Die pingelige Spaßbremse wand sich auf dem Stuhl vor Verzückung. Wie Pilou, wenn Frauchen das Entwurmungsmittel vergaß. Man sah deutlich, wie Michandier die Aussicht auf Rache jubilieren ließ, die Gelegenheit, das Großmaul zu stopfen, das der Staatsanwaltschaft die Ohren zum Klingeln gebracht hatte, den Schmierfink zu rupfen, vor dessen Zerrbild das gesamte französische Fernsehpublikum in schallendes Gelächter ausgebrochen war, diese Ungebildeten, die keinen Schimmer vom heiligen Amt der Justiz hatten. So etwas in der Art dürfte das Gerippe im zu großen Anzug sich wohl gerade denken. Blind für die Auswahl, die Rosière im Aquarium des Justizpalastes getroffen hatte. Eine ganze Reihe ehrbarer Fische war durchs Netz geschlüpft und ihrem Klamaukknüppel entkommen. Aber Michandier hatte sie eine Sonderbehandlung angedeihen lassen, und das würde sie heute bestimmt nicht bereuen, wo er vor Rachgier und Endorphinen nur so triefte.
»Sie haben mir Ihren Vor- und Nachnamen genannt, aber nicht Ihren Beruf.«
»Polizeibeamtin.«
»Nein, den anderen. «
»Romanautorin.«
»Den anderen.«
»Drehbuchautorin.«
»Bitte nehmen Sie die Vielfalt der durch die Steuerzahler subventionierten Aktivitäten zu Protokoll«, sagte er zum blonden Pummel im geblümten Hemd neben sich.
»Die ausgebluteten Steuerzahler.«
»Bitte?«
»Wenn Sie sich schon hochtrabend ausdrücken wollen, beschränken Sie sich nicht auf Ihr kümmerliches Talent, benutzen Sie Klischees!«
Der Protokollführer, der sich normalerweise an der Monotonie seiner Tätigkeit erfreute, hielt unsicher inne, die Hände über der Tastatur.
»An Ihrer Stelle würde ich mir die Ironie für Ihre Groschenromane aufsparen, Capitaine Rosière«, zischte Michandier. »Sie werden des Mordes beschuldigt. Wir müssen Ihnen nur noch den Vorsatz nachweisen. Angesichts Ihres Dienstgrads habe ich Ihnen aus Konzilianz die Handschellen erspart, lassen Sie mich meine Generosität nicht bereuen.«
Der Staatsanwalt warf mit großen Worten um sich, um Rosière in Erinnerung zu rufen, dass auch er schöngeistig sein konnte – und noch dazu hochdekoriert. Aber so leicht ließ die Autorin sich nicht beeindrucken. Auch wenn die Wörter »Mord« und »Vorsatz« ihr die Klauen um die Kehle legten und fest zudrückten. Es wurde Zeit, sich professionell zu verhalten und die Erkenntnisse der Ermittlung mit kühlem Kopf zu analysieren.
»Ich habe ihn nicht ermordet.«
»Und da waren es fünfhundert! Diesen Monat gewinnen wir den Geschenkkorb, lieber Protokollführer. Wie war das mit den Klischees, Capitaine Rosière?«
Rosière senkte den Blick. Er hatte recht. Diesen Punkt hatte sie leichtsinnig verloren. Sie wartete auf den nächsten Angriff.
»Sie haben ihn gehasst, weil er sich Ihres ›Werks‹ bemächtigt hat …«
Michandiers Betonung entsprach drei Paar fetten Anführungszeichen, aber Rosière tat, als hätte sie nichts gehört.
»… und auf dem Regiestuhl saß, wo Sie hinwollten. Wer hat also einen Vorteil aus diesem Verbrechen gezogen? Sie, und zwar nur Sie, niemand sonst!«
»Na schön, dann frönen wir mal unserer gemeinsamen Liebe für die Fiktion. Wie bin ich denn vorgegangen? Habe ich Pilote befohlen, Schuhe überzustreifen, um keine Spuren zu hinterlassen, wenn ich ­Michel absteche?«
»Sie haben Ihren Köter als Wachhund benutzt. Der Studio­komplex ist riesig, niemand hätte Ihre An- oder Abwesenheit bemerkt, trotz Ihres ausgesucht auffälligen Kleidungsstils …«
Eva Rosière unterdrückte den Drang, über ihre ziegelrote Seidenjacke zu streichen, die den gesamten Raum erwärmte und den Protokollführer, den Staatsanwalt, das Bild des Präsidenten an der Wand, den Stiftehalter und die Akten­kartons gleich hübscher aussehen ließ.
