Zweites Kapitel

Silus stieß so ungestüm die Tür auf, dass sie gegen die Steinwand krachte und ein Stück des Strohdaches vor ihm auf den Boden fiel. Ein kleines, fünf oder sechs Jahre altes Mädchen versteckte sich kreischend hinter den Beinen seiner Mutter und spähte misstrauisch dazwischen hervor. Erst jetzt wurde Silus bewusst, wie angsteinflößend er auf ein Kind wirken musste. Sein verfilzter Bart starrte vor Schlamm und in den braunen, ungepflegten Haarsträhnen hingen Zweige und Laub. Er hatte schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gebadet und stank dementsprechend, darüber hinaus trug er eine schwere Tasche mit einem großen getrockneten Blutfleck darauf mit sich herum.

Die Mutter des Mädchens sah Silus kühl an.

»Was willst du hier? Du hast hier nichts zu suchen.«

»Gar nichts?«, fragte er. »Noch nicht mal einen Kuss?«

Sie trat vor und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.

»Du wolltest in zwei Tagen wieder zurück sein!«, schrie sie. »Ich dachte, du seist tot!«

»Aber Velua, geliebte Gattin«, sagte er in einem, wie er hoffte, besänftigenden Tonfall. »Befehle sind dazu da, um ausgeführt zu werden. Egal, wie lange es dauert.«

»Scheiß auf die dreckige Hure von Befehl. Was ist mit deiner Familie?«

»Ich bin Soldat, Liebste, und muss dorthin gehen, wo man mich hinschickt. Aber dafür haben wir ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch.«

Sie blickte durch die Löcher im reparaturbedürftigen Dach zum Himmel auf, dann sah sie den altbackenen Brotlaib und ein wenig schmackhaft wirkendes Stück Käse auf dem Tisch an.

»Meinst du etwa dieses Dach? Dieses Essen?«

»Mama? Ist das Papa?«, fragte das Mädchen.

Silus ging in die Knie und breitete die Arme aus. »Sergia, mein Schatz, ich bin’s!«

Sergia kreischte abermals, doch diesmal vor Freude. Sie rannte auf ihn zu und umarmte ihn fest, dann trat sie einen Schritt zurück und rümpfte die Nase. »Papa, du stinkst.«

»Ich weiß, meine Kleine. Da, wo ich war, gab es keine Badehäuser.«

»Wo warst du denn?«

»Ich habe dich und deine Mama vor den bösen Kaledoniern und Maeatae beschützt.«

Sergia formte mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger einen Kreis und spuckte aus, um das Böse abzuwehren.

Silus lächelte, dann überkam ihn eine bleierne Müdigkeit. Er schloss die Augen und legte eine Hand auf die Stirn.

Sofort war Velua an seiner Seite und legte eine stützende Hand auf seine Schulter. »Fehlt dir etwas, Liebster?«

»Nein, mein Schatz. Es war nur ein sehr … fordernder Auftrag, und ich bin hundemüde.«

Velua drehte sich zu ihrer Tochter um. »Sergia, steh nicht einfach nur herum! Bring deinem Vater Wein und mach etwas Wasser über dem Feuer warm, damit er den Schmutz und Gestank von sich abwaschen kann. Komm, Silus, leg dich doch erst mal hin.«

Velua führte ihn an der Hand in das Schlafzimmer, das eigentlich nur eine mit einem Vorhang vom Hauptraum abgetrennte Nische war. Ein einfacher Holzrahmen mit Strohmatratze diente der Familie als Bett. Mitten darauf lag eine kleine, alte schwarz-weiße Hündin. Sie öffnete die Augen einen Spalt weit, schnüffelte und überlegte. Dann sprang sie auf und lief kläffend in kleinen Kreisen herum.

»Issa! Immer mit der Ruhe, alte Dame«, sagte Silus grinsend und hob sie hoch. »Du bist inzwischen wohl ganz taub geworden, wenn du von dem Tumult gerade eben nichts mitbekommen hast.«

Er drückte sie an sich. Sie leckte eifrig sein schlammverkrustetes Gesicht.

»Christus und alle Götter des Olymp sind mein Zeuge, dass er diesen Hund mehr liebt als mich«, sagte Velua.

»Aber nicht doch, du Blüte meines Lebens«, sagte er, während er weiter mit der alten Hündin schmuste. »Obwohl ich Issa länger kenne als dich …«

»Wir sollten sie in den Kochtopf stecken. Dann wäre sie wenigstens noch zu etwas gut. Ich weiß gar nicht mehr, wann sie zum letzten Mal eine Ratte totgebissen oder ein Eichhörnchen mitgebracht hat.«

»Sie hat zwölf Sommer hinter sich und ist jetzt im verdienten Ruhestand«, tadelte er seine Frau.

»Hmm. Trotzdem – wenn sie nicht aufhört, ins Haus zu pissen, wird sie den dreizehnten nicht mehr erleben. Und jetzt zieh die dreckigen Lumpen aus. Die müssen gekocht werden. Oder am besten gleich verbrannt.«

Velua half Silus aus der Hose und der Tunika. Sie sagte nichts, als sie die von den Zweigen und Dornen zerkratzte Haut und die von den Stürzen auf Äste und Steine herrührenden Blutergüsse erblickte, doch ihr mitleidiger Gesichtsausdruck und ihre sanften Berührungen straften ihre strengen Worte von vorhin Lügen.

