»Na, was ist so witzig, du kleiner Idiot?«
Karim sitzt in Handschellen auf einem Stuhl in einem winzigen Büro auf der Polizeiwache. Fünfzehn Stunden in Polizeigewahrsam. Das ist nicht seine erste Verhaftung. Er kennt dieses Spielchen schon. Es macht ihm keine Angst mehr, nicht wirklich.
Der Bulle ihm gegenüber hat einen Stiernacken und trägt eine khakifarbene Jacke. Er ist offensiv, stellt ihn auf die Probe, provoziert ihn. Die Dialoge verlaufen nach dem immer gleichen Schema, sind stets sehr einseitig, und auch die Protokolle lesen sich immer gleich.
»Deine fiese Visage, du Kasper«, antwortet Karim.
Die Ohrfeige ist so heftig, dass sein Kopf zur Seite gerissen wird. Es ist nicht die erste und sicher nicht die letzte.
Sie sind den Bullen im Morgengrauen in die Arme gelaufen, als sie sich auf den Weg nach Hause machen wollten, nachdem sie wieder eine Nacht lang diverse Mauern besprüht hatten. Saïds Gesicht in Großaufnahme auf sämtlichen öffentlichen Gebäuden, klar, das fällt auf. Der Name Zahidi ist hier tabu, eine schlecht verheilte Wunde, im Kommissariat genauso wie in Verrières. Also wurden mehrere Patrouillen darauf angesetzt, zwei kleine Sprayer zu verhaften. Darüber muss er lachen, nicht über sie, nein.
Der Stier beugt sich über den Tisch, bis ihre Nasen sich fast berühren. Karim weicht nicht einen Zentimeter zurück. »Den Namen deines Kumpels!«
Als die Bullen ihnen auf den Fersen waren, haben sie sich getrennt, und die Bullen haben sich dann entschieden, Karim weiterzuverfolgen. Er trug den Rucksack mit den Spraydosen. »Sébastien Meunier«, sagt Karim.
»Den Namen deines Kumpels!«
»Sébastien Meunier. Warum sollte ich Sie anlügen? Ah, verstehe, Sie denken, es muss ein Araber sein. Aber da sind Sie auf dem Holzweg, ich habe französische Freunde, ob Sie es glauben oder nicht!«
»Wir haben seine Visage gesehen, und er sah nicht aus wie ein Sébastien …«
»Schreiben Sie das auch in Ihr Protokoll? Die Liga für Menschenrechte wäre sicher begeistert.«
»Halt die Klappe.«
»Okay.«Karim ist nicht allzu beunruhigt. Für ein paar Graffiti können sie ihm nicht viel aufbrummen. Höchstens ein paar Stunden gemeinnütziger Arbeit. Er hat kein Vorstrafenregister, ist zwar schon ein paar Mal verhaftet worden, aber immer nur wegen Lappalien.
Stiernacken stellt ihm die Frage noch mehrmals. Karim hält sich an sein Schweigegelübde und der Bulle schickt ihn schließlich zurück in seine Zelle.
Ein paar Stunden später holen sie ihn wieder raus. Aus Reflex wirft er einen Blick auf die Uhr im Gang. Gerade bricht seine zwanzigste Stunde an. Nur noch vier. Oder achtundzwanzig, wenn der Staatsanwalt den Gewahrsam verlängern sollte. Das ist lang, aber man kann es aushalten.
Er bleibt stehen, bis Stiernacken ihn auffordert, sich zu setzen. Der Beamte tippt auf seiner Computer-Tastatur herum, dann druckt er ein Blatt aus und hält es Karim hin. »Hier, unterschreib das und dann verdufte.«
Der junge Mann starrt ihn ungläubig an. Er liest das Protokoll, das sehr klein gedruckt ist. Dann lächelt er und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.
»Das unterschreibe ich nicht.«
»Bitte?«, fragt der Bulle. »Das unterschreibe ich nicht. Ich habe das da nie gesagt.«
Der Bulle hat seine Äußerungen korrekt wiedergegeben bis auf eine Ausnahme, er soll angeblich den Beamten, der für den Mord an Saïd verantwortlich ist, mit dem Tod bedroht haben. Wir finden das Arschloch und schneiden ihm die Kehle durch.
»Arschloch« gehört schon mal nicht zu meinem Wortschatz. Und außerdem schneide ich niemandem die Kehle durch, höchstens einem Schaf und das auch nur in der Badewanne, sonst ist das eine große Sauerei.«
Der Stier fixiert Karim und wartet, dass dieser seinem Blick ausweicht. Noch so ein Spielchen. Aber Karim hält seinem Blick stand.
