DAS LEBEN, DAS UNIVERSUM UND DER GANZE REST

»So … Jetzt aber mal wirklich.«

Die ganz großen Fragen leitet Christian Schiffer gerne mit einem kräftigen »So« ein. Ein eindeutiges Signal, dass jetzt mal Schluss ist mit Labern, dass jetzt ein Strich drunter gehört, dass jetzt eine Entscheidung fällig ist. Er sagt also »So … Jetzt aber mal wirklich: Glaubst du, dass Ufos existieren oder nicht?«

Wir sind auf der Rückfahrt von Erich von Dänikens Großevent, und vielleicht glaubt Christian S., dass er in die Zukunft seines Freundes geschaut hat. Christian Alt, der mit knapp 90 Jahren die Mehrzweckhallen der Republik unsicher macht, mit einer Ufo-Präsentation im Gepäck, die mehr nach Wunschdenken als nach seriöser Wissenschaft aussieht. (An dieser Stelle muss Christian A. ergänzen, dass er es eigentlich sehr nett fände, mit 88 noch so viel Energie wie Erich von Däniken zu haben.) Aber die Frage hängt in der Luft: Gibt es jetzt Ufos oder nicht?

Nach einer längeren Pause sagt Christian A. wiederum: »Darf ich dir das mit Kant beantworten?«, woraufhin er das härteste Augenrollen aller Zeiten kassiert. »Ich geb zu, ich hab im Philosophie-Studium immer nur so halb aufgepasst, aber was mich bis heute beschäftigt, sind die vier Fragen von Kant.«

Die vier Fragen, die Immanuel Kant während seiner Vorlesungen zur Logik im Jahr 1765 formuliert, lauten wie folgt:

Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was darf ich hoffen?

Was ist der Mensch?

Immanuel Kant sah die ersten drei Fragen aufeinander aufbauend, bis sie dann in der vierten münden. »Was ist der Mensch?«

»Das klingt jetzt alles furchtbar abstrakt, aber hör noch ein bisschen zu«, sagt der eine zu dem anderen Christian, als der sein Handy rausholt, um seine Nachrichten zu checken.

Im Grunde geht es bei Ufos die ganze Zeit um die Frage »Was kann ich wissen?«. Können wir anhand der gerade vorliegenden Daten überhaupt Aussagen darüber treffen, was die Flugobjekte sind, die am Himmel beobachtet werden? Ist diese Frage an sich überhaupt beantwortbar? Bei jedem vermeintlichen Ufo-Experten, bei jeder Aussage, die wir gesammelt haben – egal ob Gläubiger oder Skeptiker – könnten wir eigentlich ein fettes Sternchen hintenan hängen, ein fettes Aber.

Nehmen wir mal Tom DeLonge. Wir haben einen alternden Rockstar, der plötzlich über eins der größten Geheimnisse der Welt stolpert und Ufo-Aufklärung vorantreibt. Können wir Tom DeLonge, der davon überzeugt ist, dass wir Menschen ein genetisches Experiment einer Alien-Spezies sind, die sich im Krieg mit anderen Alien-Rassen befindet, wirklich vertrauen? Oder ist Vorsicht angesagt, denn jemand wie er, der so bereitwillig glauben will oder vielleicht sogar glauben muss, eignet sich als leichtgläubiger Einfaltspinsel für Hintermänner, die ganz andere Pläne haben. Pläne wie: der Öffentlichkeit einreden, es gäbe Ufos, die man aber nur dann gut sehen kann, wenn man jetzt in neue Flugzeuge und Radarsysteme investiert. Und wie wir am Fall von Paul Bennewitz gesehen haben, ist es nicht unmöglich, dass die US-Geheimdienste Einzelne zum Spielball einer ganz eigenen Agenda machen.