Sergia schob den Vorhang beiseite und brachte Silus mit Wasser gemischten Wein. Er nahm den Becher dankbar entgegen und trank in tiefen Zügen. Der Wein löschte seinen Durst und wärmte seinen leeren Magen. Sergia verschwand wieder und kam kurz darauf mit einer Schüssel lauwarmen Wassers zurück. Velua hielt prüfend eine Fingerspitze hinein, dann nickte sie.

»Gut gemacht, Sergia. Hier, nimm diese Kupfermünze, geh zu Senovara hinüber und lass dir sechs Eier geben. Die kochen wir uns zum Abendessen.«

Sergia nahm grinsend die Münze und lief zur Tür.

»Ach, Sergia«, rief Silus, woraufhin Sergia stehen blieb und ihren Vater erwartungsvoll anblickte. »Frag doch mal, ob du eine halbe Stunde mit Senovaras Welpen spielen darfst.« Er zwinkerte seiner Frau zu. »Oder gleich eine ganze Stunde.«

»Ja, Papa«, sagte das Mädchen und lief aus der Tür.

»Erst verschwindest du zwei Wochen lang spurlos, und wenn du endlich zurückkommst, stinkst du wie ein Rumtreiber, der in einem Schweinestall geschlafen hat. Du glaubst ja wohl nicht, dass …«

Er brachte sie mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss zum Schweigen. Sie schmiegte sich an ihn, legte die Arme um ihn und erwiderte den Kuss, wobei sie die Zunge tief in seinen Mund schob. Silus ließ sich wieder aufs Bett sinken und zog sie mit sich, sodass sie auf ihn fiel.

»Silus«, sagte sie lachend. »Das ist mein Ernst. Du bist schmutzig.«

»Genau wie deine Fantasie.«

Er küsste sie noch einmal, legte die Hand auf eine Brust, drückte und knetete. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Angst und Anstrengung der letzten Tage war er über die Maßen erregt. Velua setzte sich auf ihn, nahm ihn in sich auf und ließ ihrer Leidenschaft freien Lauf. Zeit und Schwangerschaft waren nicht spurlos an ihrem Gesicht und Körper vorübergegangen, doch für ihn war sie nach wie vor schön wie eine Göttin, und er sah ihr den ganzen, zugegebenermaßen nicht besonders langen Liebesakt über in die Augen.

»Das ging ja schnell«, sagte Velua.

»Ich bin etwas aus der Übung«, sagte Silus, starrte an die Decke und fragte sich, ob die zu erwartende Belohnung für einen anständigen Dachdecker reichen würde. Vielleicht konnte er seiner Frau ja etwas Schmuck schenken – bei Venus, sie hatte es sich redlich verdient. Velua entstammte einer wohlhabenden römisch-britannischen Familie. Ihr Vater hatte sie verstoßen, als sie sich in einen einfachen Soldaten verliebt und ihn geheiratet hatte. Silus war noch nicht einmal Legionär, sondern lediglich Angehöriger der Hilfstruppen. Doch nicht mehr lange: Jetzt winkten Ruhm, Geld und vielleicht eine Beförderung.

Ein Schrei von hinter dem Vorhang ließ sie beide hochfahren. Velua war schneller aus dem Bett und riss den Vorhang zurück. Dann erstarrte sie vor Schreck und schlug eine Hand vor den Mund. Silus, der direkt hinter ihr stand, konnte sich schon denken, was seine Tochter zum dritten Mal an diesem Nachmittag hatte loskreischen lassen.

Sergia stand mit dem Rücken zur Wand da und tastete mit den Handflächen hinter sich über den Lehm, als suchte sie nach einer Möglichkeit, dem grässlichen Anblick noch weiter zu entfliehen. Dabei schrie sie ununterbrochen und hatte die Augen starr auf den Boden gerichtet. Silus folgte ihrem Blick und seine Befürchtung bestätigte sich.

Als das neugierige Kind auf der Suche nach Mitbringseln den Rucksack seines Vaters geöffnet hatte, war Voteporix’ abgetrennter Kopf herausgerollt und ruhte nun etwas schief an der Stelle, an der er auf dem strohbedeckten Boden zum Liegen gekommen war. Die blinden Augen des toten Stammesfürsten waren nach oben verdreht, als wollte er die eigenen Augenbrauen betrachten. Der Mund war zu einem höhnischen Grinsen verzogen, das schwarze, verfaulte Zähne enthüllte, das lange, graue Haar war verfilzt und verklebt, eine Gesichtshälfte mit gallertartigen Klumpen aus getrocknetem Blut bedeckt. Der Hals endete abrupt an einem ausgefransten Wundrand. Die weißen Halswirbel, die Blutgefäße, die Speise- und Luftröhre waren deutlich zu erkennen.

