Aufstieg und Untergang
der romantischen Liebe

Die moderne Liebe als gesellschaftliches Konzept ist heute eine Gemengelage aus drei verschiedenen zeitgenössischen Sphären: Populärromantik, religiöser Überhöhung und ökonomischer Berechnung. Jeder dieser Teilbereiche hat sich dabei selbst stark verändert und damit auch die Liebe.

Jede Epoche lebte und liebte anders. Ob Anbahnungschoreografie, Geschlechterrollen, Anspruchsdenken oder Beziehungsformen: Wir lieben zu einem guten Teil so, wie es uns unsere Zeit vorgibt. Liebe als natürliches Gefühl mag zeitlos sein. Die Art, wie wir mit ihr umgehen, und vor allem, welchen Stellenwert wir ihr beimessen, ist gekoppelt an gesellschaftliche Codes. So erscheint die Liebe als hohles Gefäß, das je nach Mode mit dem tonangebenden Inhalt gefüllt werden kann: In der Psychologie Freuds war die Liebe nichts anderes als der Sexualtrieb. Chemiker und Biologen erklären Liebe hormonell und als Reaktion auf Lockstoffe. Philosophen sehen darin ein Konzept. Soziologen und Kulturwissenschaftler sprechen von einer Erzählung. Ökonomen sehen sie als Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf einem Markt, Mathematiker als Ergebnis einer Berechnung.

In der Mythologie war der Raub, beziehungsweise die Entführung, das ursprüngliche Kontaktritual für die Liebe.115 Zeus hat sich in Gestalt eines Stiers der phönizischen Prinzessin Europa einfach bemächtigt. So wie er taten es auch Zentauren mit Nymphen. Bei Urvölkern und einigen Indianerstämmen, die eine Ehe nur mit nicht stammesangehörigen Frauen erlauben (»Exogamie«), wird diese Form der »Anbahnung« bis heute praktiziert.116 Bei uns finden sich Ansätze der Raubkultur zumindest noch in der Literatur. So schreibt der französische Schriftsteller Stendhal über das Phänomen der »sinnlichen Liebe«: »Auf der Jagd einem hübschen, frischen Bauernmädchen zu begegnen, das sich in den Wald flüchtet. Solche Liebesfreuden kennt jeder. So nüchtern und unglücklich ein Mensch ist, auf diese Weise fängt man mit sechzehn Jahren an.«117

Von der ritterlichen Liebe des Mittelalters über die höfische Liebe der Troubadoure bis hin zur Galanterie der Renaissance galt plötzlich das umgekehrte Prinzip.118 Die Liebe wurde in das Ermessen der Frau gestellt. Zumindest sollen wir glauben, dass Minnesänger wie Angler ihre Köder auswarfen und darauf warteten, dass ein hübsches Burgfräulein »anbiss«. Das ritterliche Flirten, das »den-Hof-Machen« sollte die Vulgarität der Mythologie ablösen. Mit Erfolg: Die angebotsorientierte Kennenlernchoreografie hat sich in der gesamten westlichen Welt mit wenigen Variationen durchgesetzt. In gehobenen Schichten Englands war im 19. Jahrhundert das Ritual des »Vorsprechens« noch gängige Kennenlernpraxis.119 Der Mann wurde in die Familie der Zukünftigen eingeführt und lernte seine potentielle Frau im Kreise und unter Beobachtung der Familie kennen. Auch das moderne Rendezvous spielt sich fast immer in der Öffentlichkeit ab, in Bars, Restaurants, Kinos, Theatern und auf öffentlichen Plätzen. Kaum jemand trifft sich zum ersten Date zu Hause.

Stark verändert hat sich auch die Ausgestaltung der Beziehung im Laufe der Zeit. Bis zum 20. Jahrhundert galt die Ehe vor allem als Wirtschaftsgemeinschaft.120 Es ging um Mitgiften, um Absicherung, Statuserhalt und Gesellschaftskonformität. Die Ehe war eine rein gesellschaftliche Angelegenheit. Das Denken in Arrangements mag uralt sein, es ist jedoch noch gar nicht so lange aus der Mode: So schreibt Thomas Buddenbrook an seine Mutter über die erneute Begegnung mit seiner Jugendfreundin: »Und was die Partie betrifft? ... Mein Gott, was lässt sich darüber sagen? ... Ich verehre Gerda Arnoldsen mit Enthusiasmus, aber ich bin durchaus nicht gesonnen, tief genug in mich selbst hinabzusteigen, um zu ergründen, ob und inwiefern die hohe Mitgift, die man mir gleich bei der ersten Vorstellung in ziemlich zynischer Weise ins Ohr flüsterte, zu diesem Enthusiasmus beigetragen hat. Ich liebe sie, aber es macht mein Glück und meinen Stolz desto größer, dass ich, indem sie mein eigen wird, unserer Firma einen bedeutenden Kapitalzufluß erobere.«121

