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Einige Tage später sitzt Nino an einem hohen, glatten schwarzen Tisch in einem eleganten Restaurant. Er wirft einen Blick in Richtung Bar. Ein wunderschönes schwebendes Regal mit grünen Palmen hängt über den Barkeepern. Außerdem stehen hohe Topfpflanzen geschmackvoll platziert entlang der Glaswände und vermitteln ihm das leichte Gefühl, dass er draußen in einem tropischen Garten zu Mittag isst und nicht in einem geschlossenen Raum.

Es ist beeindruckend, aber sein Unternehmerhirn fragt sich, wie viel Zeit und Geld es kostet, all diese Pflanzen zu versorgen.

Als er sieht, wie Cellina sich dem Restaurant nähert, schaut er zur Tür. Einen Augenblick später kommt sie herein. Nino strahlt. Cellina geht nicht einfach. Sie schlendert – selbstsicher, wie eine Kreatur, die sich ihrer Schönheit und ihres Wertes bewusst ist. Ihr dicht gelocktes Haar ist zu einem Dutt hochgesteckt, wodurch ihre extravaganten Ohrringe betont werden. Sie trägt eine helle Jeans, die ihre Kurven perfekt umspielt, einen dunklen petrolfarbenen Pullover und einen modischen Oversize-Mantel in beige. Wie immer sieht sie makellos aus.

Nino steht auf, als sie bei ihm ankommt, und umarmt sie fest. Sie hat eine rosafarbene Gebäck-Schachtel bei sich, die er sofort erkennt.

»Ciao bella – ist das für mich?«, fragt er, als er sie loslässt.

Sie setzt sich an die andere Seite des Tisches. Nachdem sie es sich bequem gemacht hat, schiebt sie die Schachtel über die glatte Oberfläche und sieht ihn unter ihren dunklen Wimpern hinweg an. »Ein Friedensangebot.«

»Dafür, dass du mich gezwungen hast zu dieser schrecklichen Party zu gehen und mich dann versetzt hast?«

Sie schmollt. »Nino.«

»Ich bin nicht böse«, sagt er. »Aber die Cannoli nehme ich trotzdem. Schokolade-Kirsche?«

»Natürlich.« Cellina zwinkert ihm zu.

Wenn Nino an den Abend auf Morettis Anwesen zurückdenkt, hat sich dieser letztendlich doch als Segen entpuppt. Der turbulente Abend hat dazu geführt, dass Haruka und er einander noch nähergekommen sind.

Cellina stützt die Ellbogen auf dem Tisch ab und legt das Kinn in die Handflächen. »Du riechst, als hättest du bedeutsamen Fortschritt mit deinem hübschen Freund gemacht.«

Nino dreht den Kopf zur Seite und hebt den Arm, um an seinem Mantel zu schnuppern. »Das hat G neulich auch gesagt. Ich rieche gar nichts.«

»Na ja, der Sinn ist ja auch, dass andere Vampire wissen sollen, dass du als Nahrungsquelle vom Markt bist. Dass sich jemand um dich kümmert.«

Nino schmunzelt. »Lässt du mich deshalb nie tiefer von dir trinken? Damit du weiterhin freie Auswahl hast?«

»Sei nicht albern.« Sie winkt ab. »Was ist los? Erzähl mir alles . Er hat endlich deine Aura freigesetzt, ja?«

»Hat er. Es war besser als jeder Sex, den ich je hatte.«

Cellina lacht und legt die Hände zusammen. Sie sprudelt fast über vor Freude, während der Kellner ihre Getränkebestellungen aufnimmt. Als er wieder weg ist, fährt sie sachte mit der Hand über das Haar und tätschelt den großen Dutt. »Ich freue mich so für dich, Nino – du brauchst das. Der tatsächliche Sex wird phänomenal sein.«

Ninos kompletter Unterköper versteift sich. Er atmet tief ein, um die Erregung abklingen zu lassen. »Lina … Mein Gott.«

»Das wird er.« Sie lächelt warm. »Ihr beide seid unglaublich zusammen, wie zwei perfekte Buchstützen. Sonnenlicht und Mondlicht. Jupiter und Mars … Mercutio und Romeo.«

»Kitschig.« Nino verzieht das Gesicht. »Die beiden waren gar nicht zusammen.«

»Aber vielleicht hätten sie das sein sollen? Also rede. Ich höre zu.«

Einen Moment lang denkt er nach und lässt das charmante Bild von Haruka seine Gedanken erfüllen. »Wir … lassen es langsam angehen und machen einfach, was sich natürlich anfühlt. Es ist unglaublich, Lina. Ich habe nie … Ich weiß auch nicht. Ich habe mir nie vorstellen können, dass ich jemanden wie Haruka treffen würde. Es klingt so klischeehaft, aber mit Haruka ist alles so einfach und angenehm, und jetzt …«

Nino hält erneut inne, um nachzudenken. Die Wärme in seinem Herzen überwältigt ihn.

»Und jetzt?«, fordert Cellina sanft.

