Kapitel 23 – Ankunft in Libidukiz

»Was ist? Warum halten wir?«, fragte Furgal überrascht, als die Kutsche plötzlich anhielt und Elrako im Inneren der Kutsche auftauchte. In der Hand hielt er den Spiegel seiner Mutter.

»Ich bringe den Spiegel, er wäre mir vorne fast aus der Hand gefallen«, sagte Elrako, dann fuhr er in einem Flüsterton fort: »Ich habe einen Verdacht. Etwas stimmt hier nicht.«

Furgal runzelte die Stirn: »Gib her, ich packe ihn hier ein!«, sagte er laut, dann fügte er leise hinzu: »Was meinst du?«

»Ich glaube, Caleb hat was mit Dämonen am Hut.« Elrakos Flüstern wurde fast schon zu einem Hauchen, und er war sich nicht sicher, ob Furgal ihn verstand.

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Furgal eine Spur zu laut.

»Scht«, machte Elrako, »während wir gefahren sind, habe ich in den Spiegel gesehen, und ich habe hinter mir eine Art fliegendes Monster gesehen ... einen Rochen oder so. Ich glaube, der Spiegel zeigt Sachen, die wir mit bloßem Auge nicht sehen können.«

»Du spinnst doch!«

»Nein, ich bin mir sicher.«

Furgal überlegte kurz, dann sah er zu Elrako auf: »Na, dann frag ihn doch.«

»Aber ... ich kann doch nicht ...«

Calebs Stimme ertönte von draußen: »Hey, braucht ihr noch lange da drinnen? Ich würde gern weiterfahren. Elrako kommst du noch nach vorne, oder bleibst du bei Furgal?«

Bevor Elrako antworten konnte, rief Furgal: »Nein, er kommt schon.« Dann sagte er leise, an Elrako gewandt: »Jetzt sind wir sowieso so gut wie in Libidukiz, was stört’s uns also? Frag ihn einfach, er wird dich schon nicht beißen, sonst hätte er das schon seit einer Weile machen können, mit weniger Menschen als Zeugen als in Libidukiz.«

»Na ja, das erklärt zumindest, warum wir so schnell unterwegs sind«, grummelte Elrako und stieg zögernd aus der Kutsche aus, um sich nach vorne zu begeben.

»Frag ihn, und er wird dir sagen, dass du wohl an Verfolgungswahn leidest«, flüsterte ihm Furgal hinterher.

Doch Elrako war sich sicher. Er setzte sich lächelnd zurück zu Caleb nach vorne, der die Pferde wieder antrieb. Eine Weile schwiegen sie.

Dann fragte Caleb ihn noch mal, ob alles in Ordnung sei, und diesmal sah Elrako ihn nicht an, während er sprach: »Ich hätte da mal eine Frage ...«

»Nur zu.«

»Deine Kutsche, ich ...« Elrako dachte kurz nach, wie er seine Frage formulieren sollte, dann ärgerte er sich über sich selbst und fragte sich, wovor er denn solche Angst haben sollte. Schließlich hatte er die Dämonen bis jetzt ja auch nicht bemerkt, oder? Und wenn Caleb ihnen wirklich etwas Böses gewollt hätte, hätte er längst zugeschlagen. Caleb war schwer in Ordnung, ob mit oder ohne Dämonen. Also stellte Elrako seine Frage schnell: »Reist du mit Dämonen?«

Diesmal war Caleb wirklich überrascht. Zuerst sagte er nichts und musterte Elrako nur, schließlich öffnete er den Mund: »Woher ...?«

»Ich habe sie durch den Spiegel gesehen«, antwortete Elrako schnell, »den Spiegel meiner Mutter. Den Rochen.«

Für eine Weile schwieg Caleb, dann hörte Elrako ihn merkwürdig murmeln.

Jetzt war Elrakos Neugierde geweckt: »Wieso können wir sie nicht sehen?«

»Dämonen sind für das menschliche Auge nicht sichtbar. Es sei denn, ihr Beschwörer befiehlt ihnen, sich zu zeigen. Dann liegt es aber immer noch an dem Dämon, selbst zu entscheiden, in welcher Gestalt er sich zeigen mag, es sei denn, sein Beschwörer hätte eine bestimmte Gestalt befohlen«, erklärte Caleb. »In dem Moment, in dem ein Beschwörer seinen Dämon beschwört, kann er ihn sehen. Es ist wie ein unausgesprochener Befehl, sich zu offenbaren, verstehst du?«

Elrako nickte. »Also, wenn du es ihnen befehlen würdest, würden wir sie sehen?«

Caleb nickte.

