Drittes Kapitel

Silus saß auf dem Lehmboden, hatte den Kopf in den Händen vergraben und fragte sich, wieso alles so furchtbar schiefgegangen war. Er hatte wochenlang unter übelsten Bedingungen sein Leben riskiert, seinen Erkundungsauftrag erfolgreich ausgeführt und es mit außergewöhnlicher Tapferkeit, Einfallsreichtum und Tatkraft geschafft, der feindlichen Heerführung nicht nur im übertragenen Sinne den Kopf abzuschlagen. Und jetzt? Jetzt saß er schon einen ganzen Tag lang zitternd und mit durchnässtem Untergewand in diesem kalten, düsteren Gefängnis. Ein Zellengenosse schnarchte mit der Lautstärke einer eichenfällenden Zweimannsäge, der andere, offenbar ein Anhänger des Christus, stimmte immer wieder dasselbe Loblied auf seinen Gott an, obwohl er von der Sangeskunst nur wenig verstand.

Durch das vergitterte Fenster sah Silus, wie die Sonne unterging, und fragte sich, wie lange er wohl noch mit den beiden hier zusammengepfercht sein würde. Man hatte den schnarchenden, nach Alkohol stinkenden Soldaten – wahrscheinlich gehörte er zum Hilfstruppenkontingent der Tungri oder Batavi – gegen Mittag in die Zelle geworfen, und er war sofort eingeschlafen. Der große, hagere Hymnensänger, seinem Akzent nach zu urteilen ein Kelte aus dem sonnigen Iberien, war vor etwa einer Stunde zu ihnen gesperrt worden. Er hatte sich als Atius vorgestellt und sofort angefangen zu beten. Silus hatte ihn vorher noch nie gesehen, also war er entweder erst vor Kurzem der Armee beigetreten oder hierher versetzt worden.

Atius schien nicht in der Lage zu sein, schweigend zu beten. Offenbar war es nicht mehr als ein unpersönliches Allerweltsgebet. Der Teil, den er momentan wiederholte, lautete:

Gelobt sei der Messias

Der uns die Zuversicht gab

Dass die Toten wiederauferstehen.

Selbstverständlich kannte Silus den Kult des Christus, der von seinen Anhängern – von denen er schon ein paar kennengelernt hatte – als Messias bezeichnet wurde. Nur ein weiterer aus dem Osten stammender Mysterienkult wie der des Serapis oder der Isis, von denen Rom die einen tolerierte und die Anhänger der anderen verfolgen ließ. Vage erinnerte er sich daran, dass vor etwa einem Jahr ein gewisser Alvan oder Alban in Verulamium geköpft worden war, weil er einen christlichen Priester beherbergt hatte. Dies hatte für einen so großen Aufruhr gesorgt, dass Geta – der Mitkaiser höchstpersönlich – eingeschritten war, um der Gewalt gegen die Anhänger des Christus Einhalt zu gebieten.

Silus seufzte, starrte aus dem Fenster und verfluchte die Ungerechtigkeit, die ihm widerfuhr. Wollten sie ihn für seine Tapferkeit etwa bestrafen? Verstanden sie denn nicht, welche Heldentat er da vollbracht hatte?

Der Gesang verstummte plötzlich.

»Wie geht’s?«, fragte Atius.

»Was glaubst du denn?«, entgegnete Silus und deutete mit einer ausholenden Geste durch die Zelle.

»Das hier? Das geht vorüber, wie alles im Leben.«

»Auch wieder wahr. Wieso bist du hier?«

»Na ja. Ich hab mit Menenius’ Tochter gevögelt.«

Silus blieb der Mund offen stehen. Atius betrachtete seine Fingernägel, kratzte den Schmutz darunter hervor und machte ganz allgemein den Eindruck, dass das Gespräch beendet war.

»Sag das noch mal«, sagte Silus.

»Was denn?«

»Warum bist du hier?«

»Ich hab mit Menenius’ Tochter gevögelt. Allmächtiger, was für eine Wildkatze. Leider war Menenius nicht besonders erfreut darüber.«

»Menenius’ Tochter? Du hast Menenia gevögelt? Die keusche kleine Menenia, die immer fleißig webt und näht und deren Mund weder einen Schluck Wein noch einen harten Schwanz gekostet hat?«

»Das klingt nicht nach der Menenia, die ich meine. Ich kann dir sagen, die konnte mit ihrem Mund ganz andere Sachen anstellen …«

»Aber …« Silus verstummte. Dann fiel ihm etwas ein. »Aber seid ihr Christus-Anhänger nicht zur Keuschheit verpflichtet oder so ähnlich?«

Atius lachte. »Scheiß drauf. Nur weil ich weiß, dass mich nach dem Tod das Paradies erwartet, muss ich doch nicht auf die weltlichen Freuden verzichten.«

Silus schüttelte grinsend den Kopf.

»Was ist mit dir? Weshalb bist du hier?«, fragte Atius.

»Ich habe einem Barbarenhäuptling den Kopf abgeschlagen. Menenius war nicht besonders erfreut darüber.«

Atius warf den Kopf in den Nacken und lachte so laut, dass der schnarchende Hilfstruppensoldat aufwachte. Er sah sich verwirrt um und schlief dann weiter.

»Das ist ja auch nicht gerade die feine Art. Und offen gestanden scheint mir mein Vergehen mehr Spaß gemacht zu haben als dir deines.«

»Schon möglich. Obwohl es mir durchaus eine gewisse Befriedigung verschafft hat, diesen Barbaren einen Kopf kürzer zu machen«

»Also bereust du es nicht?«

Silus dachte nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Was soll denn schon Schlimmes passieren?«

Der klare Ton der Alarmglocke hallte durch die Abendluft. Silus wirbelte herum, Atius sprang auf und stürzte zum Fenster. Soldaten rannten durch den Innenhof auf ihre Positionen und legten dabei ihre Helme und Gürtel an. Atius rüttelte an den Gitterstäben und schrie, um die Aufmerksamkeit der Vorbeieilenden zu erregen.

