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Es ist dunkel. Nur das Mondlicht, das durch das große Fenster fällt, erhellt den Raum. Es leuchtet förmlich – sanft, bläulich und ätherisch. Nino beobachtet, wie die dicken Schneeflocken vom Himmel fallen, aber Harukas warme Zunge, die an seinem Hals entlangfährt, lässt seinen Atem stocken.

Seine Brust wird eng. Das Ziehen in seiner Leiste und dem Bauch ist heiß. Haruka streicht mit den langen Fingern nach oben und vergräbt sie in Ninos Haar. Er beißt in sein Fleisch und Nino stöhnt vor Verlangen auf, als die Reißzähne seine Haut durchbohren.

Haruka saugt vorsichtig an seinem Hals. Nino fühlt die Wärme und Nässe seiner Zunge, während er von ihm trinkt. Zu wissen, dass er diesen himmlischen Mann – dieses elegante, enigmatische Wesen – versorgt und ihn ernährt, wärmt ihm das Herz.

Er legt die Arme um Harukas Taille, um ihre Umarmung zu vertiefen. Nino hätte sich das nie träumen lassen. Dass er trotz des tiefen Schmerzes und der Angst, die er in der Vergangenheit hat erdulden müssen, dieses Gefühl genießen könnte – dass er sich hingeben könnte. Sich einem anderen Vampir offenbaren und willentlich verletzlich machen.

Als Haruka fertig ist, hebt er den Kopf und sieht Nino in die Augen. Nino legt den Kopf schief und reckt sich ihm entgegen. Während seiner ganzen Existenz hat er noch nie ein anderes Wesen so sehr küssen wollen …

Nino atmet heftig ein, er reißt die Augen auf, die von dem lebhaften Traum hell glühen.

Er kommt kaum zu Atem. Extreme Verwirrung hält ihn im Griff, bis er seine Umgebung wahrnimmt. Er befindet sich in dem privaten Gästezimmer in Hertsmonceux und liegt auf den kühlen Laken, während sein Herz wild rast. Sein Schaft ist vollkommen steif. Schmerzhaft.

Er verlangsamt den Atem und dreht sich auf den Bauch. Erst jetzt kann er sich entspannen. Das Gesicht im Kissen vergraben, stöhnt er – der Laut gedämpft in der Stille des Raums. Er dreht den Kopf zur Seite, schließt die Augen und atmet gleichmäßig ein und aus. Nach einem kurzen Moment löst sich die Anspannung in seinem Körper.

Während er so daliegt, umgeben von kaltem Stein, alten Porträts von Fremden und staubigen, detailliert gewebten Wandteppichen driften seine Gedanken wieder zurück zu allem, was an diesem seltsamen Tag passiert ist. Ihn ereignisreich zu nennen, erscheint ihm nicht annähernd genug. Als würde man das Taj Mahal als nettes Gebäude bezeichnen.

Er denkt wieder an Haruka in seinem klassischen schwarzen Anzug, wie er mit perfekter Haltung am Kopf des Ballsaals steht und den Vertrag vorliest. Die Lichter des Kronleuchters sind gedimmt und werfen sanfte Schatten. Die Zuhörer sind still, lauschen jedem seiner tiefen, eloquenten Worte, als würde er ein beruhigendes Schlaflied singen. Es ist faszinierend gewesen, nicht langweilig, wie Nino erwartet hatte.

»Altes Blut«, seufzt Nino und drückt den Bauch gegen die Matratze. Altes Vampirblut hat Macht. Einfluss. Der ureigene genetische Ursprung ihrer Spezies ruft, fordert Ehrfurcht und Unterwerfung. Aber in Ninos Augen ist das keine Entschuldigung dafür, sich wie ein geistloser Perverser zu verhalten.

Als Haruka die Lesung beendet und sich neben Nino gesetzt hat, ist er unerwartet bescheiden gewesen. »Denkst du, das war ausreichend?«, hat er gefragt und mit den schokoladenbraunen Augen geblinzelt.

Nino hat gelächelt, verwundert über seine stille Unsicherheit. »Ich denke, es war perfekt.«

Aber dann ist Haruka mit einem Haufen zuckersüßer Komplimente überschüttet worden. Die Erinnerung daran lässt Nino erschaudern.

Und es ist noch etwas vorgefallen, was dafür gesorgt hat, dass sich Nino der Magen auf dramatische Weise umgedreht hat.

Gael hat Haruka angesehen. Während des Rituals. Als er mit seinem zukünftigen Gefährten Liebe hätte machen sollen, hat sein Fokus auf dem enigmatischen Reinblüter an Ninos Seite gelegen. Das Ganze war so unangenehm und invasiv, wie Nino es erwartet hat, aber Gaels unangebrachter Blickkontakt hat dafür gesorgt, dass Nino am liebsten wütend aufgeschrien hätte. Er hat sich kaum bis zum Ende der gescheiterten Zeremonie zurückhalten können. Nino hat sich nicht getraut, Haruka zu fragen, ob es ihm aufgefallen ist. Natürlich ist es das.

Die vergangen drei Tage mit Haruka waren aufschlussreich, aber der vierte geradezu überwältigend. Und zu alldem kommt noch hinzu, dass Nino zum ersten Mal in seinem Leben in Erwägung zieht, sich jemandem anzubieten. Er hat davon geträumt – in Farbe, verdammt noch mal. Er drückt den Körper gegen die Matratze, während die heißen Bilder wieder lebhaft in seinen Gedanken auftauchen.

»Soll ich es tun?«

Er schließt die Augen, sein Herzschlag dröhnt in seinen Ohren. Er will seinem Freund helfen, aber wird er wie alle anderen erscheinen? Vielleicht wird Haruka ihn genauso sehen, wenn er sich ihm anbietet. Wie ein verzweifelter geiler Bock, der ihm um jeden Preis gefällig sein will.

Vielleicht … könnte ich ihm auch einfach Blutbeutel anbieten?

Nino dreht sich auf die Seite und atmet schwer aus. Das Glühen seiner Augen lässt endlich nach. Er starrt ausdrucklos an die Wand vor ihm.

Es geht ihn nichts an.

Haruka hat gesagt, er würde sich etwas einfallen lassen, sobald das Wochenende vorbei ist. Also sollte Nino sich heraushalten. Sein Freund ist ein äußerst kompetenter und intelligenter Vampir. Nino sollte die Nase da nicht reinstecken.

Gerade als er in den Schlaf abdriftet, lässt ein lautes Geräusch ihn hochschrecken. Er setzt sich auf und bleibt völlig regungslos. Aufmerksam hört er zu. Aber in dem Moment, in dem er denkt, er muss sich das Geräusch nur eingebildet haben, hört er ein gedämpftes Krachen.

Es kommt aus dem Zimmer nebenan.

Harukas Zimmer.