Liebe Shona!
Anbei ein erster Coverentwurf! Uns gefällt er mit seinen frischen Farben sehr gut.
Viele Grüße!
Mary-Anne Hazlewood,
die gespannt auf deine Rückmeldung wartet
I hr Cover! Shonas Herz machte einen Hopser. So schnell hatte sie gar nicht damit gerechnet. Das Buch sollte schließlich erst im nächsten Frühjahr erscheinen, und jetzt war gerade mal Juli! Sie scrollte nach unten.
Sweet Dreams stand groß über einem Hochglanzfoto, auf dem filigrane Rosen aus Fondant und mit zarten Rosenblüten bedeckte Cupcakes abgebildet waren, und das Cover war ganz in Weiß- und Rosatönen gehalten. So wie das Sweet Little Things und dessen Instagram-Account.
«Schau mal, Finlay! Ich habe gerade das Cover für mein Backbuch bekommen», rief sie, und ihr Neffe erhob sich mehr pflichtbewusst als interessiert vom Boden, wo er mit Kater Pirate gelegen und geschmust hatte.
«Hast du die Rosen gemacht?» Finlay tippte mit seinem verklebten Zeigefinger auf das Display ihres Laptops. Sie hatten gerade Pfannkuchen zu Mittag gegessen, das Einzige, was Shona neben Nudeln und Fertiggerichten zubereiten konnte.
«Ja, die habe ich gemacht.»
«Sie sehen aus wie echt. Kann ich raus in den Garten? Ich will Bonnie beibringen, im Slalom durch einen Parcours zu laufen. Bei Tyson hat es geklappt.»
Shona nickte. «Aber nur eine Viertelstunde, dann muss ich dich nach Hause fahren. Ich habe doch heute den Termin beim Notar.»
«Gehört das Bayview Cottage dann ganz dir?»
«Ja.»
«Cool!»
Das fand Shona auch. Der ganze Kaufprozess hatte sich viel länger hingezogen, als sie gedacht hatte. Da der Termin beim Notar reine Formsache war, hatte Sylvie ihr zwar angeboten, einfach schon früher einzuziehen, aber so richtig als ihr eigenes würde Shona das Cottage erst bezeichnen, wenn Sylvie und sie ihre Unterschriften unter den Vertrag gesetzt hatten.
«Bonnie! Nicht herumschnüffeln! Du musst doch jetzt arbeiten!», hörte sie Finlay draußen rufen, und sie musste unwillkürlich lächeln. Es war immer schön, wenn Finlay bei ihr zu Besuch war. Wenn das Café geschlossen war und sie den ganzen Tag nicht hinunter ins Dorf musste, konnte es bisweilen tatsächlich ein bisschen einsam sein, so ganz allein in den Hügeln.
Glücklicherweise hatten sowohl Finlay als auch Gertie den Garten und vor allem Alfies Hütte als Spielplatz für sich entdeckt. Manchmal brachten sie auch den kleinen Miller-Jungen mit, und wenn die drei draußen herumtollten, wurde Shona ganz sentimental zumute. Der Kreislauf des Lebens ging immer weiter, immer wenn etwas beendet war, fing etwas Neues an. Und wenn eine Tür sich schloss, öffnete sich eine andere.
Shona hob Pirate hoch und setzte ihn sich auf den Schoß, wo er sich sofort schnurrend zusammenrollte.
Als sie wegen Islas Fauxpas von dem Tortenwettbewerb disqualifiziert worden war, war das eine Katastrophe gewesen. Inzwischen wusste sie, dass ihr nichts Besseres hätte passieren können. Denn dadurch war Mary-Anne auf Shonas Café aufmerksam geworden. Auf ihre Cupcakes und Cakepops und die Sweet Tables .
Zwei Wochen nach dem Tortenwettbewerb hatte sich die Redakteurin bei Shona gemeldet und sie gefragt, ob sie Lust hätte, mit ihr ein Backbuch für fantasievolles Kleingebäck zu machen – was noch viel, viel besser war als ein Tortenbackbuch!
