V.        Gottfried Wilhelm Leibniz

 

 

 

 

Gottfried Wilhelm Leibniz wurde am 1. Juli 1646 in Leipzig als Sohn eines Juristen und Moralprofessors geboren, der schon sehr früh starb. Weitgehend als Autodidakt bildete sich der junge Leibniz in den verschiedensten Wissenschaften, kommt mit 15 Jahren an die Leipziger Universität und erwirbt mit einer Arbeit über das Individuationsprinzip 1663 das Bakkalaureat. Schon als Jugendlicher hatte er sich mit philosophischen und juristischen Problemen auseinander gesetzt. 1667 erlangt er in Altdorf bei Nürnberg den juristischen Doktorgrad.

1668 tritt er in kurmainzische Dienste, wo ihn neben politischen und wissenschaftlichen auch ökumenische Fragen beschäftigen. 1672 reiste er nach Paris, um Ludwig XIV. von Deutschland abzulenken und für Ägypten zu interessieren, was jedoch misslang. Aber er lernt dort u.a. Arnauld und Malebranche kennen, führt eine Rechenmaschine vor und verfasst eine Skizze seines Denkens, die »Confessio Philosophi« (Bekenntnis des Philosophen). Außerdem erfindet er zur selben Zeit wie Newton die Infinitesimalrechnung, was zu einem Prioritätsstreit führt. Er hatte Kontakte mit Spinoza, Boyle, Newton, Huygens und anderen bedeutenden Gelehrten seiner Zeit.

1676 tritt er in hannoversche Dienste, wo er Bibliothekar und Justizrat wird. 1686 schreibt er den »Discours de Métaphysique« (Metaphysische Erörterung), die erste systematische Darstellung seiner Philosophie, die aber erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde. 1690 kommt er an die herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel. Diplomatische Tätigkeit, vergebliche Sanierungsversuche der Harzbergwerke, eine unvollendete Geschichte des Welfenhauses und verschiedenste Studien gehören zu seiner Tätigkeit. 1695 erscheint erstmals eine Darstellung seiner Philosophie, das »Système nouveau« (Neues System). Die gegen Lockes Essay gerichteten »Nouveaux essais sur l’entendement humain« (Neue Versuche über den menschlichen Verstand) veröffentlicht er nicht, als Locke 1704 stirbt. 1700 wird er erster Präsident der auf sein Betreiben gegründeten Berliner Akademie der Wissenschaften.

Aus Gesprächen mit Prinzessin Sophie Charlotte erwächst die 1710 erschienene »Theodizee«: »Essais de theodicée ou sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal« (Versuche der Theodizee [Rechtfertigung Gottes] über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels). Bei seinem letzten Aufenthalt in Wien 1714 verfasste er zwei knappe Zusammenfassungen seiner Philosophie, die »Monadologie« und die »Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison« (Vernunftgegründete Prinzipien der Natur und der Gnade), die jedoch erst nach seinem Tod publiziert wurden.

Leibniz starb am 14. November 1716 in Hannover. Leider wurde sein Nachlass, unter dem man Staatsgeheimnisse vermutete, beschlagnahmt. Viele seiner Gedanken finden sich in seinem ausgedehnten Briefwechsel. Bis heute ist die Veröffentlichung all dieses Materials noch lange nicht abgeschlossen. Leibniz gilt als einer der am umfassendsten gebildeten Menschen der Neuzeit. Er war trotz persönlicher Verletzlichkeit ein irenischer und harmonischer Denker, der den verschiedensten Denkansätzen gerecht werden und sie in einer Synthese vereinigen wollte.

Literatur:Belaval 2005; Busche 2009; Cassirer 1998.; Holz 2013; Jolley 1995; Mahnke 1964; Martin 1967; Mates 1986; Rescher 1979, 1981, 1991; Schepers 2014

1.         Gott

Gott ist das absolut vollkommene Wesen: er besitzt alle Vollkommenheiten im höchsten Grad. Wo kein höchster Grad denkbar ist, wo ein solcher höchster Grad einen Widerspruch in sich schlösse, da handelt es sich nicht um Vollkommenheiten. Das größte Wissen und die Allmacht enthalten keinen solchen Widerspruch. In Gott ist die Macht als Ursprung von allem, die Erkenntnis, die das Detail der Ideen enthält, und der Wille, der die Veränderungen oder Produktionen nach dem Prinzip des Besten schafft. Gott ist nicht nur Ursprung der Existenzen, sondern auch der Essenzen (Wesenheiten), denn der göttliche Verstand ist die Region der ewigen Wahrheiten bzw. Ideen. Ohne ihn gäbe es daher in den Möglichkeiten nichts Reales und somit auch nichts Mögliches. Denn alle Realität muss in etwas Existierendem, Wirklichem gründen.

Gott allein existiert mit Notwendigkeit, wenn seine Existenz möglich ist. Da nichts die Möglichkeit dessen, was keine Schranken, keine Verneinung und infolgedessen keinen Widerspruch enthält, hindern kann, so lässt sich hierdurch die Existenz Gottes a priori erkennen. Sie ist auch durch die Realität der ewigen Wahrheiten bewiesen, und sie ist a posteriori aus der Existenz der zufälligen Wesen beweisen, die nur in dem notwendigen Gott ihren letzten Grund haben können. Es muss einen letzten Grund in einer notwendigen Substanz geben, in der die Eigenart der Veränderungen auf eminente Weise wie in ihrer Quelle enthalten sind: Gott. Es gibt nur einen Gott, und dieser Gott genügt.

Die Abhängigkeit der ewigen Wahrheiten von Gott bedeutet aber nicht, dass sie willkürlich wären und von Gottes Willen abhingen: dies trifft nur für die zufälligen Wahrheiten zu. Die notwendigen Wahrheiten hängen von Gottes Verstand ab und sind dessen innerer Gegenstand. Die ewigen Wahrheiten entspringen also nicht (wie bei Descartes) dem Willen, sondern dem Verstand Gottes.