Die starre gesellschaftliche Einbettung hatte jedoch auch Vorteile: Die Erwartungen an die Beziehung, an Leidenschaft und Gefühle waren von vornherein gering. In den arrangierten Ehen des 19. Jahrhunderts war die Liebe nicht das Hauptbindeglied der Beziehung. Was zählte, war die Vereinbarung, einen gemeinsamen Hausstand zu gründen. Die Liebe konnte mit der Zeit kommen oder ausbleiben. Sex war Teil eines Handels oder wie Kant schreibt: »Ehe ist die Verbindung zweier Personen ... zum ... wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften.«122

Im Vordergrund standen die Erwerbsarbeit und der gesellschaftliche Aufstieg. Die Liebe wurde – häufig von Männern – außerhalb der Beziehung ausgelebt, mit Geliebten, Mätressen, Prostituierten etc. Oder aber sie wurde in das Reich der Phantasie verlegt, beispielhaft verewigt im Roman Madame Bovary von Gustave Flaubert, in dem sich die Protagonistin Emma zuerst auf eine seelische, dann schließlich auch auf eine körperliche Bindung mit verschiedenen Männern einlässt. Die Ehe war kein privates, sie war ein öffentliches Institut. Die Gemeinschaft zwang sie dem Individuum auf und ließ ihm nur wenig Entscheidungsspielraum. Goethe hat der Ehe als letztlich alternativlose und einzig heilige Form des Zusammenlebens in seinen Wahlverwandtschaften ein literarisches Denkmal gesetzt.

Gegen diese starre Sicht begehrten die Romantiker zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf: Schlegel vermutete in derartigen Bindungen die »ärgste Vernichtung, die es für geistige Wesen gibt«.123 Brentano missfiel in seinem Roman Godwi, dass die Liebe in das »Handwerk der Ehezunft« eingeschlossen ist, so wie die bloße Existenz des Menschen es in der Arbeitswelt ist.124 Freilich galt das Aufbegehren der Romantiker hier nicht der Bindung an sich. Schlegel lobte die Ehe an anderer Stelle. Beide verwahrten sich eher gegen ihre Vergesellschaftung. Aus der Sicht des Romantikers sollte Liebe nicht die Anerkennungswährung für eine bürgerliche Existenz sein müssen. Sie sollte dem Menschen allein gehören. Sie sollte zu mehr dienen als zur gesellschaftlichen Bestätigung des Einzelnen. Und man sollte sie sich insbesondere nicht erst »erarbeiten« müssen. Die Liebe sollte »zweckfrei« sein, wie der Soziologe Georg Simmel später schrieb. Schlegel umschreibt die wahre, existentielle Liebe in seinem Roman Lucinde deshalb ganz schlicht so: »Sie waren einer dem anderen das Universum.«125

Der Versuch, die Liebe von der Arbeit zu trennen und in ihrer Reinheit herauszudestillieren, war das große Thema der Romantiker. Ihre Mittel waren Poesie und Phantasie. Liebe sollte die Choreografie des Alltags durcheinanderbringen.

Heute erleben wir einen zeitlichen Rückfall der Liebe in eine vorromantische Ära. Geliebt wird heute überwiegend »ordentlich«. Die moderne Liebe ist weitgehend unter das Diktat der Erwerbsarbeit gestellt. Die Liebe hat in der kapitalistischen Welt feste Zeiten und Orte: vom Autokino in den USA der 50er bis 70er Jahre über Restaurants und Bars bis hin zum Sonnenuntergang am Strand.126 Und vor allem: Sie findet in der sogenannten Freizeit statt. Sowohl von der zeitlichen Abfolge her als auch vom Stellenwert hat die Arbeit Vorrang. Die Liebe kommt danach. Sie findet in den Zwischenräumen statt.

Wir inszenieren Romantik, wenn wir sie brauchen

Eine Frau kommt mit zwei vollen Plastiktüten aus dem Supermarkt. Sie ist genervt. Gerade hat sie sich mit ihrem Freund gestritten. Plötzlich platzen die Tüten, und der Inhalt rollt über den Boden. Ein hübscher Unbekannter hilft ihr beim Aufsammeln und drückt ihr mit tiefem Blick zum Schluss einen leuchtenden Apfel in die Hand.