»Bei Mutter Maria, Venus und Minerva Sulis«, flüsterte Velua, dann wandte sie sich zu Silus um. »Was im Namen aller heiligen Göttinnen ist das?«

Silus ging an ihr vorbei, hob Sergia auf, nahm sie in die Arme und drehte sie weg von dem Schrecken, der so plötzlich in ihrem Heim erschienen war. Sie schrie immer noch. Er hielt ihr den Mund zu.

»O Götter, wahrscheinlich glauben die Nachbarn bereits, dass ich dabei bin, euch zu ermorden. Wenn sie so weiterschreit, treten sie uns noch die Tür ein.«

Velua ging auf ihn zu und riss Sergia aus seinen Armen. Sie wiegte sie sanft hin und her und strich mit der Hand über ihr Haar, bis das Kreischen allmählich in blubberndes Schluchzen überging. Velua funkelte Silus böse an. »Was«, sagte sie mit leiser, bedrohlicher Stimme, »ist das, du dummes Arschloch?«

»Keine Flüche vor Kinderohren«, sagte Silus und bereute den Versuch, die Situation mit einem Scherz zu entschärfen, sofort. Sie schien ihn mit Blicken töten zu wollen. »Lass es mich dir erklären.«

»Vielleicht solltest du erst mal deiner Tochter erklären, dass das, was du da angeschleppt hast, kein Dämon ist.«

Silus trat hinter Velua und hob das Kinn seiner Tochter, bis sie ihm in die Augen sah. »Mein kleiner Honigkuchen«, sagte er. »Das war ein böser Mann. Ein Maeata. Ich habe dir gesagt, dass ich gegen sie kämpfe, um euch zu beschützen, weißt du noch? Und bei dem hier habe ich dafür gesorgt, dass er dir nichts mehr tun kann.«

Sergia schluckte ein paarmal. »Wollte er dir auch wehtun?«

»Ja«, sagte Silus. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber der veniconische Stammesfürst hätte sicher nicht gezögert, ihn aufzuspießen, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. »Aber weil er jetzt tot ist, ist Britannien sicherer für uns.«

»Und wenn du seinen Geist mitgebracht hast und der uns heute Nacht umbringt, wenn wir schlafen?«

Bei dieser Vorstellung unterdrückte Silus ein Schaudern. Bei den Göttern, dachte er, hoffentlich nicht. »Aber nein, meine Kleine. Dir kann hier überhaupt nichts passieren. Dein Papa wird niemals zulassen, dass dir etwas Schlimmes zustößt.«

Velua bedachte ihn mit einem letzten vernichtenden Blick und ging mit Sergia ins Schlafzimmer hinüber. Silus beugte sich seufzend vor, hielt den auf dem Boden liegenden Rucksack auf und ließ den Kopf mit einem leichten Tritt hineinrollen. Dann knotete er ihn fest zu und warf ihn in die Ecke, wo er mit einem dumpfen Geräusch landete. Sein Blick fiel auf die Eier, die Sergia geholt hatte. Er schätzte die Wahrscheinlichkeit, sie zum Abendessen zu bekommen, eher gering ein. Silus kauerte sich in eine Ecke und vergrub den Kopf in den Händen.

Velua schmollte so lange, dass er sich gleich mehrere glaubwürdige Entschuldigungen für seine Sorglosigkeit hätte ausdenken können, wäre er nicht zu müde dafür gewesen. Seufzend fand er sich damit ab, ihr die Wahrheit zu sagen.

Seine Frau schob den Vorhang zurück und kam mit leisen Schritten und finsterer Miene in den Raum.

»Sie schläft«, sagte sie.

»Gut.«

Es folgte eine unangenehme Gesprächspause. Velua setzte sich auf einen Hocker. War dies der richtige Moment, um ihr die Wahrheit zu sagen?

»Also?«, fragte sie. Es war definitiv der richtige Moment.

Nachdem er ihr von seinem Erkundungsbefehl erzählt hatte, der ihn zwei Wochen lang in die Wildnis geführt hatte, saß Velua einfach nur da und starrte ihre im Schoß verschränkten Hände an. »Du bist wütend auf mich«, sagte er, als die Stille unerträglich wurde.

»Natürlich bin ich wütend auf dich«, sagte Velua mit ruhiger, leiser und beinahe tonloser Stimme.

»Tut mir leid«, sagte Silus. »Ich hätte das verdammte Ding gar nicht erst ins Haus bringen dürfen, sondern damit sofort ins Kastell gehen müssen. Ich würde doch Sergia niemals absichtlich so erschrecken. Oder dich.«

»Du bist wirklich scheißdämlich.«

»Hm. Stimmt.«

»Weißt du überhaupt, warum ich wütend auf dich bin?«

»Weil ich so lange weg war?«, riet Silus. »Weil ich den Kopf mitgebracht habe? Weil ich schmutzig bin?«

»Nein, Silus. Weil du dabei hättest draufgehen können.«

»Ach so«, sagte er. »Deshalb.«

»Ja, deshalb. Du bist ein unvernünftiges und unnötiges Risiko eingegangen. Willst du, dass deine Frau zur Witwe wird und deine Tochter ohne Vater aufwächst?«

