Kapitel 15 – Rote Augen und ihre Folgen

Synarek saß auf den untersten Stufen der Treppe seines Turmes und lauschte der Musik, die er mehr spürte als hörte, und er stellte sich vor, wie die Dämonenbeschwörer und ihre Schüler ihre Rituale ausführten, Dämonen tanzten und Zauber vorführten, wie sie sich berieten und sich in seltsamen Sprachen unterhielten. Wie gerne würde er sich dort aufhalten und zuhören, was sie dort besprachen, und zusehen, was sie dort drinnen veranstalteten. Seit Madim ihn das Dämonenlied singen lassen hatte, fühlte er sich in seinem Glauben bekräftigt, ein geborener Dämonenbeschwörer zu sein. Er versuchte, Wörter aus dem Gesang herauszuhören, aber der Gesang war zu leise und die Musik zu laut, als dass er etwas verstehen konnte.

»Na, Dämonenspürer, wie hat dich denn der Dämonenmann bestraft? Hat er dich vielleicht Dämonenmist essen lassen?«

Synarek drehte sich beinahe gleichgültig zu Sahnil um. In seinen Augen war Sahnil zu einem dummen, ungebildeten Gewöhnlichen geschrumpft. Schließlich gehörte er nicht zu dem beschränkten Kreis derjenigen, die die Fähigkeit hatten, die Anwesenheit von Dämonen zu spüren.

»Nein. Viel schlimmer«, gab er einfach nur knapp zurück. Das würde ihn zufriedenstellen, und er hätte seine Ruhe.

Aber Sahnil war nicht alleine, Hadem und Fletsh waren bei ihm. Nun war ihre Neugierde geweckt worden.

»Was hat er denn sonst gemacht? Hat er dich angezündet?«, fragte Fletsh hoffnungsvoll.

»Dann würde ich doch kaum ohne eine Brandverletzung hier vor dir sitzen, oder?«, antwortete Synarek spöttisch.

»Kann ja sein, dass die Verletzungen unsichtbar sind, er ist ein Magier und zu allem fähig. Vielleicht brennt das Feuer ja immer noch unsichtbar auf dir und ...«

»Halt die Klappe, Fletsh«, zischte Sahnil und sah Synarek böse grinsend an. »Ich denke, es hat was mit einem richtigen Monstrum zu tun.«

»Wenn ich ehrlich sein soll, seid ihr alle sehr weit davon entfernt«, grinste Synarek.

»Warum hilfst du uns dann nicht auf die Sprünge?«, fragte Sahnil und tat so, als sei er gelangweilt, aber seine Augen funkelten voller Neugierde.

»Ich denke nicht, dass es von einer so großen Bedeutung für euch sein wird«, meinte Synarek belustigt. »Lasst euch doch einfach selbst bestrafen!«

»Sag es endlich!«, drohte ihm Hadem und packte ihn mit einer Hand am Kragen, während die andere zur Faust geballt drohend vor Synareks Gesicht auftauchte.

»Schon gut.« Synarek schüttelte Hadem von sich ab und stellte sich vor ihnen auf: »Zuerst einmal hat er mir die Augen verbunden, damit ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde, und dann hat er angefangen, eine seltsame Formel vor sich hin zu murmeln.«

Die Jungen sahen ihn gespannt an, und Synarek unterdrückte ein innerliches Grinsen.

»Als er fertig war, hörte ich ein schreckliches Geräusch, es hörte sich an, wie ein lautes Gurgeln aus der Hölle selbst!« Er machte eine dramatische Pause, dann fuhr er fort: »Ich konnte ja nichts sehen, also sagte Madim zu mir, dass es ein Ungeheuer der aller schlimmsten Art sei, das auf seinem Rücken Stacheln hatte, so lang wie ein Dolch. Auf einmal packte er mich und stieß mich zu Boden, dort zog er meine Schuhe aus und stellte mich barfuß auf das Ungeheuer! Er sprach seltsame Worte zu ihm, und seine Stacheln durchbohrten meine Füße. Ich hüpfte herum und versuchte, auf eine Stelle zu treten, wo es keine Stacheln gab, aber es war zwecklos ...« Er seufzte gespielt, und die drei Jungen sahen ihn gespannt an. Innerlich lachte sich Synarek über ihre Leichtgläubigkeit kaputt. »Er ließ mich also auf dem stacheligen Rücken des Monstrums tanzen, bis ich auf einmal auch noch Stacheln an meinem Rücken spürte und zu fallen drohte. Er sagte mir, dass das Monster mit seinem Stachelschwanz nach mir schlug! Er befahl mir, mein Hemd auszuziehen, so dass das Monstrum besser treffen konnte ... oh, es war furchtbar.«

»Diese Stacheln werden langsam langweilig«, bemerkte Sahnil.