Kommt Ihnen diese Szene bekannt vor? Sie könnte aus einem Film stammen, oder? Laut dem Filmkritiker S. Roger Ebert gehört sie sogar zu den sogenannten Hollywood-Klischees, also zu Filmsequenzen, die so oder so ähnlich immer wieder auftauchen.127 Die Szene zeigt die Verengung der Romantik und ihre Institutionalisierung in der Populärkultur. Wir leben heute vermutlich die romantisierteste Beziehungsform überhaupt.

Für die moderne Liebesform geht es jedoch nicht um das Wesen der Romantik, sondern nur um ihre Hülle. Wir benutzen Romantik als Erkennungscode für etwas Bedeutungsvolles, als eine Art Symbolsprache, die jeder versteht. Im Grunde verabscheuen wir die Romantik, denn eigentlich mögen wir es am liebsten pragmatisch. Aber wir benutzen sie, wenn sie uns nützt. Über die populäre Zeichensprache können wir unser Intimverhältnis mühelos an einen Populärkonsens anschließen und dadurch legitimieren. Ja, wir »müssen« es sogar: Das Ausbleiben des romantischen Anstrichs einer Beziehung gilt als defizitär. Dies führt zu der kuriosen Situation, dass alle Kennenlernmomente, und seien sie noch so steril, im Nachhinein mit Romantik aufgeladen werden. So schreibt ein Pärchen, das sich bei Elitepartner kennengelernt hat: »Christoph war der Erste, der mir vorgeschlagen wurde und auch er hatte sich eben erst angemeldet. Das musste was bedeuten.«128

Der Anschluss an den pseudoromantischen Massenkult hilft uns zudem, persönliche Entscheidungen zu erzwingen. Wir inszenieren Heiratsanträge im Beisein anderer, in Form von Flashmobs oder gleich im Fernsehen, wo der Druck, »Ja« zu sagen, am größten ist (das Publikum möchte sich ja auch freuen). Umgekehrt erwarten wir von der öffentlichen Aufladung einen Effekt auf die Beziehung. Je prunkvoller wir inszenieren, desto sicherer scheinen wir uns zu sein: »Das muss echte Liebe sein.« Wer es sich leisten kann, karrt seine Frau samt Brautkostüm für ein Foto vor den Eiffelturm in Paris. Pech hat im Freundeskreis derjenige, der zuletzt heiratet. Denn er hat es im Überbietungskarussell am schwersten. Zu groß ist das Risiko, dass die nur mittelmäßig teure Hochzeit als Zeichen für eine eventuell nur mittelmäßig intensive Liebe missverstanden wird.

So macht es auch die Romanfigur Patrick Bateman, unser American Psycho: Auf die Frage seiner Assistentin, was er von Romantik hält, fällt ihm nur eines ein: »Silly!« Aber um die Prostituierten, die er sich für seine bizarren und tödlichen Spiele zusammensucht, in Sicherheit zu wiegen, hält er die Maske des romantischen Liebhabers zumindest zeitweise aufrecht, indem er ausgiebig über Liebeslieder von Phil Collins oder Whitney Houston monologisiert und Schnulzen-CDs abspielt.

In der modernen Liebesbeziehung hat die Romantik keinen wirklichen Platz. Sie wird verdrängt durch die Berechnung der Kosten und Nutzen der Partnerschaft, die akribische Dauervermessung der eigenen Freiheitssphäre und den Vergleich des eigenen Emotionskontos mit dem des Partners. Und dennoch braucht die moderne Liebe die Romantik als Stütze und Vorbild zur Nachahmung. Die moderne Partnerschaft braucht die Dauerpräsenz der Vorstellung von der einzigen, ewigen Liebe als Kompensation für ihr eigenes Defizit und als Erinnerung an den verlorenen Zauber des Anfangs.

Diese Dauerpräsenz spielt sich zwischen den Partnern ab und wird auch von außen an sie herangetragen, durch Liebesromane, Kino und Fernsehen. Die bisher an den Kinokassen erfolgreichsten Filme sind Avatar von James Cameron, Titanic mit Kate Winslett und Leonardo di Caprio, Pretty Woman mit Julia Roberts und Richard Gere sowie Dirty Dancing mit Jennifer Grey und Patrick Swayze. Sie alle erzählen mehr oder weniger Geschichten vom Verliebtsein. Und diese Erzählungen bauen auf bestimmten Codes auf, die wir »romantisch« finden, wie die Tatsache, dass die Liebe zwei Menschen trifft, die auf berechnender Grundlage nicht zusammengehört hätten (Titanic: reiche Erbin und Taugenichts; Pretty Woman: Hure und reicher Geschäftsmann; Dirty Dancing: Arzttochter und Saisonkraft; Avatar: Mensch und »komisches blaues Wesen«).