»He! He, du, was ist denn los?«

Die meisten beachteten den Gefangenen nicht weiter. Schließlich blieb ein ängstlich dreinblickender Jüngling vor der Zelle stehen. »Soldat, was geht hier vor?«, fragte Atius.

»Die Maeatae greifen an!«, keuchte er.

Der Soldat wollte weiterlaufen, doch Atius griff durch die Gitterstäbe und packte seinen Arm.

»Wo? Wie viele?«

»Etwa zweihundert, hat der Zenturio gesagt. Sie greifen von allen Seiten an. Weil sie den Anschein erwecken wollen, dass sie noch zahlreicher sind, hat er gesagt. Ein Überfall, um uns Angst zu machen, hat er gesagt.«

Eine dem leichenblassen Gesicht des Jungen nach zu urteilen erfolgreiche Strategie.

»Was hat der Präfekt vor?«, fragte Atius, aber der Junge entwand sich seinem Griff und rannte davon.

»Was ist los?«, fragte Silus.

»Ein Angriff der Maeatae. Zweihundert Mann«, sagte Atius. »Wieso lassen sie uns nicht raus, damit wir mitkämpfen können?«

»Zweihundert?«

»Das sind nicht gerade viel, um ein römisches Kastell einzunehmen. Außerdem bist du ihnen entkommen, da müssten sie doch wissen, dass wir vorgewarnt sind.«

»In Dùn Mhèad waren etwa fünfhundert versammelt. Was macht der Rest? Eine andere Befestigung angreifen?«

»Das ergibt doch keinen Sinn. Seine Kräfte aufzuteilen, um zwei Kastelle anzugreifen, anstatt sich auf eines zu konzentrieren, muss unweigerlich auf zwei Fronten zur Niederlage führen. Wollen sie vielleicht vor dem eigentlichen Angriff unsere Verteidigungsmaßnahmen auf die Probe stellen?«

»Nein«, sagte Silus. »Sie sind auf das Überraschungsmoment angewiesen. Auf diese Taktik haben sie sich verlegt, seit sie erkannt haben, dass sie uns in der offenen Feldschlacht nicht schlagen können.«

»Dann vielleicht eine Finte, um die Garnison im Kastell zu beschäftigen, während der eigentliche Angriff einem anderen, verwundbareren Ziel gilt?«

Silus gefror das Blut in den Adern und sein Herz schien einen Schlag auszusetzen. »Der Vicus«, krächzte er mit heiserer Stimme.

Atius verzog das Gesicht. »Da wohnt meine Lieblingshure.«

»Meine Frau und meine Tochter sind dort«, sagte Silus.

Atius starrte ihn an. »Bei Christus! Silus, wir müssen den Präfekten warnen.«

Silus rannte zur Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen. »Wache! Wache!«, rief er. Keine Antwort.

»Der ist wahrscheinlich auch schon zur Verteidigung auf der Mauer«, sagte Atius.

Silus trat frustriert gegen die Tür. Da sie aus massivem Eichenholz bestand, war das einzige Ergebnis ein schmerzender Fuß.

»Geh mal zur Seite«, sagte Atius.

»Die Tür ist viel zu dick. Die können wir unmöglich eintreten.«

Atius holte ein kleines, am Ende gebogenes Stück Metall aus den Tiefen seiner Tunika, ging vor der Tür in die Knie, steckte den Haken in das Schlüsselloch und rüttelte eine Weile daran herum. Ein Klicken ertönte, dann drückte Atius die Tür mit einem Finger auf.

Silus starrte ihn verblüfft an, aber Atius zuckte nur mit den Schultern, und für weitere Fragen blieb keine Zeit.

»Du gibst dem Präfekten Bescheid«, sagte Silus. »Ich muss in den Vicus.«

Im Innenhof herrschte eingehegtes Chaos. Offenbar hatten es einige Barbaren auf die Mauer geschafft und kämpften gegen die dort zur Verteidigung aufgestellten Soldaten, da die Luft von Schreien, Befehlen und dem Klirren von Metall auf Metall erfüllt war. Dennoch kannte jeder Soldat seinen Platz und seine Aufgabe, und die von den Offizieren gebrüllten Anweisungen wurden umgehend ausgeführt. Die Männer wirkten nervös, aber auch entschlossen.

Während Atius zum nächsten Zenturio lief, sah sich Silus auf dem Innenhof um. Die Kampfgeräusche schienen aus den Richtungen aller acht Winde an sein Ohr zu dringen. Doch da er wusste, dass es sich nur um eine Finte handelte, fand er auch schnell heraus, dass die Kriegsrufe der Maeatae aus den meisten Richtungen weniger laut und zahlreich waren. Er suchte sich einen verhältnismäßig ruhigen Abschnitt der Mauer, griff sich auf dem Weg dorthin eine Spatha von einem Haufen aufeinandergestapelter Waffen und lief die Steintreppe zum Wehrgang hinauf. Dass er bewaffnet war, aber keine Rüstung trug, verwirrte die beiden dort postierten Hilfstruppensoldaten. Doch ihre Verwunderung währte nur kurz, dann krachte eine Leiter gegen die Mauer, und vier Barbaren machten sich eilig an den Aufstieg. Silus packte das obere Ende der Leiter, doch mit den vier Männern darauf war sie zu schwer, um sie von der Wand wegzudrücken. Ein Soldat holte einen Stein von einem Haufen in der Nähe und schleuderte ihn gegen den Kopf des obersten Barbaren, woraufhin dieser ohne einen Laut seitlich von der Leiter fiel. Um einen weiteren Stein zu holen, blieb keine Zeit. Schon sprang der zweite Barbar über die Brustwehr.

Der andere Hilfstruppensoldat ging sofort auf den Feind los. Während sich die beiden gegenüberstanden, durchbohrte sein Kamerad den Stammeskrieger von hinten. Dabei kehrte er jedoch dem dritten Barbaren den Rücken zu, der jetzt ebenfalls auf den Wehrgang gesprungen war und mit seinem zweischneidigen Langschwert auf den Hals des unglücklichen Soldaten einhieb. Blut spritzte aus der klaffenden Wunde, und er ging zu Boden. Der andere Hilfstruppensoldat stürzte sich mit Wutgebrüll auf den Barbaren und trieb ihn mit wilden Hieben und Stößen den Wehrgang entlang vor sich her.

