Silus saß vor Maglorix und starrte den Barbaren durch die Eisenstäbe hindurch an. Der Käfig, in dem sich der Häuptling befand, stand im Freien, sodass Maglorix den Blicken der ganzen Stadt sowie den Elementen schutzlos ausgeliefert war. Sein langes, gewelltes Haar war vom Regen völlig durchnässt und klebte an seinem Schädel.
Auf Befehl von Augustus Caracalla war Maglorix nach Eboracum gebracht worden, der größten Stadt im Norden der Insel, Hauptquartier der bei der Expeditio Felicissima Britannica – der von Septimius Severus angeordneten Strafexpedition – eingesetzten Legionen sowie Residenz der Kaiser in Britannien. Menenius hatte Silus und Atius die Erlaubnis erteilt, sich der Eskorte anzuschließen, die unter Geganius’ Befehl den Gefangenen von Voltania nach Eboracum gebracht hatte. Nun sollte er Caracalla vorgeführt werden, damit dieser das Todesurteil über ihn sprach. Obwohl Maglorix’ Käfig auf einem Fuhrwerk transportiert worden war und allen anderen (einschließlich des in der Reitkunst wenig bewanderten Silus, der sich den Hintern wund geritten hatte) Pferde zur Verfügung gestellt worden waren, hatte die Reise eine Woche gedauert. Währenddessen war Silus oft bei Maglorix gewesen, auch wenn es nicht viel zu sagen gab.
Atius war Silus ein großer Trost auf dieser Reise gewesen. Er hatte sich um ihn gekümmert – sei es, weil es sein merkwürdiger Glaube von ihm verlangte, sei es, weil er aufrichtig Anteil an Silus’ Trauer nahm – und dafür gesorgt, dass er aß, auch wenn er keinen Hunger hatte, und genug Bier trank, um den Schmerz zu lindern, aber nicht zu viel, damit er nicht von Übelkeit oder zusätzlicher Trübsal geplagt wurde. Er hatte zugehört, wenn sich Silus die Trauer von der Seele reden, oder geschwiegen, wenn dieser seine Ruhe haben wollte. Es war ihm sogar gelungen, Silus mit seinen albernen Späßen ein- oder zweimal ein Lächeln zu entlocken. Silus fragte sich, ob die Reise ohne Atius womöglich durch Maglorix’ oder sein eigenes Ableben ein vorzeitiges Ende genommen hätte.
Nun erwiderte Maglorix mit leicht spöttischer Miene seinen Blick.
»Es juckt, nicht wahr?«, fragte der Gefangene mit seinem gallischen Akzent.
Silus antwortete nicht, legte aber leicht den Kopf schief.
»Oder ist es wie ein Feuer, brennt es so heiß, dass du dir am liebsten das Herz herausreißen würdest? Das Verlangen, mich zu töten, meine ich natürlich.«
Silus schwieg weiterhin. »Silus, du bist ein braver kleiner römischer Soldat, richtig?«, fuhr Maglorix fort. »Du gehorchst deinen Vorgesetzten, wo dir doch die Ehre befiehlt, mein Blut zu vergießen. Aber du kannst nur dasitzen und mich anstarren, du Schlappschwanz. Ich bin kein Schlappschwanz, davon hätte sich deine Frau ja beinahe überzeugen können. Du warst zu schwach, um mich aufzuhalten. Sie hätte beinahe herausgefunden, wie sich ein guter harter Maeata-Schwanz im Gegensatz zu deinem schlaffen römischen Würstchen anfühlt.«
Silus’ Kiefermuskeln verkrampften sich, da er die Zähne so fest zusammenbiss. Ansonsten ließ er sich nicht anmerken, dass ihn Maglorix’ Spott bis ins Mark traf, doch dies war für den Barbaren Ansporn genug, um weiterzusticheln. »Oder wusste sie das bereits? Man weiß ja, wie die Soldatenfrauen sind. Der Mann ist ständig unterwegs und niemals zu Hause, und für Spione wie dich gilt das ja erst recht. Da hat sie sich doch sicher irgendwann einsam gefühlt. Zweifellos hat sie für jeden die Beine breitgemacht, der ein klein wenig Zeit und Zuwendung für sie übrig hatte. War das kleine Mädchen überhaupt von dir? Irgendwie hatten ihre Gesichtszüge ein bisschen was Kaledonisches.«
Silus warf sich gegen die Gitterstäbe, rüttelte wie rasend daran, steckte die Arme in den Käfig, um den Barbaren zu packen, ihm wehzutun, ihn zu töten. Zwei Soldaten mussten ihn vom Käfig wegzerren, und im Handgemenge gab ihm einer mit dem Schwertknauf einen Stoß in die Nieren. Silus geriet ins Taumeln, dann warf er sich abermals auf den Käfig. Maglorix brüllte vor Lachen, als die Soldaten Silus niederrangen und sich auf ihn setzen mussten, um ihn zu bändigen.
Schnell versammelte sich eine kleine Menschenmenge um die fluchenden Soldaten, die des vor Wut schäumenden Silus Herr zu werden versuchten.
