. Allegra konnte den Blick nicht abwenden, hatte plötzlich das absurde Gefühl, ihm etwas erklären zu müssen.
»Traumreste«, erklärte Corlaeus, der ebenfalls einen Schritt zurückgewichen war und mit einem angeekelten Blick auf diese Erscheinung sah.
»Weiß ich.« Allegra gewann ihre Fassung zurück. »Ich will ihn trotzdem nicht einatmen.«
Das Gesicht von Viktor Mortensen löste sich auf, und Allegra fühlte sich mit einem Mal unendlich erleichtert. Sie würde ihn nie wieder sehen müssen. Nie wieder. Und er würde nie wieder jemanden bedrohen können.
»Damit hat sich Sofia keinen Gefallen getan« murmelte Corlaeus. »Jetzt wird mit Hochdruck nach ihr gefahndet werden.«
Genau wie Corlaeus hatte Allegra keinen Zweifel daran, dass das hier Sofias Werk war.
Allegra verschränkte die Arme. »Ich glaube, Sofia wollte verhindern, dass er wieder zurückkommt, wie beim letzten Mal. Sie hat sich verantwortlich gefühlt für den Tod ihres Vaters. Irgendwie kann ich sie verstehen. Und ganz ehrlich? Ich bin froh, dass er für immer weg ist. Er war vollkommen irre. Und hat so viel Böses angerichtet.« Was tat sie hier gerade? Nahm sie tatsächlich gerade Sofia in Schutz? Ich habe mich auch verändert, schoss ihr durch den Kopf.
»Verständlich«, murmelte Corlaeus. »Aber Gerechtigkeit ist für mich etwas anderes. Er wird für seine Taten nicht mehr büßen. Daran hätte deinen Eltern – und uns allen – viel gelegen. Nun ja. Lass uns zurückgehen. Unsere Aufgabe hier ist beendet.« Er nahm Allegra am Arm.
Zurück in der Suite, mussten sie mit ihrem Bericht noch warten, weil Christine Lamartin noch am Telefon war. Abwartend lauschten sie ihren letzten Worten: »Eine tote Person in der Wohnung? Verdacht auf Herzinfarkt? Ja, ich verstehe. Danke, Monsieur Kaufmann. Wir hören uns.« Die Direktorin steckte ihr Handy weg und sah Corlaeus und Allegra mit wissendem Blick an. »Der Traum wurde zerstört, habe ich recht?«
Corlaeus nickte. »Wir gehen davon aus, dass es Sofia war.«
»Das ist nicht im Sinne der Regularien, aber es löst tatsächlich mehrere Probleme auf einmal«, sagte Madame Lamartin nachdenklich.
Allegra sah ihre Eltern an. Diese nahmen die Neuigkeiten scheinbar gelassen auf, doch sie konnte sehen, wie ihre Knöchel weiß hervortraten, so fest klammerten sie ihre Hände ineinander.
Da schlug eine heftige Böe ein Fenster auf. Ein Schwall nasser, kalter Luft strömte herein, Möwenschreie erfüllten den Raum. Allegra spürte feine Tröpfchen auf ihren Wangen. Nach der Hitze in Avignon fand sie die Kühle wunderbar. Sie rieb sich über das Gesicht und hatte das Gefühl, die letzten Nebelreste abzuwischen. Sie ging ans Fenster und schob es wieder zu, lehnte sich mit der Stirn dagegen. Der Regen ließ bereits nach. Wolken jagten über den Himmel, hier und da konnte sie bereits wieder blaue Flecken erkennen. In kurzer Zeit würden Wind und Sonne wieder alles getrocknet haben.
»Ich weiß, dass das viel zu verarbeiten ist im Moment. Aber Maria, Stefan, der Rat möchte gerne etwas mit euch besprechen«, sagte Madame Lamartin. »Allein. Allegra, Elena, wärt ihr so nett?«
Allegra drehte sich um. »Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl war«, sagte sie grinsend auf Deutsch. »Elena, kannst du dich mal von deinem Handy losreißen? Lass uns rausgehen. Es ist fast Mittag. Wir suchen Flo und Arthur und holen uns ein paar Sandwichs.«
Elena sah neugierig zwischen ihren Eltern und Madame Lamartin hin und her, doch keiner sagte etwas. Spannung lag in der Luft.