Dadurch hatte der vierte Barbar genug Platz, um die Mauer zu erklimmen. Er wandte sich mit erhobenem Schwert zu Silus um und grinste. Ohne Rüstung kam sich Silus im Nahkampf geradezu nackt vor, bis er sich in Erinnerung rief, dass er bei seinen Spähaufträgen ebenfalls ohne Rüstung unterwegs war. Und trotzdem hatte er es geschafft, einen Barbarenhäuptling nur mit einem Messer und einer Fangschlinge zu bezwingen.

Der Stammeskrieger griff zuerst an. Der große, stämmige Mann mit dem verfilzten Haar, in dem Laub und Zweige steckten, bot einen Anblick, wie er einem zivilisierten Römer nicht ferner hätte sein können. Silus überwand seine Furcht und parierte den kraftvollen, über den Kopf geführten Hieb des feindlichen Zweihandschwerts, indem er mit der Spatha die Klinge zur Seite ablenkte. Der Krieger hob erneut das Schwert. Die Muskeln in Brust und Armen spannten sich, als er die schwere Waffe wieder in Angriffsposition brachte. Silus schlug mit der leichteren Spatha zu, doch der Barbar wich geschickt zur Seite aus und schwang sein Schwert in einem horizontalen Bogen.

Silus duckte sich unter der Klinge hindurch, und diesmal gelang es ihm mit einem Gegenangriff, dem Barbaren eine Schnittwunde in der Brust zuzufügen. Der Treffer war bei Weitem nicht tödlich, dennoch bemerkte Silus, dass sein Gegner den nächsten Hieb etwas langsamer ausführte und dabei vor Schmerz die Zähne zusammenbiss. Silus trat zurück, ließ die Klinge an sich vorbeizischen, trat dann schnell wieder vor und stieß die Spatha in den Bauch des Barbaren.

Der Mann krümmte sich zusammen und packte die Klinge, die ihn durchbohrt hatte. Silus stieß ihn mit dem Fuß vom Wehrgang in den Innenhof. Im Fallen verfehlte der Körper um Haaresbreite einen vorbeilaufenden Hilfstruppensoldaten. Silus sah sich nach dem anderen Soldaten auf der Mauer um. Dieser hatte dem Barbaren, der seinen Kameraden getötet hatte, soeben den Todesstoß verpasst. Silus sprang zur Leiter hinüber und machte sich an den Abstieg.

»He! Wo willst du denn hin?«, rief der Hilfstruppensoldat. Ohne ihn zu beachten, kletterte Silus weiter, übersprang die letzten Sprossen und landete auf dem Boden.

Es waren keine weiteren Barbaren in unmittelbarer Nähe, doch in etwa fünfzig Schritt Entfernung machte er im Zwielicht einen Mann auf einem Pferd aus, der eine kleine Barbarengruppe in den Kampf schickte. Die Aufmerksamkeit der Stammeskrieger galt allein der Erstürmung des Kastells, sodass sich Silus schnell und lautlos nähern konnte. Sobald die Krieger auf ihre Leitern gestiegen waren, schälte sich Silus neben dem Pferd des Anführers aus dem Schatten. Der Barbar drehte sich überrascht um, doch noch bevor er einen Schrei ausstoßen konnte, hatte Silus ihn schon gepackt und vom Pferd gerissen. Als der Mann auf dem Boden landete, knackte ein brechender Knochen. Silus war nicht in gnädiger Stimmung. Er trat hinter den Barbaren, legte einen Arm um seinen Hals und drückte zu, bis die verzweifelt um sich tretenden Beine seines Gegners erschlafften. Dann stieg er auf das Pferd, wendete es und ritt im vollen Galopp auf den Vicus zu.

 

Maglorix saß auf dem Rücken eines Pferdes und lauschte erfreut dem Kampflärm, der aus etwa einer Meile Entfernung zu ihm drang. Er hatte genug Männer zum Angriff abgestellt, um die Verteidiger des Kastells zu beschäftigen, und sein eigentliches Ziel – der Vicus am Fuße des Hügels – war völlig ungeschützt. Hinter ihm waren dreihundert Männer versammelt, und ein wohliger Schauer der Vorfreude erfasste ihn, als er sich bewusst machte, dass er nun ihr unangefochtener Anführer war und sie jeden seiner Befehle befolgen würden, um den Tod seines Vaters zu rächen. Und das war erst der Anfang. Sobald der Stamm einmal den süßen Geschmack des Sieges gekostet hatte, würden auch andere seinem Ruf zu den Waffen folgen. Nicht mehr lange, und er hatte eine Armee um sich geschart, die mächtig genug war, um die unbarmherzigen Besatzer für immer aus seinem Land zu vertreiben.

Die Männer wurden allmählich unruhig. Auch sie konnten es kaum erwarten, zu kämpfen, zu verwüsten und zu zerstören. Doch zunächst musste er sich vergewissern, dass die Römer so sehr mit der Verteidigung ihres Kastells beschäftigt waren, dass sie seine weiteren Pläne nicht durchkreuzen würden. Was er vorhatte, war kein einfacher Überfall, bei dem man sich ein paar Hühner und ein, zwei hübsche Mädchen schnappte und sich wieder in die Wildnis zurückzog. Nein, er hatte ein Gemetzel im Sinn, Rache für all die Grausamkeiten und Demütigungen, die man seinem Volk zugefügt hatte. Und die Männer sollten jeden Augenblick davon genießen.

Er wartete, bis sie sich nicht länger zurückhalten ließen, dann wendete er sein Pferd zu den Männern um und hob das Schwert hoch in die Luft.