Als Shona die Mail gelesen hatte, war sie vor Freude jubelnd durch ihre Backstube getanzt, und Isla war hineingekommen und hatte besorgt gefragt, ob alles in Ordnung sei. Statt einer Antwort hatte Shona sie nur stürmisch umarmt.
Anfangs war Shona wütend auf Isla gewesen, aber das hatte sich bald gelegt. Sie hatte sie nicht einmal zur Rede gestellt, sondern sich lediglich das Passwort für den Instagram-Account geben lassen und gesagt, dass sie den in Zukunft selbst führen würde. Außerdem hatte sie Isla ein Versprechen abgenommen: Wenn sie ihren Job als Social-Media-Beauftragte angetreten hatte, sollte sie auf den Internetseiten der Whiskey-Destillerie bei Edinburgh niemals etwas posten, ohne es sich von ihren Vorgesetzten vorher absegnen zu lassen.
Shona betrachtete noch einmal ihr Backbuch-Cover, bevor sie es herunterlud und als Hintergrund für ihren Desktop speicherte, um es immer vor Augen zu haben. Verrückt, dass gerade sie, die in ihrem Leben vielleicht zehn Bücher gelesen hatte – und die alle nicht freiwillig –, nun in der Buchbranche arbeitete! Und das gleich für zwei Verlage. Den Vertrag für das Geschenkbuch, in dem eine Auswahl an Briefen von ihrem Blog veröffentlicht werden sollte, hatte sie ja auch noch!
Auch die Lektorin dieses Verlags hatte ihr heute Morgen schon eine Mail geschickt. Sie musste ihr unbedingt noch antworten. Mrs Landsbury verwies in ihrer Mail auf einen der neuesten Briefe auf Shonas Blog. Sie hätte ihn im Anhang beigefügt und bäte Shona darum, ihn für das Buch freizugeben. Doch der besagte Anhang fehlte, und Shona hatte keine Ahnung, welchen Brief Mrs Landsbury meinte. Sie hatte in den letzten Wochen so viel um die Ohren gehabt, dass sie Eliyah die Zugangsdaten zu ihrem Blog gegeben und ihn darum gebeten hatte, die Briefe zu lesen und zu veröffentlichen. Sie konnte sich unmöglich auch noch darum kümmern! Eliyah war für diese Aufgabe wie geschaffen, denn er liebte nicht nur alte Bücher und geflügelte Worte, sondern auch Briefe, und außerdem war er … nun ja, eben Eliyah. Er verurteilte niemanden und machte sich auch niemals über andere lustig, sondern nahm die Menschen so, wie sie waren.
Shona schrieb der Lektorin und bat sie, ihr noch einmal genau zu sagen, um welchen Brief es sich handelte.
Auch Shonas Brief an Alfie war von Mrs Landsbury ausgewählt worden. Natürlich! Und wie Shona schon vermutet hatte, bat das Verlagsteam sie auch darum, in dem Buch zu erzählen, wie sie auf die Idee zu What I wanted to tell you gekommen war. Doch das war für Shona inzwischen vollkommen in Ordnung.
Es fiel ihr immer noch nicht leicht, ihre Gefühle zu zeigen, aus Angst, sich dadurch angreifbar zu machen. Doch in den letzten Monaten hatte Shona an sich gearbeitet und nach und nach angefangen, sich anderen Menschen ein wenig zu öffnen.
Inzwischen hatte sie nicht nur Eliyah, sondern all ihren Lieben erzählt, dass sie einen Blog führte, in dem sie nie abgeschickte Briefe veröffentlichte, und sie hatte auch zugegeben, dass der allererste Brief von ihr stammte. Spätestens wenn das Buch kurz vor Weihnachten erschien, würde es ja sowieso jeder erfahren, und ohnehin hatte inzwischen fast jeder in Swinton und Umgebung in ihrem Blog gestöbert. Bisher hatte Shona ausschließlich positive Rückmeldungen dazu bekommen. Menschen, die bisher kaum ein Wort mit ihr gewechselt hatten, sprachen sie auf ihren Blog an und sagten ihr genau das, was auch immer in den Leserbriefen stand: dass es guttat zu lesen, dass man mit seinen Problemen, Ängsten, Träumen und Sehnsüchten nicht alleine war. Und dass die Briefe einen berührten. Sogar Jack Pebbles war zu ihr ins Café gekommen.