»Also bist du ein Dämonenbeschwörer?«, fragte Elrako überrascht.

Caleb seufzte. »Ja, ich war ein Lehrling bei einem Dämonenmeister, aber jetzt bin ich nur ein einfacher Kutscher.«

»... der jedoch Gebrauch von seinen besonderen Fähigkeiten macht, Dämonen heraufzubeschwören. Deshalb sind wir auch so schnell vorangekommen. Wie halten es deine Pferde nur aus?«, erkundigte sich Elrako.

»Die Dämonen helfen ihnen auf die Sprünge«, antwortete Caleb nur, und nach einer kurzen Pause wollte er wissen: »Und das alles hast du nur mit einem Spiegel herausgefunden?«

»Nun, in gewisser Weise ja ...«, murmelte Elrako, »ich habe mich gewundert, dass wir so schnell fuhren, und als du weg warst, habe ich mich respektvoll von deiner Kutsche ferngehalten, da das eine Pferd mich, wie soll ich sagen, böse angefunkelt hat und ...«

Caleb lachte leise: »Ja, ich hatte befohlen, dass die Dämonen auf die Kutsche aufpassen sollten. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ihr so schnell zurückkommt. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als ich zurückkam und euch bereits dort stehen gesehen habe. Gut, dass du vorsichtig warst.«

»Wie sind sie so?«, fragte Elrako neugierig. »Ich habe davor noch nie einen Dämon gesehen ...«

Elrako fragte sich, ob sie auch der Grund für die Kopfschmerzen waren, die ihn manchmal überfallen hatten, aber jetzt, da er hier saß und nichts spürte, glaubte er doch wieder, dass es der Wind und die zu schnelle Geschwindigkeit gewesen waren.

Caleb beantwortete Elrakos Frage mit einer Gegenfrage: »Möchtest du, dass ich befehle, dass sie sich für euch sichtbar zu machen?«

Elrako zögerte. Sie hatten die Hafenstadt Libidukiz jetzt schon beinahe erreicht, und auf den Straßen liefen viele Menschen: »Wäre das nicht, ähm, auffällig?«

Caleb überlegte kurz, dann sagte er leise: »Nicht, wenn wir in einer kleinen Gasse anhalten würden ...«

Elrako standen die Haare zu Berge. Er versuchte, es sich vorzustellen. Er, Furgal und Caleb, in einer engen, dunklen Gasse zusammen mit einem Dämon ..., es könnte sonst etwas passieren. Nervös biss er auf seiner Unterlippe herum.

»Du möchtest erst Furgal fragen, oder?«, half Caleb ihm.

Elrako nickte zögernd.

»Du hast Angst?«

Elrako nickte wieder.

»Dazu gibt es keinen Grund, der Dämon wird dir nichts tun, solange er unter meiner Kontrolle ist«, beruhigte ihn Caleb.

Elrako überlegte, dann fragte er unvermittelt: »Können andere Dämonenbeschwörer denn deinen Dämon sehen?«

»Manchmal«, sagte Caleb.

Elrako runzelte die Stirn, und Caleb erklärte: »Wenn ich meinem Dämon jetzt befehle, er solle andere Dämonen für mich sichtbar machen, dann kann mein Dämon schwächere oder gleichstarke Dämonen für mich sichtbar machen. Stärkere Dämonen zeigen sich nur, wenn sie es wollen. Es gibt nämlich auch genug Dämonen, die sich gerne präsentieren. Besonders die starken ...«

Elrako dachte darüber nach. Das war alles seltsam, die ganze Dämonensache war wirklich seltsam. Das war der Moment, indem er beschloss, den Spiegel seiner Mutter nicht zu verkaufen. Sie würden ihn noch brauchen.

»Wie kommt es, dass der Spiegel sie sieht?«, fragte Elrako schließlich.