Auf Grund seiner höchsten Weisheit handelt Gott so, dass alle seine Werke im metaphysischen wie im moralischen Sinn vortrefflich sind. Die Werke Gottes sind in sich gut, nicht wegen des Willens Gottes. Sonst wäre Gott nicht lobenswert und hätte keinen Grund des Wollens. Gott erklärt nicht willkürlich bestimmte Handlungen für gut, sondern er handelt höchst vollkommen: Für ihn wie für uns ist gut, was aus der Natur der Sache heraus gut ist. Es ist ein unbestrittener Grundsatz sowohl des Glaubens an einen Gott als auch der philosophischen Tradition, dass alles, was Gott tut, durch und durch gut ist, denn er ist Maßstab und Quelle alles Guten, er ist das Gute schlechthin. Daraus folgt, dass alles, was Gott schafft und tut, gut ist. Darum ist es für jeden Glaubenden selbstverständlich, Gott zu danken, zu loben und zu preisen. Auch die Wunder sind in die umfassende Ordnung Gottes einbezogen, der gegenüber die normalen Regeln der Natur eine untergeordnete Ordnung darstellen.

Weil Gott höchst vollkommen handelt, ist er liebenswert. Der Liebende sucht seine Zufriedenheit in Glückseligkeit oder Vollkommenheit des geliebten Objekts und seiner Handlungen. Wer mit Gott unzufrieden ist, ist ein Rebell. Darum sollen alle dem Vergangenen echte Zustimmung geben. Für die Zukunft folgt hieraus für uns nicht stoische Ergebenheit (Quietismus), sondern ein Handeln nach dem mutmaßlichen Willen Gottes als unser möglicher Beitrag zur allgemeinen Vollkommenheit. Auch wenn das Resultat anders ausfällt, als unsere Absicht war, haben wir dann vor Gott recht gehandelt. Gott will nur unsere gute Absicht. Er hat unsere Absichten bereits in seine Vorsehung eingeplant. Wir können nicht Gottes Gedanken erkennen.

2.         Die Substanz oder Monade

Die gesamte Wirklichkeit besteht letzten Endes aus diskreten, unräumlichen, einfachen und unteilbaren individuellen Substanzen, gleichsam metaphysischen Punkten, die Leibniz in seiner Spätphilosophie als Monaden (von griech. monás = Einheit) bezeichnet. Da die Monaden unteilbar sind, haben sie auch keine Ausdehnung und somit auch keine Gestalt. Darum können sie weder durch Zusammensetzung entstehen noch durch Auflösung vergehen. Wegen ihrer bleibenden unauflöslichen Einheit können Substanzen nur von seiten Gottes durch Schöpfung entstehen und nur durch Vernichtung vergehen. Sie können sich natürlicherweise weder vermehren noch vermindern, werden aber oft umgewandelt. Geburt und Tod sind nur Metamorphosen.

Die Einzelsubstanzen enthalten die Nachahmungen dessen, was es in Gott gibt. Gott allein ist die ursprüngliche Einheit oder die ursprüngliche einfache Substanz. Alle erschaffenen oder abgeleiteten Substanzen sind Gottes Produktionen und entstehen in jedem Augenblick aus kontinuierlichen »Fulgurationen« (Ausblitzungen) Gottes.

Dass die Substanzen (Monaden) einfach sind, heißt nicht, dass sie undifferenziert wären, sondern dass sie keine Teile haben. Sie sind die kleinsten unteilbaren Bestandteile der Wirklichkeit. Alles andere sind Aggregate, die aus den Monaden zusammengesetzt sind.

Ist eine solche Zusammensetzung ein Automat, der bis in seine kleinsten Bestandteile wieder aus lauter Automaten zusammengesetzt ist, so handelt es sich um einen lebendigen Organismus.

Der organische Körper ist eine Art göttlicher Maschine oder ein natürlicher Automat, der alle künstlichen Automaten weit übertrifft. Er wird von einer Zentralmonade, der Seele, beherrscht, die die »Entelechie« (Zielgerichtetheit, Vollkommenheit) des Leibes ist und ein immaterieller Automat genannt werden kann. Die Seele ist also die Zweckursache des Leibes, während das Körperliche als solches der Wirkursächlichkeit unterliegt.

Die Substanz oder Monade ist ein dynamisches und teleologisches Kraftzentrum (être capable d’action: zum Handeln fähiges Seiendes) seelischer Art, sie ist wesenhaft Individuum und qualitativ von jeder anderen Monade verschieden, und sie ist unvergänglich. Man könnte alle Monaden Entelechien, d. h. Vollkommenheiten nennen, denn sie tragen eine bestimmte Vollkommenheit in sich und haben eine Art Selbstgenügsamkeit, die sie zu Ursprüngen ihrer Tätigkeit und somit sozusagen zu immateriellen Automaten macht. Zudem haben wir es nie mit bloßer Materie zu tun, denn für Leibniz ist die ganze Wirklichkeit mit Lebewesen erfüllt.

Jede Substanz (Monade) muss von jeder anderen innerlich, und das heißt, qualitativ unterschieden sein, denn quantitative Unterschiede gibt es bei ihnen nicht. Denn da alle Attribute im Begriff der Substanz enthalten sind, können nicht zwei Substanzen dieselben Attribute haben. Es gibt nicht zwei innerlich gleiche Dinge. Dies ist das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren (s. u.). Gäbe es zwei innerlich ununterscheidbare Dinge, so gäbe es keinen zureichenden Grund für das eine oder das andere. Ferner würde dann Gott etwas Überflüssiges schaffen. Leibniz wendet sich gegen die Atomisten, für die die Unterscheidung verschiedener Gebilde erst durch Zusammensetzung zustande kommt.

Die Identität der Gattung ist nur eine Abstraktion. Allgemeinbegriffe sind bloße Abstrakta. In der Wirklichkeit gibt es nur Individuen. Nach Thomas von Aquin ist jeder Engel nicht nur ein Individuum, sondern eine eigene Spezies (Art), während es bei den anderen Geschöpfen verschiedene Spezies (Arten) gibt, innerhalb derer dann die Individuation des Einzelwesens durch die Materie geschieht. Aber nach Leibniz gilt das, was Thomas von den Engeln sagt, für alle Substanzen. Ihre Akzidenzien sind von der Substanz unlösbar, sind also in Wahrheit keine Akzidenzien, sondern entstehen durch die Substanz selbst.