Alle genossen das Spektakel, bis eine laute und befehlsgewohnte Stimme ertönte. »Was ist denn hier los, verdammte Scheiße?«
Geganius und Atius bahnten sich einen Weg durch die Gaffenden, bis sie vor Silus standen. »Verpisst euch, und zwar allesamt!«, kommandierte der Zenturio.
Widerstrebend folgte die Menge der Anordnung und zerstreute sich.
Atius schüttelte den Kopf. »Mist. Silus, hättest du dich nicht beherrschen können?«
»Bei Mithras’ heiligem Arsch, was soll ich nur mit dir machen, Silus? Ich wusste gleich, dass es eine Scheißidee ist, dich mitzunehmen. Helft ihm hoch«, befahl er den Hilfstruppensoldaten.
Die Soldaten standen widerwillig auf und halfen ihm auf die Beine. Maglorix lachte noch immer.
»Und du« – Geganius wandte sich dem grinsenden Barbaren zu – »hast du schon mal von Vercingetorix gehört? Oder vielleicht von Spartacus? Jugurtha? Alles stolze, edle Krieger. Erdrosselt, gekreuzigt, verhungert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Augustus Caracalla ein ähnliches Ende für dich vorgesehen hat. Aber das wird sich morgen ja zeigen.«
Maglorix lauschte Geganius’ Worten mit einem spöttischen Grinsen, doch Silus glaubte, einen winzigen Funken der Verunsicherung in seinen Augen flackern zu sehen. Er gab sich mit diesem schwachen Trost zufrieden und ließ sich von Atius wegführen.
Die Sonne stand noch tief und kletterte nur mühsam den klaren, blauen Himmel hinauf. Sie spendete keine Wärme, dafür war es zu früh. Silus, der in voller Uniform strammstand, musste ein Zittern unterdrücken. Neben ihm standen Atius und alle anderen, die der Hinrichtung beiwohnen würden, darunter auch die Männer, die Maglorix von Voltania nach Eboracum gebracht hatten, sowie eine Abordnung Legionäre von der in Eboracum stationierten Legio VI Victrix. Geganius stand mit breiter Brust vor ihnen. Auf einer nahe gelegenen offenen Fläche direkt vor der Stadtmauer war ein Haufen aus Zunder und Holzscheiten aufgeschichtet, aus dessen Mitte ein großer Pfahl mit einem kleinen, unmittelbar über dem Scheiterhaufen angebrachten Fußbrett ragte.
Marcus Aurelius Severus Antoninus Augustus – wegen des langen gallischen Kapuzenmantels, den er stets und, wenn man den Gerüchten glauben wollte, sogar im Bett trug, allgemein als Caracalla bekannt –, ritt auf einem prächtigen schwarzen Wallach die Reihen auf und ab und inspizierte die Truppe.
Sobald er damit fertig war, wendete er das Pferd zu den Männern um. Auch viele Einheimische hatten sich versammelt, um einen Blick auf den Sohn des Kaisers zu werfen und die Hinrichtung zu genießen. Nicht wenige der Anwesenden hatten bei den Überfällen der Pikten und Kaledonier Freunde und Familienmitglieder verloren, insbesondere in den Jahren unmittelbar vor Severus’ Expeditio Felicissima Britannica, als der Norden der Provinz unter ständigen Angriffen gelitten hatte. Vor drei Jahren hatte ein groß angelegter Barbareneinfall die Bevölkerung so schwer getroffen, dass der Statthalter Lucius Alfenus Senecio sich gezwungen sah, den Kaiser und den Senat um Hilfe gegen die Barbaren anzuflehen. Für Kaiser Septimius Severus, der gelangweilt in Rom saß und zwei aufsässige Söhne zu beschäftigen hatte, war dies eine Gelegenheit zu Ruhm und Abenteuer gewesen, die er sich nicht entgehen lassen wollte, und er hatte seine Legionen für den Krieg gerüstet.
Sein ältester Sohn Caracalla war ein herber, auf dem Schlachtfeld gehärteter Mann. Silus beobachtete ihn fasziniert, war er dem Erben des Imperiums doch noch nie so nahe gewesen. Caracalla hatte kurze, dunkle Locken, eine wulstige Stirn, ein kantiges Kinn und ein von einem Bart umrahmtes, braun gebranntes Gesicht mit einem scheinbar ewig grimmigen Ausdruck. Er war breit und muskulös, und die mit den Legionen im Feld verbrachten Monate und Jahre hatten ihre Spuren auf seinem Körper hinterlassen: Es bestand kein Zweifel, dass dieser Mann über die nötige Stärke verfügte, die die Herrschaft über ein Imperium verlangte.