«Den Brief an deinen Alfie, den hast du wirklich schön geschrieben», hatte er gebrummt. «Ich hatte richtig Tränen in den Augen, als ich ihn gelesen habe.» Shona war so erstaunt gewesen, dass sie beinahe befürchtete, Außerirdische hätten von dem alten Griesgram Besitz ergriffen, aber dann hatte er glücklicherweise noch grimmig nachgeschoben: «Hast du heute auch noch etwas anderes im Angebot als deine Törtchenpupse? Von denen wird ja kein Mensch satt.»
Von Nate dagegen hatte sie nichts mehr gehört. Dabei sollten sich die Neuigkeiten mittlerweile auch bis zu ihm herumgesprochen haben: nicht nur, dass sie nun ebenfalls der Buchbranche angehörte, sondern auch, dass sie jetzt stolze Besitzerin des Bayview Cottages wurde. Wo er sich wohl gerade herumtrieb?
Sie vermisste ihn.
Pirate streckte sich wohlig auf Shonas Schoß, und sie streichelte ihm über das rot getigerte Fell.
Nachdem sie den Schock einigermaßen verdaut hatte, dass Nate Alfies Buch als sein eigenes ausgegeben hatte, hatte Shona sich bei Nate melden und ihn darum bitten wollen, noch einmal mit ihr über alles zu sprechen. Doch sein Handy war ausgeschaltet gewesen. Er sei wieder auf Reisen, hatte Molly Shona erzählt, und als Shona sie gefragt hatte, wo er sich aufhielt, hatte sie behauptet, es selbst nicht genau zu wissen. Shona glaubte ihr kein Wort!
Damals, als er Alfies Manuskript an den Agenten schickte, hatte Nate sich in eine Einbahnstraße manövriert, das war Shona inzwischen klar geworden. Nach seinem großen Erfolg hatte er dem Verlag gegenüber unmöglich zugeben können, dass die Geschichte nicht seine eigene war. Die Medien hätten sich wie die Aasgeier auf diesen Skandal gestürzt. Aber dass Nate ihr nie erzählt hatte, dass Alfie einen Roman geschrieben hatte, das konnte sie nicht verstehen. Der Roman war ihr ja sogar gewidmet! Alfie hatte darin auch ihre Geschichte verarbeitet! Außerdem hatte Nate doch ganz genau gewusst, wie sehr es sie belastet hatte, nicht zu wissen, was Alfie ihr am Abend seines Todes unbedingt hatte zeigen wollen.
Selbst jetzt, da sie Bescheid wusste, fand Nate nicht den Mut, mit ihr über alles zu sprechen. Stattdessen war er feige abgetaucht!
Und nicht nur Nate war fort. Auch die Ankündigung seines neuen Buches war verschwunden. Dabei hatte auf der Internetseite des Verlags bereits das Erscheinungsdatum gestanden, und Eliyah, der ein großer Fan von Solo war, hatte sich schon so auf den Nachfolgeroman gefreut! Doch die Ankündigung war gelöscht worden, und als Eliyah beim Verlag nachgefragt hatte, hatte er keine Antwort bekommen.
Das alles war äußerst seltsam, doch jetzt hatte Shona zum Glück keine Zeit mehr, länger darüber nachzudenken. Sie schaute auf die Uhr. In ein paar Minuten musste sie los zum Notartermin. Seit Monaten fieberte sie diesem Moment entgegen.
Schnell schickte sie die Mail an Mrs Landsbury ab und schrieb danach Mary-Anne zurück, dass sie sich kein schöneres Cover wünschen könnte. Dann griff sie nach dem Autoschlüssel.
«Finlay! Wir müssen jetzt los!»