»Ich wünschte, es wäre bei den Stacheln geblieben«, seufzte Synarek und versuchte, nicht zu lachen, als er sah, wie das Interesse Sahnils sofort wieder aufflammte. »Ich wurde auch gebissen. In meine Beine und Arme.«

Synarek zog eine Grimasse, die schmerzerfüllt aussehen sollte, während er sich ans Bein griff.

»Das hast du auch verdient«, lachte Sahnil, und Hadem und Fletsh kicherten etwas zögerlich im Hintergrund.

»Kommt, Leute, das müssen wir den anderen erzählen«, rief Sahnil, und die drei kehrten ihm den Rücken zu und verschwanden.

Synarek grinste, schon bald würde sich das falsche Gerücht, sicherlich angereichert mit einigen Übertreibungen, durch das ganze Schloss verbreiten. Alle würden denken, dass seine Füße durchbohrt waren und seine Beine zerbissen und dass sein Rücken verunstaltet war, wobei Letzteres leider der Wahrheit entsprach.

Synarek war Madim äußerst dankbar, dass er ihn nur blind durch sein Zimmer geleitet und ihn singen lassen hatte, denn wenn er die Tortur hätte durchstehen müssen, die er sich gerade ausgedacht hatte, dann wäre er wohl physisch am Ende gewesen. Er wollte nicht mal daran denken, wie seine Füße am Ende ausgesehen hätten ... Er fröstelte.

Er erinnerte sich daran, wie er das erste Mal von Zabban mit Dämonen ausgepeitscht worden war. Es war nach seinem zweiten Fluchtversuch gewesen. Ein seltsames, damals noch neues Gefühl hatte ihn die ganze Zeit begleitet, während er in Zabbans Raum geführt wurde. Zabban hatte mit einem bösen Lächeln mit den Fingern geschnipst, und zwei stinkende Wolken hatten sich vor seinen Augen gebildet. Seine Augen hatten angefangen zu brennen und zu tränen. Die kleinen Wolken verwandelten sich in Dämonen, die auf den ersten Blick wie geflügelte rosige Schweine aussahen, allerdings mit langen Klauen und Zähnen, die ihnen aus dem Maul herausragten. Beim näheren Hinsehen waren ihm immer mehr Eigenarten aufgefallen, die sie von Schweinen unterschieden, wie zum Beispiel die langen Hörner und Stacheln am Rücken. Damals hatte er so etwas wie Furcht vor ihnen verspürt, jetzt erschienen sie ihm nur noch lächerlich, denn er hatte schon längst stärkere gespürt und sich an sie gewöhnt. Sie alle handelten nur nach Befehlen, und solange die Befehle, die sie ausführten, ihn nicht gefährdeten, hatte er keine Angst vor ihnen.

Synarek stand seufzend auf und machte sich auf den Weg in die Küche, in der er heute Abend noch rasch putzen musste. Während er mit dem Waschlappen einen besonders hartnäckigen braunen Fleck auf dem Boden bearbeitete, gingen ihm Madims letzte Worte noch einmal durch den Kopf. Er hatte es für möglich gehalten, dass die magische Präsenz der Dämonen womöglich Erinnerungen in Synarek hervorriefen, als er, wie Madim vermutete, als kleiner Junge unterrichtet worden war oder dabei war, als jemand unterrichtet wurde. »Die Dämonen senden Signale aus, Teile ihrer Magie, die sie preisgeben, um anzukündigen, dass sie da sind.«

Ob diese Magie auch nutzbar ist?, fragte sich Synarek und beäugte sein Spiegelbild in der quadratischen Glasabdeckung über dem Ofen. Synarek spürte, dass irgendwo im Gang vor der Küche ein Dämon war, und er fragte sich, ob er dessen ausstrahlende Magie benutzen konnte. Er überlegte.

Dann fixierte er gebannt sein Spiegelbild und dachte: Rote Augen! Alle Dämonen benutzen rote Augen, um ihre Opfer einzuschüchtern. Mal sehen, ob ich das auch schaffe.

Er konzentrierte sein ganzes Denken auf seine Augen und starrte unverwand in den Spiegel. Gleichzeitig sog er gleichsam das Vibrieren, das in der Luft lag, auf. Er wusste, dass Dämonenmeister die Magie der Dämonen benutzten, und er versuchte, etwas von dieser Magie aus der Luft zu nehmen. Irgendwann, nach einer Ewigkeit, wie es ihm schien, glaubte er, einen roten Funken in seinen Augen aufblitzen zu sehen, aber bevor er sich dessen versichern konnte, flog die Küchentür hinter ihm auf, und er fuhr herum.

Mizo und Fletsh stürmten herein und blieben vor ihm stehen: »Oh, da ist ja scho..« Fletsh brach abrupt ab, und beide schrien vor Entsetzen auf, während sie ihn mit schreckgeweiteten Augen anstarrten.