Caracalla richtete das Wort an die Versammelten. »Wir befinden uns im Krieg«, rief er, und sofort kehrte vollkommene Stille ein. »Wir kämpfen gegen einen Feind ohne Ehre. Einen Feind, der lieber die Flucht ergreift, als sich im offenen Kampf zu stellen. Der sich versteckt wie ein Feigling und uns heimtückisch überfällt wie ein Halsabschneider aus der Gosse. Der unbewaffnete und schutzlose Zivilisten abschlachtet und vergewaltigt und ihre Siedlungen verwüstet, Siedlungen wie den Vicus beim Kastell Voltania, die von den Maeatae unter Führung eines heimtückischen Barbaren namens Maglorix gebrandschatzt wurde. Ein Mann, wenn man ihn denn als solchen bezeichnen will, der es nicht wagte, den tapferen römischen Soldaten im Kastell selbst gegenüberzutreten, aber bereit war, einen Teil seiner Männer bei einem als Ablenkungsmanöver dienenden Scheinangriff zu opfern. Ein Mann, dem es Vergnügen bereitete, über die Unschuldigen herzufallen: wehrlose Handwerker, Händler, Arbeiter in Diensten der Armee mit ihren Familien, ihren Frauen und Kindern.«
In der Menge brach leises Gemurmel aus, das sogar auf die Soldaten übergriff. Geganius drehte den Kopf und funkelte seine Männer böse an. Sofort herrschte Ruhe, wenn auch nur unter den Soldaten. Die einfache Bevölkerung empörte sich weiterhin.
»Viele mussten bei diesem Überfall ihr Leben lassen, doch viele wurden auch gerettet, und das ist der Tatkraft eines einzelnen Mannes zu verdanken. Gaius Sergius Silus, tritt vor.«
Als Silus so unerwartet seinen Namen hörte, setzte sein Herz einen Schlag lang aus. Dann jedoch marschierte er gehorsam nach vorne, bis er vor dem jungen Augustus stand. Caracalla musterte ihn genau, während sich Silus Hilfe suchend nach Geganius umsah. Dieser deutete mit dem Kopf in Richtung Boden, worauf Silus sofort mit gesenktem Haupt auf die Knie fiel.
»Dieser Mann, obwohl durch eine frühere Verfehlung in Ungnade gefallen und unter Arrest, hat den Angriff vorausgesagt. Nicht nur, dass er die Besatzung des Kastells alarmierte, sodass das Ablenkungsmanöver mühelos und ohne nennenswerte Verluste zurückgeschlagen werden konnte, nein – er war auch der Erste, der das wahre Ziel des Überfalls erkannte. Nachdem er seinen Vorgesetzten in Kenntnis der Lage gesetzt hatte, eilte er ohne Achtung der Gefahr, in die er sich begab, dem Vicus zu Hilfe. Weil er Alarm schlug und den Kampf mit dem Feind aufnahm, bis Verstärkung eintraf, konnte er an diesem Tag viele Leben retten. Das seiner Familie war bedauerlicherweise nicht darunter.«
Silus war froh darüber, dass er den Kopf gesenkt hielt. So sah niemand die Tränen, die sich in seinen Augenwinkeln sammelten. Er mahlte mit den Kiefern und rang um Fassung.
»Dafür sollst du dreifach belohnt werden«, sagte Caracalla und legte seine Hand auf Silus’ Kopf. »Erstens seien dir deine Verfehlungen vor dem Angriff vergeben. Zweitens – halt die Hände auf.«
Silus blickte auf und hob die Hände. Geganius reichte Caracalla einen kleinen, mit einer Gravur versehenen Silberbecher. Der Augustus gab ihn an Silus weiter, der ihn wortlos entgegennahm.
»Ich verleihe diesen Becher einem Mann, der sich außergewöhnlich großer Gefahr gestellt und einen Feind im Zweikampf besiegt hat«, sagte Caracalla.
Silus drehte den Becher in den Händen, während sein Blick über die kunstvolle Gravur huschte, die uniformierte Legionäre bei der Niederwerfung ängstlich vor ihnen kauernder Barbaren zeigte. Sein Körper fühlte sich taub an und als würde er über sich selbst schweben und auf sich hinunterblicken. War er wirklich hier, kniete vor dem Sohn des Kaisers und ließ sich von ihm auszeichnen, während Sergia und Velua auf dem kleinen Friedhof vor dem Vicus begraben lagen?
Caracalla beugte sich vor und sagte mit so leiser Stimme, dass nur Silus ihn hören konnte: »Mein aufrichtiges Beileid.«
Dann stellte er sich wieder gerade hin und wandte sich der Menge zu. »Nun zu meiner dritten Belohnung. Bringt den Gefangenen her!«
Eine kleine Tür in einem der Tortürme öffnete sich, und zwei stämmige Hilfstruppensoldaten führten den nackten, an den Händen gefesselten Maglorix heraus. Sobald die Menge ihn erblickte, ertönten verächtliches Johlen und Schmährufe. »Mörder! Barbar! Schweinefickende Fotze!«
Maglorix ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Ein höhnisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel, bis dies einer seiner Wächter bemerkte und ihm mit den Ellenbogen einen kräftigen Stoß in die Rippen versetzte. Das Lächeln erlosch, kehrte jedoch bald wieder zurück und verwandelte sich in ein breites Grinsen, als Maglorix den knienden Silus erblickte.