Die moderne Liebe ist überfrachtet mit romantischen Orten, Geschenken und Versprechungen. Eva Illouz vertritt in ihrem Buch Der Konsum der Romantik die These, dass diese romantischen Codes (u. a. Essen, Rosen, Kerzenschein) durch den Kapitalismus eingeholt und vereinnahmt worden sind.129

Seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts besitzt Liebe ein Investitionsvolumen. Der Mann muss auf dem Weg zum Herzen der Frau Freizeitangebote buchen: Kino, Restaurantbesuche, Ausstellungen, Kurzurlaube. Die freie Liebesauswahl wird einerseits kommerziell durchzogen, indem Liebe auf die Allgegenwart bestimmter kostenpflichtiger Elemente verengt wird. Andererseits wird Liebe selbst zum Wirtschaftsfaktor, da von der Kennenlernchoreografie ein ganzer Wirtschaftszweig von Freizeit- und Erlebnisvermittlern profiliert. So zählt ein Mann in einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1930 mit Schrecken auf, was ihn seine Rendezvous kosten: »Wir würden im Ritz zu Abend essen, zur Eröffnung der Ausstellung ›Artists and Models‹ gehen und anschließend im Central-Park-Casino zum Tanzen landen. Blauäugig wie ich bin, klang das ziemlich bescheiden. Gut, wenn 75,30 Dollar ein bescheidenes New Yorker Rendezvous sind, dann bin ich der heilige Nikolaus.«130

Auch heute scheint es für die Ernsthaftigkeit von Gefühlen keinen anderen Maßstab zu geben als die Zahl auf der Rechnung. Zeigt nicht schon derjenige, der sich für 180 Euro im Quartal bei einer der kostenpflichtigen Partnervermittlungsagenturen im Internet anmeldet, dass es ihm mit der Partnersuche »besonders ernst« ist? Wie authentisch können wir Gefühle noch einschätzen, wenn wir ständig ein Plüschgewitter aus Wellnessreisen, Candle-Light-Dinner und Liebesschwüren auf uns herabregnen lassen? Die Monetarisierung der Romantik ist fast schon selbstverständlich. Wer geht heute beim ersten Date einfach nur spazieren? Wer heiratet heute noch bodenständig und nicht in Protz und Prunk mit weißer Stretchlimousine, Feuerwerk und fliegenden Tauben?

Mit der Einbettung der Liebe in ökonomische Romantikcodes geht letztlich der Verfall der romantischen Idee einher. Romantik verkommt nur noch zur Begleitmusik und zum Symbol, wird aber nicht mehr ernst genommen. Die Populärkultur (Musik, Kino, Literatur) ist dafür ein gutes Beispiel. Früher mussten Frauen angeblich davor gewarnt werden, Romane zu lesen. Es bestand die Gefahr, dass sie zwischen Realität und Fiktion nicht mehr unterscheiden könnten. In unserer Welt besteht eine deutliche Trennung zwischen Fiktion und Realität. Jeder weiß, dass die Hollywood-Romantik eben nur Hollywood-Romantik ist.

Der Tanzlehrer Johnny aus Dirty Dancing hätte bei einer heutigen 17-Jährigen wohl kaum eine Chance. Schön, er ist rebellisch und kann tanzen. Aber kann er auch eine Familie ernähren und mit dem Status einer College-Studentin mithalten? Oder Richard Gere in Pretty Woman: Ja, er ist der Prinz aus der Finanzwelt, hat Geld und Manieren. Aber welche Frau würde einen Mann wollen, der offen zugibt, mit Prostituierten zu verkehren? Filme spielen die Idee der Liebe in unterschiedlichen Konstellationen nach. Dazu gehört auch, dass die wahre Liebe entweder nur in einem kurzen Zeitausschnitt dargestellt (Happy End) oder in der Nichterfüllung verewigt wird.

In der tatsächlichen, ökonomischen Variante ist die Liebe im Moment der Erfüllung schon wieder vorbei. Im Kino hält sie hingegen ein Leben lang oder wird nie erreicht und dadurch gleichsam als Ideal verewigt. Die Protagonisten finden sich erst im Tode vereint (Romeo und Julia), sinken auf den eiskalten Meeresgrund des arktischen Meeres (Leonardo di Caprio in Titanic), sterben an Krebs (Love Story) oder verlieren am Ende des Sommers ihren Job als Tanzlehrer (Patrick Swayze in Dirty Dancing).

