»Ist dir kalt?«, fragt Rik.
Er schaut mich an. Das schwache Mondlicht macht ihn grau und unwirklich, als gäbe es ihn gar nicht wirklich.
»Ein bisschen«, sage ich.
Mehr Ermutigung braucht er gar nicht. Er legt einen Arm um meine Schulter.
»So besser?«
»Ja«, lüge ich.
»Klasse Abend, was?«
»Ja.«
»Fandst du den DJ auch so gut?«
Ich nicke.
Rik grinst mich an. In seinen Augen lese ich, was er vorhat. Zum Glück sieht er einigermaßen gut aus, sonst wäre ich jetzt weggelaufen.
Er zieht mich noch näher an sich. Mein Kopf liegt an seiner Schulter. Ich kann seinen Herzschlag spüren, kräftig und schnell, und ich versuche mir vorzustellen, dass es für mich schlägt, dass ich in seinem Herzen bin.
Es gelingt mir nicht.
»Du bist sehr schön«, flüstert er mir ins Ohr, während er meinen Nacken streichelt.
Jaja, denke ich.
»Und du riechst so gut.«
Heimlich werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Zehn nach zwei: Wir stehen bestimmt schon eine Viertelstunde draußen. Mabel, Lilly und Anouk sind gleich losgezogen. Auch Riks Freunde haben ihn im Stich gelassen. Ich habe aber gesehen, wie sie Rik zufeixten. Als wollten sie sagen: Die hast du in der Tasche.
Rik beugt sich vor, und seine Zunge schlüpft durch meine Lippen. Heute Morgen kannte ich ihn noch nicht einmal. Jetzt spüre ich seinen Steifen durch mein Kleid. Seine Zunge dreht blitzschnelle Runden um meine. Er küsst nicht übel. Aber ich spüre nichts.
Seine Finger schieben sich unter den Rand meines Slips. Suchend huschen sie hin und her.
»Komm schon«, sagt Rik keuchend. »Oh ja, komm.«
Ich frage mich, ob er mit mir spricht, aber er hält die Augen geschlossen. Hinter ihm sehe ich den Himmel wie ein schwarzes gähnendes Loch – als würde ich geradewegs in mein eigenes Herz schauen.
Das ist ein Fehler.
Genau wie mit all den anderen Jungs.
»Nein«, murmele ich und löse mich aus seiner Umarmung.
Fiebrig sieht Rik mich an. »Kurze Pause?«, fragt er. Ich will mehr, erzählen mir seine Augen.
»Gern.« Lass mich allein, versuche ich mit meinem Blick zu sagen.
»Ist was?«, fragt er.
Ich sehe ihn an, sein Gesicht ist im Schatten seltsam verformt.
Ja, denke ich. Meine Eltern haben immer noch nichts von sich hören lassen. Ich bin jetzt schon fast drei Tage weg, aber es interessiert sie anscheinend nicht die Bohne, was ich mache. Und als Krönung knutsche ich hier mit einem wildfremden Typen herum, für den ich überhaupt nichts empfinde.
Ich hasse mich.
Aber das kann ich Rik nicht erzählen, er würde es nicht verstehen. Ich verstehe es ja selbst nicht.
»Entschuldige, ich bin ein bisschen müde«, sage ich.
Vielleicht versteht er es. Vielleicht sagt er einfach »gute Nacht«. Vielleicht ist er ja netter, als ich denke.
Leider nicht.
»Wenn du müde bist, können wir auch in mein Zelt gehen und … schlafen.« Seine Augen werden dunkel.
»Ich bin wirklich müde«, murmele ich und drehe mich um.
»He, warte mal!«, ruft Rik. »Wo gehst du denn hin?«
»Schlafen.« Mit großen Schritten entferne ich mich von ihm.
»Sollen wir uns für morgen verabreden?« Es klingt ein wenig verzweifelt.
»Vielleicht.«
So schnell ich kann, laufe ich weiter. Meine Augen brennen, und wütend zwinkere ich die aufsteigenden Tränen weg. Es tut mir so leid, dass ich mit ihm geknutscht habe. Alles tut mir leid. Mein Fuß stößt gegen einen Stein. Wütend kicke ich ihn weg. Gibt es eine Reset-Taste für das Leben? Dann würde ich sie jetzt drücken und diese ganze Scheiße löschen, bis alles wieder okay wäre.
VOLKSKRANT 08.01.19
Mobiltelefon von vermisstem Mädchen gefunden
AMSTERDAM – Das Handy von Emma Timmers, der 16-jährigen Schülerin, die jetzt schon seit rund zweieinhalb Wochen vermisst wird, wurde gefunden. Es lag auf dem Grund eines Badesees im Diemerbos. Am Ufer des kleinen Sees hatte man zuvor schon ihr Fahrrad entdeckt. Die Polizei habe bereits mehr als einhundertfünfzig Hinweise auf das vermisste Mädchen aus Amsterdam erhalten, so ein Sprecher. Das Ermittlungsteam geht momentan allen Hinweisen nach. Das Naturschutzgebiet wird in den kommenden Tagen weiterhin von einer Spezialeinheit durchkämmt.
EIN KLEINER ARTIKEL OHNE FOTO … ICH HATTE MEHR ERWARTET.