Silus erhob sich langsam, ohne Caracallas Aufforderung abzuwarten, und starrte den Mann an, der seine Welt in Schutt und Asche gelegt und ihm das Herz aus der Brust gerissen hatte. Er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten, biss die Zähne zusammen und trat einen Schritt vor. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und hielt ihn zurück. Er drehte sich wütend um und sah, dass die Hand Caracalla gehörte, der ihn mitfühlend anblickte.
»Warte, Silus«, sagte er. »Ich habe noch ein letztes Geschenk für dich.« Er machte den Wachen ein Zeichen. »Bindet ihn fest.« Die Wachen führten Maglorix zum Scheiterhaufen und scheuchten ihn auf das Fußbrett. Maglorix wehrte sich nicht. Offenbar hatte er die Aussichtslosigkeit seiner Lage erkannt und wollte so lange wie möglich die Würde bewahren. Die Wachen fesselten mit geschickten Bewegungen seine Hände hinter dem Pfahl und banden ein weiteres Seil fest um seine Taille. Während man Maglorix zum Richtplatz geführt hatte, war Geganius losgegangen, um eine brennende Fackel zu holen. Caracalla nickte ihm zu, woraufhin Geganius Silus die Fackel gab und zurücktrat.
»Gaius Sergius Silus, du, der du alles in deinen Kräften Stehende getan hast, um diesem Barbaren das Handwerk zu legen. Du, der alles verloren hat, was ein Mann nur verlieren kann. Die Ehre, das Feuer zu entzünden, das dem Leben dieses Barbaren ein Ende setzen wird, sei dein.«
Silus betrachtete die Fackel in seiner Hand. Sie war am Ende von einem mit Kalk und Schwefel behandelten Tuch umhüllt, damit sie länger brannte. Beißender Rauch stieg ihm in die Nase, und einen Augenblick lang roch er die brennenden Häuser und das verkohlte Fleisch, hörte die Schreie der Sterbenden, sah …
Er holte tief Luft und atmete langsam aus.
»Habt Dank, Augustus«, sagte er und ging zum Scheiterhaufen hinüber. Maglorix sah ihn hochmütig an, doch als Silus in seine Augen blickte, sah er Verunsicherung und Angst darin. Was dachte dieser Mann gerade? Glaubte er, bis zum Ende tapfer sein zu können? Silus wusste, dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt war.
»Hübsch, das Ding«, sagte Maglorix und deutete mit dem Kinn auf den Becher, den Silus locker in der Hand hielt.
»Er wurde mir verliehen, weil ich zwei deiner Freunde erschlagen habe. Deinen Vater zu töten hingegen war an sich schon Belohnung genug. Und dich zu töten ist ein Vergnügen für mich.«
Maglorix erstarrte, dann lächelte er wieder.
»Der Holzhaufen hier ist nicht besonders hoch«, sagte er. »Glaubt ihr, das reicht? Ich weiß, ihr Römer seid der Ansicht, dass man auch mit winzigem Werkzeug Großes vollbringen kann, doch ich versichere euch, dass eure Frauen das anders sehen als ihr.«
»Der Scheiterhaufen ist so niedrig, um deine Todesqualen zu verlängern«, sagte Silus kühl. »Ich habe mir sagen lassen, dass man in einem großen Feuer schnell am Rauch erstickt, manchmal schon, bevor einen die Flammen überhaupt berühren. Doch dieses Feuer wird langsam brennen. Es wird das Fleisch von deinen Beinen fressen, während dein Herz noch schlägt und sich deine Lunge noch bläht wie ein Blasebalg. Es wird den Schwanz erreichen, auf den du so stolz bist, und ihn zusammenschnurren lassen wie eine verkohlte Wurst. Und bevor du stirbst, wird es sich über deine Eingeweide hermachen. Deine Schreie werden eine sehr lange Zeit über zu hören sein.«
Diesmal wusste Maglorix nichts darauf zu erwidern. Silus bemerkte, dass ein Rinnsal aus Urin den Oberschenkel des Barbarenfürsten hinunterlief.
»Hast du nichts mehr zu sagen, Häuptling?«, fragte Silus. »Keine Scherze, keine letzten Worte?«
»Mein Schatten wird dich heimsuchen«, flüsterte Maglorix.
Als Silus diesmal dem zum Tode Verurteilten in die Augen sah, lief ihm ein Schauer über den Rücken, der ihn vor Kälte erstarren ließ.
»Nun mach schon!«, rief jemand aus der Menge. Andere stimmten in den Chor ein. »Na los! Lass den Mörder brennen! Mach dem Barbaren den Garaus!«
Silus warf die Fackel in das Heu, das trockene Laub und die dürren Zweige am Fuß des Scheiterhaufens. Das Kleinholz fing sofort Feuer. Maglorix sah zu, wie die Flammen langsam zum Leben erwachten, anfangs noch klein wie ein Keimling im Frühling, dann rasend schnell wachsend. Schon hatte es die dickeren Äste erreicht. Silus trat zurück, als es zu heiß wurde, doch den Blick wandte er nicht ab. Maglorix starrte hasserfüllt zurück, blieb so lange aufrecht und ruhig stehen, wie er konnte, doch dann wurde der Schmerz in Füßen und Unterschenkeln so groß, dass er es nicht mehr aushielt und erst zu zappeln und dann zu schreien begann.