Die Substanzen oder Monaden stellen eine bestimmte Perspektive der Welt dar, sie spiegeln sie auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Jede Monade ist ganz Individuum, aber auch ganz die Gesamtheit. Denn in jeder Monade spiegelt sich die gesamte Welt in einer bestimmten Perspektive. Jede Monade drückt von ihrem Standpunkt aus das Universum aus und repräsentiert es: sie stellt es dar, indem sie es vorstellt. Die einfachen Substanzen drücken eher die Welt als Gott aus, die Geister drücken eher Gott aus als die Welt. Jede Substanz ist eine Welt für sich, unabhängig von allem anderen außer Gott. Darum ist alles, was uns widerfahren kann, nur Folge unseres eigenen Seins.

Die Verknüpfung oder Anpassung aller erschaffenen Dinge an jedes Einzelne und umgekehrt bewirkt, dass jede einfache Substanz Beziehungen enthält, die die Gesamtheit aller anderen zum Ausdruck bringen: Sie ist ein immer währender Spiegel des Universums. Die Monade ist ein Spiegel der Welt oder (im Fall der geistigen Geschöpfe) Spiegel Gottes: Die einfachen Substanzen drücken eher die Welt als Gott aus, die Geister drücken eher Gott aus als die Welt. Die Vielheit der Substanzen ist Vermehrung der Herrlichkeit Gottes. Die Substanz ist Nachahmung der Weisheit und Allmacht Gottes. Alle Substanzen sind gleichsam verschiedene Welten, aber in Wahrheit nur verschiedene Perspektiven derselben Welt. So erhält man die größtmögliche Mannigfaltigkeit bei größtmöglicher Ordnung, d. h. die größtmögliche Vollkommenheit. Da Gott bei der Erschaffung der Welt auf jedes Einzelne Rücksicht genommen hat, so stellt jedes Einzelne alles vor, aber nur in einem geringen Teil deutlich. Jeder Körper spürt alles, was in der gesamten Welt geschieht; jede Bewegung wirkt unendlich weiter.

Jedes geschaffene Wesen verändert sich ständig kontinuierlich. Diese Veränderungen müssen aus einem inneren Prinzip erfolgen, da es keinen Einfluss von außen gibt. Jede Substanz ist selbst Ursprung ihrer Akzidenzien und nicht die Ursachenkette der Welt, die damit hinfällig wird. Ferner müssen diese Veränderungen im Detail geschehen. Denn jede Veränderung geschieht gradweise: also bleibt einiges, während sich anderes ändert. Also muss es eine innere Vielheit in den Monaden geben. Es muss eine Vielzahl von Beschaffenheiten und Beziehungen in den Monaden geben.

Jede Substanz ist durch ihre gesamte Geschichte, durch alles, was in ihr geschieht, definiert. Es gehört zum Wesen Cäsars, dass er den Rubikon überschreitet. Alles, was in der Seele geschieht, ist Folge ihres Begriffs. Alles kommt aus ihr und entspricht dem All, aber besonders dem, was in ihrem Körper geschieht, denn sie drückt gewissermaßen eine Zeitlang das Verhältnis der anderen Körper zum eigenen aus, wenn sie das All ausdrückt. So gehört uns unser Körper, ohne an unsere Wesenheit gebunden zu sein. So wird die Verbindung Leib-Seele verständlich.

Alles Mögliche strebt zur Verwirklichung, und das heißt, zur Vervollkommnung: Hierin ist bereits die These des ständigen Fortschritts enthalten. Es gibt eine ständige Zunahme an Vollkommenheit, einen permanenten Fortschritt für die Welt als ganze wie für die einzelnen Seelen. Es gibt einen unendlichen Fortschritt der Kultur, zu dem auch gelegentliche Rückschläge mithelfen, so wie generell Schicksalsschläge zwar momentan ein Übel darstellen, aber später zu einer größeren Vollkommenheit führen. Das zeitliche wie ewige Glück besteht nicht in einem bleibenden Besitz, sondern in einem stetigen Fortschritt. Leibniz ist ein Denker des Fortschritts. Auch noch unsere ewige Glückseligkeit besteht in einem immer weitergehenden Fortschritt.

3.         Perzeptionen

Jede Substanz ist ein metaphysischer Punkt mit einer Vielheit von Perzeptionen. Perzipieren bedeutet wörtlich Erfassen und ist ein beliebter Ausdruck der damaligen Zeit für (sinnliches) Wahrnehmen oder für Erkennen überhaupt. Da Leibniz auch von unbewussten Perzeptionen spricht, kann man Perzeption bei ihm nicht einfach mit Erkenntnis und noch weniger nur mit (sinnlicher) Wahrnehmung gleichsetzen, auch wenn der Begriff natürlich von hierher genommen ist. Darum erklärt Leibniz diesen Begriff nur sehr abstrakt, indem er sagt, dass die Perzeption die Zusammenfassung einer Vielheit bedeutet. Die Perzeption kondensiert also das in einem Individuum, was im Universum vielfältig ist. Streng genommen kann man auch nicht vom Aufnehmen des Äußeren sprechen, da dies eine reale Beziehung auf die äußere Welt besagen würde, die Leibniz bestreitet. Am ehesten könnte man die Perzeptionen vielleicht als das Inne-Sein oder Inne-Haben der äußeren Wirklichkeit in der Substanz bezeichnen. Sie ist ein vorübergehender Zustand und ist von der Apperzeption zu unterscheiden, worunter Leibniz das Selbstbewusstsein versteht.

Durch ihre Perzeptionen repräsentiert die Substanz (Monade) alles, was im Universum gegenwärtig, vergangen und künftig geschieht. Dabei bedeutet der Terminus Repräsentation Vergegenwärtigung, was Vorstellung (mit diesem Wort wird später Christian Wolff den Begriff Repräsentation übersetzen) und Darstellung zugleich ist. Somit ist die Substanz durch ihre Perzeptionen Spiegel, Ausdruck, Vorstellung und Darstellung der ganzen Welt, jedoch in jeweils unterschiedlicher perspektivischer individueller Weise. Darum ist jedes Geschöpf Gott ähnlich.

