«W as machen Sie denn hier? Mr Wood hat gesagt, Sie seien erkrankt, deshalb wollte er die Vertragsunterzeichnung übernehmen. Und was macht dieses Glasding auf dem Tisch?» Monica war hinter den Türrahmen zurückgewichen und lugte nun angespannt dahinter hervor.
«Aquarium», verbesserte Nick seine Frau.
«Ich weiß, dass das ein Aquarium ist», fauchte sie ihn an. «Aber da sind keine Fische drin, sondern Spinnen! Tausende von Spinnen!» Ihre Stimme überschlug sich fast.
Nein, nur neunzehn! Aber wenn Shona sie nun ebenfalls korrigiert hätte, wäre die Frau wohl endgültig explodiert. Shona vermied es, Nate anzusehen, der sichtlich überfordert war mit der Situation und überhaupt nicht wusste, wie er sich dazu äußern sollte.
Doch das musste er auch nicht, denn Monica wetterte schon weiter. «Sie haben gesagt, dass es hier oben keine Spinnen gibt, dabei ist das ganze Haus voll davon! Sie haben es nur nicht rechtzeitig geschafft, sie wegzubringen.»
Shona fiel es schwer, nicht loszulachen. Monica dachte wirklich, sie hätte die Spinnen eingesammelt!
«Was haben Sie mir denn noch alles verschwiegen? Dass hier im Frühjahr und im Herbst Tornados über das Grundstück fegen?» Monica reckte angriffslustig das Kinn.
«Jetzt beruhig dich doch, Liebling!», sagte ihr Mann, doch seine Worte verfehlten – wenig überraschend – ihre Wirkung.
«Nein, ich beruhige mich nicht!» Monica hielt ihre Designer-Handtasche fest vor die Brust gepresst, als müsste sie sich vor einem eventuellen Ausbruch der Spinnen schützen. «Mir kam die Sache ja gleich komisch vor. Mrs Byrnes spricht von einem Bekannten, der uns herumführen soll, und dann erwartet sie uns stattdessen!» Nur kurz ließ Monica den Henkel ihrer Tasche los, um mit dem Finger auf Shona zu zeigen. «Und in der Hollywoodschaukel schläft ein Landschaftsgärtner, der an diesem Tag gar nicht da sein sollte. Dann muss dieser Landschaftsgärtner die Vertragsunterzeichnungen übernehmen, weil sie angeblich krank geworden ist, und jetzt steht sie hier in der Küche mit einem Aquarium voller Spinnen, die sie schnell noch wegschaffen wollte, bevor wir hier auftauchen.»
Shona konnte zwar nicht sagen, dass ihr Monica besonders sympathisch war, schon gar nicht, wenn sie sich wie eine Rachegöttin aufführte. Doch sie musste anerkennen, dass die Frau alles gut auf den Punkt gebracht hatte. Und wenn es half, dass Shona in ihren Augen die Spinnen nicht brachte, sondern abholte – gern!
«Komm, wir gehen, Nick!» Monica machte auf dem Absatz kehrt. «Unter diesen Umständen wird Mrs Byrnes sicher vollstes Verständnis haben, dass wir an einem Vertragsabschluss nicht mehr interessiert sind.»
«Aber Liebling, willst du es dir nicht noch einmal überlegen? Dir hat das Grundstück doch so gut gefallen», begann Nick. Doch sein Versuch, seine Frau zum Bleiben zu bewegen, klang halbherzig. Shona hatte schon bei ihrer ersten Begegnung vermutet, dass nicht er die treibende Kraft hinter dem Hauskauf war.
Tatsächlich aber blieb Monica noch einmal stehen, allerdings nur, um Shona und Nate zuzuzischen: «Ich werde mich bei Mrs Byrnes über Sie beschweren!» Dann rauschte sie hinaus.
«Ich weiß auch nicht, was ich von dem Ganzen halten soll.» Einen Moment blieb Nick noch etwas hilflos stehen, bevor er seiner Frau folgte.
Zurück blieben Shona und Nate. Und Nate wirkte auf einmal ziemlich wütend. «Was zum Teufel sollte das?», fuhr er Shona an.
Zum Glück musste Shona die Frage erst einmal nicht beantworten, denn Vicky kam durch die Terrassentür. «Ich habe gehört, wie die Frau herumgezetert hat. Was war denn los?» Jetzt erst bemerkte sie Nate, und sie erkannte ihn sofort. «Du bist Nathan Wood!»
«Ja, so sieht es aus.» Nate grinste schief.
«Dein Buch hat in Grahams Bücherregal einen Ehrenplatz. Ich habe es leider noch nicht gelesen, aber das werde ich natürlich sofort nachholen.»