Die mit einem Mal in der Menge entstehende Unruhe und das Gemurmel, das sich bald zu überraschten Schreien steigerte, ließen ihn herumfahren. Die Zuschauer hatten sich von der Hinrichtung abgewandt und deuteten auf einen Trupp Prätorianer, der sich im Laufschritt näherte. Als sie die Menge fast erreicht hatten und keine Anstalten machten, langsamer zu werden, starrte sie selbst Caracalla offenen Mundes an.
Acht Prätorianer pflügten durch die Zuschauer bis ins Zentrum des Geschehens. Ihr Kommandant, ein hochgewachsener, dünner Mann, der auf einem Pferd saß und sich gegen die Kälte die Kapuze seines Umhangs über den Kopf gezogen hatte, deutete auf den Scheiterhaufen. Zwei Prätorianer rannten hinüber, hackten ungeachtet der Hitze und des Qualms auf das brennende Holz ein und zerstocherten die Glut mit Speeren und Schwertern und löschten so das Feuer mit ebenso mutiger wie hartnäckiger Effizienz. Nachdem er einen Augenblick lang wie gelähmt zugesehen hatte, trat Silus vor, um sie aufzuhalten, doch zwei weitere Prätorianer stellten sich ihm mit zur Hälfte gezogenen Schwertern in den Weg.
»Ihr da! Hört sofort auf damit!«, brüllte Geganius, bleich vor Wut. »Auf wessen Befehl hin wagt ihr es, diese Hinrichtung zu stören?«
»Auf meinen«, sagte der Kommandant der Prätorianer und zog die Kapuze zurück. Ungläubig starrte Silus in das dunkle, glatte Gesicht. Es war Geta, der jüngste Sohn des Kaisers, anhand seiner Aufmachung und der im Imperium allgegenwärtigen Münzen und Statuen der kaiserlichen Familie leicht zu erkennen.
Inzwischen war das Feuer so weit gelöscht, dass ein Prätorianer zum Pfahl treten und Maglorix davon herunterschneiden konnte. Der Barbarenfürst schrie, als ihn die Soldaten herauszerrten und auf das Gras warfen. Maglorix lag auf dem Rücken, hustete und heulte vor Schmerz. Seine Füße und Unterschenkel waren verkohlt und mit Blasen übersät, aber auch von zu viel Ruß und Asche bedeckt, als dass Silus hätte erkennen können, wie schwer die Verbrennungen waren.
Man holte einen Eimer Wasser und schüttete ihn über Maglorix’ Füße und einen weiteren über sein Gesicht, was seine Schreie verstummen ließ und das Husten verschlimmerte. Silus starrte fassungslos den Mann an, dessen Tod ihm gerade noch unausweichlich erschienen war.
Caracalla stürmte mit vor Wut verzerrtem Gesicht auf Geta zu. Dieser blickte hochmütig auf ihn herab.
»Runter vom Pferd, Bruder«, zischte Caracalla.
Geta dachte einen Augenblick darüber nach, dann stieg er provokant langsam ab. Jetzt, wo sie sich gegenüberstanden, war deutlich zu erkennen, wie verschieden die beiden Brüder waren. Insbesondere der Altersunterschied von fünfzehn Jahren war unübersehbar: Caracallas drahtiger Bart war voller, sein grob geschnittenes Antlitz härter, seine Schultern breiter und die Arme muskulöser. Im Gegensatz zu Geta hatte Caracalla schon in jungen Jahren die Legionen bei ihren Feldzügen begleitet, und wie sein Vater, der ihn vor zwölf Jahren zum Augustus ernannt hatte, das unstete Leben eines sich ständig im Krieg befindlichen Kaisers gelebt. Geta dagegen war erst letztes Jahr zum Augustus erhoben worden, angeblich auf Wunsch seiner Mutter Julia Domna, und hatte sich zeit seines Lebens nicht wie Caracalla mit dem Kommandieren von Legionen, sondern mit Fragen der Verwaltung und der Bürokratie beschäftigt.
Die Unterschiede beschränkten sich nicht auf die von ihrer jeweiligen militärischen Erfahrung geprägte Physis. Caracalla strotzte nur so vor Selbstvertrauen. Er war etwas größer als Geta und sah mit einem höhnischen Lächeln auf ihn herab, die Hände nicht auf, aber in der Nähe seiner Spatha.
Geta ließ sich davon nicht einschüchtern. Seine rechte Hand fuhr zum Griff des Schwertes, das auf seiner linken Seite hing.
»Ich sollte dich auf der Stelle niedermachen lassen«, knurrte Caracalla. Zivilisten und Soldaten gleichermaßen verfolgten staunend die öffentliche Auseinandersetzung dieser beiden mächtigen Männer.
