Klima und Reisezeit
„Die ersten vier Tage regnete es. Ich konnte kaum erkennen, wo ich war.“ Diese ernüchternde Erfahrung musste der in Trinidad geborene Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger V. S. Naipaul bei seiner Ankunft in England machen. Er blieb dennoch. Und auch das englische Wetter ist besser als sein Ruf, aber immer für eine Überraschung gut.
Es ist ein weit verbreitetes Klischee, dass es in England entweder ständig regnet oder man die eigene Hand vor lauter Nebel kaum sehen könne. Durch den Golfstrom besitzt Südengland ein vergleichsweise mildes Klima, Minusgrade haben Seltenheitswert. Feucht und neblig ist es in den Wintermonaten, bis sich der Frühling zeitig zu Wort meldet. Bereits im März blühen die ersten Narzissen und Hasenglöckchen in den Tälern. Die Küstenlandstriche von Cornwall, Devon und Dorset verdanken dem Golfstrom ein einzigartiges Mikroklima, in dem sich auch mediterrane Bäume und exotische Pflanzen wohl fühlen. Klimatisch besonders verwöhnt sind die Isle of Wight und die Isles of Scilly, die vergleichsweise geringe Niederschläge zu verzeichnen haben. Dies trifft auch allgemein auf den südenglischen Sommer zu; er ist relativ trocken und warm, wenngleich das Thermometer nur sehr selten über 30 Grad Celsius anzeigt. Doch es gibt auch Ausnahmen: Im Supersommer 2003 stellte das Städtchen Gravesend in der Grafschaft Kent einen neuen Hitzerekord auf: Mit 100,8 Grad Fahrenheit (dies entspricht 38,1 Grad Celsius) wurde erstmals die magische 100-Grad-Grenze durchbrochen! Im Herbst wird es regnerischer, und trotzdem kann man selbst noch im Oktober kurzärmelig im Park sitzen. Allerdings sollte man sich nicht an den Kleidungsgewohnheiten der Engländer orientieren, denn für den Durchschnittsengländer ist Sommer, wenn das Thermometer mehr als zehn Grad Celsius anzeigt und es nicht gleichzeitig regnet. Bei einem Ausflug oder einer Wanderung sollte man stets für alle Fälle gewappnet sein, denn das südenglische Wetter ist unberechenbar in seinen Launen. „Täglich einen Schauer, und sonntags zwei“, weiß ein cornisches Sprichwort zu berichten, und im Radio wird ein Regentag mit ein paar Sonnenstrahlen als „liquid sunshine“ (flüssiger Sonnenschein) angekündigt. Eine wind- und regenfeste Kleidung ist daher unverzichtbar. Der Winter ist mild, Schneefall extrem selten. So waren Cornwalls Küsten letztmals im Winter 1978/79 schneebedeckt.
Luke Howard, der „Erfinder der Wolken“
Das Wetter ist in England seit jeher das bestimmende Thema. Da verwundert es auch nicht, dass es ein Engländer war, der die Wettervorhersage revolutionierte. Die Rede ist von dem in London geborenen Apotheker Luke Howard (1772-1864), ein überzeugter Quäker und Sonderling, der sich bereits in seiner Jugend mit meteorologischen Fragen befasst hatte, beeindruckt - wie viele seiner Zeitgenossen - durch das sogenannte Vulkanjahr 1783 mit seinem plötzlichen Klimawechsel, mit Hurrikans und Erdbeben, mit Ereignissen, die halb Europa in Panik versetzten. Hier offenbarte sich auch ein Defizit der Wettervorhersage, dem man mit Messungen und mit Ballonflügen zu begegnen versuchte.
Der Wunsch, das Wetter vorherzusagen und hierzu die Wolken zu studieren, war nicht neu - seit der Antike haben sich die Menschen mit bescheidenem Erfolg darin versucht. Vor allem die christlichen Autoritäten bremsten den Forscherdrang entschieden und führten die Aktivitäten in der Atmosphäre auf göttliche Interventionen zurück. Erst im Zeitalter der Aufklärung entwickelte sich die „Wolkenlehre“ in mehreren Phasen, jeweils im Gefolge der Entdeckung der wichtigsten physikalischen Gesetze. Die Meteorologie ist keine exakte Wissenschaft. Sie sucht vielmehr nach einer ordnenden Sprache für Ereignisse, die von einer Fülle schwer durchschaubarer und erklärbarer Gesetzmäßigkeiten bestimmt werden, dazu von stochastischen und chaotischen Prozessen in der Atmosphäre. Und genau dieser Aufgabe hatte sich der überzeugte Quäker und Sonderling Luke Howard verschrieben. Mit seinen dem Lateinischen entnommenen Bezeichnungen Cirrus (Faser, Franse, Haar), Stratus (Decke oder Schicht) und Cumulus (Haufen bzw. aufgetürmte Masse) vermittelte Howard auf anschauliche Weise das Wesen seiner Einteilung der Wolkenformationen (nach ihrem Aussehen), sodass auch der Laie dieses Beobachtungsschema leicht anwenden und Mischformen benennen konnte. Die Grundformen der Wolken lassen teilweise auch auf die ihnen zugrunde liegenden physikalischen Prozesse und die in der Atmosphäre befindliche Feuchtigkeit schließen. Wenn etwa in sehr kalter Luft und großer Höhe Wassermoleküle zu Eis gefrieren, können hohe, faserartige Gebilde entstehen, die Howard als Cirrus klassifizierte.