»Aber Liebste, ich bin dieses Risiko doch nur für euch eingegangen. Sieh dir doch diese beschissene Bruchbude hier an! Du hast Besseres verdient. Dieser Kopf könnte alles ändern. Vielleicht bekomme ich einen Bonus. Oder werde befördert. Dann kann ich dir Schmuck und Schminke kaufen und Sergia Spielsachen und schöne Kleider.«

»Ich habe meinen Reichtum aufgegeben, um mit dir zusammen zu sein. Du beleidigst mich, wenn du mir unterstellst, dass mir Geld wichtiger ist als unsere Liebe.«

Dies war der richtige Augenblick, um ihr mitzuteilen, wie viel sie ihm bedeutete und wie dankbar er für ihre Liebe war. Doch statt schöner Worte kamen ihm zu seiner eigenen Überraschung die Tränen. Er ließ den Kopf hängen, bedeckte die Augen mit einer Hand und versuchte, nicht zu schluchzen. Wahrscheinlich lag es auch an der tiefen Erschöpfung, dass er sich derart von seinen Gefühlen überwältigen ließ.

Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Velua kniete neben ihm. Er hob den Kopf und blickte in ihr besorgtes Gesicht.

»Was hast du denn?«

»Ich liebe dich«, sagte er mit erstickter Stimme, vergrub seinen Kopf an ihrer Schulter und ließ den Tränen freien Lauf. Sie wiegte ihn sanft in ihren Armen und hielt ihn auch dann noch fest, als er aufgehört hatte zu schluchzen. Er genoss ihre Wärme und das entspannende Auf und Ab ihres Brustkorbs.

Sergia spähte hinter dem Vorhang hervor. »Mama, warum weint Papa denn? Hat ihm der Dämonenkopf was getan?«

»Aber nein, mein Schatz. Papa geht’s gut. Er ist nur müde.«

»Mama und ich passen schon auf dich auf, Papa. Jetzt bist du ja zu Hause und musst dir keine Sorgen mehr machen.«

Wieder wurde Silus von schweren Schluchzern geschüttelt.

 

»Du bist wirklich scheißdämlich«, sagte Geganius, Silus’ unmittelbarer Vorgesetzter.

Alle Erwartungen und Hoffnungen flossen förmlich aus ihm heraus, bis Silus wie ein leerer Wasserschlauch vor dem stämmigen Zenturio stand.

»Aber … aber das ist der Kopf von Voteporix, dem Stammesfürsten der Venicones. Dem Anführer der Krieger, die uns angreifen wollten.«

»Angreifen wollten? «, wiederholte Geganius. »Ja, glaubst du denn, dass du den Angriff damit verhindert hast?«

»Also, ich …«

»Wenn ich deinem Vater den Kopf abschlage, würdest du dann einfach mit den Schultern zucken und nach Hause gehen?«

Silus hatte sich in seiner Kindheit und Jugend sehr oft gewünscht, jemand möge seinem Vater den Kopf abschlagen. Aber er verstand, worauf der Zenturio hinauswollte.

Geganius schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich glaubst du jetzt, dass du dafür Ruhm, Ehre und eine Beförderung verdient hast?«

»Nein, Herr«, log Silus. »Ich hatte ausschließlich den Schutz Britanniens und die Ehre Roms im Sinn.«

»Komm mit. Wir erzählen dem Präfekten lieber gleich, was du für eine Riesenscheiße gebaut hast.«

Geganius führte den geknickten Silus zur Amtsstube des Präfekten. Dessen Sekretär, ein groß gewachsener und glatzköpfiger ehemaliger Sklave fortgeschrittenen Alters, sah sie von oben herab an. Seine Hakennase erinnerte Silus an die Büste von Julius Caesar, die er einmal gesehen hatte.

»Was willst du, Geganius?«

»Pallas, wir müssen sofort mit Präfekt Menenius sprechen.«

»Er ist beschäftigt«, sagte Pallas. »Kommt ein andermal wieder.«

»Es ist wirklich dringend.«

»Das sagen alle.«

»Du wirst ihm jetzt sofort ausrichten, dass wir ihn sprechen wollen«, sagte Geganius mit drohender Stimme. »Wenn Menenius erfährt, dass du uns in dieser Angelegenheit nicht unverzüglich vorgelassen hast, reißt er dir die Eier ab.« Geganius musterte den Freigelassenen von oben bis unten. »Falls du überhaupt noch welche hast.«

Pallas warf voller Abscheu den Kopf zurück und verschwand in der Amtsstube des Präfekten. Nach einem unverständlichen Wortwechsel öffnete Pallas die Tür wieder und winkte sie herein.

Menenius, ein ergrauter Veteran, der sich aus eigener Kraft vom einfachen Soldaten bis zum Präfekten des Kastells hochgearbeitet hatte, saß hinter einem mit Schriftrollen und Wachstäfelchen bedeckten Schreibtisch und sah sie mit gereizter Miene an.