Wie bei Descartes das Wesen der res cogitans in ihrem Denken besteht, so ist die Monade durch ihre Perzeptionen charakterisiert, wobei es bei den geschaffenen Monaden einen kontinuierlichen Übergang der hierarchisch gestuften Arten der Perzeptionen gibt, durch welche sich die Monaden voneinander unterscheiden. Die Perzeption kondensiert in einem Individuum, was im Universum vielfältig ist. Die Perzeption ist nicht mechanisch erklärbar. Dies erläutert Leibniz mit dem Mühlengleichnis: Wenn man sich eine Maschine zu einer Mühle vergrößert vorstellt, so dass man in sie eintreten kann, wird man in ihr immer nur aneinander stoßende Teile finden, aber nichts, woraus eine Perzeption zu erklären wäre (Monad. 17).

Während Gott alles klar und deutlich erkennt, ist beim Menschen jede deutliche rationale Erkenntnis mit konfuser, sinnlicher Erkenntnis verwoben. Als Geistwesen ist sich der Mensch seiner Perzeptionen bewusst – dieses Selbstbewusstsein nennt Leibniz »Apperzeption« – und vermag Gott zu erkennen und sich so über die Relativität perspektivischen Erkennens zu erheben.

Zwar perzipiert die Monade immer, aber Leibniz kennt im Gegensatz zu Descartes als unterste Stufe ein unbewusstes Perzipieren, die »petites perceptions« (kleinen Perzeptionen), über welche die leblosen Wesen nicht hinauskommen, so dass ihre einfachen (bloßen, nackten) Monaden gleichsam immer schlafen. Wir kennen Bewusstlosigkeit oder traumlosen Schlaf, woraus dann aber wieder Perzeptionen folgen: also haben auch die einfachen Monaden kleine Perzeptionen, ohne die sie nicht existieren könnten. Die Lehre von den kleinen Perzeptionen ist eine der ersten Lehren von einem Unbewussten in der Neuzeit, auch wenn Leibniz den Terminus Un(ter)bewusstes noch nicht verwendet. Dass die Natur den Tieren bestimmte besondere Perzeptionen gegeben hat, erkennen wir aus ihren Sinnesorganen. Das Gedächtnis führt zu bestimmten Schlussfolgerungen (Assoziationen); starke Perzeptionen können dieselbe Wirkung haben wie Gewohnheiten.

Jede Monade perzipiert das ganze Universum, aber sie tut dies um so undeutlicher, je niedriger ihre Seinsstufe ist. Am deutlichsten perzipiert sie ihren eigenen Körper, der ihr die Erkenntnis der übrigen Welt vermittelt. Auch unsere klaren Perzeptionen enthalten etwas Verworrenes, denn wegen der Sympathie aller Körper des Alls erhält unser Leib die Eindrücke aller Körper, und obwohl sich unsere Sinne auf alles beziehen, kann die Seele nicht auf alle Details aufmerken: unsere verworrenen Gefühle sind Ergebnis einer unendlichen Vielheit von Perzeptionen, so wie das Rauschen des Meeres sich aus dem Brechen unzähliger Wogen ergibt. Wenn mehrere Perzeptionen sich nicht zu einer vereinigen, aber gleichrangig sind, kann man sie nur verworren vernehmen.

Leibniz radikalisiert die Bewusstseinsimmanenz der cartesischen res cogitans: In ihrem Perzipieren bleibt die Monade rein bei sich. Die berühmt gewordene Formulierung hierfür stammt aus der Monadologie (Monad. 7): Die Monaden haben keine Fenster, d. h. keine reale Beziehung zu anderen Monaden. Wir sind darum Ursache von allem, was durch und mit uns geschieht, aber in der Praxis schreiben wir uns das als eigene Tätigkeiten zu, was wir besser ausdrücken und was uns Lust verschafft. Was als kausales Wirken erscheint, ist in der monadischen Wirklichkeit nichts anderes als eine verschiedene Weise des Perzipierens. Wenn eine Monade eine andere klar perzipiert, so übt sie ihr gegenüber eine aktive Wirkung aus, während konfuses Perzipieren Passivität besagt. Denn was zu größerer Vollkommenheit führt, bedeutet bessere Erkenntnis und ist Handeln; was zu geringerer Vollkommenheit führt, bedeutet schlechtere Erkenntnis und ist Leiden. Die Monaden können auf keine Weise durch etwas anderes in ihrem Inneren beeinflusst oder verändert werden. Das bedeutet, dass im Geist bereits von vornherein die Erkenntnis aller Seiender angelegt ist.

In ihren ständig wechselnden Perzeptionen entfaltet die Monade ihr eigenes Wesen. Den Übergang von einer Perzeption zur nächsten bewirkt die zweite Grundfähigkeit der Monade, ihr Streben, die Appetition (appetitus, appétit), welche somit der Grund aller Veränderung ist. Allerdings kann das Streben nicht immer vollständig, sondern oft nur teilweise zu der angestrebten Perzeption gelangen.

Wenn man alles, was Perzeptionen und Strebungen hat, Seele nennt, dann sind alle Monaden Seelen. Man kann aber auch die einfachen Monaden, die noch keine Empfindungen, sondern nur einfache Perzeptionen haben, bloße Monaden oder Entelechien nennen und die Bezeichnung Seele den Monaden reservieren, deren Perzeptionen genauer sind und die eine Erinnerung an ihre Perzeptionen haben.

Leibniz war sowohl Metaphysiker als auch Mathematiker. Als solcher wollte er einen bereits von Ramón Llull (Raimundus Lullus, um 1232/35-1315) gehegten Gedanken fortführen und alle Erkenntnis auf eindeutige Begriffe bringen, die sich durch eine Art Alphabet von Symbolen ausdrücken und mathematisch miteinander verrechnen lassen. Diese Idee eines universalen Kalküls, einer »characteristica universalis« (universale Zeichensprache), macht Leibniz zu einem bedeutenden Vorläufer der modernen Logik, wobei er freilich erfahren musste, dass eine solche »mathesis universalis« (Universalmathematik) immer nur Stückwerk bleibt. Aber der Grundgedanke, dass alles im Grunde rational analysierbar ist, bleibt bestehen.

4.         Universale Harmonie, Leib und Seele

Leibniz hat eine harmonistische Weltsicht. Da die Monaden völlig isoliert voneinander sind und es keine reale Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Individuen gibt, muss die gegenseitige Entsprechung ihrer Perzeptionen und damit sowohl die Übereinstimmung des ganzen Universums als auch der Leib-Seele-Zusammenhang auf andere Weise als durch reales Einwirken aufeinander erklärt werden.