»Für meinen Vater! Für alle Maeatae, die ermordet, vergewaltigt, bestohlen oder gedemütigt wurden! Der Augenblick der Rache ist gekommen. Keine Gnade! Keine Gefangenen! Lasst niemanden am Leben!«

Sie antworteten mit einem Gebrüll, das ihn wie eine mächtige Welle traf. Er saugte ihren Kampfeswillen förmlich in sich auf, dann wendete er das Pferd wieder, trat ihm in die Flanken und stürmte den vor ihm liegenden Abhang hinunter.

Der Wind fuhr durch sein langes, lockiges Haar. Ein bisher ungekanntes Hochgefühl erfasste ihn, stärker und leidenschaftlicher als bei der ersten Frau, die er entjungfert, aufregender als beim ersten Mann, den er getötet hatte. Dies waren seine Männer. Dies war seine Schlacht. Dies war sein Augenblick.

Sie preschten im Sturm in den Vicus. Die ruhig daliegenden Gassen zwischen den Gebäuden waren lediglich von herumwühlenden oder schlafenden Schweinen und Hühnern bevölkert. Mehrere ältere Kinder spielten mit einem Ball. Angekettete Hunde sprangen auf und beantworteten die Schlachtrufe der Stammeskrieger mit wütendem Gebell. Türen wurden geöffnet und schnell wieder zugeschlagen, entsetzte Mütter und Väter griffen nach ihren bereits auf sie zueilenden Kindern. Die meisten schafften es rechtzeitig vor der Ankunft der Maeatae in die Arme ihrer Eltern, doch letzten Endes würde es keinen Unterschied machen.

Eines der fliehenden Kinder, ein Junge von nicht mehr als zehn Jahren, rannte auf seine schreiende Mutter zu. Maglorix ritt den Jungen nieder und bohrte vor den Augen der Mutter einen Speer in seinen Rücken. Dann riss er das Pferd ruckartig herum, stieg ab und zog das Schwert. Die Mutter warf sich heulend über ihren Sohn, bedeckte seinen toten Körper mit dem ihren. Maglorix trat auf sie zu und trennte ihr mit einem mächtigen Hieb seines großen Schwertes den Kopf von den Schultern.

Er sah sich um. Seine Männer fielen wie Rasende über die kleine Siedlung her. Einige rannten voller Gier nach Gold und anderen zu plündernden Reichtümern direkt zu den Tempeln und Lagerhäusern. Andere suchten in den Hütten nach Frauen. Hier und dort regte sich Widerstand, wo die Einwohner verzweifelt versuchten, mit Messern, Schwertern oder Ackergerät bewaffnet ihre Familien zu beschützen. Andere warfen sich auf die Knie und flehten um Gnade – getötet wurden sie alle. Maglorix sah einen riesenhaften Schmied seinen Hammer schwingen. Ein Stammeskrieger lag bereits mit eingeschlagenem Schädel zu seinen Füßen. Der Schmied schlug den Speer eines weiteren Kriegers beiseite wie einen dürren Zweig, holte erneut aus und zertrümmerte den Brustkorb seines Gegners. Mit finsterer Miene, das Schwert locker in den Händen, ging Maglorix auf ihn zu.

»Mörder«, knurrte der Schmied.

»Das seid ihr auch«, sagte Maglorix in gebrochenem Latein mit starkem Akzent.

Der Schmied hob den Hammer über die Schultern und holte damit aus – schneller, als es Maglorix bei einer Waffe von diesem Gewicht für möglich gehalten hätte, aber dennoch nicht schnell genug. Maglorix wich mühelos aus. Der Schmied trat hammerschwingend auf ihn zu, doch der grinsende Maglorix war zu flink für die Hiebe seines zunehmend verzweifelt wirkenden Widersachers.

Nach und nach verließen selbst den bärenstarken Schmied die Kräfte. Ein vor Erschöpfung nur halbherzig ausgeführter Angriff gab Maglorix die Gelegenheit zum Gegenschlag. Er trat vor, schwang das Schwert und schlitzte dem Schmied mit einem sauberen Schnitt den Bauch auf. Entsetzt blickte der Schmied auf seine hervorquellenden Eingeweide, versuchte noch, nach den glitschigen Strängen zu greifen, und brach dann zusammen.

Maglorix schenkte dem Sterbenden keine weitere Beachtung. Seine Männer traten die Türen der Hütten ein oder brachen einfach mit der Schulter voran durch die Wände der weniger stabil gebauten Behausungen. Die Vergewaltigungen hatten bereits begonnen. Maglorix schätzte es zwar nicht, wenn sich seine Männer derart ablenken ließen, noch bevor das Gefecht zu Ende war, schritt aber nicht ein, um sie davon abzuhalten. Es war ohnehin kaum noch jemand übrig, der Widerstand leistete.

Er marschierte zur nächsten Hütte und trat die Tür ein. Eine alte und eine junge Frau, wahrscheinlich Mutter und Tochter, kauerten im Raum. Er packte die Jüngere an den Haaren, riss ihren Kopf zurück und hielt ihr die Klinge an die Kehle.

»Der römische Soldat«, sagte Maglorix mühsam in schwer akzentgefärbtem Latein. »Der Spion. Wo wohnt er? Wo ist sein Weib?«

Die Frau sah ihn keuchend mit vor Entsetzen großen Augen an.

»Bitte nicht. Nehmt mich stattdessen«, winselte die Alte.

Er zog die Klinge behutsam über die Haut. Blut floss den weißen Hals hinunter. Die junge Frau kreischte.

»Der Späher«, sagte er etwas lauter. »Der Kundschafter. Wo wohnt er?«

»Mutter«, flehte die junge Frau. Verwirrung gesellte sich zur Furcht der Alten.