Die Streitigkeiten, das Arrangementhafte, die Auseinandersetzung und Abstimmung aufeinander tauchen in Filmen und Liebesromanen nicht auf. Es wäre durchaus reizvoll, wenn zu den perfekten Love-Storys realistische Fortsetzungen gedreht werden würden (so wie es von jedem halbwegs erfolgreichen Film mindestens zehn Fortsetzungen und ein Dutzend Remakes zu geben scheint). Wie sähe denn die realistische Fortsetzung von Pretty Woman aus?

Richard Gere hätte als erfolgreicher Private Equity Manager (heute würde man Heuschrecke sagen) die letzten 20 Jahre nicht schlecht verdient. Aber die Finanzkrise hätte ihm einen fiesen Schlag versetzt. Prince Charming ist pleite. Doch nicht genug der beruflichen Probleme: Zu Hause wartet eine um 20 Jahre gealterte, ehemalige Prostituierte auf ihn, die (mal ehrlich!) weniger von seinem Klavierspiel begeistert war als von seiner bodenlosen Kreditkarte (wir erinnern uns: er hatte beim Shoppen versprochen, einen unanständig hohen Betrag ausgeben zu wollen, worauf der Verkäufer ausrief: »Oh, I love him so much!«). Vivian langweilt sich also zu Hause, trägt Leggins, guckt Soaps im Fernsehen, futtert Bonbons und erinnert auch sonst eher an Peggy Bundy. Er fängt vielleicht an zu trinken und ist genervt, dass sie nichts im Kopf hat. Sie lässt sich scheiden, nimmt ihm noch das letzte Hemd ab und brennt mit Philip, dem schmierigen Anwaltskollegen, durch, der jetzt als Insolvenzberater das große Geld scheffelt.

Die Idee der Romantik wird heute noch für so wichtig gehalten, dass wir sie theatralisch inszenieren, als etwas, das zwar sein muss, an das wir aber nicht glauben. Wir finden die unkonventionelle ewige Liebe aus den Filmen herzerwärmend und erstrebenswert. Nachleben können wir sie nur zwischen den Wachtürmen der Konvention. Romantik ist heute keine gefürchtete Idee mehr. Die moderne Liebe ist ein gänzlich »ordentliches Gefühl«. Das ist die unbehagliche Botschaft der »Romantik 2.0«.

Zwischen den Fronten des Geschlechterkriegs

Nicht zuletzt kommt die Romantik auch deshalb unter die Räder, weil sie mit ständig wechselnden Rollen- und Geschlechtermodellen mithalten muss. Die Unsicherheit über das eigene Rollenverständnis erschwert bereits eine Antwort auf die Frage: »Wer bin ich?« und folglich auch: »Wer sind wir?« Die Frau von heute jongliert zwischen dem Wunsch nach eigener Selbstverwirklichung und Karriere, dem natürlichen Bedürfnis nach Mutterschaft sowie dem Anspruch ihres Partners an Jugendlichkeit, Frische und Sexyness. Der moderne Mann sieht sich einem Weltenbauwettbewerb mit anderen Männern ausgesetzt, bei dem nur der Sieger auch die Frau bekommt. Vorausgesetzt, er ist finanziell erfolgreich, männlich attraktiv und empathisch zugleich.

Ist unter diesen Voraussetzungen noch die Schaffung einer gemeinsamen Welt möglich, ohne dass sich ein Partner übervorteilt fühlt? Oder liegt die Zukunft der Paarbeziehung doch in der ständigen Auseinandersetzung um Freiheitssphären und Selbstverwirklichungsansprüche? Erleben wir gar einen »Krieg der Geschlechter«, der nur zeitweise von Waffenstillstandsabkommen (Beziehung, Ehe) unterbrochen wird, damit Männlein und Weiblein ihren Dienst an der Natur verrichten können, um dann aber wieder getrennte Wege zu gehen?

