Blanche Évrard war glücklich, sie war verliebt, sie fühlte sich unbesiegbar an diesem Nachmittag. Sie brannte darauf, wieder zu spielen. Bei so viel Massel auf ihrer Seite hörte sie schon die Automaten klingeln und die Roulettetische bersten, sah die Karten fliegen, Asse, Hofkarten, jede Runde einundzwanzig Punkte, jede Hand ein Blackjack. Ihr Glück war ein hoher Einsatz, vielleicht würde sie untergehen, so wie vorher, in ihrem alten Leben, ihrer früheren Identität. Die Versuchung war kribbelnd nah, nur ein paar Bahnstationen entfernt in Enghien-les-Bains.
Doch es gab noch einen schnelleren Weg, um alles zu verlieren: Luna. Für die Vernehmung hatte die Sängerin ihre gesamte Entourage einbestellt und thronte wie eine Königin inmitten ihres Heers von Riesen in Anzug und Kapuzenpulli. Dazwischen zwei Normalsterbliche: Anwalt und Manager. Nur Männer. Aber das machte ihr keine Angst, redete Évrard sich ein. Luna besaß diese alles beherrschende, alles unterwerfende Schönheit, um die die Polizistin andere manchmal beneidete. Man sah sie so selten, sie schlüpfte unmerklich in den Raum wie ein laues Lüftchen, die Worte glitten durch sie hindurch, man
unterhielt sich über sie, über ihre Meinung hinweg, ohne ihr zu widersprechen, ohne sie anzuschauen, ohne sie vergessen zu müssen, denn man hatte sie nicht einmal bemerkt. Nur durch die Würfel in ihrer Hand existierte Évrard. Und natürlich durch Dax. Ihr sanfter Lieutenant, den sie ganz für sich allein gehabt hatte, ehe Rosière ihn ins Licht der Scheinwerfer, in Lunas Glanz getrieben hatte.
Ohne die Würze dieser Feindseligkeit wäre die Vernehmung sterbensfade gewesen. Vorformulierte Antworten, einstudierte Gefühle, eine Sprache, die direkt aus dem Gesetzbuch zu stammen schien: Luna sang Play-back. Ja, zum Zeitpunkt des Mords hatte sie mit dem Produzenten zu Mittag gegessen, der sie zwar bedrängt, den sie aber zurückgewiesen hatte, nein, sie war nicht mit einem Messer zum Produktionsbüro gelaufen, ja, der Regisseur hatte sie fördern wollen, nein, sie hatte keinerlei Interesse daran gehabt, ihn aus dem Weg zu räumen. Évrard dehnte die Angelegenheit über die Grenzen des Vertretbaren aus und beschäftigte den Star und sein Gefolge seit über zwei Stunden für nichts und wieder nichts. Sie wollte die Mauer zum Einsturz bringen, jonglierte mit der Geduld der Gruppe und riskierte dabei ständig ein Einschreiten des Anwalts. Ein Glücksspiel wie jedes andere.
»Schön, schön«, sagte sie in einem Ton, der normalerweise ein Gespräch beendete. »Kommen wir noch einmal zurück zum Anfang. Sie sind in La Courneuve geboren, und Ihr Vater ist …«
Luna explodierte. Trotz der ausgestreckten Anwalts- und Managerhände sprang sie auf und baute sich zehn Zentimeter vor den ausgetretenen Chucks der Polizistin auf.
Kalt wie eine Statue funkelte sie sie von oben herab an und kippte ihr den Inhalt ihrer Handtasche auf den Schoß.
»Geh mir nicht länger auf den Sack, Scheißbullenschlampe. Bitte schön, bedien dich, da hast du meinen Pass, meine Versicherungskarte, meine Bankkarten, meinen Lippenstift mit ordentlich DNA
dran, für den Film hier haben die mich dreimal geröntgt, mir zweimal Blut abgenommen und ein Belastungs-EKG
gemacht, die Ergebnisse brauchst du bloß bei der Krankenkasse anfordern, was mein Strafregister angeht, weißt du ja, wo du suchen musst, und jetzt verpiss dich, hau ab!«
Luna vollführte eine halbe Drehung, als stünde sie auf einer großen Showbühne, und rauschte aus der schmucklosen Garderobe.
Ja, dachte Évrard, während sie die Sachen einsammelte und sorgfältig untersuchte, dein Strafregister habe ich schon, und es ist mitteilsamer als du.