Nach Leibniz hat Gott die Monaden von vornherein so geschaffen, dass ihre Perzeptionen immer zusammenstimmen. Alle Substanzen hängen von Gott ab, aber jede ist eine Welt für sich, und nur Gott stellt ihren Zusammenhang her. Diese Lehre der prästabilierten (= [von Gott] im voraus eingerichteten) Harmonie, die er wie Geulincx mit dem Vergleich zweier Uhren veranschaulicht, vermeide den Fehler der Okkasionalisten, da sie die Übereinstimmung in die Natur der Monaden lege und nicht durch einen Eingriff Gottes erkläre, der auch dann, wenn er, wie bei den Okkasionalisten, gesetzmäßig erfolge, ein Wunder bleibe. Auf diese Weise löst Leibniz die Probleme von Leib und Seele und der Kommunikation.

Wenn auch jede Monade das gesamte Universum dar-/vorstellt (repräsentiert = vergegenwärtigt), so stellt sie besonders deutlich nur ihren eigenen Körper dar/vor, dessen Entelechie sie ausmacht. In der Vor- /Darstellung ihres Körpers stellt die Seele das ganze Universum vor/dar. Die Seele ist die Zentralmonade des Körpers. Es gibt keine Interaktion zwischen Seele und Leib. Was uns als solche Wechselwirkung erscheint, passt nur aufgrund der prästabilierten Harmonie zueinander.

Allerdings gibt es hier die Schwierigkeit, dass die prästabilierte Harmonie zum einen zwischen allen Monaden gilt, da es ja überhaupt kein Aufeinanderwirken der Monaden gibt. Andererseits soll nun aber die prästabilierte Harmonie speziell zwischen Leib und Seele gelten, wobei aber die Seele eine einzige Monade ist, während der Leib ein Aggregat von Monaden darstellt, das überhaupt erst durch die Seele als seine Zentralmonade seine Einheit erhält. Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass Leibniz auch die Auffassung vertritt, es gebe mit Ausnahme Gottes überhaupt keinen leiblosen Geist, so dass die Substanz (Monade) in sich selbst eine Leib-Seele-Einheit zu sein scheint. Wenn diese Interpretation aber zutrifft, so ergibt sich die Leib-Seele-Einheit aus dem Wesen der Substanz selbst.

Oft wird die Theorie der prästabilierten Harmonie, bei der Leib und Seele einander als eigenständige Größen gegenüberstehen, als die spezifische Lösung des Leib-Seele-Problems bei Leibniz genannt, da er an den entsprechenden Stellen selbst den Eindruck erweckt, mit dieser Lehre die definitive Antwort auf dieses Problem gefunden zu haben. Aber es finden sich, wie gezeigt, auch andere Antwortversuche: die Seele als Zentralmonade, bei der der Leib ähnlich wie in der aristotelisch-scholastischen Auffassung durch die Seele ein lebendiges Ganzes wird. In seiner Korrespondenz mit dem Jesuiten Bartholomäus Des Bosses entwickelt Leibniz ferner die Idee eines substantiellen Bandes (vinculum substantiale), das dem zusammengesetzten Leib seine Einheit verleihen und zur Erklärung der Transsubstantiation (Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi bei der Eucharistiefeier) dienen soll. Es dürfte kaum möglich sein, diese verschiedenen Theorien widerspruchsfrei miteinander in Einklang zu bringen.

5.         Geist

Reflexive Akte lassen uns den Gedanken des Ich fassen (Apperzeption). Indem wir an uns denken, denken wir zugleich an das Sein, die Substanz, an Immaterielles und an Gott, in dem wir uns das, was in uns beschränkt ist, unbeschränkt vorstellen. Die reflexiven Akte liefern den Hauptinhalt unserer Vernunfterkenntnis. Zwar ist alle Erkenntnis perspektivisch, aber für die geistigen Wesen gilt im Gegensatz zu anderen Wesen, dass sie nicht auf diesen perspektivischen Standpunkt beschränkt sind, sondern allgemeingültige Erkenntnisse haben. Die Geistseele gehört dem Reich der Gnade an, während die Körperwelt das Reich der Natur bildet. Ein einziger Geist ist so viel wert wie die ganze Welt, weil er sie nicht nur ausdrückt, sondern erkennt und sich darin nach Gottes Weise verhält. Die anderen Substanzen drücken mehr die Welt aus, die Geister mehr Gott. Die Geister sind Gott am nächsten, vermehren seine Ehre mehr als alle anderen Wesen.

Um natürlicherweise zu erkennen, dass Gott nicht nur unsere Substanz, sondern auch unsere Person, d. h. unsere Erinnerung und unser Selbstbewusstsein, erhält, muss man Moral und Metaphysik verbinden. Gott ist nicht nur Erstursache, sondern Haupt des Reichs der Geister als deren vollkommenster. Gott wird von den Substanzen unendlich mehr berührt, mit denen er seine Meinungen und sein Wollen kommunizieren kann und die ihren Wohltäter erkennen, während alles andere nur Werkzeuge für die Geister sind. So achtet jeder Weise einen Menschen unendlich mehr als die wertvollste andere Sache. Größte Befriedigung einer zufriedenen Seele ist, von anderen geliebt zu werden. Gott hat keinen Gewinn von unserem Lob. Was gut und vernünftig in den endlichen Geistern ist, ist es auf eminente (= überragende) Weise in Gott. Da wir einen König, der lieber ein Menschenleben als alles andere erhält, loben, so ist dies zweifellos auch Gottes Einstellung.

Die Geister sind am meisten vervollkommenbar, ihre Vollkommenheiten hindern einander am wenigsten, sondern helfen einander. Darum gibt Gott ihnen nicht nur allgemein, sondern jeweils die größte Vollkommenheit, die die allumfassende Harmonie ermöglicht. Die Gemeinschaft der Geister bildet den Gottesstaat, d. h. den vollkommensten Staat mit dem vollkommensten Monarchen.

Es gibt eine Harmonie zwischen dem physischen Reich der Natur und dem moralischen Reich der Gnade, d. h. zwischen Gott als Weltbaumeister und Gott als Monarch des Staates der Geister. Auf Grund dieser Übereinstimmung müssen die Sünden kraft der Naturordnung ihre Strafen nach sich ziehen und die guten Handlungen auf natürliche Weise ihren Lohn erlangen, wenn auch nicht immer sofort. So muss schließlich alles den Guten zum Besten dienen.