»Du willst nicht unterschreiben?«
»Nein.«
»Willst du nochmal für vierundzwanzig Stunden in die Zelle wandern?«
»Wenn Sie den Quatsch streichen, den ich nie gesacht habe, unterschreibe ich.«
»Gesagt habe, es heißt, gesagt habe.«
»Es heißt gesagt habe?«
Noch eine Ohrfeige. »Du willst also wirklich nicht unterschreiben?«
»Nein.«
Es geht zurück in den Untergrund.
Karim wartet. Man bringt ihm kalte Nudeln mit Tomatensoße, es ist ekelhaft, er isst es trotzdem. Jede Abwechslung ist willkommen. Er ist ganz allein in der Zelle.
Nach vier Stunden bringt ein Bulle in Uniform ihn in das gleiche Büro zurück. Der Stier ist immer noch alleine. Der junge Mann nimmt brav Platz. Auf dem Schreibtisch liegt ein Zettel. Er liest das Protokoll, es ist haargenau so wie vorher. Karim blickt auf.
»Das unterschreibe ich nicht.«
»Wie du willst.«
Er nimmt den Zettel wieder an sich. Karim wartet, lässt sich seine Ungeduld nicht anmerken. Alles oder nichts. Entweder er kommt jetzt raus oder er bleibt noch einen Tag hier.
Der Bulle steht auf, schwingt sich auf den Schreibtisch und lässt seine Beine herunterbaumeln, direkt vor Karim. Sie mustern einander. Dann packt der Stier ihn am Kragen seines Shirts.
»Ich weiß genau, was ihr im Kopf habt, du und deine Kumpels. Meint ihr nicht, dass eure Rache ein bisschen spät kommt? Hör mir zu, selbst wenn du das Protokoll nicht unterschrieben hast, finde ich mühelos drei Polizisten, die bezeugen können, dass du den Beamten bedroht hast. Sollte in nächster Zeit also irgendetwas vorfallen, dann bist du dran.«
»Was denn?«, protestiert Karim. »Das sind doch nur Graffiti.«
»Na klar, das denkst du, was? Nur Graffiti!«
Er lässt den jungen Mann wieder los. »Du kannst abhauen, aber die Sache hat ein juristisches Nachspiel. Du bekommst eine Vorladung wegen Sachbeschädigung und Morddrohung. Bis dahin solltest du aufpassen, dass kein einziges neues Saïd Zahidi-Graffito auftaucht, denn das würde auf dich zurückfallen. Und sag das auch deinem Kumpel.«
»Glaubst du vielleicht, wir sind nur zu zweit?«, gibt Karim zurück, während der Polizist ihn zu seiner Zelle begleitet, damit er seine Sachen holen kann. »Es gibt eine Menge Leute, die sich an ihn erinnern und an das, was ihr ihm angetan habt. Das wird mir auch jeder Richter glauben, schließlich sind da viele Handschriften vertreten.«
»Teste es doch, wenn es dir Spaß macht«, sagt der Bulle zum Abschied.
Karim blinzelt, als er ans helle Tageslicht tritt. Er bittet eine Passantin um eine Zigarette. Sie ist so nett und gibt ihm eine, die Erste nach vierundzwanzig Stunden, lange hat ihm keine Zigarette mehr so gut geschmeckt. Er beeilt sich, diesen Ort zu verlassen. Wenige Meter vom Kommissariat entfernt sieht er ein Auto und bleibt kurz stehen. Er gibt der Fahrerin ein Zeichen, schüttelt leicht den Kopf, sie nickt. Sie treffen sich in einer Parallelstraße wieder. »Alles okay?«, fragt Siham, als er auf den Beifahrersitz klettert. »Ja, aber du kannst dir nicht vorstellen, wie ernst die uns nehmen.«
»Und was kriegst du?«
»Sachbeschädigung und Morddrohung, ich bekomme eine Vorladung, aber ich habe nichts unterschrieben.«
Er fährt sich mit der Hand über die Stirn und seufzt. Er braucht jetzt unbedingt eine Dusche, eine richtige Mahlzeit und eine Mütze Schlaf.
»Hast du Ross gesehen?«, murmelt die junge Frau.
»Nein. Bist du sicher, dass er noch in der Stadt ist?«
»Nein.«
Karim stößt einen tiefen Seufzer aus. Als das Auto an der Ampel zum Stehen kommt, sieht er Siham von der Seite an. Sie starrt unverwandt auf die Straße. Ihre Miene verrät nichts. »Siham.«
»Ja.«
»Ich weiß nicht, wo das alles noch hinführen soll, die Bullen meinen es bitterernst.«
»Klar meinen sie es bitterernst. Sie haben ja auch allen Grund dazu.«
»Und was machen wir jetzt?«