»Ich weiß nicht, wen Ihr … meint Ihr Silus?«

So hieß er also. Silus. »Wo wohnt er?«

Er zerrte die junge Frau mit sich zur Tür, ohne die Klinge von ihrem Hals zu nehmen. Die Mutter folgte ihr händeringend. Tränen strömten über ihr Gesicht. Sie hob die Hand und deutete auf eine unscheinbare Hütte am Ende der breiten Straße, die mitten durch den Vicus führte. »Da wohnt Silus«, sagte sie. »Bitte lasst meine Tochter gehen.«

Maglorix durchtrennte die Kehle der jungen Frau und stieß sie von sich weg. Während er zielstrebig auf Silus’ Hütte zulief, starb die Frau hinter ihm mit gurgelndem Keuchen. Ihre schreiende Mutter hielt sie in den Armen und wurde in das Blut ihrer Tochter getaucht.

Zwei seiner Krieger näherten sich ebenfalls der Hütte des römischen Spions. Er hielt sie auf, bevor sie die Tür aufbrechen konnten, und sie gehorchten widerwillig. Schon hatten die Maeatae die ersten Fackeln auf die Reetdächer geworfen, mehrere Gebäude standen bereits in Flammen. Maglorix nahm einem vorbeilaufenden Krieger die Fackel ab und schleuderte sie auf das Dach, dann trat er zurück und beobachtete mit einem zufriedenen Grinsen das Schauspiel.

Wie Zunder fing das trockene Reet Feuer. In wenigen Augenblicken brannte das Dach lichterloh, dann fiel es allmählich in sich zusammen. Die Flammen leckten an den Stützpfeilern, dichter Rauch erfüllte die Hütte. Die Tür flog auf und eine Frau und ein kleines Mädchen stolperten hustend und würgend heraus, die Hände zum Schutz vor dem beißenden Qualm vor die Augen gehoben. Das Mädchen hielt einen kleinen Hund in den Armen.

»Ergreift sie«, befahl Maglorix. Die Stammeskrieger packten die Frau und das Kind und zwangen sie vor ihm auf die Knie. Sobald die kleine Hündin auf dem Boden landete, hüpfte sie auf und ab, kläffte Maglorix an und sprang vor, um nach seinen Knöcheln zu schnappen. Maglorix schlug nach der Hündin, verfehlte sie und fluchte, als sie ihre Zähne in seine Zehen schlug. Er beförderte das Tier mit einem kräftigen Tritt durch die Luft, sodass es mit einem Knacken gegen einen Holzbalken prallte und leblos zu Boden fiel.

Maglorix baute sich drohend vor Mutter und Tochter auf. Die Frau versuchte, eine trotzige Miene aufzusetzen, doch dies war nur eine wenig glaubwürdige Fassade, die er mit einem Handrückenschlag ins Gesicht zum Einsturz brachte. Schluchzend umklammerte sie ihre Tochter.

»Du bist die Frau des römischen Spähers, ja?«

Sie sah zu ihm auf und blinzelte sich die Tränen aus den Augen.

»Silus, der römische Spion. Ist das dein Mann?«

Als sie nicht antwortete, deutete er mit dem Schwert auf das Mädchen.

»Ja, ja!«, schrie sie. »Bitte tut ihr nichts.«

»Dein Mann. Silus. Er hat meinen Vater ermordet.«

Eine Miene des Entsetzens und der Verzweiflung huschte über ihr Gesicht. Sie wusste genau, wovon er sprach. Wahrscheinlich hatte Silus vor ihr damit geprahlt, womöglich hatte er ihr das edle Haupt seines Vaters sogar stolz präsentiert.

»Dein Mann hat mir einen geliebten Menschen genommen. Dies zahle ich ihm jetzt mit gleicher Münze heim.«

Silus’ Frau ließ den Kopf sinken und drückte das Gesicht ihrer Tochter an ihre von schweren Schluchzern bebende Schulter. Maglorix befahl einem seiner Männer mit einer Handbewegung, ihr das Kind zu entreißen. Beide fingen an zu kreischen, und das Mädchen hörte selbst dann nicht auf, als er ihm die Schwertspitze vor die Nase hielt. Er warf die Waffe weg, packte das Kind, hob es hoch und schleuderte es auf den Boden. Es war ein harter Aufprall. Der Kopf des Mädchens landete mit einem entsetzlichen Knacken auf einem Stein. Blut floss durch ihre langen Haare und benetzte den Boden. Das Kind rührte sich nicht mehr.

Die Frau starrte es ungläubig mit offenem Mund an. Dann ging sie auf Maglorix los und zerkratzte ihm mit ihren scharfen Nägeln das Gesicht. Sie verfehlte nur knapp das Auge, riss die Haut darunter auf und hinterließ drei blutige Streifen auf seiner Wange. Er schlug ihr fest mit der Faust gegen die Schläfe, und sie krümmte sich halb ohnmächtig zusammen. Anschließend riss er ihre Tunika entzwei und entblößte ihre Brüste und ihren Bauch. Sie wehrte sich, und er befahl seinen Männern, sie festzuhalten, während er seine Hose öffnete.

 

Als Silus den Feuerschein in der Ferne sah, verzagte er. Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz hatte er an der Hoffnung festgehalten, dass er sich irrte. Das Pferd, an dessen Hals er sich klammerte, preschte die Heerstraße entlang, die südlich des Antoninuswalls verlief. Im Gegensatz zu dem in der Regierungszeit Kaiser Hadrians errichteten Steinwall im Süden handelte es sich hierbei lediglich um eine Torfaufschüttung auf einem Steinfundament mit einem tiefen Graben auf der Nordseite. Dennoch war das Ganze eine einigermaßen effektive Verteidigungsanlage – aber nur, wenn sie auch bemannt war. Da die römische Garnison mit dem als Ablenkungsmanöver dienenden Scheinangriff auf das Kastell beschäftigt war, hatten die Maeatae den Wall ungehindert überwinden können. Die Straße zum Vicus, auf der nachts sowieso kaum Betrieb herrschte, war nun völlig verlassen.