Dann waren drei Schreie zu hören. Mizo und Fletch schrien in Panik, während sie aus der Küche flüchteten, wogegen Synareks ein Triumphschrei war, während er zum Spiegel stürmte.

»Ja! Es hat funktioniert!«, rief er aus. »Rote Augen!«

So machten sie das also, die Dämonenmeister! Sie bedienten sich der Magie aus der Luft.

Tatsächlich waren seine Augen in ein dunkles Rot getaucht, und wenn er sie schmal zu Schlitzen kniff, leuchteten sie in einem helleren Rot auf. Synarek war fasziniert, doch als er Schritte näher kommen hörte, fuhr er zusammen: Zabban!

Diese Augen müssen sofort weg, rief er sich in Gedanken zu und starrte wieder in den Spiegel. Seine Augen wurden schneller wieder blaugrau, als dass sie rot geworden waren. Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte er sich wieder dem Boden zu und tat so, als hätte er seinen Blick nie von dem tückischen Fleck am Boden abgewandt.

»Synarek!«, brüllte Zabban, und er musste zusammenzucken, obwohl er wusste, was kommen würde. Scheinbar verwirrt blickte er auf. »Ja?«

Hinter ihm kamen Sahnil und ein paar andere Bedienstete herein. Mizo und Fletsh sahen ihn verängstigt an, was jedoch keiner zu beachten schien.

»Ich habe gehört, du hast Mizo geärgert, und es hat wieder einmal mit Dämonen zu tun.«

»Zabban, ich habe hier lediglich den Boden geschrubbt. Wie ihr seht, habe ich es hier mit einem sehr eigenwilligem Fleck zu tun ...« Er deutete mit dem Waschlappen auf den Fleck.

»Zabban! Er hatte so rote Augen!«, brüllte Feltsh dazwischen. »Sie haben geleuchtet, und dann hatte er noch ein dämonisches Grinsen auf den Lippen.«

»Das ist überhaupt nicht wahr!«, protestierte Synarek. »Wie hätte ich das machen sollen?«

Zabban schien zu überlegen, dann schnipste er plötzlich mit den Fingern: »Ich weiß es! Du bist tatsächlich von einem Dämon besessen! Madim hat dir wohl versehentlich einen eingehaucht, vielleicht dachte er, so würdest du Lümmel besser werden, aber es scheint nicht geklappt zu haben!«

Synarek sah ihn verwirrt an: »Nein! Ich bin total normal.«

»Wir haben hier zwei Zeugen, die das genaue Gegenteil behaupten«, schaltete sich Sahnil ein. »Und wenn ich ehrlich bin, Hadem, Fletsh, sah er vorhin nicht auch schon etwas seltsam aus? Als würde er durch uns durchstarren, und seine Zähne schienen leicht aus seinem Mund herauszustehen. Natürlich dachten wir, es wäre eine Täuschung, aber jetzt ...«

Synarek starrte Sahnil mit einem ungläubigen Blick an: »Was?!«

Sahnil grinste nur, aber Hadem bestätigte ihn: »Ja, er hatte auch eine merkwürdige Gesichtsfarbe.«

»Zabban, das ist nicht wahr! Das ist eine Lüge!«, protestierte Synarek lauthals.

»Halt deine verdammte Klappe!«, brüllte Zabban zurück, und Synarek schluckte einen bitteren Kommentar herunter.

»Komm mit, das magische Fest hat gleich eine kurze Pause, und ich werde schon jemanden finden, der sich um dich kümmern wird«, grinste Zabban.

»Sollen wir mitkommen?«, fragte Sahnil, beinahe hoffnungsvoll.

»Nein, das mache ich schon.«

Und so zog Zabban Synarek einmal mehr hinter sich her, und diesmal ließ er einen unsichtbaren Dämon lange Tentakel über seinen Mund und weitere um seinen Hals legen: »Solange du brav folgst, geschieht dir nichts.«

Synarek folgte Zabban, dabei fragte er sich, ob Zabban ihn dieses Mal einfach umbringen würde, aber er wusste, dass Zabban sich nicht selber die Hände schmutzig machen würde. Zabban musste das Eigentum seines Herren, also auch Synarek, hüten. Er würde sich nie wagen, seinem Herren, der dank seiner Dämonen Lüge von Wahrheit unterscheiden konnte, gestehen zu müssen, dass er für Synareks Tod verantwortlich war, und irgendjemandem, wenn auch nur dem letzten Dämon des Schlosses, würde sein Verschwinden auffallen.

Zabban würde natürlich als Erster gefragt, denn er war für Synarek verantwortlich.

