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Ninos Puls rast noch, als Haruka sich wieder setzt – allerdings ist das wesentlich besser, als wenn er gehen würde. So spürt Nino, wie die Dringlichkeit in ihm etwas nachlässt.

»Das Freisetzen der Aura ist ein sehr intimer Akt«, sagt Haruka, seine Stimme klingt tief und wird von dem sanften Knistern des Kamins unterstrichen.

Wie gebannt starrt Nino Harukas Profil an. Die Härchen auf Ninos Armen stehen aufrecht, als wäre sein Körper elektrisch geladen. »Ich weiß …«

Mit gesenktem Blick reibt Haruka sich die Oberschenkel. »Wenn wir entscheiden, die Natur unserer Beziehung zu verändern, möchte ich vorher sichergehen, dass ich nicht wieder törichterweise der Liebesgeschichte von jemand anderem im Weg stehe.«

Nino schluckt. Der Anblick seines Freundes, wie er vom Feuerschein erhellt dasitzt und auf eine Antwort wartet, lässt Nino die Kehle eng werden. »Das tust du nicht. Versprochen.«

Endlich nickt Haruka und sieht Nino an, der einen Atemzug nimmt. Er hatte tatsächlich vergessen zu atmen.

»Nino, ich schätze unsere Beziehung sehr. So etwas habe ich noch nie mit einem anderen Vampir erlebt.«

»Ich auch nicht«, sagt Nino reglos. Erwartungsvoll.

Haruka entspannt die Schultern und sieht zur Decke hoch. »Ich befürchte, dass unsere Beziehung sich verändert und wir diese … Freundschaft verlieren, wenn wir intim miteinander werden. Ich möchte wirklich nicht, dass das passiert.«

Langsam rutscht Nino auf dem Bett vorwärts, Richtung Haruka. »Es wird sich etwas verändern. Aber … was ist, wenn diese Veränderung gut ist? Was, wenn unsere Beziehung zueinander noch besser wird?«

Haruka richtet den Blick auf Nino, um seinem zu begegnen. Einen Mundwinkel hebt er amüsiert. »Du bist ein Romantiker.«

»Vielleicht?« Nino zieht die Schultern hoch. Geschmeidig bewegt er sich nach vorne, bis eins seiner Beine angezogen Harukas Hüfte berührt, während das andere von der Matratze hängt. »Wir werden es erst wissen, wenn wir es versucht haben. Und wir können es langsam angehen lassen.«

Haruka atmet schwer aus und verschränkt die Arme. Nino sitzt still da. Einen langen Augenblick atmet er einfach nur, um sich für eine Frage zu wappnen, die sich ihm aufdrängt. »Haru, findest du mich attraktiv? Ich meine körperlich oder auch auf der Ebene deiner Aura … Fühlst du dich von mir angezogen?«

Haruka wendet sich ihm zu, sein Blick aus weinroten Augen unerschrocken. »Ich finde dich exquisit. Auf jeglicher Ebene.« Dann sieht er wieder nach vorn, als hätte er einfach nur eine Tatsache geäußert und nicht etwas, das Nino vollkommen den Wind aus den Segeln nimmt.

Er möchte Haruka sagen, dass er genauso empfindet – mit ihm zusammen zu sein, die Unterhaltungen, das Lachen und die Nachforschungen mit ihm fühlen sich an wie Geschenke zu einem besonderen Anlass. Ein Geburtstag oder der liebste Feiertag, für den man Pläne macht und vor dem die Aufregung warm im Herzen hochsprudelt.

Aber es gibt keine Pläne. Und auch keine Geschenke. Es ist einfach Haruka. Es gibt nur ihn und mehr ist gar nicht nötig.

Aber davon bringt er nichts heraus. Das kann er nicht. Haruka hört solche Dinge ständig, von Vampiren, die sich mit ihm verbinden wollen. Wenn Nino diese Dinge sagt, dann wird er genauso oberflächlich und lüstern erscheinen wie alle anderen.

»Nino.«

»Ja?« Nino setzt sich aufrecht hin, sein Blick ist fokussiert. Je länger sie dort verharren, desto stärker realisiert Nino, wie sehr er Haruka will. Nicht nur als Freund, sondern als mehr. Er will ihm näher sein, ihn ohne Bedenken berühren und halten. Dafür sorgen, dass Haruka sich wohlfühlt, und ihm mehr von sich selbst geben. Aber noch mehr möchte er von ihm trinken und seine wahre Aura spüren. Sein wunderbares Inneres, das er immer unterdrückt und eingesperrt hält.