Die Unsterblichkeit der Person setzt die Kontinuität der Erinnerung voraus und ist darum zu unterscheiden von bloßem Bleiben der Substanz. Um natürlicherweise zu erkennen, dass Gott nicht nur unsere Substanz, sondern auch unsere Person, d. h. unsere Erinnerung und unser Selbstbewusstsein, erhält, muss man Moral und Metaphysik verbinden.

Gott ist Ursprung der Existenzen, insofern er Geist ist; ohne seinen Willen zum Besten gäbe es keinen Grund für die Existenz von etwas Möglichem. Darum ist Gottes Geistigkeit vorrangig: nur die Geister sind nach seinem Bild geschaffen und gewissermaßen von seiner Rasse, seine Kinder. Sie dienen frei und handeln bewusst im Nachahmen seiner Natur. Ein einziger Geist ist soviel wert wie die ganze Welt, weil er sie nicht nur ausdrückt, sondern erkennt und sich darin nach Gottes Weise verhält. Die anderen Substanzen drücken mehr die Welt aus, die Geister mehr Gott. Die anderen Wesen geben den Geistern nur Stoff zur Ehre Gottes. Die Geister sind Gott am nächsten, vermehren seine Ehre mehr als alle anderen Wesen. Das Glück ist für die Personen, was die Vollkommenheit für andere Wesen ist.

Die erste Regel der physikalischen Welt lautet: möglichst viel Vollkommenheit; die erste Regel der moralischen Welt heiß: möglichst viel Glück. So sorgt Gott nicht nur für das ewige Leben der Geister, sondern für den Erhalt ihrer moralischen Qualität. Sie erhalten ihr Selbstbewusstsein und können belohnt und bestraft werden, was für den vollkommensten Staat entscheidend ist. Als gerechter und guter Herrscher will Gott nur den guten Willen und will, dass wir ihn lieben, damit wir glücklich werden.

6.         Materie

Leibniz unterscheidet das Reich der Vernunft und damit der Zwecke und letzten Endes der Gnade, das die eigentliche Wirklichkeit darstellt, und das Reich der Materie und der Mathematik und damit der bloßen Wirkursachen, das nicht die eigentliche Wirklichkeit ist, sondern nur eine gut begründete Erscheinung (phaenomenon bene fundatum) darstellt. Aus dieser Unterscheidung wird dann bei Kant die Unterscheidung zwischen dem anders als bei Leibniz theoretisch unerkennbaren Ding an sich und der Erscheinung.

Es gibt allerdings auch Stellen, wo Leibniz offen lässt, ob die Materie nicht doch mehr als ein bloßes Phänomen ist. Ihre Wahrheit gründet sich auf der Ordnung, die ihre Gründe hat. Dies unterscheidet Phänomene vom Traum.

Aristotelisch bedarf alles seiner Form. Descartes hatte die substantiellen Formen in seinem Traktat über die Welt abgelehnt: die Ausdehnung ist die Substanz. Leibniz akzeptiert die substantiellen Formen nur für organische einfache Wesen. Sie bringen keinen Nutzen in der Physik, sie liefern keine Erklärung der Phänomene in der Wissenschaft, z. B. der Medizin, aber sehr wohl in der Metaphysik. Die Naturphänomene darf man nicht durch die substantiellen Formen erklären wollen. Aber letzten Endes genügt die materiell-physikalische Erklärung nicht, denn die Substanzen (Monaden) sind nicht ausgedehnt, und alles gehorcht letzten Endes metaphysischen Gesetzen. Die Mechanik ist der Dynamik und diese der Finalität unterzuordnen.

Leibniz übernimmt von Descartes die mathematische Interpretation der Materie, die in einem homogenen Raum in einem kontinuierlichen Kausalzusammenhang steht. Das Wesen der Materie besteht aber nicht in der Ausdehnung, denn der Begriff der Ausdehnung ist aus grundlegenderen Begriffen zusammengesetzt.

Die Substanz besteht nicht in der Ausdehnung, und die Ausdehnung ist unendlich teilbar, was zeigt, dass sie eine Abstraktion darstellt. Größe, Gestalt und Bewegung, die die Modi der Ausdehnung darstellen, können nicht die Realität begründen, denn dazu bedarf es der Kraft. Die Ausdehnung kann auch die Trägheit nicht erklären, hierzu ist ein ausgedehntes Subjekt nötig. Die Ausdehnung ist Pluralität, Kontinuität und Koexistenz, sie ist keine Sache, sondern nur eine Ordnung. Die Ausdehnung kann auch keine Dauer verschaffen. Darum ist sie nicht konstitutiv für die Substanz und ermöglicht keine bleibende Identität.

Leibniz zeigt an Hand des Beispiels der Fallgesetze, dass die Physik nicht ohne den Begriff der Kraft auskommt. Als Kraftzentrum strebt die Monade danach, sich kontinuierlich in den Raum hinein phänomenal zu erstrecken. Ferner entspringt der metaphysischen Kraft der Monade dann die entsprechende physische Kraft, die für Leibniz gegenüber der metaphysischen vis primitiva (ursprüngliche Kraft) eine vis derivativa (abgeleitete Kraft) darstellt, welche die Ursache für die physikalische Bewegung ist.

Die Mechanik ist der Dynamik und diese der Finalität unterzuordnen. Die mechanische Erklärung ist mit der finalen Erklärung zu verbinden. Der Weg der Wirkursachen ist tiefer, unmittelbarer und a priori, aber schwieriger im Detail. Die Erklärung durch Zielursachen ist hingegen einfacher und führt oft schneller zu bedeutenden Ergebnissen.

7.         Prinzipien

a)          Prinzip vom zureichenden Grund

Während für Thomas nur das Kontingente, Bewegte und Verursachte einen Grund für seine Existenz braucht, geht die Tendenz in der Spätscholastik und dann bei Descartes dahin, die Forderung nach einem Grund zu verallgemeinern und auch auf Gott auszudehnen, der dann als Grund seiner selbst bezeichnet wird. In diese Richtung denkt auch Leibniz. Er bringt das Prinzip des zureichenden Grundes in die klassische Formulierung, dass es keine wahre Tatsache und Aussage gibt, »sans qu’il y ait une raison suffisante pour quoi il en soit ainsi et non pas autrement« (ohne dass es einen zureichenden Grund dafür gäbe, weshalb es eben so und nicht anders ist; Monadologie Nr. 32; vgl. Theodizee Teil I, § 44). Der letzte Grund für alles ist Gott.