»Was willst du, Geganius? Sprich, und fasse dich kurz.«

»Silus hier kann die Angelegenheit sicher viel besser erklären als ich.« Er nickte Silus auffordernd zu.

Silus, dessen Mund plötzlich staubtrocken war, öffnete den Rucksack und zog den Kopf am Haarschopf heraus.

Pallas stieß einen leisen Schrei aus. Menenius dagegen kniff nur leicht die Augen zusammen. »Was in aller Scheißgötter Namen ist das?«

Geganius stieß Silus den Ellenbogen in die Rippen.

»Das«, sagte Silus und bemühte sich nach Kräften um eine einigermaßen feste Stimme, »ist … ich meine, war … Voteporix, ein Stammesfürst der Venicones.«

Nun machte Menenius große Augen. »Silus«, sagte er. »Du bist wirklich scheißdämlich.«

Silus verzog das Gesicht. Allmählich glaubte er es selbst.

»Wie genau lauteten deine Befehle, Soldat? Raus mit der Sprache.«

»Herr, ich sollte den Berichten mehrerer Händler nachgehen, die angeblich in der Gegend um Dùn Mhèad aufrührerische Umtriebe beobachtet hatten. Mein Befehl lautete, das Gebiet nördlich des Walls auszukundschaften und herauszufinden, ob diese Gerüchte der Wahrheit entsprechen.«

»Und?«

»Es ist wahr, Herr. Ich konnte einen großen Feindesverband von schätzungsweise fünfhundert Kriegern beobachten, der sich in der Wallburg versammelt hatte.«

Menenius stieß einen Pfiff aus. »Genug, um uns richtig Ärger zu machen, meinst du nicht auch, Geganius?«

»Ja, Herr, wenn sie uns unvorbereitet angetroffen hätten, noch dazu jetzt, wo sich der Kaiser und Caracalla noch im Winterlager in Eboracum befinden. Aber mit Vorwarnung? Wenn ich die Patrouillen zurückbeordere, die Garnison in Gefechtsbereitschaft versetze und mit einheimischen Hilfstruppen verstärke, sollten wir mit ihnen fertigwerden.«

»Wohl wahr«, sagte Menenius. »Und da du genau wusstest, dass es von höchster Wichtigkeit war, uns vor diesem bevorstehenden Angriff zu warnen, hast du alles, was in deiner Macht stand, getan, um schnell und sicher zurückzukehren und Meldung zu machen, richtig?«

»Ja, Herr«, sagte Silus und hoffte inständig, dass sie nicht herausfanden, dass er die letzte Nacht im Vicus mit seiner Frau in seinem Bett verbracht und sich erst heute Morgen zum Dienst gemeldet hatte.

»Und wie im Namen aller Götter des Olymp, von Christus und Maria und Mithras und jeder anderen beschissenen Gottheit«, schrie Menenius und sprang auf, »kommt es dann, dass der Kopf eines Maeatae-Fürsten hier vor mir liegt?« Er knallte die Faust auf den Tisch.

»Herr«, sagte Silus, »ich dachte …«

»Du hast gedacht, Soldat? Bist du dir da sicher?«

»Ja, Herr. Die Gelegenheit war günstig, und ich dachte, dass der Tod ihres Anführers ihre Moral möglicherweise so schwächt, dass sie den Angriff abblasen.«

»Ihre Moral schwächt? Dazu will ich dir eine Geschichte erzählen, Soldat. Eines Tages, als wir noch Kinder waren, hat mir mein älterer Bruder ein Wespennest gezeigt und mich davor gewarnt, die Wespen zu ärgern, da sie sonst auf mich losgehen würden. Und was habe ich getan, sobald mein Bruder weg war? Natürlich sofort mit einem Stock in das Nest gestochen. Die Wirkung, die dieser Stock auf die Moral der Wespen hatte, ist ungefähr dieselbe, den die Ermordung, Schändung und Enthauptung ihres Fürsten auf die Maeatae haben wird.«

Silus lief es kalt den Rücken hinunter. Langsam dämmerte ihm, dass er die Situation völlig falsch eingeschätzt hatte und seine Fehlentscheidung nicht nur für seine Soldatenlaufbahn Konsequenzen haben würde.

Menenius setzte sich wieder und holte tief Luft. »Pallas«, sagte er, »wir müssen Boten zu den uns benachbarten Kastellen entlang des Walls entsenden und sie von einem höchstwahrscheinlich bevorstehenden, allem Anschein nach gegen Voltania gerichteten Maeatae-Angriff in Kenntnis setzen. Wir bitten sie um jeden Mann Verstärkung, den sie entbehren können, raten ihnen aber auch dringend, sich gefechtsbereit zu machen für den Fall, dass es die Barbaren doch auf ein anderes Kastell abgesehen haben. Geganius, du versetzt die Garnison in Alarmbereitschaft. Jeder hat rund um die Uhr Waffen und Rüstung zu tragen, bis die Gefahr vorüber ist. Lass die Ausrüstung überprüfen und sieh zu, dass wir genug Vorräte, Holz, Pfeile und Schleudern haben, falls es zu einer Belagerung kommt. Die Barbaren können in einer Stunde oder auch erst in einer Woche angreifen. Später eher nicht – so lange halten sie es nicht miteinander aus, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.«

»Ja, Herr«, sagte Geganius. »Und was ist mit ihm?« Er deutete mit dem Kinn auf Silus.