»Ich denke …«, setzt Haruka an und atmet dann tief ein. »Wenn du mich annehmbar findest, würde ich es gern versuchen. Aber du sollst dich in keiner Weise unter Druck gesetzt fühlen …«

»Hör auf.« Nino streckt die Hände aus und legt je eine an Harukas Wangen, damit sie einander in die Augen sehen. Pure Glückseligkeit steigt in ihm auf. »Du bist mehr als nur ›annehmbar‹ für mich. Und ja, ich will es auch versuchen. Wir machen einfach, was sich natürlich anfühlt, okay?«

»Natürlich …« Haruka sieht zur Seite und denkt darüber nach. »Das gefällt mir. Einverstanden.« Dann legt er die Fingerspitzen auf Ninos Brust und drückt ihn sanft nach hinten auf das Bett. Nino fügt sich und beißt sich in einem schwachen Versuch seine überwältigende Aufregung zu unterdrücken auf die Lippe.

Es passiert. Der Sprung des Raubtiers.

Er sieht erstaunt zu, wie sein Freund sich schattenhaft und animalisch vor dem Feuerschein bewegt. Er kriecht langsam auf das Bett und legt sich neben Nino. Dieser entspannt sich instinktiv, weil er auf das vertraut, was gleich passieren wird. Er braucht es. Er will es so unbedingt mit diesem wunderschönen Mann.

Haruka nimmt den verlockenden Blick aus weinroten Augen nicht von ihm, während er zärtlich die Handfläche an Ninos Wange legt. Diese einfache Berührung lässt Nino die Lider schließen und er spürt, wie seine Essenz sich in seinem Bauch und dem unteren Rücken windet und dreht.

»Es wird nicht wehtun«, sagt Haruka, seine Stimme tief und ruhig. »Das weißt du?«

Grinsend öffnet Nino die Augen. »Bei dir weiß ich, dass es nicht wehtun wird.«

»Du solltest dich entspannen. Ich werde wie sonst auch von dir trinken, aber nach und nach stärker an deiner Haut ziehen.« Mit den Fingerspitzen malt er eine unsichtbare Linie an Ninos Kiefer entlang und hinunter bis zur Halsbeuge. Nino drückt den unteren Rücken fest auf das weiche Bett, in dem Versuch das warme Kribbeln dort zu lindern.

»Wenn ich stärker von dir trinke«, fährt Haruka fort, »wirst du in deinem Unterleib den deutlichen Druck spüren, dich mir zu ergeben, aber versuch dem zu widerstehen. Du solltest versuchen mir so lange wie möglich zu widerstehen. Dann wird die Freisetzung noch intensiver für dich.«

Lachend denkt Nino, dass das Ganze vermutlich nicht sehr lange andauern wird. »Ich entschuldige mich jetzt schon mal, falls ich zu früh nachgebe.«

»Das ist okay«, versichert Haruka ihm. »Wenn du das tust, können wir es ja vielleicht einfach ein andermal noch mal versuchen. Sind wir bereit?«

Während Nino seinen erhitzten Körper auf der Daunendecke ausstreckt, wünscht er sich, dass Haruka sich auf ihn legen würde. Schon der Gedanke daran, wie das Gewicht seines Körpers sich an seinen drängt, während er trinkt, verursacht ein Ziehen ihn Ninos Leiste. Aber er sollte einem geschenkten Gaul vermutlich nicht ins Maul schauen.

»Ich bin bereit.«

Haruka lehnt sich über seine Brust und leckt an Ninos Halsbeuge – genauso wie er es jedes Mal tut, wenn er trinkt. Aber dieses Mal fühlt es sich anders an. Voll Absicht. Verführerisch. Nino schließt die Augen. Er nimmt jeden Augenblick, jede Sekunde dieser Erfahrung, auf die er gewartet hat, in sich auf.

Er keucht, als Haruka sanft zubeißt. Seine glatten Fangzähne dringen tiefer in Ninos Haut und er atmet aus. Instinktiv vergräbt er die Finger in dem seidigen dunklen Haar seines Freundes. Haruka zieht. Genau wie zuvor verlagert sich etwas tief in Ninos Innerem. Es bewegt sich, jagt heiße Schübe durch seinen ganzen Körper. Es sagt ihm, er soll vertrauen und einfach loslassen – seine Natur freisetzen und sich ergeben.

Haruka saugt stärker an seiner Haut. Die Empfindung fühlt sich so warm und gut an, dass sich ein tiefes Stöhnen Ninos geteilten Lippen entringt. Er lässt eine Hand von Harukas Kopf an seinen Schultern entlang bis hinunter zu seinem unteren Rücken wandern.

Was Haruka da macht, fühlt sich natürlich an. Sinnlich. Nino kann es nicht sehen, aber er spürt es in seinem Inneren. Wie Haruka seinen Geist benutzt, um an Ninos Natur zu ziehen, sie sanft zu drängen und aus ihm hervorzulocken. Es ist, als würde Haruka ganz zärtlich etwas Ängstliches ermutigen, aus seinem tief liegenden Versteck hervorzukommen. Etwas, das Ninos Essenz als Vampir ausmacht.

Als Haruka erneut zieht, pulsiert dieses Etwas heiß – es droht nachzugeben. Mit einem weiteren Keuchen drückt Nino den Rücken durch und schließt die Faust um Harukas gestärktes Hemd. Seine Augen glühen und sein Atem geht schwer, also entscheidet er der überwältigenden Empfindung zu vertrauen. Er entspannt seinen ganzen Körper und erlaubt Haruka, es ihm zu nehmen.