All das können wir nicht schlussendlich klären. Auch die Rolle von Luis Elizondo, dem Ufo-Whistleblower von AATIP, nicht. Der Mann also, der schon vor mehr als zehn Jahren Ufos untersucht hat. Sein fettes Aber wäre: Das Departement of Defense leugnet nach den ersten Enthüllungen, dass Elizondo jemals für sie tätig gewesen sei. Bis der Senator Harry Reid interveniert und einen öffentlichen Brief verfasst, in dem er klarstellt, dass Elizondo wohl für AATIP tätig war. Case closed, oder? Nun ja. Die New York Post – jetzt auch nicht das renommierteste Blatt der USA – unterstellt Reid, dass die 22 Millionen Dollar, die das Pentagon angeblich in Ufo-Forschung gesteckt hat, eigentlich eine Privatförderung für einen Freund Harry Reids gewesen wären, der das Geld in die »Skinwalker Ranch« gesteckt hat. Eine Ranch in Utah, auf der paranormale Phänomene an der Tagesordnung stehen sollen. Der Verdacht der Ufo-Skeptiker ist also: Reid braucht Elizondo als Sündenbock, um eine verdeckte Förderung an einen Freund zu verschleiern. Und wenn wir uns Skeptiker wie Mick West anschauen, dann wäre sein »fettes Aber« Folgendes: Wieso sollte ein Computerspielprogrammierer unsere oberste Instanz für Ufo-Skeptizismus sein? Welche wissenschaftlichen Kriterien legt er an seine Arbeit an? Oder geht er nicht vielleicht auch von Vorannahmen aus, die ihn zu seinen Ergebnissen bringen?

So könnte es ewig weitergehen. Die Frage »Was kann ich wissen?« kann für Ufos nicht schlussendlich beantwortet werden. Zumindest nicht so lange, bis echte Transparenz herrscht, unabhängige Kommissionen eingesetzt werden und die »Experten« und Lautsprecher nicht einer offensichtlich eigenen Agenda folgen. Wir sind hier mit der neu eingesetzten UAP-Aufklärungseinheit auf dem richtigen Weg, aber es müsste noch mehr passieren. Und auch die Wissenschaft hilft uns kaum weiter bei der Frage – denn die Drake-Gleichung beinhaltet so viele Variablen, die wir aus heutiger Sicht einfach nicht kennen. Wir müssen erraten, was die Menge der vermutlich intelligenten Zivilisationen in unserer Galaxie in die Höhe schießen lässt – wenn man nur richtig rät.

Wollen wir hier wirklich weiterkommen, müssen wir erst mal – sorry für den kurzen Philosophieexkurs – die erkenntnistheoretischen Grundlagen legen, damit wir ahnen, was wir überhaupt wissen können. Umso wichtiger ist es, unsere eigene Psychologie immer wieder zu hinterfragen: Wieso sehen wir, was wir sehen, am Himmel? Kann es sein, dass uns unser Gehirn einen Streich spielt? Oder dass wir ohnehin zum magischen Denken neigen und wir vielleicht auch etwas sehen wollen?

Zu Beginn dieses Buchs haben wir uns eine neue Ufologie gewünscht. Eine Ufologie, die aus echten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen besteht. Eine Ufologie, die die Frage »Was können wir wissen?« wirklich ernst nimmt. Denn ein kritischer Umgang mit dem Ufo-Phänomen beginnt nicht beim Studieren von krisseligen Videos, sondern bei einem selbst. Eine Sache, die uns bei der Recherche für dieses Buch schmerzlich bewusst wurde: Die Ufologie unterschätzt immer und immer wieder die psychologische Komponente von Sichtungen. Auch AARO, die Organisation, die jetzt in den USA die Untersuchung von UAPs betreiben soll, konzentriert sich in erster Linie auf technische Systeme und nicht auf die Pilotinnen und Piloten selbst. Hier ist ganz klar noch Luft nach oben.