Einer von Getas Prätorianern trat vor und zog sein Schwert halb aus der Scheide. Unwillkürlich machte auch Silus einen Schritt nach vorn und ließ die Klinge zur Hälfte aus der Scheide gleiten. Sein Brustkorb berührte beinahe die seines Gegners. Sie sahen sich herausfordernd in die Augen, als sehnten sie eine unbedachte Bewegung des anderen förmlich herbei. Aus Silus’ tiefstem Inneren stieg eine kalte Wut auf, die beim geringsten Anlass hervorbrechen würde.
»Waffe runter«, sagte Geta. Der Soldat schob ohne zu zögern die Waffe wieder in die Scheide und trat zurück.
»Du auch, Silus«, sagte Caracalla, und Silus gehorchte widerwillig.
Geta lächelte. »Mein lieber Bassianus, willst du deinen Bruder nicht umarmen?«, fragte er. Ihn bei diesem Namen zu nennen, den Caracalla in seiner Jugend getragen hatte, bevor ihm sein Vater aus politischen Gründen einen anderen gegeben hatte, war eine geringschätzige Geste, die der ältere Bruder mit einem finsteren Blick und einem verächtlichen Knurren beantwortete.
»Erkläre dich, kleiner Publius«, sagte Caracalla.
»Geliebter Bruder«, sagte Geta, »warum wählst du nur immer den Weg der Gewalt? Krieg, Blutvergießen und Hinrichtungen. Manchmal ist eine andere Lösung vorzuziehen.«
»Jetzt hör mal zu, du kleiner Scheißer«, sagte Caracalla. Aus der Menge war erschrockenes Keuchen zu hören. »Während du auf deinem faulen Hinterteil gesessen und dein Siegel auf Beschaffungsbefehle für so wichtige Dinge wie Schreibtafeln und Socken gedrückt hast, war ich da draußen« – er deutete vage Richtung Norden – »und habe gegen die Maeatae und Kaledonier gekämpft. Mir die Hände schmutzig gemacht. Mit Blut.«
»Ich weiß sehr wohl, dass es unser Vater für richtig erachtet hat, dir einen Befehlshaberposten zu übertragen«, sagte Geta schmallippig. »Und es ist mir auch nicht entgangen, dass du uns die Barbaren durch deine Gräueltaten erst recht zum Feind gemacht hast.«
»Gräueltaten?« Caracalla hob die Stimme, doch Geta sprach einfach über ihn hinweg.
»In den meisten Fällen ist es jedoch von Vorteil, das große Ganze im Blick zu behalten – was dir auch hin und wieder gelingen könnte, wenn du nicht so starrköpfig wärst.«
»Bruder, du gibst mir keine Befehle, und du wirst auch diese Hinrichtung nicht aufhalten.«
»Ich nicht. Vater schon.«
Caracalla verengte die Augen zu Schlitzen. »Wovon redest du da?«
Geta streckte die Hand aus, und einer seiner Männer gab ihm eine mit einem roten Wachssiegel verschlossene Schriftrolle, die er sofort an Caracalla weiterreichte. Der ältere Augustus prüfte das Siegel übertrieben genau, bevor er es brach, und überflog den Inhalt der Rolle, dann schleuderte er sie in die knisternden Glutbrocken, die vom Feuer noch übrig waren. Sie ging sofort in Flammen auf und verbrannte zu Asche. Caracalla sah Geta voller Hass an, dann drehte er sich auf dem Absatz um und machte sich auf den Rückweg zum Kastell.
Geganius stand stramm, die Augen geradeaus, und gab seinen Männern so zu verstehen, dass sie bis auf Weiteres seinem Beispiel zu folgen hatten. Silus sah sich um. Er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Maglorix lag neben ihm auf dem Rücken. Er hustete nicht länger, und als sich ihre Blicke trafen, gelang ihm trotz der Schmerzen ein spöttisches Grinsen.
»Tja, Silus«, krächzte er. »Offenbar bin ich heute noch nicht an der Reihe.« Er krümmte sich zusammen, als er erneut von einem Hustenanfall geschüttelt wurde.
»Mitnehmen«, befahl Geta seinen Männern. Zwei Soldaten packten ihn unter den Achseln und hoben ihn hoch. Maglorix schrie auf, sobald seine versengten Sohlen das Gras berührten. Die Soldaten versuchten ihn hinzustellen, doch seine Knie gaben unter seinem Gewicht nach, und ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihn rückwärts zu einem Pferd zu schleifen und ihn kurzerhand quer über den Sattel zu werfen.
Geta stieg wieder auf, gab seinem Ross die Sporen und setzte sich mit einem kurzen, leichten Galopp an die Spitze seiner sich bereits auf dem Rückweg befindlichen Prätorianer. Die Hufe wirbelten große Erdklumpen auf, wovon einer Silus im Gesicht traf. Dann verschwand Geta hinter den Mauern des Kastells. Sobald die Hufschläge verklungen waren, herrschte Stille.
Geganius wandte sich zu seinen Männern um. »Was glotzt ihr so dämlich? Die Vorstellung ist vorbei. Rührt euch und zurück an die Arbeit. Und ihr verschwindet ebenfalls«, rief er den Zivilisten zu. »Wird’s bald?«
Während sich die Menge allmählich zerstreute, stand Silus immer noch völlig fassungslos da. Geganius kam auf ihn zu.
