Sie tauchte auf, und plötzlich erklangen Blechbläser, Bässe, ohrenbetäubende Töne in treibendem Tempo. Zwei Reihen behelmter Männer von der RAID trugen sie mit ausgestreckten Armen herbei wie die Startänzerin einer Revue. Anschließend katapultierten sie sie in die Luft, wo sie, dank der Seile, einen abenteuerlichen Dreisprung vollführte und mit der Anmut einer Raubkatze direkt vor der Nase des Wahnsinnigen landete, der gerade die Bank ausraubte. Der Ganove wirkte zwar beeindruckt, aber wenig überrascht, obwohl sie, während sie ihn aus grünen Mandelaugen vernichtend anfunkelte, in einer hautengen Lederuniform steckte, die man so bei keiner Polizei der Welt fand.
Es war lächerlich, das wusste Luna. Im Lauf der Tage hatte sich die Rolle, für die der Vertrag ursprünglich unterschrieben worden war, in einen blassen Abklatsch ihrer Musikvideos verwandelt. Nur dass sie hier immerhin eine Hose tragen durfte.
»Schnitt!«, rief der Regisseur, sichtlich angetan.
Alle zollten der letzten Einstellung des Drehtags Beifall, die Musik ging aus, und Luna wurde wieder zum kleinen Mädchen und hoffte, dass alles gut gelaufen war. Der Produzent Tom Dicate kam auf sie zu, mit seinem Werbehoodie von Kodak, der ihm viel zu groß war, und einem Adonis-
Lächeln, das kein bisschen zu seinem Aussehen passte.
»Meine Schöne, ich habe gerade mit ­Michel geredet, über die Glaubwürdigkeit deiner Figur …«
Luna horchte auf, fing an, von starken Szenen, tiefgründigen Dialogen, ergreifenden Rückblenden zu träumen. In ihren Augen glomm, der harten Miene, die sie zur Schau trug, zum Trotz, eine Naivität, die laut ihrem Manager die Hoffnung bei Ahnungslosen oft hervorbrachte.
»Sie hat es mit einem Bankräuber zu tun, einem Gangster, sie weiß genau, was solche Dreckstypen von den Ladys erwarten. Das hat sie für die Verhandlungen bestimmt mit einkalkuliert und deshalb ein supersexy Outfit gewählt, glaubst du nicht auch? Außerdem würde das deine Vorzüge noch mehr betonen, also win-win für alle. Was hältst du davon? Dann machen wir’s so.«
Was Luna davon hielt, war dem Produzenten scheißegal, er hatte sich schon wieder umgedreht, um sich die Maskenbildnerin zu schnappen und sie anzubellen, einen transparenten BH und Zwölf-Zentimeter-Hacken zu besorgen. Zumindest mit einer Sache hatte er recht: Mehr erwarteten Dreckstypen von Frauen nicht.
Luna versammelte alle Blechbläser in ihrem Kopf, gab dem dicken Bass den Einsatz und drehte die Lautstärke hoch: Für gewöhnlich passte ihre Stimme sich an und bekam einen Ich-bin-hier-der-Boss-Ton.
»Nein, Tom, darauf habe ich keine Lust.«
Neugierig summende Stille breitete sich am Set aus. Tom Dicate, der wahrscheinlich gerade eingehend das Strumpfbandmodell beschrieb, das ihm vorschwebte – gleichzeitig aufreizend und preiswert –, verstummte nicht sofort. Er rechnete nicht damit, dass die berüchtigten Kapriolen der RnB-Stars ihn in seiner Unnahbarkeit tangieren könnten. Allenfalls der Regisseur musste ein bisschen lavieren, das Fußvolk hatte natürlich zu kuschen, aber der Produzent, das Alphatier, war in der Regel davor gefeit. Leicht erstaunt wandte er sich um.
»Doch, denk doch mal nach. Das wird megaabgefahren, wart’s ab.«
Es pisste sie tierisch an, dass er bei ihr ständig seine coolen Jugendwörter auspackte.
»Absolut«, bestätigte ­Michel Aramédian, hellauf begeis­tert von dieser Aussicht, »das kommt echt gut vor der ­Kamera. Catwoman bei der RAID , eine neue Actionheldin, du wirst richtig abheben!«
Den Blechbläsern in Lunas Kopf ging die Luft aus, sie hatte keinen passenden Text parat, um den Takt aufrechtzuerhalten, die beiden Männer standen vor ihr, sieges­sicher, machtgewiss, und sie fand nicht die richtigen Worte, so wie eigentlich immer. Die steckten irgendwo fest, uner­reich­bar, tief unter ihrem Überlebensinstinkt vergraben. Eine reflexartige Reglosigkeit aus längst vergangener Zeit. Man schloss sich der Meinung des Gefängniswärters an, um so tun zu können, als hätte man es selbst gewollt. Vielleicht hatten die beiden Männer ja recht. Nein. Nein, diesmal hatte sie keine Lust.
»Also, ich weiß nicht. Das Ganze ist jetzt schon ziemlich …«
»Hör mal, das wird total girlpowermäßig, versprochen«, unterbrach Tom sie, bevor er auf Körperkontakt ging und leise hinzufügte: »Friss oder stirb. Girlpower, meine Schöne!«
Luna hob das Kinn, um die stolze und herausfordernde Haltung zu bewahren, die man von ihr erwartete, obwohl dieser letzte Tropfen der Erniedrigung in eine Pfütze mit Tausenden weiteren geplatscht war. Luna konnte nicht kämpfen. Gegen diese Männer würde sie jede Schlacht verlieren. Mit einem Messer oder einer Knarre allerdings sähe die Sache anders aus. Genau deshalb landeten ­Typen wie Tom Dicate und ­Michel Aramédian am Ende im Leichen­schauhaus. Irgendwann konnte man nur noch so gewinnen.