»Lass ihn in eine Zelle sperren. Da soll er über seine Torheit nachdenken, bis ich mir die passende Strafe für ihn überlegt habe.«

»Aber Herr!«, protestierte Silus.

»Mach es nicht noch schlimmer«, sagte der Präfekt. »Geganius, schaff ihn mir aus den Augen.«

 

Maglorix blickte auf die Gesichter derjenigen herab, die sich zur Ratsversammlung im großen Rundhaus eingefunden hatten. Er saß auf einem hohen, mit menschlichen und tierischen Schädeln verzierten Thron, die anderen Ratsmitglieder hatten auf niedrigeren Stühlen oder einfachen, aus Ästen und Baumstämmen zusammengezimmerten Bänken im Kreis vor ihm Platz genommen. Sie waren völlig unterschiedlichen Alters. Erc, der älteste unter ihnen, hatte sechzig Winter auf dem Buckel. Viele waren im Gesicht und auf den Armen, und diejenigen, die die Tunika verschmähten, auch auf der Brust tätowiert. Ebenso viele trugen Narben von Gefechten gegen die Römer oder gegen andere Stämme zur Schau.

Erc ließ Maglorix nicht aus den Augen, während er mit zahnlosem Kiefer auf einem Brennnesselblatt herumkaute. Maglorix konnte den Ausdruck auf dem Gesicht des alten Mannes nicht enträtseln. Andere, leichter zu deutende Mienen verrieten Mitleid, Angst, Wut, Argwohn oder Verachtung. Sein Kopf schmerzte noch leicht, doch er hatte ordentlich gegessen und geschlafen und fühlte sich in der richtigen Verfassung, sein Anliegen vor den Rat zu bringen.

»Ihr alle wisst, weshalb mein Vater euch hier versammelt hat. Seit zwei Jahren verwüsten die Römer unser Land. Ihr Kaiser – verflucht seien er und seine Familie – konnte uns nicht besiegen und will uns nun mit Mord, Vergewaltigung und Raub in die Knie zwingen. Wir alle haben Brüder, Vettern, Söhne und sogar Frauen im Kampf gegen die barbarischen Invasoren verloren. Caracalla, der Sohn des Kaisers, hat seine Armeen gegen unsere Brüder im hohen Norden geführt, und wir alle wissen, was er dort angerichtet hat. Wir haben es mit eigenen Augen gesehen. Er hat das Korn verbrennen lassen, damit unser Volk verhungert. Er hat die Dörfer in Brand gesteckt, damit unser Volk erfriert. Wie viele Kinder der Kaledonier und Maeatae sind diesen Winter vor Hunger und Kälte gestorben? Ihr Blut klebt an Caracallas Händen, als hätte er sie eigenhändig hingeschlachtet. Er hat unsere Männer getötet und unsere Frauen vergewaltigt und mit seinem Samen befleckt, sodass sie jetzt römische Bastarde austragen müssen. Selbst die Römer haben unseren Ahnen Calgacus, der bei Mons Grapius besiegt wurde, nicht vergessen. Erc, möchtest du uns an seine Worte erinnern?«

Erc spuckte das Blatt aus und wiederholte den berühmten Satz, den der kaledonische Anführer dem Geschichtsschreiber Tacitus zufolge vor über hundert Jahren nach seiner Niederlage gegen Agricola – Tacitus’ Schwiegervater – ausgesprochen hatte: »Plündern, Morden, Rauben nennen sie mit falschem Namen Herrschaft, und wo sie Einöde schaffen, sprechen sie von Frieden.«

Maglorix sah zustimmendes Nicken, aber auch Unentschlossenheit und gegen ihn gerichteten Groll.

»Mein Vater wollte Feuer mit Feuer bekämpfen und die Römer lehren, uns zu fürchten. Er wollte sie hinter den Wall zurücktreiben, zurück zu den Votadini und Novantae und den anderen feigen Britonenstämmen, die ja schon vor langer Zeit die Beine für die Römer breitgemacht haben. Und jetzt haben sie ihn ermordet. Nicht im ehrenvollen Kampf, sondern auf die hinterhältigste Art und Weise. Und damit nicht genug, sie haben auch seinen Leichnam geschändet und seinen Kopf als Trophäe mitgenommen. Diese Beleidigung darf nicht ungesühnt bleiben. In seinem Namen und um seines Angedenkens willen werde ich euch gegen die Römer anführen. Wir werden ihn mit einem großen Sieg rächen und unsere Ehre wiederherstellen.«

Die Beifallsrufe waren nicht so laut, wie Maglorix gehofft hatte, und drangen auch nicht aus jeder Kehle.

