Die Tanzfläche ist brechend voll. Weißes Licht zuckt wie Blitze über sich windende Körper, nackte Beine und Arme. Ich komme mir vor, als wäre ich in meiner schwarzen Hose und der Seidenbluse auf der falschen Party gelandet. Der Dresscode im Club Mistral ist eindeutig dress less …
Aber diese weite Hose und die Bluse sind die einzigen Kleidungsstücke, in denen ich mich noch einigermaßen wohlfühle. All meine Kleider saßen ein wenig knapp, als wären sie zu heiß gewaschen worden. Oder als hättest du zu viel gegessen.
»Was willst du trinken?«, fragt Bo.
»Eine, äh, Cola light.«
»Kommt sofort.« Ihr rotes Kleid schmiegt sich um ihren Körper, und ich kann ihre Bauchmuskeln durch den Stoff sehen. Bo geht mit wiegenden Hüften zur Bar.
»Project Bo ist unterwegs«, sagt Anouk. »An der Bar stehen die Jungs vom Pool.«
Ich sehe, wie Rik, Zach und Tom Bo von oben bis unten begutachten, als würden sie einen Strichcode scannen. Grinsend läuft Bo auf sie zu. Von wegen Getränke holen, jaja.
»Gleich geht's wieder los«, seufzt Anouk.
Ich beobachte, wie Bo gespielt verlegen über etwas lacht, das Rik sagt. Rik legt einen Arm um ihre Schulter. Ganz entspannt und selbstsicher lehnt sie sich an ihn. Ich spüre einen Stich Eifersucht. Wie einfach wäre mein Leben, wenn ich so wäre wie Bo …
Ich versuche mir vorzustellen, dass ich jemanden wie Rik küsse. Vielleicht legt er seine Arme um mich. Vielleicht sucht seine Hand unter meiner Bluse nach meinen Brüsten, oder er streichelt meinen Bauch. Vielleicht verlieben wir uns ineinander, und ich stelle ihn meinen Eltern vor. Ich finde heraus, dass sein Vater Minister ist, und meine Eltern tragen ihn auf Händen. Endlich ist ihre Tochter vernünftig geworden.
Aber es klappt nicht. Sams Gesicht ist noch immer auf meine Netzhaut eingebrannt.
»Hier, ihr faulen Schweinchen, eure Bestellung!«, ruft Bo neben mir.
»Dankeschön«, murmele ich und nehme die Cola, die sie mir reicht.
»War's nett mit Rik an der Bar?«, fragt Anouk.
»Eifersüchtig?«
»Ganz sicher nicht.«
Bo tut so, als würde sie Anouks Bemerkung nicht hören. »Auf uns!« Sie hebt ihr Glas.
Auch wir heben die Gläser, klirrend berühren sie sich. Wir schauen uns an, während unsere Gläser ein viereckiges Herz bilden. Der Bass der Musik dröhnt durch meinen Körper, und mein Herz klopft im selben Rhythmus. Plötzlich kann ich mich wieder daran erinnern, wie gut sich unsere Freundschaft früher anfühlte.
Bo lässt als Erste los. Der Zauber ist gebrochen.
»Prost!« Sie zieht den schwarzen Flachmann mit Wodka aus ihrer Tasche und kippt einen kräftigen Schuss in ihr Glas. »Wusstet ihr übrigens schon, dass Emmas Tante umziehen wird?«
Bamm! Emmas Name schiebt sich mit Karacho in mein Gehirn. Die dunklen Ecken der Tanzfläche kriechen auf mich zu, und für einen kurzen Moment wird mir schwarz vor Augen. Ich atme ein paarmal tief ein und versuche möglichst ruhig zu sagen: »Himmel, nein, das wusste ich nicht.«
»Ich auch nicht«, sagt Lilly leise. »Wohin?«
»Nach Rotterdam«, antwortet Bo. »Wahrscheinlich wird sie dort irgendwo in einer Riesenvilla wohnen. Die Frau ist stinkreich: zwei Autos, ein Wochenendhaus, viermal im Jahr im Urlaub, ein Gärtner.«
Lilly räuspert sich. »Zum Glück muss Emma das nicht mehr mitmachen. Sie hätte es wirklich schrecklich gefunden, nach Rotterdam umziehen zu müssen. Mir … mir war ihre Tante nie sympathisch. Sie war immer so kühl und distanziert.«
»Das lag bei Emma dann ja wohl in der Familie.« Bo bricht in Lachen aus.
Der Klang ihres Lachens ist so fehl am Platz, dass wir sie mit offenem Mund anstarren.
»Es gibt Grenzen«, schnauzt Anouk sie an. »Und meiner Ansicht nach hast du gerade eine überschritten.«
»Jetzt tu mal nicht so hypersensibel«, sagt Bo. »Du weißt genau, was ich meine. Ich sage es, ihr denkt es nur. Das ist der einzige Unterschied.«
Der Bassrhythmus verändert sich, und die ersten Klänge von Girls Like You von Maroon 5 ertönen.
»Kommt, wir gehen tanzen«, sagt Bo ausgelassen, als wäre alles in Ordnung. »Das ist so ein genialer Song!«