»Sie schleichen sich durch eine der seitlichen Türen weg vom Set, nehmen einen der Flure zum Produktionsbüro, das Sie nur allzu gut kennen und in dem Sie bereits zahlreiche DNA -Spuren hinterlassen haben, umwickeln den Messergriff mit einem Halstuch, da es für Handschuhe noch nicht kalt genug ist, ermorden ­Michel Aramédian und kehren in Ihre kleine Ecke zurück, um vorzugeben, Sie hätten die ganze Zeit über geschrieben. Vielleicht tragen Sie besagtes Halstuch sogar, als die Leiche gefunden wird, als zynisches Augenzwinkern.«
Rosière holte Luft, um etwas zu erwidern, aber der Staatsanwalt kam ihr zuvor.
»Was das Ketamin anbelangt, das Gift der Umsichtigen, schließlich muss man als Frau befürchten, jemandem von der Statur des Opfers körperlich nicht gewachsen zu sein – das haben Sie im Lauf des Vormittags eingeschmuggelt. Und wenn ich mich nicht irre, gehen Sie mit Ihrem Hund ab und an zum Tierarzt …«
»Und zum Hundefrisör, trotzdem habe ich ­Michel keinen neuen Haarschnitt verpasst.«
»Spielen Sie nicht das Unschuldslamm, Sie könnten durchaus einen zuvor ausgekundschafteten Lagerbestand entwendet haben.«
»Jetzt mal im Ernst, wir reden hier nicht über eine Dosis für die dreißig Katzen und zwölf Meerschweinchen in Saint-Germain-des-Prés, sondern über ein Viertel der randvollen Schale. Dafür braucht man einen Dealer.«
»Von denen Sie ebenfalls einige kennen, mit Ihren Beziehungen zur Drogenfahndung, zum Showbusiness …«
»Ja, die Polizei pflegt schlechten Umgang. Das merke ich heute ganz besonders.«
Die Miene des Staatsanwalts verfinsterte sich. Sein Blick wurde so stechend wie das Schwert der Gerechtigkeit, und er ließ die flachen Hände auf den Schreibtisch donnern. Die Aktenstapel ringsum zitterten .
»Genug gescherzt! Sie sind sich wohl im Klaren, dass ein Geständnis zu Ihren Gunsten sprechen würde und Ihre beste Chance darstellt. In Anbetracht Ihrer Profession werde ich Milde walten lassen.«
Eva Rosière wusste genau, auf welche Profession der Staatsanwalt anspielte, deshalb gab sie keinen Heller auf seine Großherzigkeit. Mit einer Sache hatte er allerdings recht: Es reichte langsam wirklich. Zeit, diese Unterhaltung zu beenden.
»Sie haben mich vorführen lassen, ohne über irgendeinen Beweis zu verfügen. Ihre Fragen triefen vor Antipathie und Befangenheit. Richtig, ich habe kein Alibi, aber da bin ich in diesem Fall nicht die Einzige. Mein Motiv ist schwach, und sonst haben Sie nichts gegen mich, nada, ­niente. Die Hausdurchsuchung war ohne Ergebnis.«
Michandier lehnte sich zurück, und ein spöttisches Lächeln breitete sich auf seinem spitzen Gesicht aus.
»Ach ja?«
Jetzt wurde Rosière nervös. Panik schoss ihr in die Wangen, sie spürte förmlich, wie ihr Make-up zerrann. Während der Durchsuchung hatte die Brigade nichts geöffnet, ohne vorher stillschweigend ihre Zustimmung einzuholen, ihre Freunde hatten sich flüchtig umgeschaut, um die Sache schnell hinter sich zu bringen, nur einen Seitenblick auf alles geworfen, was sie auch mit der Hand hätten erreichen können. Selbst die ewige Neugiernase Merlot hatte sich wortkarg und träge zurückgehalten, obwohl er bei jedem weniger delikaten Fall mit einer Pulle in der Hand munter drauflos gestöbert hätte. Nein, die Brigade hatte mit offenen Karten gespielt, auch wenn Rosière im Grunde das Gegenteil verdient hätte, nachdem sie ihnen so lange das Thema ihres Films verheimlicht hatte.
»Ja«, erwiderte sie mit falscher Sicherheit.
Der Staatsanwalt griff nach einem Kugelschreiber und kratzte sich damit mechanisch am Kopf, in langen Rillen, wie ein Gärtner beim Rechen seiner Wiese. Dabei überflog er den Bericht auf seinem Schreibtisch, den seine nervösen Hände schon ganz zerknittert hatten.
»Ihre Kolleginnen und Kollegen haben in der Tat nichts gefunden. Aber ich bezweifele, dass sie mit der nötigen Gründlichkeit zu Werk gegangen sind. Um ehrlich zu sein, überlege ich allmählich, ihnen den Fall zu entziehen.« Michandier hob den Blick, die Augen wie eine Schlange verengt.
Das fehlt gerade noch!, dachte Rosière.