Maglorix sah zu Lon hinüber. Der Druide hatte sich, wie es der Brauch war, das Haar bis zur Schädelmitte abrasiert. Dahinter fiel es weiß über seine Schultern. Er hatte eine lange, spitze Nase, zu weit auseinanderliegende Augen und vom Kopf abstehende Segelohren, die durch die traditionelle Haartracht erst recht zur Geltung kamen. Seine lange, feuerrote Robe war mit Goldstickereien geschmückt, dazu trug er einen goldenen Torques um den Hals. Am Ende des Holzstabs, den er bei sich führte, war eine Glocke angebracht. Der heilige Mann des Stammes, der hochmütig am anderen Ende des Raumes saß, gab zwar vor, unparteiisch zu sein, quittierte Maglorix’ Blick aber mit einem beinahe unmerklichen Kopfnicken. Maglorix lächelte in sich hinein. Er war froh, diesen Mann, der sowohl innerhalb des Stammes über großen Einfluss verfügte als auch in seiner Rolle als Mittler zwischen Menschen und Göttern eine wichtige Position bekleidete, an seiner Seite zu wissen.

»Wir sind zu wenige«, rief ein Stammesältester. »Endlich herrscht Waffenstillstand mit den Römern, und nach den katastrophalen Ereignissen des letzten Jahres lecken die Kaledonier genau wie die meisten anderen Maeatae-Stämme noch ihre Wunden. Wir sind nicht in der Lage, einen Krieg zu führen.«

»Ich verlange ja nicht von euch, es mit dem ganzen römischen Imperium aufzunehmen«, sagte Maglorix. »Ich schlage eine Strafexpedition vor – um unseren Stolz zurückzuerlangen und als Vergeltung und zur Ehre meines Vaters.«

»Das ist doch alles müßiges Gerede«, warf ein anderes Ratsmitglied ein, ein schmalgesichtiger, glatzköpfiger Mann namens Muddan. »Du bist nicht unser Anführer.«

»Wirklich nicht, Muddan?«, fragte Maglorix und richtete den Blick auf den alten Mann mit dem weißen Bart.

»Nein«, sagte Muddan unbeeindruckt, »bist du nicht. Fürst der Venicones wird man nicht durch Abstammung, sondern durch Wahl des Ältestenrates.«

»Dann trifft es sich ja gut, dass ihr alle hier versammelt seid. Also bitte, wählt mich zum Stammesfürsten, damit wir endlich zur Tat schreiten können.«

»Jeder Kandidat muss seine Redekunst, Stärke und Weisheit auf die Probe stellen und beweisen, dass er würdig ist, uns anzuführen. Für deinen Vater wurde keine Ausnahme gemacht und für seinen Nachfolger – wer das auch immer sein mag – genauso wenig.«

»Wer das auch immer sein mag? Ich bin durch Geburtsrecht und die Kraft meines rechten Armes der neue Fürst. Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn. Während ihr sabbernden alten Narren debattiert, bringen sich die Römer in Gefechtsbereitschaft.«

»Sei vorsichtig, wie du mit denen sprichst, die älter und weiser sind als du«, sagte Muddan mit leiser Stimme.

Maglorix sprang vom Thron und in die Mitte des Kreises, um den die Mitglieder der Ratsversammlung saßen, zog in einer fließenden Bewegung das Schwert und beschrieb damit einen Bogen.

»Dieses Schwert verleiht mir alle Weisheit, die ich brauche. Ist unter euch einer, der mein Recht anzweifelt, diese Klinge als Fürst der Venicones zu führen?« Er drehte sich einmal um die eigene Achse und sah dabei jedem Ratsmitglied nacheinander in die Augen, woraufhin alle ohne Ausnahme den Kopf senkten. Schließlich erreichte Maglorix’ Blick den hinter dem Thron stehenden Buan. Der treue Leibwächter seines Vaters lächelte und nickte ihm knapp zu. Maglorix nickte zurück und wandte sich dann der Ratsversammlung zu. »Das wäre also geklärt. Niemand stellt mein Recht, euch anzuführen, infrage. Daher befehle ich euch allen …«

»Ich stelle dieses Recht infrage.«

Maglorix blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Die Silhouette eines großen, breitschultrigen Kriegers zeichnete sich im Licht ab, das durch die offen stehende Tür fiel. Zottiges, verfilztes Haar fiel über den Wolfspelz um die Schultern des Neuankömmlings.

»Tarvos«, sagte Maglorix und spuckte aus. »Du bist kein Mitglied der Ratsversammlung und hast daher nicht das Recht, mich herauszufordern.«

»Ich habe deine Rede gehört, Maglorix. Hast du nicht gesagt, dass der neue Anführer heute durch das Geburtsrecht und einen kräftigen Arm bestimmt wird? Wir haben denselben Großvater, lieber Vetter. Wollen wir nicht herausfinden, wer den stärkeren rechten Arm hat?«

»Du spielst mit deinem Leben«, sagte Maglorix mit zusammengekniffenen Augen.