Silus war kein besonders guter Reiter, doch die Verzweiflung hielt ihn im Sattel. Als er sich dem Vicus näherte, liefen ihm die ersten Fliehenden entgegen – ein junger, unbewaffneter und entsetzt dreinblickender Mann, der rannte, so schnell er konnte, dann eine Mutter mit tränenüberströmtem Gesicht, die mit einem Säugling in den Armen die gepflasterte Straße entlangstolperte. Er hätte gerne angehalten, um sich zu erkundigen, was im Vicus vor sich ging, mit wie vielen Angreifern sie es zu tun hatten und aus welcher Richtung sie kamen, doch er durfte keine Zeit verlieren. Außerdem wusste er sowieso nicht so recht, wie er dem gestreckten Galopp des Pferdes Einhalt gebieten sollte.

Dann preschte er den Hügel vor dem Vicus hinauf und starrte entsetzt auf das Bild der Zerstörung, das sich vor ihm auftat. Beinahe jedes Gebäude stand in Flammen, und als er näher kam, sah er die Verwüstungen, das Blutvergießen, die Toten, die vergewaltigenden und mordenden Stammeskrieger.

Vollends im Griff von Angst und Wut ließ er das Pferd den Hügel hinunter und auf seine Hütte zustürmen. Er sah seine Frau und seine Tochter, sah, wie Maglorix Sergia zu Boden warf, wie sie leblos liegen blieb, sah Velua, die von den Kriegern festgehalten wurde, während Maglorix die Hose herunterließ.

Im letzten Moment übertönten Hufschläge die Kakofonie aus Gebrüll, Geschrei und dem Prasseln des Feuers. Maglorix sah sich überrascht um. Silus ließ sich vom Pferd und direkt auf den Stammeshäuptling fallen. Beide Männer gingen zu Boden, doch Silus war darauf vorbereitet. Er rollte sich ab, sprang auf und zog dabei in einer fließenden Bewegung das Schwert. Ohne zu zögern, ging er auf Maglorix los.

Einer der beiden Krieger, die Velua festhielten, zog blitzschnell sein eigenes Schwert und wehrte Silus’ Klinge damit ab. Dieser biss vor Wut die Zähne zusammen, als der Maglorix geltende Hieb abgelenkt wurde und ihn um ein großes Stück verfehlte. Der Krieger schlug nach Silus, der durch einen Sprung nach hinten auswich, bevor er seinerseits kräftig zustieß. Die Klinge drang durch die Kehle tief in den Hals des Kriegers, der daraufhin gurgelnd die Augen verdrehte und die Waffe mit beiden Händen packte. Selbst im Todeskampf war sein Griff so fest, dass er Silus das Schwert aus den Händen riss, als er seitwärts zu Boden sank.

Maglorix setzte sich auf den Boden, zog hastig die Hose hoch und suchte dann im flackernden Schein der brennenden Gebäude nach seinem Schwert. Der verbliebene Krieger war unschlüssig, ob er Silus angreifen oder weiter dessen Frau festhalten sollte. Velua nahm ihm die Entscheidung ab, indem sie die Zähne in seinen Unterarm schlug. Er heulte auf, dann verpasste er ihr einen so kräftigen Hieb mit dem Handrücken gegen das Kinn, dass ihre Kiefer mit lautem Klappern aufeinanderprallten. Sie taumelte zurück und stöhnte dabei etwas Unverständliches.

Silus entriss dem toten Krieger das Schwert und überlegte, wen er als Nächstes angreifen sollte, den unbewaffneten Maglorix oder den Maeata, der inzwischen die Hände um Veluas Hals gelegt hatte.

Er hatte keine andere Wahl.

Silus rammte dem Krieger, der seine Frau würgte, die Klinge in den Rücken, sodass sie vorne wieder aus dem Körper trat. Damit blieb Maglorix genug Zeit, um sich wieder zu erheben, Silus mit Wutgebrüll hinterrücks zu ergreifen, hochzuheben und dann auf den Boden zu schleudern.

Silus streckte die Arme aus, um die Wucht des Aufpralls abzufangen, und schlug dennoch mit solcher Heftigkeit auf der Erde auf, dass es ihm die Luft aus der Lunge drückte. Sofort rappelte er sich wieder hoch, und dann stand er Maglorix erneut gegenüber, in gegenseitigem Hass vereint.

Mittlerweile waren andere Krieger hinzugekommen. Silus’ dramatische Ankunft auf dem Pferderücken sowie das anschließende Handgemenge hatten ihre Aufmerksamkeit erregt, und widerstrebend ließen sie von ihren jeweiligen Vergnügungen ab. Zwei Krieger zogen die Schwerter und näherten sich Silus, doch Maglorix bedeutete ihnen, sich zurückzuhalten.

Silus ballte die Fäuste und starrte dem Barbaren in die Augen, um nicht seine nackte Frau oder den reglosen Körper seiner Tochter ansehen zu müssen.

»Mein Vater«, sagte Maglorix mit knurrender Stimme.

»Meine Tochter«, entgegnete Silus, der die Worte nur mit Mühe herausbrachte.

»Ja. Und bald auch deine Frau. Während du zusiehst.«

Silus suchte nach den richtigen Worten, doch ihm wollte keine heldenhafte Erwiderung einfallen. War das also das Ende? Es sah ganz danach aus, auch wenn ein kleiner Teil von ihm der festen Überzeugung war, dass es sich nur um einen Albtraum handeln konnte, aus dem er bald aufwachen würde. Sergia war tot. Bald würden sie Velua vergewaltigen und ermorden. Dann war er an der Reihe. Unbewaffnet inmitten einer Barbarenhorde, deren Häuptling er ermordet und anschließend seinen Leichnam geschändet hatte. Seine Beine zitterten, sein Darm drohte sich zu entleeren.

Nein! So durfte es nicht enden. Velua sollte sehen, wie er für sie kämpfte und starb.