Das moderne Rollenverständnis erschwert eine gemeinsame Weltsicht. Das ist dem banalen Umstand geschuldet, dass die Rollenverteilung (anders als früher) nicht a priori festgelegt ist, sondern neu ausgehandelt werden muss. Die Frau findet sich in der schwierigen Lage wieder, dass der gesellschaftliche Zeitgeist ihr letztlich nie erlaubt hat, sich selbst als diejenige zu erfinden, die sie sein will, sondern sie stets mit dem Anspruch belagert, auch möglichst all das unter einen Hut zu bekommen, was gerade als »normal« oder »modern« gilt. Das Ergebnis ist die Duracell-Mutti, die zwar allen Ansprüchen gerecht wird (wenn auch mit einem Rest schlechten Gewissens gegenüber wem auch immer), aber auch am Wochenende noch mit Kinderwagen in der einen und Handy in der anderen Hand durch Einkaufszentren hetzt. Das Mantra von der »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« ist für viele das größte familienpolitische Geheimnis der Neuzeit. Familienpolitik wird zur Fata Morgana. Man bewirbt etwas als das erstrebenswerte »All-inclusive-Ideal«, aber im Alltag weiß kaum jemand, wie dieses Versprechen umgesetzt werden soll.

Der Feminismus hat sich in dieser Frage als Handlanger des ökonomischen Denkens entpuppt. »Wir brauchen mehr Kinder!«, ruft die Politik. »Aber nicht auf Kosten des Wirtschaftswachstums«, entgegnen die Unternehmen. Denn die Frau fällt durch Schwangerschaften zeitweise aus. Was also tun? Die französische Feministin Elisabeth Badinter bedauert, dass Frauen sich immer mehr »auf die Natur« besinnen und in der Mutterrolle ihre Erfüllung finden.131 Dies, so Badinter, sei ein Rückschritt, da die hart erkämpfte Gleichstellung der Frau wieder zur Disposition gestellt werde. Das wiederum klingt, als sei es Aufgabe jeder Frau, das Erbe der Frauenbewegung zu verwalten und zu verteidigen. Sogar gegen die eigene Überzeugung. Widmet sich die Frau hingegen hauptsächlich der Arbeit, steht sie schnell im Verdacht, gefühlskalt zu sein und ihre Kinder zu vernachlässigen. Die moderne Frau soll sexy, intelligent und gleichzeitig mütterlich und liebevoll sein. Welche Frau kann und will sich diesen dauernden Spagat antun?

Dem Mann geht es auch nicht besser. Er ist spätestens seit dem Erstarken des Feminismus in den 70er Jahren in seiner Rolle entwertet und Anfeindungen ausgesetzt.132 »Ich möchte einen Mann zu einer blutigen Masse geprügelt sehen, ... mit einem hochhackigen Schuh in seinen Mund gerammt wie ein Apfel in dem Maul eines Schweins«, soll einst die amerikanische Feministin Andrea Dworkin geschrieben haben.133 Die Rollenklischees vom Mann als ungehobeltem, nie zuhörenden und immer nur an Sex denkenden Klotz halten sich bis heute, und die Ratgeberliteratur schlägt bisweilen in genau diese Kerbe. Der Grundtenor lautet dann: »Eigentlich sind die Ansprüche der Frauen an den Mann ja extrem niedrig, aber er ist trotzdem zu gestört für diese Welt.« Ist der Mann dagegen empathisch und verständnisvoll, ist er schnell ein lächerlicher »Schmerzensmann« (so die ZEIT-Journalistin Nina Pauer), der sich auf weibliche Umgestaltungswünsche eingelassen, aber dabei die Grenze zur Selbstkastration überschritten hat. Sie taugen scheinbar nur noch als »gute Kumpels«, die NEON lesenden Flos, Bastis und Julians von heute, mit ihren Hipster-Bärten, Wollmützen und Gitarren.

Unsere Geschlechterrollendebatte ist an einem Punkt angelangt, an dem öffentlich geschlechtslose »Hybridwesen« fabriziert werden und jeder biologische Unterschied (oder auch nur der selbstgewählte) als »Fiktion« eingestuft wird. Jungs wird schon im Kleinkind-alter das »Männliche« ausgetrieben (der Arme hat vermutlich ADHS) und Mädchen das »Weibliche«, denn wenn sie sich für Puppen statt für Bagger interessiert, kann sie ja nur infiltriert sein. In der Liebe sind die Geschlechter bis zur Unkenntlichkeit verklammert, obwohl der Reiz doch in den Unterschieden liegt. Was bringt es, wenn Ann-Sophie als Mittelstürmerin im selben Verein kickt und Korbinian Klee oder 2Raumwohnung hört, aber beide nicht mehr wissen, was sie aneinander finden sollen?