Wir müssen Ufos endlich entzaubern – und das in mehrerlei Hinsicht. Wie wir gelernt haben, sind Ufos und die Popkultur eng miteinander verwoben. Das liegt an der mythologischen Komponente der Flugscheiben. Seit Menschengedenken erspinnt unsere Spezies Geschichten über Götter und höhere Mächte. Diese Ammenmärchen werden zwar nach und nach entzaubert, aber der Wunsch zu glauben ist immer noch da und bahnt sich neue Wege. Egal ob im Glauben an Verschwörungstheorien oder Ufos oder beides zusammen. Die kantische Frage »Was darf ich hoffen?« kommt hier in den Sinn. Dürfen wir wirklich annehmen, dass die USA vor mehr als 75 Jahren ein Ufo in der Wüste New Mexicos geborgen haben? Dass in der Area 51 ein Techniker namens Bob Lazar arbeitet, der eine rote Corvette mit dem Kennzeichen »MJ-12« fährt und dort von Elementen erfährt, die 20 Jahre später erst erfunden werden? Wie realistisch ist das alles? Denn schlussendlich sagt der Glaube an Ufos viel mehr über uns aus als über vermeintliche Aliens. Was ist der Mensch? Ein Wesen, das hofft, nicht alleine zu sein. Das so sehr gegen die ewige kosmische Einsamkeit ankämpft, dass es dazu bereit ist, Flugobjekte oder gar Entführungen zu imaginieren.

Wir haben zu Beginn des Buchs schon erzählt: Als die große Ufo-Enthüllungswelle im Jahr 2021 losgetreten wurde, ist die Ufo-Szene förmlich explodiert. Aber was ist denn mit normalen Menschen? Auf Twitter haben wir zum Beispiel häufig die Reaktion »Nein, nicht jetzt, liebe Aliens!« gelesen. Gerade wärs echt schlecht. 2021 stecken wir mitten im x-ten Lockdown, Corona kostet uns den letzten Nerv, und Naturkatastrophen wie die im Ahrtal zerren ohnehin an unserem zerrütteten Nervenkostüm. Eine schlechte Zeit für Außerirdische. Diese Reaktion ist der Spiegel des Ufo-Enthusiasmus, den manche spüren. In Zeiten großer Unsicherheit wenden wir uns gern dem Glauben zu. Nur dass viele eben nicht mehr an Buddha, Jesus Christus oder das fliegende Spaghettimonster glauben, sondern an Ufos. Nicht erst seit der Ufo-Sekte Heaven’s Gate, die 1997 beim Erscheinen des Kometen Hale-Bopp kollektiven Suizid begangen hat, sind Ufos und Glaube eng miteinander verbunden. Aliens, sollten sie existieren, gelten als Deus ex machina, als letztes Mittel, das uns mit gottähnlicher Kraft aus unserem Schlamassel rausholt. Wir bekommen Pandemien, Artensterben und den gottverdammten Klimawandel einfach allein nicht in den Griff, da käme Grundlagenforschung zur Kernfusion aus Alien-Raumschiffen gerade richtig. »Bitte holt uns hier raus!«, scheinen manche gen Himmel zu schreien, während die anderen ihre VR-Brillen rausholen, um dort ihrem Eskapismus nachzugehen.

Und hier liegt eine tiefere Wahrheit des Ufo-Phänomens. Wir schauen in den Himmel nicht aus Furcht vor Außerirdischen, sondern voller Hoffnung. Denn es geht nicht darum, endlich abgeholt zu werden, sondern zu erfahren, wie wir es auch schaffen können. Denn wir erinnern uns: Einer der Erklärungsversuche für das Fermi-Paradoxon lautet »die große Filter-Hypothese«. Zivilisationen zerstören sich eher selbst, als dass sie es schaffen, andere Welten zu bereisen.

Wenn wir uns nur eine Sache von dem neu aufkeimenden Ufo-Hype und einer neuen Ufologie wünschen können, dann ist es das: gemeinsam daran arbeiten, dass wir den großen Filter, der vor unserer Haustür liegt, überstehen. Denn der Glaube an Ufos ist im besten Fall nicht zerstörerisch, sondern optimistisch. Er geht davon aus, dass andere Spezies es geschafft haben, sich nicht selbst zu zerstören, obwohl sie jegliche technologischen Mittel dazu gehabt hätten. Das ist inspirierend.

Lasst uns also zusehen, dass wir unseren Großen Filter überstehen. Und das bedeutet für einen kurzen Moment, den Blick vom Himmel auf die Erde zu richten. Den Klimawandel zu bekämpfen, das Massensterben aufzuhalten. Das Schöne daran: Egal ob wir an Ufos glauben oder nicht, am Ende profitieren wir alle davon. Denn wenn wir wirklich allein im Universum sind, die Wahrheit nirgendwo da draußen ist, dann wäre es doch wirklich schade, wenn das hier das Ende ist.