Die Zeitgenossen erkannten schnell den bahnbrechenden Charakter von Howards Studien. Schon Goethe schrieb einen Hymnus auf den englischen Forscher: „Durch Howards glückliche Gedanken, die Wolkenbildungen zu sondern, zu charakterisieren und zu benennen, sind wir mehr als man glauben könnte, gefördert worden.“ Howards Wolkensystem veränderte unsere Wahrnehmung der Welt nachhaltig und hatte nicht nur einen großen Einfluss auf Wissenschaft, Kultur und Kunst; es ist bis heute ein elementarer Bestandteil der Meteorologie geblieben. Bis an sein Lebensende blieb Luke Howard vom Studium der Wolken fasziniert: „Der Ozean von Luft, in dem wir leben und uns bewegen, mit seinen Kontinenten und Inseln aus Wolken, kann für den denkenden Geist nie Objekt empfindungsloser Beobachtung sein.“
Klimadaten von Eastbourne (Durchschnittswerte) |
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| Ø Luft- temperatur (Min./Max. in °C) | Ø Niederschlag (in mm), Ø Tage mit Niederschlag ≧ 1 mm | Ø tägliche Stunden mit Sonnenschein | Ø Wasser- temperatur (in °C) |
Jan. | 3,8 | 8,1 | 81 | 12 | 2,3 | 9,0 |
Febr. | 3,3 | 8,0 | 54 | 10 | 3,2 | 9,0 |
März | 4,7 | 10,1 | 59 | 10 | 4,1 | 9,0 |
April | 6,3 | 12,6 | 49 | 8 | 6,6 | 10,0 |
Mai | 9,5 | 15,8 | 49 | 8 | 7,5 | 11,0 |
Juni | 12,2 | 18,4 | 47 | 7 | 8,0 | 13,0 |
Juli | 14,6 | 20,6 | 49 | 7 | 8,2 | 15,0 |
Aug. | 14,7 | 20,9 | 52 | 7 | 7,6 | 16,5 |
Sept. | 12,6 | 18,7 | 64 | 9 | 5,7 | 15,0 |
Okt. | 10,0 | 15,3 | 105 | 12 | 4,0 | 14,0 |
Nov. | 6,7 | 11,6 | 96 | 12 | 2,8 | 12,0 |
Dez. | 4,3 | 8,9 | 91 | 12 | 1,9 | 11,0 |
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Jahr | 8,6 | 14,1 | 795 | 115 | 5,2 | 12,0 |
Daten: UK Met Office, Periode 1981 bis 2010 |
Als Reisezeit empfehlen sich vor allem die Sommermonate. Allerdings scheinen im Juli und August alle Engländer auf den Beinen zu sein. Hotels und Pensionen sind oft über Wochen hinweg ausgebucht oder vermieten die letzten freien Betten mit einem Preiszuschlag. Frühling und Herbst eignen sich hervorragend für einen Entdeckungsurlaub, aber auch für Besichtigungen der bekannten Sehenswürdigkeiten sowie für Streifzüge durch die in der Saison überlaufenen Tourismuszentren. Die viel gerühmten englischen Gärten zeigen sich im April und Mai von ihrer blühendsten Seite. Mit viel Glück lässt sich am Strand ein ausgedehntes Sonnenbad nehmen. Die niedrigen Wassertemperaturen werden allerdings selbst abgehärtete Zeitgenossen von einem Sprung in die Wellen abhalten. Selbst im August sind die Temperaturen nicht gerade verlockend. Gemeinhin kann man Familien mit Kindern empfehlen, einen Neoprenanzug zu kaufen oder vor Ort auszuleihen.
„Die Engländer haben eine dicke Lufft und trüben Himmel“, stellte der Theologe Henrich Ludolff Benthem 1694 zwar einschränkend fest, doch rühmte er die „Academische Disziplin“ und die „gelahrten“ Männer. Skeptikern legte er ans Herz: „Wann uns nichts anders übers Meer locken könte, so sollte es ihre fürtreffliche Kirchen-Zucht und Ordnung sein.“
Wer sich im Urlaub am liebsten am Strand in der Sonne räkelt, sollte seine Ferien in Bognor Regis verbringen. Das kleine Seebad an der Küste von Sussex bietet die größte Sonnengarantie von allen Städten Großbritanniens: Pro Jahr scheint in Bognor Regis durchschnittlich 1903 Stunden die Sonne. Im Vergleich hierzu haben Eastbourne 1849 und Teignmouth immerhin noch 1710 Sonnenstunden aufzuweisen. Das sind Verhältnisse, wie man sie auch an der deutschen Ostseeküste vorfindet.
Hinweis: Die Temperaturen werden nur noch selten in Fahrenheit angegeben. Falls doch, so sollte man wissen, dass Null Grad Celsius 32 Grad Fahrenheit entsprechen. Mit einer kleinen Formel lassen sich die Temperaturen relativ schnell umrechnen: Man zieht von der Gradzahl Fahrenheit 32 ab, multipliziert das Ergebnis mit 5 und dividiert das Produkt anschließend durch 9. Alles klar?