Mit Wutgeheul ging er auf Maglorix los. Der Barbar war zwar größer und breiter als Silus, rechnete aber nicht mit einem so rasenden, plötzlichen Angriff und ging rücklings zu Boden, als er sich auf ihn stürzte. Silus fing sofort an, das Gesicht des Barbarenfürsten mit Schlägen zu bearbeiten, sodass der Kopf hin und her geschleudert wurde. Seine Fäuste schlugen blutige Wunden, und der Barbar verlor einen Zahn. Um den wütenden Angriff aufzuhalten, wusste sich Maglorix nicht anders zu helfen, als Silus fest zu umklammern. Dann versuchte er, sich auf seinen Gegner zu rollen, doch Silus nutzte den Schwung zu einer vollständigen Drehung, nach der er einmal mehr obenauf zu liegen kam. Maglorix war eindeutig stärker und wahrscheinlich auch erfahrener im Schwertkampf Mann gegen Mann. Silus dagegen hatte von seinem Vater, der nicht zimperlich mit den Fäusten gewesen war, in den Kasernen sowie auf seinen Erkundungseinsätzen viele schmutzige Tricks gelernt.

Silus klemmte Maglorix’ Arme mit den Knien ein und schlug weiter auf sein Gesicht ein. Die Nase des Barbaren brach mit einem Knacken, Blut und Rotz spritzten auf seine Wangen und seinen Bart. Mit einem wütenden Brüllen versuchte Maglorix, Silus abzuwerfen. Beim ersten Mal konnte sich Silus dagegen wehren, indem er sich kräftig an seinem Gegner festklammerte und weiter mit aller Kraft auf diesen einschlug.

Letzten Endes musste er sich jedoch der Körperkraft des größeren Mannes geschlagen geben. Maglorix bäumte sich abermals auf und rollte sich herum, sodass Silus zur Seite geschleudert wurde und mit dem Gesicht voraus im Dreck landete.

Bevor er sich wieder erheben konnte, war Maglorix über ihm und drückte ihn mit seinem Gewicht nieder. Er packte Silus’ Haar, riss seinen Kopf zurück und schlug ihn mit Wucht gegen den Boden. Wäre dieser aus Stein gewesen, hätte Silus den Aufprall wohl nicht überlebt. Doch auch die feuchte Erde war noch hart genug, um ihn kurzzeitig außer Gefecht zu setzen. Winzige Lichtpunkte tanzten vor seinen Augen, Schwärze kroch vom Rand seines Sichtfelds heran, doch er kämpfte mit aller Entschlossenheit gegen die Bewusstlosigkeit an.

Maglorix legte einen Arm um seine Kehle und drückte zu. Silus’ Brustkorb hob und senkte sich, als er versuchte, durch die gequetschte Luftröhre zu atmen. Doch noch bevor er erstickte, wurde ihm schwarz vor Augen.

Einige Augenblicke später kam er wieder zu sich und rang nach Atem. Alles drehte sich, die Luft war von beißendem Rauch erfüllt und die Hitze, die von seinem lodernden Haus ausging, versengte ihm eine Gesichtshälfte. Er rollte sich auf den Bauch, stemmte sich auf alle viere hoch und hustete so heftig wie ein kranker Hund. Dann blickte er auf.

Zwei Krieger hielten die nackte und halb bewusstlose Velua fest. Maglorix ließ ein weiteres Mal die Hose herunter, drehte sich zu Silus um und präsentierte ihm den steifen Penis, mit dem er seine Frau zu schänden gedachte. Silus hob in einer flehenden Geste die Hand.

»Bitte nicht«, krächzte er mit heiserer Stimme.

Maglorix spuckte auf ihn. Der Speichel landete in Silus’ Augen, wo er sich mit seinen Tränen mischte. Silus, der alles nur verschwommen sah, wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken ab, während Maglorix sich zwischen Veluas Beine kniete und ihre Schenkel mit den eigenen Beinen auseinanderdrückte. Velua schüttelte den Kopf und wehrte sich kraftlos.

Dann durchschnitt der Klang einer Trompete den Lärm. Maglorix hielt inne und sah sich verwirrt um. Ein junger Krieger kam auf ihn zugelaufen.

»Was ist?«, fragte Maglorix barsch.

Der junge Krieger schnappte nach Luft. »Römer. Hunderte.«

»Bei der heiligen Hexe, so schnell? Wieso wissen sie von unserem Überfall?«

Einen Moment lang regte sich Hoffnung in Silus’ Herz.

»Wie weit sind sie entfernt?«, fragte Maglorix.

»Sie werden in wenigen Augenblicken hier sein. Reiterei mit Fußsoldaten dicht dahinter.«

Maglorix schien hin- und hergerissen, er warf einen Blick auf Velua. Dann sah Silus mit großer Erleichterung, dass er die Hose wieder hochzog.

»Messer«, befahl Maglorix und streckte die Hand aus.

Der Krieger drückte den Griff seines Dolches in die Handfläche des Häuptlings. Ohne ein weiteres Wort bohrte Maglorix die Klinge in Veluas Herz. Sie keuchte, wollte sich aufsetzen, riss vor Schreck die Augen auf. Dann sank sie wieder auf den Boden zurück und ein letztes Zittern durchfuhr sie, bis sie schließlich still dalag.

Silus starrte sie mit offenem Mund an. Die Welt um ihn herum verschwand, verengte sich auf das leere, bleiche Gesicht seiner Frau. Noch bewahrte ihn die schiere Fassungslosigkeit vor dem Schmerz. Wie war das möglich? Er kroch auf Händen und Knien auf Velua zu, nahm sie fest in die Arme, wollte sie aufsetzen. Seine Tränen tropften in ihr Blut.

»Nicht doch, Velua, Liebste. Es tut mir leid. Es tut mir leid.«

Maglorix stieß ein kehliges Lachen aus. Der zu ihm aufblickende Silus bot ein so jämmerliches Bild des Elends, dass Maglorix und seine Männer vor Gelächter nicht an sich halten konnten. Silus hätte sich mit einem Wutschrei auf den Barbaren stürzen müssen, mit Zähnen und Klauen und allem, was ihm zur Verfügung stand, doch er war wie gelähmt. Er sah einfach nur zu, wie der Mörder seiner Frau das Blut von der Klinge leckte und dann mit breitem Grinsen auf Silus zutrat.