»Tut mir leid, Soldat«, sagte er zerknirscht. »Aber das ist was Politisches zwischen den beiden …«
»Nein«, sagte Silus leise.
»Wie war das, Soldat?«, fragte Geganius mit drohendem Unterton.
»Nein, habe ich gesagt.« Silus wurde laut. »Nein!« Noch lauter. »Damit werde ich mich nicht abfinden.« Nun schrie er.
»Reiß dich zusammen«, befahl Geganius.
»Silus.« Atius legte ihm besänftigend die Hand auf die Schultern. Silus schüttelte sie ab.
»Wie könnt ihr das zulassen?«, schrie Silus. »Dieser Barbar hat Unschuldige abgeschlachtet. Frauen und Kinder. Meine Frau und meine Tochter!«
»Es ist nicht an uns, die …«
»Damit werde ich mich nicht abfinden!«, brüllte Silus, machte einen Schritt auf den Zenturio zu und zog das Schwert. Geganius blieb völlig ruhig, als Silus damit ausholte. In seinem Herzen kämpften Wut und Trauer gegen Pflichtgefühl und Ehre. Silus umklammerte den Griff des Schwertes so fest, dass sich seine Finger weiß färbten und die Muskeln in seinen Unterarmen zitterten. Dann ließ er die Waffe fallen, ging in die Knie, ließ den Kopf hängen und schluchzte.
Kräftige Hände griffen unter seine Achseln und zogen ihn hoch.
»Silus«, flüsterte Atius, »was zur Hölle soll denn das werden?«
»Eure Befehle, Herr?«, fragte der andere Mann, der ihn festhielt, ebenfalls ein Hilfstruppensoldat aus Voltania.
»Sperrt ihn ein, bis er sich wieder beruhigt hat«, sagte Geganius.
»Und dann?«
»Er wurde gerade eben vom Augustus persönlich geehrt, außerdem hat er seine Familie verloren. Lasst ihn … einfach gehen.«
»Ja, Herr.« Atius und der Soldat führten den schluchzenden Silus, der keinen Widerstand leistete, in die Festung und abermals in eine Zelle.
Caracalla, der im Schatten der Stadtmauer stand, hatte alles aufmerksam beobachtet.
Gleichwohl Silus nur zu den Hilfstruppen gehörte, wurde er von den Legionären mit Respekt behandelt. Immerhin waren sie soeben Zeuge gewesen, wie Caracalla ihn geehrt hatte – derjenige der beiden kaiserlichen Brüder, dem das Herz der Soldaten gehörte, weil er aus eigener Erfahrung mit den Härten und Gefahren des Soldatenlebens vertraut war. Silus bekam frisches Brot, Fleisch, mit nicht zu viel Wasser vermischten Wein und eine bequeme Matratze.
Eine der beiden Wachen vor der Gittertür seiner Zelle war Atius. Doch sosehr sich sein Freund auch um eine Unterhaltung oder überhaupt irgendeine Reaktion bemühte, Silus weigerte sich, ihm in die Augen zu sehen, geschweige denn ihm Antwort zu geben. Er lag nur auf dem Rücken, starrte zur Decke hoch und lenkte sich von der Seelenqual und Wut ab, indem er in den Schimmelflecken darauf Formen zu erkennen versuchte. Die Stelle in der Ecke ähnelte einem Wolfskopf. Dabei dachte er an Issa, die ihn auf seiner Reise begleitet hatte und sich nun in der Obhut eines Kasernensklaven befand. Der Fleck in der Mitte konnte eine alte Frau mit langer Nase und spitzem Kinn sein, seiner Tante ähnlich, die ihn nach dem Tod seiner Mutter aufgezogen hatte. Eine andere Verfärbung im Putz erinnerte ihn an Sergias kleine Puppe.
Scheiße.
Mit einem Mal bekam er keine Luft mehr. Er keuchte, warf sich auf die Seite, rollte sich zusammen wie eine Haselmaus, vergrub das Gesicht in den Händen und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an. Er zitterte am ganzen Körper.
»Schnell, aufmachen«, befahl Atius. Die andere Wache kramte den Schlüssel hervor. Atius riss ihn ihm aus der Hand, öffnete das Schloss, warf die Tür auf und war in zwei Schritten bei Silus. Er ging vor der Matratze in die Hocke, legte die Arme um seinen Freund und drehte ihn herum, sodass er sich an seiner Brust ausheulen konnte.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis der letzte Schluchzer verklungen war. Atius hielt ihn die ganze Zeit über fest, und auch er vergoss Tränen ob des Leids und der Trauer seines Freundes.
Endlich war der Brunnen versiegt, und Atius ließ Silus vorsichtig los. Dieser wischte sich mit einer rauen Hand über das Gesicht und sah zu ihm auf.
»Bitte entschuldige, dass du das mitansehen musstest«, sagte er heiser.
»Wage es bloß nicht, dich zu entschuldigen, du Schwachkopf«, sagte Atius und gab ihm einen so festen Schubs gegen die Schulter, dass Silus auf der Matratze hin und her schaukelte.