«Das musst du nicht. Ich fürchte, es ist nicht besonders gut.»
«Da scheinen deine Leser anderer Meinung zu sein.» Vicky lächelte. «Wird es nicht sogar verfilmt?»
«Ja, das wird es», beantwortete Shona die Frage schnell, um Vicky aus ihrem Fan-Girl-Modus herauszuholen. «Und um auf deine Frage zurückzukommen: Mrs Bowie hat die Spinnen gesehen und gedacht, dass ich sie gerade eingesammelt hätte.»
«Ernsthaft?»
«Ja! Wir haben es geschafft! Dein verrückter Plan ist aufgegangen. Niemals hätte ich damit gerechnet.» Shona fiel Vicky um den Hals. Und dann, aus einem Impuls heraus, umarmte sie auch noch Nate. Er fühlte sich ganz anders an als früher, knochiger und sehniger. Und früher hatte er auch nicht nach Zigarettenrauch gerochen. Doch sie spürte immer noch dieselbe Vertrautheit, die ihr vor so vielen Jahren immer ein Gefühl von Nachhausekommen vermittelt hatte. Abrupt ließ Shona ihn los.
«Sorry, ich weiß nicht, was da gerade über mich gekommen ist», murmelte sie.
«Das frage ich mich auch.» Anders als sie klang Nate nicht verlegen, sondern stinksauer. «Wieso hast du das gemacht? Ich meine, das mit den Spinnen. Die Viecher verkriechen sich doch sowieso immer und wären überhaupt nicht groß aufgefallen.»
«Ich habe sie gar nicht eingesammelt. Ich … ich wollte sie aussetzen.» Auf einmal konnte Shona nicht mehr – die ganze Situation war einfach zu bizarr –, und sie fing lauthals an zu lachen.
«Du wolltest was ?» Nate starrte sie fassungslos an.
Shona war nicht in der Lage zu antworten – inzwischen liefen ihr Tränen über die Wangen –, deshalb antwortete Vicky: «Sie wollte verhindern, dass die Bowies das Cottage kaufen. Schließlich wollten sie nicht darin wohnen, sondern es abreißen lassen, um hier einen Bungalow zu bauen. Und für Shona hängen doch so viele Erinnerungen daran.»
«Ach!» Nates Augen funkelten aufgebracht. «Und jetzt? Glaubst du wirklich, dass ein anderer Interessent die alte Hütte stehen lässt? – Verdammt, ich hätte eine echt nette Provision für den Verkauf bekommen!» Seine gerade noch so angespannt hochgezogenen Schultern sackten herab.
«Die bekommst du immer noch.» Shona hatte endlich ihren Lachkrampf überwunden und bekam wieder Luft. «Ich möchte das Cottage nämlich selbst kaufen.»
«Du?» Nate sah sie überrascht an, und erst jetzt wurde Shona sich der Tragweite ihrer Worte so richtig bewusst.
«Ja! Insofern wäre ich dir wirklich dankbar, wenn du die Sache mit den Spinnen nicht an die große Glocke hängen würdest. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.»
«Hast du diesen Spruch von Eliyah?», fragte Vicky.
«Ich glaube, für diese Weisheit brauche ich Eliyah nicht.» Shona bückte sich und streichelte Pirate über den Rücken, der in die Küche stolziert war und sich an ihre Beine schmiegte. «Wir haben es geschafft! So ganz kann ich es immer noch nicht glauben. Dein verrückter, irrsinniger Plan ist aufgegangen!», sagte sie zu Vicky, als sie sich wieder aufrichtete.
«Ich auch nicht.» Vicky grinste breit. Dann schaute sie auf ihre Armbanduhr. «Zehn Uhr! Findet ihr, es ist zu früh, um darauf anzustoßen? Ich nicht! Lasst uns ins Craft gehen und Liam nach seiner besten Flasche Champagner fragen. Shona als Hausbesitzerin muss schließlich gefeiert werden. Was meint ihr?»
«Noch bin ich es ja nicht», wandte Shona ein. «Und ich muss vorher unbedingt Sylvie anrufen und sie über alles informieren.»
Sylvie war zum Glück überhaupt nicht böse, als Shona ihr die ganze Geschichte erzählte. Ganz im Gegenteil.
«Du kommst auf Ideen! Spinnen in unserem Cottage auszusetzen, als ob es davon nicht schon genug gäbe», gluckste Sylvie. Sie rief sofort Evie her, um auch ihr zu erzählen, dass das «schreckliche Ehepaar» ihr Häuschen jetzt doch nicht kaufen würde, sondern Shona.