Wie ein Lauffeuer breitet sich die Energie seiner Aura von seinem Unterleib ausgehend entlang seiner Wirbelsäule aus. Sie fließt aus jeder Pore und jeder Faser seines Seins. Es fühlt sich an, als würde seine Aura und alles in seinem Inneren von außen nach innen gedreht. Der unvergleichliche Genuss und das befreiende Gefühl lassen ihn aufstöhnen. Die Empfindung packt ihn wie ein intensiver, emotionaler Orgasmus. So etwas Überwältigendes – so vollkommen Befriedigendes – hat Nino in seinem langen Leben noch nicht erfahren.

Verwundert sieht er, wie seine goldene Aura sie beide umfasst und sich zärtlich um Haruka wickelt. Dieser löst den Mund von Ninos Haut und atmet scharf ein, bevor er die Augen schließt. Der Raum ist erfüllt von blendendem Licht. Ninos Herz rast noch, während er die Fülle an Empfindungen aufnimmt.

Das Leuchten seiner Aura löst sich langsam auf, verblasst wie das sanfte Glimmen eines Glühwürmchens. Aber Ninos Augen strahlen noch, sein Körper ist heiß und zittert, während er Haruka ansieht. Dessen Augen sind geschlossen, aber Nino überkommt große Zuneigung zu ihm. Zu seinem Wesen und dem unglaublichen Gefühl, das er ihm geschenkt hat. Nino riecht an seiner rosigen Mandelmilch-Haut und spürt die fest verknotete Aura in seinem Inneren … Wenn Haruka ein See wäre, würde Nino in ihm schwimmen und tauchen. Glückselig in ihm ertrinken.

Er hat etwas von sich gegeben. Nino hat Haruka in alles gewickelt, was ihn ausmacht – in die Komposition seines vampirischen Daseins. Jetzt verlangt Ninos Körper etwas zurück. Irgendetwas von diesem enigmatischen Wesen, das neben ihm liegt.

Nino schließt die Augen und hebt das Kinn. Er fährt mit der Zunge an Harukas Kiefer entlang. Nur um ihn zu schmecken. Um irgendetwas zu haben. Seine Haut ist kühl und süß – Regentropfen auf frischen Kirschen oder reine Erde und Rosen. Perfekt. Köstlich. Haruka öffnet die scharlachroten Augen und sieht still auf Nino herunter.

Immer noch benebelt von Vergnügen und Verlangen hebt Nino erneut das Kinn, diesmal drückt er den Mund auf Harukas.

Weich. Harukas Lippen … sind immer ein wenig geschürzt. Von Natur aus. Nino hat das im Stillen während ihrer Interaktionen beobachtet. Haruka hat keinen Schmollmund, seine Lippen sind nicht dick oder voll … Aber die Art, wie er den Mund hält und die geschmeidige Rundung seiner Lippen wirken wie eine unterschwellige Einladung. Eine Herausforderung. Eine, die Nino immer vehement ignoriert hat. Aber jetzt nicht mehr.

Das Gefühl seiner Lippen auf Harukas ist schwindelerregend, aber er öffnet die Augen und entfernt sich, als er spürt, wie der dunkle Reinblüter an seinem Mund lächelt. Er beobachtet ihn, seine glühenden Augen sind verlockend in dem vom Feuer erleuchteten Raum. Langsam senkt und dreht Haruka den Kopf, um noch einmal Ninos Mund sanft einzufangen.

Nino öffnet ihn und streicht mit der Zungenspitze über Harukas Unterlippe. Er spürt, wie Haruka sich ihm hingibt, ihn weiter einlädt, um die Intimität zu vertiefen und unbekannte Gefilde zu erkunden. Und er tut es. Er legt den Kopf schief und taucht in die kühle, erdige Süße ein. Endlich gleitet seine Zunge an Harukas entlang. Feucht, glatt und befriedigend. Nino seufzt in den Kuss und vergräbt die Finger in Harukas dickem seidigen Haar.

Das hier ist der Himmel. Er hat noch nie viel über den Himmel nachgedacht. Sich nie gefragt, ob er existiert oder nicht, aber das muss er sein. Haruka hier, in dem warmen Licht seines Schlafzimmers zu küssen, ist das absolute Paradies.

Gerade als Nino mehr als bewusst wird, dass er vollkommen bekleidet ist – und er den Zweck des Stoffes infrage stellt –, zieht Haruka sich zurück.

»Es ist spät«, sagt er leise, sein Blick zärtlich. »Soll ich in mein Zimmer gehen?«

Die Finger noch in Harukas Haaren vergraben lächelt Nino und reibt über seine Kopfhaut. »Ich denke, du solltest dir etwas Bequemes anziehen und hier bei mir schlafen? Wenn das in Ordnung für dich ist.«

Haruka nickt. »Das würde mir gefallen.«