Ein hartes Klopfen und die Erkenntnis, dass sie stehen geblieben waren, ließ Synarek aus seinen Gedanken herausschlüpfen. »Ja? Was ist?«

»Könnte ich bitte Tzandi sprechen?«, bat Zabban höflich.

Während jenseits der Türe nach dem Gewünschten gerufen wurde, dachte Synarek bitter, dass Zabban noch nie in einem annähernd so freundlichen Ton mit ihm gesprochen hatte. Wäre er ein Adliger, sähe alles ganz anders aus!

Ein hochgewachsener Mann, der auch Zabban überragte, trat aus dem Raum. Sein schulterlanges, dunkles Haar, durchzogen von vielen grauen Strähnen, hing ihm ins Gesicht, so dass es einen Schatten auf seine Augen warf und seine lange Hakennase umso stärker betonte. »Ja?«

»Tzandi, einige meiner Bediensteten haben mir gemeldet, dass dieser junge Mann hier angeblich von einem Dämon besessen sei.«

»Wie kann das sein?«, fragte Tzandi kalt und schloss die Tür hinter sich, so dass Zabban, Synarek und er alleine im Gang standen.

»Nun, der Junge macht eine Menge Faxen, und ich habe ihn zu einem anderen Meister geschickt, um ihm eine Strafe zu verpassen, vielleicht hat er ihn sich dort eingefangen.«

»Warum, mein guter alter Freund, meinen die anderen Jungen, dass er besessen ist?«

»Sie haben glühenden Augen an ihm gesehen.«

»Ist das wahr, Junge?«

Synarek spürte, wie die Tentakel seinen Mund freigaben, sodass er sprechen konnte.

»Nein!«, platzte es aus Synarek heraus. Der Griff um seinen Hals verstärkte sich.

Der Fremde kam bedrohlich nahe: »Tatsächlich?«

Ein Schauer lief über seinen Rücken, als er die plötzliche Anwesenheit eines weiteren Wesens spürte, das genau neben Tzandi zu stehen schien.

»Sag mir die Wahrheit! Oder besser: Zeig sie mir!«

Plötzlich wurden im Raum vor ihm zwei gelbe Augen sichtbar, die sich unablässig drehten. Synarek wollte den Kopf wegdrehen, aber Tzandi packte ihn und drehte ihn zurück in die Richtung der Augen. Auch die Tentakel hielten seinen Kopf fest.

»Siehst du diese Augen? Siehst du sie? Beobachte sie weiter! Weiter!«

Synarek sah plötzlich nur noch viele gelbe Striche vor sich, und mitten in diesem Gewusel sah er sich selbst, wie er mit den leuchtend roten Augen vor dem Spiegel stand. Er spürte wieder die Welle des Triumphs in sich. Seine Sinne waren wie benebelt, und seine letzte Erinnerung so weit fort, dass er sich die roten Augen wieder wünschte und sich fragte, ob es ihm noch einmal gelingen würde. Er war stolz auf sich. »Nun, hattest du rote Augen oder nicht?«, hörte er eine weit entfernte Stimme fragen.

»Ja«, hauchte er, und noch während er es sagte, verschwand plötzlich alles vor seinen Augen, und er stand wieder in dem dunklen Gang mit Tzandi und Zabban und wünschte sich, er hätte nichts gesagt.

»Na also.« Tzandi führte Synarek und Zabban hinter sich her.

»Wie hast du es geschafft, so schnell die Wahrheit aus ihm herauszulocken?«, fragte Zabban ehrfurchtsvoll.

»Ich habe meinem Dämon aufgetragen, ihn in einen Zustand zu versetzen, der ihn vergessen lassen hat, dass er ein Geständnis bereuen könnte.«

Plötzlich fragte Tzandi: »Zabban, ist dieser Junge einer, dem du hinterhertrauern würdest, wenn er nicht mehr unter uns wäre?«

»Um ehrlich zu sein: ganz und gar nicht!«

»Nun, dann wäre auch ein kleiner Unfall bei der Dämonenaustreibung kein Problem, nicht wahr?« Tzandi grinste.

Synareks Augen weiteten sich.

Hatte er richtig gehört? Wollten sie ihn umbringen? Was war dieser Tzandi für ein Mann? Bevor er noch wusste, was mit ihm geschah, wurde er in einen dunklen Raum gestoßen. Während er sich aufrichtete, hörte er die Tür hinter sich zudonnern.

Tzandis Stimme triefte vor Hohn: »So, mein Lieber, eine Dämonenaustreibung: Man lässt einen dämonenbesessenen Menschen, besser gesagt den Dämon in ihm, gegen einen anderen Dämon kämpfen. Wenn dieser gewinnt, bist du frei, außer, wenn dein Körper dabei auch stirbt. Wenn du gewinnst, müssen du und der Dämon in dir leider in die nächste Runde.«

Synarek schauderte.