Einen zureichenden Grund gibt es auch bei den zufälligen oder Tatsachenwahrheiten, d. h. beim Zusammenhang aller erschaffenen Dinge. Hier gibt es unendlich viele Ursachen, bei deren Analyse man nicht mehr weiterkommt und die letzten Endes zu Gott führt.

In seinen »Principes de la nature et de la grâce fondés en raison« (Vernunftgegründete Prinzipien der Natur und der Gnade) bringt Leibniz dieses Prinzip mit der berühmten Frage in Verbindung, »pourquoi il y a plus tôt quelque chose que rien« (warum es eher etwas als nichts gibt). Diese Frage müsse man sich als erste stellen: »Car le rien est plus simple et plus facile que quelque chose« (Denn das Nichts ist einfacher und leichter als irgend etwas; Nr. 7). (Hier übersieht Leibniz aber, dass man dem inhaltslosen Nichts keine inhaltlichen Prädikate zuschreiben kann.)

Je nachdem, ob es sich um Wesenszusammenhänge oder Existenzbehauptungen handelt, unterscheidet Leibniz zwischen Vernunftwahrheiten (vérités de raison) und Tatsachenwahrheiten (vérités de fait). Während die Tatsachenwahrheiten kontingent sind, sprechen die Vernunftwahrheiten einen notwendigen und ewigen Sachverhalt aus. Die Leugnung des Prädikats führt zu einem Widerspruch mit dem Subjektsbegriff, wie sich in einer aus endlichen Schritten bestehenden Analyse nachweisen lässt. Wir haben es mit analytischen Aussagen zu tun, die im Prinzip der Identität begründet sind.

Der Sache nach können aber auch die Tatsachenwahrheiten auf analytische Urteile zurückgeführt werden, aber dies ist nur Gott möglich, da hierzu eine unendliche Analyse erforderlich ist. Gott freilich kann allein aus der Analyse eines Begriffs die ganze konkrete Wirklichkeit erschließen; denn alle Prädikate sind im Subjekt enthalten. An sich ist also z. B. im Begriff Cäsars bereits enthalten, dass er den Rubikon überschreiten wird. Aber nur unter Einbeziehung aller Kenntnisse kann die nicht absolute, sondern hypothetische Notwendigkeit des Faktischen gezeigt werden, die darin gründet, dass Gott das Bestmögliche verwirklicht. Denn Gott ist das absolut vollkommene Wesen und handelt darum auf höchst vollkommene Weise.

b)          Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren

Ein weiteres Prinzip der leibnizschen Metaphysik ist das in der analytischen Philosophie oft Leibniz-Prinzip genannte Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren (identitas indiscernibilium), das bedeutet, dass alle metaphysischen Unterschiede wesenhafter, qualitativer Natur sind. Gäbe es zwei ununterscheidbare Dinge, dann gäbe es keinen zureichenden Grund für das eine oder das andere.

Aus diesem Grunde stellt jede Substanz eine eigene Art dar, wie dies Thomas für die reinen Geistwesen (Engel), aber nur für diese behauptet. Es gibt nur Individuen. Allgemeinbegriffe sind Abstrakta. Rein numerische oder quantitative Unterscheidung gibt es nur auf der Ebene der Erscheinung. Damit hängt zusammen, dass die Grundformen des Quantitativen, Raum und Zeit, nur relativ sind (im Gegensatz zur Annahme Newtons) und Folgeerscheinungen der Monaden darstellen.

Die in der analytischen Philosophie gebräuchliche Rede von dem Leibniz-Prinzip ist nicht sehr sinnvoll, da Leibniz mehrere grundlegende Prinzipien kennt, die für seine Philosophie typisch sind.

c)          Kontinuitätsprinzip

Abgesehen von der Diskretheit der Monaden herrscht bei Leibniz das Prinzip der Kontinuität. Nicht nur in der Hierarchie der Monaden und ihrer Perzeptionen sowie in deren Abfolge, sondern im gesamten Bereich der Natur gibt es überall fließende Übergänge und kontinuierliche Zusammenhänge.

d)          Optimierungsprinzip

Die Verwirklichung des Besten geschieht gemäß dem Vollkommenheits- oder Optimierungsprinzip. Dieses Prinzip bedeutet, dass sich bei geringstem Aufwand der größte Effekt ergeben soll. Hierher gehören auch die von Leibniz formulierten Extremalprinzipien, die angeben, dass in der Natur maximale Wirkungen durch minimalen Aufwand erzielt werden. Das Optimum herrscht, wenn durch eine möglichst geringe Anzahl von grundlegenden Gesetzen größtmögliche Vielfalt erzielt werden kann.

Alles Geschehen ist letzten Endes kalkulierbar. Zwar sind Gott und Mensch nicht mit naturhafter Notwendigkeit zu ihrem Tun gezwungen, aber da sie beide doch moralisch genötigt sind, das jeweils Beste zu tun, geschieht immer das unter den gegebenen Umständen Bestmögliche. Dies heißt nach der gleichfalls berühmt gewordenen Formulierung, dass Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen hat. Es heißt ferner, dass wir dann, wenn wir so wie Gott wirklich alle Faktoren kennen würden, auch alle Ereignisse vorhersagen könnten. Man könnte geradezu von einem zwar nicht naturhaften, aber doch moralischen Determinismus sprechen, den Leibniz jedoch mit echter Wahlfreiheit für vereinbar hält, woran man freilich mit Recht zweifeln kann.

Der Mensch tut freiwillig immer das ihm am besten Scheinende. Alles hierauf Begründete ist darum zwar gewiss, aber dennoch kontingent. Denn an sich bleibt weniger Vollkommenes möglich, also ist das Gegenteil nicht notwendig. Nach Leibniz wird dadurch die Freiheit Gottes nicht angetastet, da Gott nicht physisch, sondern nur moralisch genötigt sei, das jeweils Beste zu tun. Analoges gilt für die menschliche Freiheit.

