Kennen Sie Kiribati? Kiribati ist ein Mini-Inselstaat mitten im Pazifik, nordwestlich von Neuseeland gelegen. Wegen des steigenden Meeresspiegels, so Forscher, wird es Kiribati irgendwann nicht mehr geben. Ganze zwei Meter ragt die Inselgruppe lediglich aus dem Wasser heraus. Die erste Familie verlangte vor kurzem Asyl in Neuseeland und wollte als Klimaflüchtlinge anerkannt werden.
Der Kapitalismus steht bei vielen Kritikern als Vertreibungsideologie im Verdacht, als eine Gewalt, die unsere Lebensumstände unentwegt ändert. Die zwar irgendwo Wohlstand schafft, aber andererseits Lebensräume verengt, Ressourcen ausbeutet und das Klima erwärmt, bis den Eisbären sprichwörtlich die Eisscholle unter dem Hintern wegschmilzt. Egal ob Umweltverschmutzung, Abholzung von Wäldern oder Trockenlegung von Sümpfen: der Einfluss des Kapitalismus auf unsere Lebenswelt ist messbar.
Der Einfluss des Kapitalismus auf die Gefühlsumwelt hingegen lässt sich ungleich schwieriger nachweisen. Wie will man Gefühle messen, als was Zuneigung charakterisieren, auf welcher Basis Motivationen ergründen? Über Liebe zu schreiben hat daher immer etwas Spekulatives. »Liebesforscher« soziologischer oder psychologischer Herkunft halten sich daher gern an messbare Größen, wie die Umsatzzahlen der Freizeitkultur, die Bild- und Symbolsprache der Werbeindustrie oder an anonyme Kontaktversuche auf Onlineplattformen. Der Einfluss des ökonomischen Denkens auf unser Leben ist dabei relativ unbestritten. Die Paarbeziehung wird jedoch überwiegend als der letzte Hort der reinen und bedingungslosen Liebe angesehen, als das Utopia der Nichtökonomie.
Doch stimmt das? Ist das, was wir Liebe nennen, noch tatsächlich »Liebe«, oder ist es nicht vielleicht schon längst etwas anderes, eine ökonomisch-kriterienorientierte Entscheidung auf Zeit, die durch romantische Symbolik nur mühsam auf Liebe gestylt wird? Ist die Liebe nicht vielmehr das Kiribati unter den Gefühlen, also ein bedrohter Lebensraum? Stehen wir bildlich gesprochen nicht vielleicht schon bis zu den Hüften im Ozean?
Dass Letzteres bereits der Fall ist, ist die Hauptthese dieses Buches: Wir suchen nicht nach Menschen, sondern nach leicht entsorgbaren Produkten. Wir vertrauen nicht unseren Gefühlen, sondern kalkulieren, bilanzieren und kontrollieren. Wir lieben nicht, sondern betreiben Lovenomics.
Es wäre schön, wenn all dies ein fataler Irrtum wäre. Denn Liebe lässt sich nicht unter Naturschutz stellen, nicht in Reservate auslagern oder als Weltkulturerbe deklarieren. Es steht allein in unserer Macht, Überlebensinseln für die Liebe zu schaffen. Wir können sie nur retten, indem wir unser Denken ändern. Auf die Barrikaden! Jetzt.