Gemeinsam verließen sie den Raum und traten in den Flur hinaus. Ein dicker, senffarbener Teppich dämpfte ihre Schritte. »Was die wohl haben?«, fragte Elena.
Allegra zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sollen Mama und Papa gleich wieder in den aktiven Dienst?«
Sie klopften bei Florentine, die noch telefonierte und nur kurz das Handy vom Ohr nahm. »Ich komm nach«, sagte sie, »treffen wir uns am Strand? Bringt mir eines von diesen Sandwichs mit Käse und Gürkchen mit, ja?«
Der Betrieb in der Hotelküche war schon in vollem Gang. Sie stellten sich an einer Theke an, in der belegte Brote der verschiedensten Art lagen.
»Wo ist eigentlich Arthur? Es kann doch nicht so lange dauern, einen Kaffee zu holen.« Elena deutete auf die Kaffeemaschine in der Ecke. Arthur war nirgends zu sehen.
»Er wird uns schon finden.« Allegra belud ein Tablett mit Sandwichs, dann traten sie hinaus auf die Terrasse. »Wollen wir uns hierhersetzen? Im Windschatten ist es warm.«
»Lass uns zum Wasser runtergehen«, schlug Elena vor. »Die Dinger kann man auch im Stehen essen.«
Ein schmaler Weg führte durch die Klippen hinunter zu der kleinen sandigen Bucht, die für badende Hotelgäste vorgesehen war. Die Wellen schlugen immer noch mit Wucht gegen die Felsen, heute würde wohl keiner mehr hier ins Wasser steigen.
Sie setzten sich nebeneinander auf einen flachen Stein. Der Blick nach Westen war frei, eine schier endlose Wasserfläche. Elena streckte die Hand aus. »Dahinten kommt irgendwo noch Irland und dann nur noch das Meer. Früher haben die Menschen gedacht, hier sei das Ende der Welt. Wer sich da rausgewagt hat, musste schon sehr mutig sein. Oder verrückt.«
»Das würden sie von uns auch denken, wenn sie wüssten, was wir tun«, gab Allegra nachdenklich zurück.
»Stimmt. Ihr seid Entdecker unerforschter Gebiete. Na, vielleicht nicht ganz so unerforscht. Aber Mut braucht es trotzdem.« Elena zog Allegra an sich. »Du bist das mutigste Mädchen, das ich kenne. Weißt du überhaupt, was dir gelungen ist?«
Allegra hatte plötzlich einen Kloß im Hals. »Alleine hätte ich es nie geschafft«, sagte sie.
»Mag sein. Trotzdem: Ohne dich wären Mama und Papa gestorben. Du hast nicht nur sie, du hast uns gerettet, Kleine.« Elena wuschelte durch Allegras Haar, so wie früher.
Allegra lehnte sich an sie, und ein paar Minuten sagte keine von ihnen etwas.
»Störe ich?« Florentine stand hinter ihnen.
»Nein, wir sind nur gerade sentimental«, erklärte Elena lächelnd, strich Allegra noch einmal über den Arm und hielt Florentine ein Sandwich entgegen.
Florentines Gesicht leuchtete auf. »Oh Mann, ich könnte drei davon essen! Die Seeluft hier macht echt hungrig.« Sie biss hinein, und ein seliger Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
»Allegra!«, schrie da eine Stimme von oben.
Die drei Mädchen drehten sich um, Allegra sprang von dem Felsen auf. Arthur kam den Weg herabgerannt. »Ihr glaubt nicht, was ich gerade gehört habe.« Er verließ den Weg, sprang kurzerhand über die Klippen und stand Sekunden später vor ihnen. »Die Akademie wird wiedereröffnet!«
»Das war doch klar, oder?«, fragte Allegra.