»Das weiß ich auch nicht. Es hat mich zugegebenermaßen sehr überrascht«, sagte er, »vermutlich ein Dämonenzauber.«

Sie hatten jetzt die Hafenstadt erreicht, und Elrako staunte nicht schlecht. Die Stadt war groß, doch ganz anders als die Hauptstadt. Die Sonne schien stärker, und obwohl es schon später Mittag war, waren die Straßen größtenteils von der Sonne durchflutet. Die Häuser und Paläste im Stadtkern waren nicht so hoch wie in der Hauptstadt, aber er konnte größere Gebäude auf den sanften Hügeln, die die Stadt umrandeten, ausmachen. Die Farben der Hafenstadt waren alle sehr hell. Während in der Hauptstadt die Häuser größtenteils dunkel gehalten waren, in Grau, Braun oder Schwarz, schien hier jedes Haus in sanftes Beige oder Weiß gehüllt zu sein. Was Elrako jedoch am meisten faszinierte, war das Meer, das er von weitem sah. Es war schöner und heller, als er es sich vorgestellt hatte, und die Sonne spiegelte sich leuchtend darin. Hätte Elrako es sich aussuchen können, wo in Saranda er leben wollte, hätte er sich Libidukiz ausgewählt.

In diesem hellen, warmen Licht kam ihm sein jämmerliches Dasein im dunklen Keller des Schlosses von Porli weit entfernt vor.

Elrakos Gesicht musste seine Begeisterung verraten haben, denn Caleb fragte ihn: »Das ist eine wunderschöne Stadt, nicht?«

»Ja, sie ist wirklich toll. Ganz anders als Porli«, antwortete er. Wie sollten sie hier eine dunkle Gasse finden?

Als hätte er seine Gedanken erraten, sagte Caleb: »Doch lass dich nicht täuschen, jede Stadt hat ihre dunklen Ecken!«

Elrako nickte, doch bei dem Anblick, den er gerade genoss, war es wirklich schwer vorstellbar. Sein Blick fiel wieder aufs Meer, und er spürte plötzlich eine Beklommenheit in sich aufsteigen, und er wurde traurig. Sie würden bald zum Hafen fahren und diese wunderschöne Stadt und alles, was sie bis jetzt kannten, für immer hinter sich lassen. Auch Caleb. Elrako wurde bewusst, dass ihm der Abschied schwerer fallen würde, als er gedacht hatte. Während der Reisetage hatte er sich so an ihn gewöhnt, trotz seines ursprünglichen Misstrauens. Caleb hatte etwas Beruhigendes an sich, doch Elrako wusste, dass Caleb sie nicht begleiten und seine Heimat nicht verlassen würde.

»Was bedrückt dich?«, fragte Caleb. Ihm schien aber auch gar nichts zu entgehen.

»Ich ...« Elrako brach ab. »Ich denke darüber nach, dass wir bald mit einem Schiff fortfahren werden und das alles hinter uns lassen.«

Caleb lächelte. »Aber, Elrako, so schnell geht das doch gar nicht.«

Elrako sah ihn fragend an.

»Vertrau mir, es wird dauern, bis wir ein geeignetes Schiff finden, das bereit ist, euch mitzunehmen«, sagte er, »und heute würde ich gar nicht mit der Suche anfangen. Ihr beide seid müde und braucht erst einmal eine Rast.«

»Aber ...«

»Ihr habt doch den Markt gesehen. Ich weiß nicht, der wievielte Markttag es ist, aber an den Markttagen sind fast alle beim Markt. Die Fischer verkaufen ihren Fisch, und am Hafen ist nicht viel los.«

»Wieso ist der Markt außerhalb der Stadt?«, fragte Elrako.

»Ein paar Städtchen aus der Umgebung haben sich abgesprochen, gemeinsam einen großen Markt zu halten, als Zeichen ihres guten Umgangs miteinander. Der Markt durfte aber in keiner ihrer Städte stattfinden, sonst hätte es Streitereien gegeben, und deshalb haben sie sich auf diesen Platz zwischen ihnen entschieden. So treffen sich auch immer die Bewohner der verschiedenen Städte hier. Der Markt ist so wichtig geworden, dass sogar Besucher aus Täfkan hierher kommen.«

»Tatsächlich?«, fragte Elrako überrascht.

»Ja. Für die Täfkaner ist es sehr einfach, aus dem Land ein- und auszureisen.«

»Also kann es gut sein, dass wir erst in drei Tagen ein Schiff finden?«, fragte Elrako hoffnungsvoll.

»Kommt drauf an, ob es der erste oder der letzte Markttag ist«, antwortete Caleb. »Wir werden uns in der Stadt erkundigen. Aber jetzt werden wir erst einmal nach einem angenehmen Unterschlupf suchen. Halt die Augen offen, falls du etwas siehst!«

»In Ordnung,« erwiderte Elrako und wurde das dumpfe Gefühl nicht los, etwas übersehen zu haben.