Auch die Vorzeichen der Romantik ändern sich im Lichte der Geschlechterrollen. Waren es früher noch Feministinnen134, die den Männern vorwarfen, Romantik zu benutzen, um Frauen von der Selbstverwirklichung abzuhalten und sie als »Haussklavinnen« für Küche und Kindererziehung zu unterjochen, sind es heute auch die Männer, die sich missbraucht fühlen. Sie sehen sich oftmals von den Frauen zum bloßen Erzeuger »ihrer« Kinder, zum Wunscherfüller, Lebensprojektassistenten und späteren Zahlmeister herabgewürdigt und um ihre Rolle als Mann betrogen. Männlich sein dürfen sie nicht, aber funktionieren sollen sie. Auf einer Psychologen-Konferenz zum Thema Beziehungen wurde ein Patient mit dem Satz zitiert: »Ich habe gezeugt – und verloren.«135

Zumindest rechtlich ist der Mann heute oft benachteiligt: Ohne den Willen der Mutter darf er seine Vaterschaft nicht auf Basis einer heimlich entnommenen DNA-Probe anfechten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erklärte wiederholt, dass das deutsche Familienrecht und dessen Durchsetzung die Väter von nichtehelichen Kindern diskriminiert. Es gäbe keinen Grund, warum die Frau in solchen Fällen grundsätzlich das Sorgerecht bekäme. Wenig wert ist der Mann auch in der Alltagskultur. In welcher Werbung wird der Mann eigentlich nicht als Trottel dargestellt? In der Jacobs-Werbung klebt er Knöpfe an, statt sie anzunähen, in der Toffifee-Werbung beschmutzt er sich das Hemd (wie die Kinder), und als Verführer ist er ohnehin unbrauchbar, da er die hohe Kunst der »Duplomatie« nicht begreift.

Jenseits der Rollenbilder sind wir Erwartungshaber und Erwartungserfüller in einer Person. Wir wollen am liebsten allen gefallen: dem Chef, den Eltern, dem Partner, den Freundinnen und Freunden. Und dabei verlernen wir, uns selbst zu gefallen. Wir unterliegen zunehmend einer Verwechslung und Vermischung der Bewertungskriterien der Arbeit mit denen der Liebe. Arbeit wird zum neuen Liebesersatz. In der US-Serie Friends gibt es eine Szene, in der jemand einen Kuchen mit Wonne und sichtlicher Befriedigung isst und daraufhin ein anderer den Satz sagt: »Hey, it’s only food. Not love.« Das Gleiche gilt für die Arbeit. »It’s only work. Not love.«

In der Arbeitswelt kann man sich auf nichts verlassen, niemandem vertrauen und schon gar nicht Schwäche zeigen. In der Arbeitswelt reicht das, was man macht, nie aus. Man bekommt vielleicht ein Schulterklopfen für gute Leistungen, aber sofort erscheint wieder das Damoklesschwert über einem, es beim nächsten Mal noch besser machen zu müssen. Gute Leistungen genügen nicht mehr. Es müssen immer bessere sein. Das heißt wiederum: Man sammelt durch gute Leistungen keine Punkte auf einem Konto, von denen man in Schwächephasen zehren kann. Wer Mist baut, sammelt sofort Minuspunkte. Erfolge sind in dem Moment ihrer Realisierung vergessen. Misserfolge bleiben für immer im Gedächtnis haften.

Aus der Sicht Freuds galt Arbeit als Ersatzbefriedigung für Sex. Diese Denkungsart hat auch die kritische Theorie in den 70er Jahren beeinflusst, deren Verfechter, wie Marcuse und Fromm die Freud’sche These wiederaufgenommen haben, dass gesellschaftliche Normen der Unterdrückung von Trieben dienen.136 Denn nur wo Triebe unterdrückt werden, kann laut Freud überhaupt so etwas wie eine Kulturleistung entstehen. Könnte der Mensch statt der Arbeit dem Sex nachgehen, würde er wahrscheinlich Letzteres wählen. Gilt das heute noch? Ist Arbeit nur »Ersatz«, oder ist die Arbeit der »Sex der Neuzeit« geworden?

Wir befinden uns heute ständig »im Dienst«. Es wird von uns erwartet, einen Teil der unerledigten Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Per Blackberry ist eine ständige Erreichbarkeit garantiert, auch am Wochenende und im Urlaub. Für private Treffen muss man sich von der Arbeit frei nehmen und kleine Inseln schaffen. Gemeinsame Unternehmungen mit Freunden und der Familie zu planen, wird aufgrund der sich überschneidenden Terminkalender immer mehr zum Ding der Unmöglichkeit. Was nicht Arbeit ist, ist Freizeit. Und Freizeit dient der Erholung von der Arbeit. Zum Leben bleibt keine Zeit.