»Ja, aber es wird noch besser. Ich bin gerade in unsere Suite, weil ich dachte, dass ihr da noch seid, da standen sie alle rum und funkelten sich an. Die Direktorin hätte mich mit Blicken fast erdolcht, ich glaube, ich hätte nicht reinkommen sollen. Und ratet mal, wer –?« Doch er sprach nicht zu Ende. Wie in einer kleinen Prozession erschienen in diesem Moment Allegras Eltern, die Direktorin, Madame Pinot und Corlaeus auf dem Klippenweg.
»Sollen sie selbst erklären«, sagte Arthur und stellte sich hinter Allegra, legte den Arm um sie und zog sie an sich, sodass sie mit dem Rücken an ihm lehnte.
Corlaeus hatte Sektgläser zwischen die Finger geklemmt, Madame Pinot trug eine Flasche.
»Das sieht eher nach einer Feier aus«, kommentierte Allegra. »So wie du es erzählt hast, dachte ich, sie gehen sich an die Kehle.«
»Na ja, zuerst schon.«
Allegra sah ihrer Mutter forschend ins Gesicht. Ihre Augen leuchteten. Als sie bei ihnen ankam, nahm sie Allegras und Elenas Hand in ihre. »Meine Mädchen«, sagte sie und lächelte. Corlaeus stellte die Gläser auf das Tablett, das Allegra mitgebracht hatte, und goss den schäumenden Champagner ein.
»Wir haben die Akademie Adair verloren«, begann Christine Lamartin und hob ihr Glas. »Wir haben José verloren. Möge seine Seele nur guten Träumen begegnen.«
»Möge seine Seele nur guten Träumen begegnen«, murmelten alle.
Allegra trank einen Schluck. Sie hoffte so sehr, dass José Adairs Seele Frieden gefunden hatte. Und dass Sofia irgendwann ebenfalls mit sich selbst Frieden schließen konnte, genauso wie Lorenzo.
»Doch wir sind die Dream Intelligence. Also haben wir beschlossen, die Akademie Adair im September wieder zu eröffnen.« Sie ließ ihren Blick in die Ferne schweifen.
Ungeduldig trat Allegra von einem Fuß auf den anderen. Das war ja zu erwarten gewesen.
»Wir werden einiges verändern müssen. Das Desaster um Mortensen hat uns gelehrt, dass wir uns den Zeiten anpassen müssen. Die DI ist lebendig, weil wir es sind. Wir sind für die Zukunft verantwortlich. Einiges wird sich verändern – wenn Mortensen uns eins gelehrt hat, das wir aus dem ganzen Desaster mitnehmen wollen, dann ist es, dass wir uns bewegen müssen, uns den Zeiten anpassen. Also werden wir zum Beispiel einen regulären Schulzweig für jüngere Schüler einrichten. Und ich werde meinen Posten als Direktorin abgeben.«
Allegra ließ fast ihr Glas fallen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Eine Lamartin, die freiwillig zurücktrat? Ob das wohl ihrer Familie passte? Würde Corlaeus doch der neue Leiter werden?
»Bitte begrüßt mit mir die zukünftige Direktorin der Akademie Adair: Maria Heller.« Christine Lamartin stieß mit ihrem Glas leicht an das von Allegras Mutter.
Diese strahlte. »Ich danke euch! Das ist eine große Ehre, und ich nehme diese Aufgabe gerne an.«
Allegra starrte ihre Mutter an und dachte an die Liste der möglichen Kandidaten für den Direktorenposten, die Arthur ihr gezeigt hatte. In ihrem Magen flatterte es.
Florentine jauchzte auf. »Ach, das ist so cool! Wo werden wir sein? Wieder in Frankreich?« Vor Begeisterung kippte sie das Glas in einem Zug hinunter.
Allegras Mutter sah erst Elena an, dann Allegra. »Ich weiß es noch nicht. Aber …« Mit ihrem Arm zeichnete sie einen Bogen, der das Meer, den Horizont, die Felsküste einschloss. »Hier gefällt es mir. Was meint ihr?«
»Das ist das Ende der Welt«, sagte Allegra leise. Sonnenstrahlen blitzten durch die Wolken und ließen das Meer golden aufleuchten. »Und ein neuer Anfang.«