Mit einem Mal bebte der Boden unter Hufschlägen. Die dreißig Reiter einer vollständigen Turma stürmten heran. Maglorix blickte wütend auf, und seine Miene verfinsterte sich weiter, als er sah, wie schnell sich die Reiterei näherte. Die Krieger blickten ihren Häuptling verzagt an. Maglorix zögerte, dann wandte er sich seinen Männern zu. »Was wir tun wollten, haben wir getan. Wir haben die Römer wieder gelehrt, uns zu fürchten. Kehren wir nach Hause zurück. Abmarsch.«

Das ließen sich die Krieger nicht zweimal sagen. Sie räumten die Straße und zerstreuten sich in alle Richtungen. Maglorix zögerte immer noch, wog die Entfernung zum herannahenden Reitertrupp gegen die Zeit ab, die er brauchte, um Silus zu töten. Schließlich traf er eine Entscheidung.

»Es ist noch nicht vorbei, Römer«, sagte er. »Noch ist meine Rache nicht vollendet.« Er steckte das Messer weg und rannte zu seinem geduldig wartenden Pferd.

Plötzlich kam Bewegung in Silus. Er rannte hinter dem Barbarenfürsten her, und als Maglorix auf das Pferd springen wollte, packte Silus sein Bein und zog. Maglorix fiel fluchend auf den Boden. Silus packte ihn und zog ihn in eine stahlharte Umarmung. Maglorix trat nach ihm, dann bearbeitete er seinen Rücken mit den Fäusten. Silus wehrte sich nicht, er hielt Maglorix einfach nur fest, ertrug die auf ihn einprasselnden Hiebe mit fest zusammengekniffenen Augen. Seine Kraft schwand, er war benommen von den Schlägen und spürte, wie sich sein Griff lockerte.

Plötzlich ließ Maglorix von ihm ab. Silus öffnete vorsichtig die Augen. Sie waren von römischer Hilfstruppenreiterei umringt. Die Soldaten hatten ihre Schwerter drohend auf Maglorix gerichtet. Silus ließ den Barbaren los und sank erschöpft zu Boden.

Ein Zenturio ritt langsam auf ihn zu. Silus hob den Kopf und blickte in Geganius’ wütendes Gesicht. »Dekurio Artorius«, bellte Geganius, »leg diesen Barbaren in Ketten und lass ihn von vier Männern ins Kastell bringen. Die übrige Turma soll den Rest zur Strecke bringen. Keiner wird verschont.«

Der Dekurio salutierte. Vier Männer packten Maglorix, der Silus noch einen letzten, hasserfüllten Blick zuwarf, und führten ihn ab, wobei sie recht unsanft mit ihm umsprangen. Dann gab der Dekurio seinem Pferd die Sporen und nahm an der Spitze seiner Männer die Verfolgung der Barbaren auf. Die Reiter waren zwar immer noch in der Unterzahl, doch die Maeatae hatten sich zerstreut, und einzeln waren sie leichte Beute für die berittenen Soldaten. Dennoch gelang den meisten die Flucht, und die Römer konnten nur wenige erwischen, bevor sie endgültig über alle Berge waren.

Geganius stieg trotz seiner Leibesfülle behände ab, ging neben Silus in die Hocke, legte eine Hand auf seine Schulter und ließ sie einen Augenblick schweigend dort ruhen. Silus öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton heraus.

Kurz darauf trafen die Fußsoldaten ein. Geganius teilte sie in verschiedene Trupps ein, die die Feuer löschen, sich um die Verwundeten kümmern und die Toten einsammeln sollten. Dabei wich er Silus, der bei seiner Frau und seiner Tochter saß und am ganzen Körper zitterte, nicht von der Seite.

Atius näherte sich. Er war kreidebleich.

»Es tut mir so leid, Silus«, sagte er. »Ich habe es versucht. Ich habe Geganius Bescheid gegeben, und der ist sofort zu Menenius gelaufen und hat ihn dazu überredet, genug Männer zur Rettung des Vicus bereitzustellen. Menenius wollte der Verteidigung des Kastells Vorrang einräumen, aber Geganius hat hartnäckig darauf bestanden.«

»Wir sind so schnell geritten, wie wir konnten«, sagte Geganius. »Es tut mir sehr leid, dass wir nicht …« Er verstummte, betrachtete die Leichen und wandte sich schnell wieder ab.

Atius ging neben Silus in die Hocke, schlüpfte aus seinem Caracallus und legte den langen Kapuzenmantel über die Schultern des Trauernden. Atius und Geganius sahen sich hilflos an, dann schüttelte Geganius verzweifelt den Kopf, während Atius die Augen schloss und ein Gebet sprach.

»Herr Christus heilige Maria, ich bitte euch, nehmt diese Kinder bei Euch auf. Segnet sie, vergebt ihnen ihre Sünden und nehmt sie ins Paradies auf immerdar.«

Silus verkrampfte sich bei diesen Worten, schwieg jedoch.

Geganius nickte. »Lass sie ziehen, Soldat«, sagte er.

Silus umklammerte seine Familie noch fester. Geganius packte ihn am Handgelenk und wollte ihn wegziehen. Als dieser Widerstand leistete, ließ der Zenturio wieder los und sah Atius hilflos an.

Silus spürte einen leichten, aber hartnäckigen Druck an seinem Bein und sah an sich herab. Issa schmiegte ihre Schnauze an ihn. Ihr Rückenfell war versengt, ihr Kiefer hing in einem unnatürlichen Winkel herab und ein Vorderbein schien gebrochen. Wieder stupste sie ihn an. Silus nahm sie in die tauben Arme. Sie wimmerte und versuchte, sein Gesicht abzulecken.

Atius half Silus auf, führte ihn mit Geganius’ Unterstützung zu einem Pferd und setzte ihn darauf. Silus drückte Issa fest an seine Brust.

»Wir kümmern uns um sie«, sagte Geganius leise. »Und auf diesen barbarischen Cunnus wartet die Hinrichtung, und zwar so qualvoll wie nur möglich. Atius, bring ihn zum Kastell zurück.«

Atius nahm die Zügel und führte Silus langsam davon.