Es sieht fast so aus, als habe sich die Freud’sche Annahme ins Gegenteil verkehrt. Arbeit ist nicht mehr Ersatzbefriedigung. Die Arbeit ist zum Sex des Alltags geworden, zur befriedigenden Geschlechtlichkeit. Wir haben das erreicht, was Marx mit »Entfremdung« meinte, nämlich Lebensumstände zu schaffen, die uns zwangsläufig unglücklich machen.

Am Ende des Lebens gibt es keinen Preis dafür, den Eltern, den Freunden und seinem Chef »gefallen« zu haben. Ebenso wenig gibt es einen bilanzierbaren Gegenwert dafür, für einen Kaffee mit Freunden keine Zeit gehabt oder die Kinder auf das nächste Wochenende vertröstet zu haben und dann auf das übernächste. Stattdessen bezahlt man einen enorm hohen Preis, wenn man sich als Erwartungserfüller durchs Leben quält.

Max Weber hat den Ursprung des Kapitalismus in der Ethik des Protestantismus gesehen. Jede Religion geht von einem Heilsversprechen nach dem Tod aus: »Wenn du immer gut bist, kommst du in den Himmel.« Der Protestantismus drehte den Spieß um: »Wenn du hier und heute erfolgreich bist und reich wirst, ist das ein Zeichen dafür, dass Gott dich liebt.« Die These Webers war, dass der Kapitalismus nicht so gut funktioniert hätte, wenn er nicht diese übersinnliche Anknüpfung gehabt hätte. Die Deutungskraft der Religion ist heute zwar weitgehend verblasst, das Prinzip jedoch ist geblieben.

Kino und Fernsehen tun ein Übriges für diese Normgeltung. Wie leben die Reichen und Schönen? Jeder muss talentiert und außergewöhnlich begabt sein. Und in Anbetracht der Masse schlechter Kandidaten bei Castingshows scheint es nicht wenige zu geben, die das von sich glauben. Die Stars tragen diese neuen bunten T-Shirts, die aussehen, als hätte sich jemand darauf erbrochen. Der Normalbürger eifert nach, um Zugehörigkeit zu vermitteln. »Posh Spice« Beckham trägt Brillen, die zweimal um ihr schmales Gesicht herum passen würden. Plötzlich fühlen sich alle nur noch in der Bling-Bling-Welt wohl.

Eltern sind heute plötzlich davon überzeugt, dass ihre Kinder hochbegabt sind und dass man ohne fünf Fremdsprachen zu können gar nicht erst aufs Gymnasium darf. Wen wundert dann noch, dass die Beziehungswelt verrückt spielt? Der moderne Mensch definiert sich über seinen Konsum: Der Soziologe Zygmunt Bauman sieht im Shopping den modernen Religionsersatz, der ein Heil im Diesseits verspricht.137

Unser Leben ist ein dauernder bipolarer Konflikt: Arbeit oder Freizeit? Familie oder Karriere? Und in der Liebe: Perfektion oder Zufriedenheit?

Die Idee der Romantik ist heutzutage ein reiner Funktionscode geworden, der sich den täglichen Sachzwängen unterordnen muss. Der moderne Mensch bewegt sich in äußerst ausdifferenzierten Parallelwelten. Wenn Partnersuche dem Wünsch-dir-was-Prinzip folgt, also der Partner im Endeffekt die eigene Weltsicht stabilisieren soll, wird es angesichts der Vielfalt der Lebensmodelle schwierig.

Die moderne Liebessicht ermutigt nicht, das Unbekannte anzugehen, sondern verengt unsere Sicht auf das Spezielle. Partnerbörsen im Internet spielen hier ebenfalls eine verstärkende Rolle: Sie ermöglichen nicht nur die Vorauswahl nach bestimmten Vorlieben, sie reagieren durch Spezialangebote (für Christen, Lederfetischisten, Vegetarier etc.) auf die Ansprüche ihrer Kunden, fordern Optimierungs- und Anpassungsdenken und begünstigen Homogenität.

Die Idee der Romantik, dass Liebe entgegen der Widrigkeit der Umstände und gegen alle Wahrscheinlichkeit stattfindet, wird abgelöst durch die bloße Zufriedenheit, den einen Menschen als Ergebnis einer ausdifferenzierten Selektion präsentieren zu können: Der ist es geworden, obwohl die anderen bestimmt auch nicht schlecht sind. Ergo muss er etwas Besonderes sein.