»So sei es.«

Tarvos stürmte in die Mitte des Kreises und zog das Schwert. Maglorix taxierte seinen Gegner aufmerksam. Sein Vetter war einen halben Kopf größer und verfügte daher über eine etwas längere Reichweite, er selbst hingegen war zwei Jahre älter. Tarvos besaß noch nicht die voll ausgebildete Muskulatur eines Kriegers auf dem Zenit seiner Kraft, da konnte er noch so höhnisch grinsen. Maglorix hatte seit Längerem keinen Übungskampf mehr mit ihm bestritten, wusste jedoch, dass er unter seinen Altersgenossen als ebenso unbarmherzig wie talentiert im Umgang mit der Klinge galt.

Tarvos stand breitbeinig da, einen Fuß leicht vor den anderen gesetzt, und ließ das Schwert im lockeren Griff an der Seite herunterbaumeln. Maglorix hatte den Thron im Rücken. Die Spitze seiner Klinge berührte den Boden.

»So sei es, Tarvos. Ich stehe vor dem Thron meines Vaters. Du willst doch meinen Platz einnehmen, oder nicht?«

Misstrauisch trat Tarvos einen Schritt vor. Er witterte eine Falle – immerhin hatte auch Maglorix den Ruf eines listenreichen und durchtriebenen Kämpfers.

»Wieso zögerst du, Tarvos? Da war deine Mutter schneller bei der Sache – bedauerlicherweise zu deinem Nachteil.«

»Wovon redest du?«, knurrte Tarvos.

»Mein Vater war außer sich vor Wut, als er erfuhr, dass seine Schwester für einen römischen Soldaten die Schenkel gespreizt hat.«

Tarvos erbleichte. »Das ist eine Lüge.«

»Und neun Monate später hat sie dich ausgeschissen. Zögerst du deshalb? Weil du tief in deinem Inneren wie ein Römer kämpfen willst? In Schildkrötenformation, mit Männern zu allen Seiten, die dich beschützen?«

»Maglorix, das geht zu weit«, sagte Muddan. Maglorix beachtete ihn nicht.

»Sie hat deinem Vater die Hörner aufgesetzt, doch er hat diese Hure zu sehr geliebt, um ihr bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen«, sagte Maglorix. »Deshalb hat er Schimpf und Schande ertragen und dich wie einen eigenen Sohn aufgezogen. Was siehst du mich so an, Tarvos? Wusstest du das nicht? Du musst es doch geahnt haben. Sehnst du dich insgeheim nicht nach dem Stadtleben? Träumst du nicht davon, Badehäuser zu besuchen, dich faul auf einem Sofa zu fläzen und von deinen Sklaven mit Weintrauben füttern zu lassen?«

Tarvos schwieg. Er hatte den Mund zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Sein Schwert zitterte.

»Warum willst du Anführer dieses Stammes werden, Tarvos?«, fuhr Maglorix fort. »Um bei der ersten Gelegenheit deinen römischen Brüdern und Schwestern um den Hals zu fallen? So wie deine Hurenmutter damals?«

Tarvos stürmte brüllend durch den Kreis auf Maglorix zu, das Schwert im zweihändigen Griff hoch über den Schultern erhoben. Als er nahe genug war, holte er zu einem Schlag aus, der einen menschlichen Schädel so mühelos wie einen Apfel gespalten hätte.

Maglorix wich geschickt aus, hob die eigene Waffe und lenkte die gegnerische Klinge damit ab. Tarvos’ Schwert krachte so heftig in den Thron, dass es Kleinholz aus der Rückenlehne machte, sich in die Sitzfläche bohrte und einen Augenblick lang dort stecken blieb.

Mehr als diesen Augenblick brauchte Maglorix nicht. Während Tarvos das Schwert aus dem Holz zu befreien versuchte, wirbelte Maglorix herum und rammte seine Klinge so tief in den Rücken seines Vetters, dass die Spitze in einem Blutstrahl aus der Brust drang. Tarvos brach zusammen. Sein Körper verkrampfte sich erst und erschlaffte dann. Der Gestank seiner sich entleerenden Gedärme erfüllte den Raum.

In der darauffolgenden Stille ließ sich Maglorix von Buan ein Messer reichen, durchtrennte mit schnellen Schnitten den Hals seines Vetters, hielt das triefende Haupt in die Höhe und drehte sich langsam im Kreis, damit ihn die ganze Ratsversammlung sehen konnte. Dann warf er den Kopf auf den Boden. Er rollte vor den Ältesten durch den Staub.

»Zweifelt sonst noch jemand mein Recht an, euch als euer Fürst anzuführen?«, sagte Maglorix langsam.

Alle schwiegen, bis Lon in feierlichem Ton die Stille durchbrach. »Durch das Recht deiner Geburt und das Urteil des Schwertes bist du, Maglorix, nun Fürst der Venicones.«

Aus zustimmendem Gemurmel wurden Jubelschreie und Freudenrufe.

»Buan«, sagte Maglorix, »steck den Kopf des Bastards auf einen Spieß und stell ihn vor der Halle der Ratsversammlung auf, bis er verwest ist. Danach soll der Schädel meinen neuen Thron zieren.«

»Ja, Herr«, sagte Buan.

»Also.« Maglorix wandte sich den jetzt unterwürfigen Stammesältesten zu. »Nun zu meinen Befehlen für euch …«