«Das ist leider noch nicht ganz sicher», beeilte sich Shona einzuwerfen. «Ich habe das Geld für die Anzahlung ja immer noch nicht zusammen. Aber wenn euer Angebot immer noch steht und ihr es mir bis Mitte April reservieren könntet …»
«Das ist gar kein Problem», fiel ihr Sylvie ins Wort. «Ich werde mit Claudia sprechen. Evie und ich möchten, dass unser Häuschen in gute Hände kommt, und wir wären überglücklich, wenn du es kaufen würdest.» Sie schwieg einen Augenblick, dann fügte sie voller Wärme hinzu: «Wir haben dich sehr gern.»
«Ich euch auch», sagte Shona und räusperte sich, weil ihre Stimme gar zu belegt geklungen hatte. Nicht nur, weil es für sie höchste Zeit war, von zu Hause auszuziehen und auf eigenen Füßen zu stehen, musste sie das Cottage kaufen, sondern auch den beiden Schwestern zuliebe. Sie musste den Tortenwettbewerb unbedingt gewinnen! Dafür würde sie die schönste Torte kreieren, die auf der Bake a Cake jemals ausgestellt worden war!
«Wir können fahren!», sagte sie zu Vicky und wandte sich dann an Nate: «Kommst du auch mit?»
Er schüttelte den Kopf. «Ich bleibe hier.»
Shona hob die Augenbrauen. «Hier?»
Er nickte und wirkte auf einmal verlegen. «Ich wohne vorübergehend im Cottage. Das ist Teil des Deals. Ich mache ein paar Reparaturen und führe Interessenten herum, dafür bekomme ich eine Provision und kann ein paar Wochen hier wohnen.»
Oh! Das erklärte Sylvies nebulöse Bemerkung, dass Evie und sie das Cottage noch eine Weile selbst brauchten. Es ging dabei gar nicht nur um ihre persönlichen Dinge und Reparaturarbeiten, sondern um Nate.
«Und wo warst du, als wir vorhin hier ankamen?» Shona wechselte einen schnellen Blick mit Vicky. Gut, dass sie nicht gewusst hatten, dass das Bayview Cottage vorübergehend einen Mieter hatte!
«Bei Sylvie und Evie. Claudia hat mir den Vorvertrag per Mail geschickt, aber hier gibt es ja keinen Drucker. Also habe ich ihn mir im Büro der Seniorenresidenz ausdrucken lassen.»
Was für ein Aufwand!, dachte Shona. «Wenn du nicht so ein Geheimnis darum machen würdest, dass du wieder hier bist, hättest du einfach deine Eltern oder sonst jemanden im Dorf darum bitten können.»
«Nicht mal deine Eltern wissen, dass du hier wohnst?» Vicky machte große Augen. «Wieso denn nicht? Und hast du keine Angst, dass dich jemand zufällig sieht und es ihnen erzählt? Sie wären doch bestimmt ent… verwundert.»
«Ich muss mein Buch fertig schreiben, und dazu brauche ich Ruhe», erklärte Nate steif. «Absolute Ruhe!»
«Das kann ich verstehen.» Vicky sah ihn mitfühlend an. «Es warten ja auch eine ganze Menge Leute darauf. Graham zum Beispiel. Und mit dem Schreiben ist es sicher wie mit jeder künstlerischen Tätigkeit: Es funktioniert nicht auf Knopfdruck.»
«Nein, leider nicht.» Nate rieb sich die Schläfen. «Schon gar nicht, wenn das erste Buch … ganz gut gelaufen ist.»
«Ganz gut gelaufen!» Vicky lachte auf. «Du bist ja wirklich ein Tiefstapler. Stand Solo nicht sogar auf der Bestsellerliste der Times ? Und wird es nicht verfilmt?»
«Doch.» Nate wand sich richtiggehend unter ihrem Blick. «Deshalb sind die Erwartungen an meinen nächsten Roman auch so hoch. Du würdest mir also wirklich einen großen Gefallen tun …»
«Klar! Von mir erfährt niemand ein Wort.» Vicky tat so, als würde sie sich mit einem Reißverschluss den Mund verschließen.
Shona jedoch verdrehte die Augen. Hatte Nate wirklich Angst, dass sich Fans um das Cottage scharen würden, wenn sich herumsprach, dass er, der berühmte Autor, wieder im Lande war? Oder steckte noch etwas anderes hinter seiner Heimlichtuerei?
Früher oder später würde sie es erfahren. Denn früher oder später kamen in Swinton alle Geheimnisse zutage. Nur eins war bisher noch nicht gelüftet worden, wurde Shona mit einem Schaudern bewusst: dass sie Alfies Tod hätte verhindern können.