»Er öffnet sich mir. Auf eine ganz neue Art. Langsam, aber ich sehe mehr von dieser … verführerischen und ausgelassenen Seite an ihm, die ich so gar nicht erwartet habe. Er ist immer noch vorsichtig, aber viel weniger förmlich und rigide, als er es am Anfang gewesen ist. Vielleicht … ist das sein wahres Ich? Wenn er sich wohlfühlt …«

Cellina setzt sich aufrecht hin und streicht sich erneut die Haare glatt. »Urgh, das ist so krass . Einfach unglaublich.«

Nino lacht. »Freut mich, dass dich das unterhält. Weißt du, was ich ihm erzählt habe? Dass er wie ein schwarzer Panther ist. Er beobachtet mich mit diesen weinroten Augen, lässt sich Zeit und streift im Kreis um mich herum.«

»Hm, wenn er ein Panther ist, dann bist du ein Tiger.«

»Kannst du bitte damit aufhören?«

»Wann fängt dein Panther an, dich zu ernähren?« Cellina legt die verschränkten Arme auf den Tisch. »Bin ich ab heute vom Haken?«

Nino runzelt die Stirn. »Bist du am Haken gewesen? Bereite ich dir Probleme?« Der Kellner bringt die Getränke und Vorspeisen. Er verweilt länger als nötig, lächelt und plaudert mit Cellina. Als er geht, zwinkert er ihr zu.

»Natürlich nicht«, sagt Cellina. »Aber wenn er dich verführt, deine Aura freisetzt und du das alles genießt, dann sollte er dich auch ernähren. Du ernährst ihn schließlich auch. Willst du sein Blut denn gar nicht?«

Nino seufzt. Er will Harukas Blut, wie ein hungriger Wolf Fleisch will. Sein Körper verzehrt sich danach. Und er blendet das Gefühl so gut er kann aus, aber das Verlangen verbrennt ihn innerlich. Er stützt die Ellbogen auf den Tisch und fährt sich mit den Händen durch die Haare, während er den Kopf hängen lässt. »Ich will alles von ihm. Sein ganzes Wesen.«

Das erste Mal spricht er es laut aus und gesteht es sich ein. Die stille Wahrheit ist anerkannt worden. Er kann sich nichts mehr vormachen.

»Also …«, sagt Cellina. »Willst du eine Verbindung mit ihm?«

»Ich will einfach nur mit ihm zusammen sein. Ich liebe es, ihm so nahe zu sein und jederzeit mit ihm reden zu können. Ich will ihn berühren und ich will keine Grenzen mehr zwischen uns. Wenn das alles bedeutet, dass ich eine Verbindung will, dann ja

Schmollend seufzt Cellina. »Aber er will keine.«

»Genau«, sagt Nino, während er den Kopf, der jetzt pocht, immer noch hängen lässt.

»Du kannst nur so weit gehen, wie er es zulässt.«

Nino nickt. Er weiß nicht wie weit genau, da sie noch nicht darüber gesprochen haben. Aber es gibt eine absolut unmissverständliche Grenze.

»Er ist von dem Bruch seiner Verbindung traumatisiert«, sinniert Cellina. »Ich meine, das ist beispiellos . Dass er das überhaupt überlebt hat. Wow … Hat er dir noch mehr darüber erzählt?«

Träge setzt Nino sich auf. »Hat er. Er hat mir erzählt, wie es dazu gekommen ist.«

»Ich denke, das ist ein gutes Zeichen, Nino. Sei nicht so niedergeschlagen. Ihr macht wunderbare Fortschritte, also bleib einfach geduldig mit ihm und lass ihn heilen. Er hat sich sonst immer in seinem Haus verkrochen, aber jetzt ist er hier in Mailand, mit dir . Und ich denke, er hat verdammt großes Glück, dich zu haben. Die meisten Vampire heutzutage sind notgeile Idioten. Mit dieser rosigen Aura, die er unterdrückt hält, ist er wie ein Magnet.«

»Du hast recht. Danke, Lina.«

»Hat er sie je vor dir freigelassen?«, fragt sie. »Seine Aura?«

»Nicht absichtlich, nein.«

Cellina hebt ihren Cocktail an und nimmt einen Schluck. Ihr Ausdruck zeigt Nino, dass sie angenehm überrascht davon ist. »Ich bin sicher, das wird er noch. Er vertraut dir. Es ist unausweichlich. Ob er will oder nicht, sie wird vermutlich irgendwann einfach herausdrängen. Sein Blut fühlt sich noch älter an als meins, also ist es vermutlich reichhaltig. Du solltest besser bereit für das Zeug sein.« Sie nimmt einen größeren Schluck von ihrem Cocktail.

Nino lächelt. »Du meinst, das Blut deiner Mutter  – das zweitausend Jahre alte tansanische Königsblut?«

Cellina nimmt das Glas von den Lippen und hebt ihr Kinn in einem stolzen Lächeln. »Genau das.«

Nino lacht. »G fragt mich ununterbrochen, wann du wieder vorbeikommst.«

»Sag deinem Bruder, dass er sich mit seinem eigenen Scheiß beschäftigen soll.«

»Er hat schon eine Menge Beschäftigung.« Neckend runzelt Nino die Stirn. »Er hat viel zu tun, aber er fragt trotzdem immer nach dir.«

»Tja, dann braucht er ein Hobby. Er hat vor langer Zeit sehr deutlich gemacht, dass er nichts mit mir zu tun haben will.«

»Lina …« Nino schüttelt seufzend den Kopf. »Was alles passiert ist … Ich denke ehrlich, dass G …«

»Nino, sind wir hier um das Mittagessen zu genießen, oder um über deinen Bruder zu reden? Wenn es nämlich das Zweite ist, dann habe ich ungefähr zwanzig Dinge, die ich stattdessen tun könnte.«

Da er laut und deutlich verstanden hat, hebt Nino sein eigenes Getränk an. Er weiß, wann er aufgeben muss. »Verstanden. Wie war das Vorstellungsgespräch letztens? Hast du schon eine Rückmeldung bekommen?«