»Es ist so ungerecht«, sagte Silus tonlos.
»Der Herr unser Gott …«, fing Atius an, dann hielt er inne und sah auf Silus herab. »Scheiße, ja«, sagte er. »Es ist ungerecht.«
Dann saßen sie schweigend nebeneinander auf der Matratze. »Warum?«, fragte Silus. »Hat dir irgendjemand verraten, warum sie ihn gerettet haben? Wieso er freigelassen wurde?«
»Kein Sterbenswörtchen«, sagte Atius.
Silus schloss eine Weile die Augen, dann starrte er aus dem Fenster. Die Sonne hinter den Gitterstäben kam ihm unangemessen fröhlich vor. Die Geräusche der Stadt, die Fuhrwerke, das Quieken der Schweine, das Jaulen der Hunde, die Rufe der Kinder und Händler erweckten den Eindruck, als wäre alles wie immer. Hatte außer Silus denn niemand mitbekommen, dass die Welt in Trümmern lag?
»Ich muss es auf eigene Faust erledigen«, sagte er. »Weil diese Arschlöcher ja wohl nicht in der Lage dazu sind. Wenn ich meine Familie rächen will, muss ich es selbst in die Hand nehmen.«
Atius schwieg einen Augenblick, dann drückte er seinen Arm. »Ich kann dich gut verstehen, mein Freund. Auch ich habe jemanden bei dem Überfall verloren, wenngleich mein Verlust nicht mit dem deinen zu vergleichen ist.«
»Bitte verzeih, das wusste ich nicht. Wen denn?«
»Diese Hure, von der ich dir erzählt habe. Die hatte ich wirklich gern.«
Silus sah ihn prüfend an und glaubte an einen grausamen Scherz, bis er zu seiner Überraschung erneut Tränen in den Augen seines Freundes sah. Er nickte. »Danke.«
Wieder saßen sie schweigend nebeneinander. Die andere Wache ließ sie gewähren, reichte Atius sogar Wasser, das ein Sklave brachte. Er bot es Silus an, der einen Schluck nahm, und trank dann selbst.
»Hast du dich wieder beruhigt?«
»Ja. Mehr oder weniger.«
Atius nickte. »Dann werde ich den Zenturio mal fragen, ob wir dich freilassen dürfen.« Er stand auf, doch noch bevor er die Zellentür erreichte, erschien Geganius und räusperte sich.
»Gaius Sergius Silus«, verkündete er mit dröhnender Stimme, »der Augustus verlangt nach dir.«
Silus und Atius sahen sich verwundert an. Dann legte Atius den Kopf schief. »Welcher denn?«, fragte er mit einem leichten Grinsen.
Silus fürchtete, dass diese Frage zu unverschämt gewesen war, doch der Zenturio runzelte nur die Stirn. »Aurelius Antoninus selbstverständlich!«
Caracalla. Atius hielt Silus die Hand hin und zog ihn auf die Beine.
»Dürfen wir uns wenigstens umziehen, damit wir einigermaßen vorzeigbar sind, wenn wir dem Augustus gegenübertreten?«, fragte Silus.
»Nein«, sagte Geganius. »Er will euch sofort sehen.«
Atius klopfte Silus den gröbsten Schmutz, den Staub und das Stroh von der Tunika und rückte sie zurecht. Geganius öffnete die Tür und marschierte mit seinen beiden Soldaten im Gefolge schnurstracks zur Kaiserresidenz im Zentrum der Stadt. Dort versperrten ihnen Prätorianer mit roten Umhängen den Weg, während ein Sklave in das Gebäude eilte, um die Besucher anzukündigen. Er kehrte rasch zurück, sie wurden eingelassen und erhielten einen Prätorianerzenturio als Eskorte.
Eine solche Pracht hatte Silus noch nie gesehen. Und dabei war ihm durchaus bewusst, dass es sich hier nur um eine zeitweilige Residenz der kaiserlichen Familie handelte, deren Prunk nicht im Mindesten an ihre Paläste in Rom heranreichte. Dennoch – die kunstvoll verzierten Säulen, die Statuen und Fresken, die vielen Sklaven beiderlei Geschlechts, die wichtige Dokumente, Essen und Wein herumtrugen, die makellosen Prätorianer, die Wache standen, dies alles ließ ihm die Augen übergehen. Das hier war von den zugigen Hütten und Kasernen, in denen er sich normalerweise aufhielt, so weit entfernt wie der Olymp oder das Elysium.
Atius und Geganius sahen sich in ähnlich atemlosem Staunen um, obwohl Atius sichtlich darum bemüht war, sich dies nicht anmerken zu lassen. Der Prätorianer führte sie zu einer hellroten, goldbeschlagenen Doppeltür und klopfte laut. Die Tür schwang auf und der Prätorianerzenturio scheuchte sie hindurch. Sie betraten einen großen Saal, an dessen gegenüberliegendem Ende Caracalla auf einem von zwei bulligen Prätorianern flankierten Thron saß.