Dieser Versuch, trotz der moralischen Verpflichtung zu optimalem Handeln die Wahlfreiheit Gottes gegenüber seiner Schöpfung zu retten, muss aber wohl als misslungen betrachtet werden, da ein Abweichen Gottes von der moralischen Verpflichtung ausgeschlossen ist. Da auch der Mensch im Rahmen seiner begrenzten Erkenntnis nur das jeweils Beste wählen kann, stellt sich ebenfalls beim Menschen die Frage, ob ihm Leibniz unter diesen Umständen noch zu Recht Freiheit zuerkennen kann.

8.         Die Theodizee

Leibniz fragt sich, ob und wie man begründen könne, dass die Erschaffung der Welt ein Werk Gottes sei, das voll und ganz als gutes gerechtfertigt ist. Denn für ihn ist nur das wirklich gut, was zugleich optimal ist.

Alle möglichen Welten sind endlich, was nach Leibniz einen Mangel und mithin ein Übel darstellt, das er das malum metaphysicum (metaphysisches Übel) nennt. Beim Übel im engeren Sinne ist zwischen dem naturhaften Übel, dem malum physicum, und dem moralisch Bösen, dem malum morale, zu unterscheiden. Auf Grund der Endlichkeit ist auch die optimale Kombination dessen, was miteinander kompatibel ist, notwendig mit dem Vorkommen physischer und moralischer Übel im Detail verbunden. Die »Theodizee« (von griech. theós = Gott und díke = Recht, Gerechtigkeit), die Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel in der Welt, besteht darin, dass er um des optimalen Ganzen willen diese Übel im Einzelnen in Kauf nehmen muss.

Alles, was nicht widersprüchlich ist, ist vom Wesen Gottes her eine ewige wesenhafte Möglichkeit. Es sind aber nicht alle für sich genommenen Möglichkeiten miteinander vereinbar (kompatibel, kompossibel). Jede Gesamtheit miteinander verträglicher Möglichkeiten bildet eine mögliche Welt, und die Gesamtzahl der mit Gottes Wesen mitgegebenen möglichen Welten ist unendlich.

Zwar ist Gott frei und ungezwungen, aber in seiner Weisheit kann er aus Gründen der Konvenienz nicht umhin – ist also moralisch genötigt –, die bestmögliche Welt zu schaffen, in der sich ein Minimum an Prinzipien mit einem Maximum an individueller Vielfalt verbindet. Dies ist zunächst einmal der Sinn der oft missverstandenen Formulierung von der besten aller möglichen Welten. Sie bedeutet nicht, dass jedem Einzelnen hier und jetzt das für ihn – isoliert betrachtet – Beste zuteil wird. Aufs Ganze gesehen, stellt aber die beste der möglichen Welten auch für jeden Einzelnen die optimale Lösung dar. So will Leibniz mit Hilfe des Vollkommenheitsprinzips die Deduzierbarkeit der Welt (für jemanden, der adäquate Erkenntnis hat) mit der Freiheit Gottes verbinden.

9.         Würdigung

Leibniz versucht, die mechanistisch-mathematische Sicht der Natur mit den Einsichten der klassischen Metaphysik zu verbinden. Auf diese Weise bestätigt er den Vorrang der Substanz und bringt gegen Descartes die Kraft wieder zu Ehren. Auf der anderen Seite führt aber seine an rationalistischer Logik orientierte Konzeption der möglichen Welten zu einem Essentialismus, der dann doch das rein Begriffliche dem Existierenden vorordnet.

Die Aufwertung der Individualität stellt zweifellos einen Schritt in Richtung auf ein angemessenes Begreifen des personalen Geistes dar, der mehr ist als nur ein Fall eines Allgemeinen. Aber der Versuch, das Allgemein-Wesentliche mit dem Individuellen zu identifizieren, scheint dahin zu führen, dass der Spielraum des Kontingenten eliminiert wird, der für wirkliche Freiheit nötig ist. Wenn die Welt deduzierbar wird, kann von keiner echten Freiheit Gottes mehr gesprochen werden.

Leibniz meinte offenbar, rationales Handeln sei nur dann möglich, wenn die Begründung hierfür durch und durch kalkulierbar ist, so dass in jedem Fall eindeutig nachweisbar wäre, weshalb das Gewählte besser ist als die Alternativen dazu. Dies würde aber voraussetzen, dass alles mit allem qualitativ vergleichbar wäre, was aber nicht zutrifft: wie will man z. B. Musik mit Bildern vergleichen? Dass die Begründung einer Wahl nicht in jedem Punkt rational beweisbar ist, macht sie noch lange nicht (wie Leibniz anscheinend meinte) irrational.

Bemerkenswert ist Leibnizens Bemühung, entgegen dem Dualismus Descartes’ und Spinozas wieder eine abgestufte Seinshierarchie zu entwickeln. Eine befriedigende Lösung des Leib-Seele-Problems dürfte Leibniz aber nicht gelungen sein, wie bereits oben angemerkt wurde.

Ferner fragt sich, wie Leibniz zusammengesetzte Ganzheiten, wie es alle Organismen sind, erklären will. Denn ein Lebewesen ist eine Einheit und Ganzheit und nicht ein bloßes Aggregat. Traditionellerweise ist das Prinzip der lebendigen Einheit eines Organismus die Seele. Es genügt aber nicht, die Seele als Zentralmonade zu bezeichnen, denn es ist eine Monade (Substanz) ganz anderer Art als die übrigen Monaden nötig, wenn sie als Prinzip der Einheit und des Zusammenwirkens anderer Monaden fungieren soll.

Die Versöhnung des klassischen mit dem frühneuzeitlich-naturwissenschaftlichen Denken gelingt Leibniz nur dadurch, dass er die körperliche Wirklichkeit zur Erscheinung herabstuft. Abgesehen davon, dass nicht immer ganz klar ist, wie Leibniz die materielle Welt genau versteht, stellt sich die Frage, ob eine solche Interpretation der Materialität wirklich gerecht wird.

Die Philosophie von Leibniz hat sich mit der aristotelischen Schultradition verbunden und zu der Aufklärungsphilosophie von Wolff und Baumgarten geführt, die zu der Zeit an den deutschen Universitäten herrschte, als Immanuel Kant seine Laufbahn begann.