3. KAPITEL

Stella war sieben gewesen und Rick zehn, als sie die Dolphin im Hafen von St. Kitts zum ersten Mal sahen. Mit offenen Mündern standen beide an Deck der Persephone und bestaunten die Holzjacht. Teak, Eiche, Zypresse und die ursprünglichen Messingbeschläge verliehen ihr den altmodischen Charme einer Zeit, in der Handwerkskunst noch zählte und die Dinge für die Ewigkeit gemacht wurden.

Stella erinnerte sich an Ricks ehrfurchtsvolles Flüstern. „Eines Tages wird sie mir gehören.“

Als sie nun am Kai standen, das Messing funkelnd in der australischen Mittagssonne, das Holzdeck warm und einladend, wirkte das Schiff ebenso beeindruckend und majestätisch wie damals.

Lucinda seufzte in ihrem Kopf.

„Mensch, Rick“, hauchte Stella, dasselbe Prickeln verspürend wie immer, wenn eine steife Meeresbrise ihr um die Nase wehte. „Sie ist noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte.“

Rick sah auf sie herab, das Haar vom Wind zerzaust, die rosa Lippen leicht geöffnet. Sie hatte sich ein ärmelloses Top und abgeschnittene Jeans angezogen und wirkte so klein, dass er den unerwarteten Drang verspürte, schützend den Arm um sie zu legen.

„Ja, das stimmt“, murmelte er, den Blick wieder auf sein Schmuckstück gerichtet.

Stella sah zu ihm auf. Die Meeresbrise wirbelte seine langen Piratenlocken auf. Ein Dreitagebart zierte sein markantes Kinn. „Sie muss dich ein Vermögen gekostet haben.“

Er zuckte die Schultern. „Manchmal geht es nicht um Geld. Und sie ist jeden Cent wert.“

Stella nickte und wandte ihren Blick wieder dem prächtigen Schiff zu. „Warum jetzt?“, fragte sie.

Er zuckte die Schultern. „Dein Vater hat sein ganzes Leben über die Sirena geredet. Und davon, dass er eines Tages Inigos letzte Ruhestätte finden würde. Und dann ist er gestorben, ohne sie je gesehen zu haben.“

Rick spürte ein beklemmendes Gefühl in seiner Brust aufsteigen und verstummte. Er legte einen Arm um Stellas Schultern und zog sie sanft an sich. „Ich habe immer gedacht, dass Nathan unbesiegbar ist …“

Stella, der sich bei seinen Worten das Herz zusammenzog, schlang einen Arm um seine Hüfte. Das hatte sie auch immer gedacht. Dass ihr Vater eine Art Kapitän Ahab sei und die Sirena sein weißer Wal.

So standen sie beide am Hafenbecken und betrachteten noch eine Weile das sanfte Wippen der Dolphin.

„Seit ich zehn Jahre alt war, habe ich davon geträumt, dieses Boot zu besitzen“, murmelte Rick, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte. „Ich wollte nicht länger warten.“

Stella nickte. Sie spürte eine tiefe Verbundenheit mit Rick, fast wie mit einem Bruder.

Das wollte sie nicht aufs Spiel setzen.

„Außerdem“, er lächelte und drückte sie kurz an sich, bevor er sie losließ, „gehört sie der Firma.“

Stella lachte. „Ach, tatsächlich, das nenne ich kreative Buchhaltung.“

„Kann man so sagen“, meinte er lachend.

„Also gehört sie zur Hälfte mir?“

Rick warf seinen Rucksack an Deck und sprang an Bord. Er streckte die Hand aus. „Mi casa es su casa“, murmelte er.

Stella stockte der Atem, als sie seine Hand ergriff. Sein Spanisch war perfekt, und mit seiner sonnengebräunten Haut und den unglaublich blauen Augen glich er Vasco bis aufs i-Tüpfelchen.

Als sie an Bord kletterte, inspizierte sie das kleine, motorisierte Dingi, das am Heck über der Wasserlinie befestigt war. Dann fiel ihr Blick auf die Steuerbordseite des Schiffsrumpfes, wo in großen goldenen, schwarz umrahmten Lettern ein neuer Name prangte. Sie geriet ins Stolpern.

„Hoppla“, sagte Rick, als er sie auffing. „Aus dir ist ja eine richtige Landratte geworden.“

Sie starrte ihn einen Moment lang an. „Du hast sie umbenannt?“, fragte sie atemlos.

Er zuckte lächelnd die Schultern. „Hab ich dir doch versprochen.“

Stella versetzte ihm einen Klaps und ignorierte sein theatralisches Zurückweichen. „Da war ich sieben Jahre alt“, rief sie.

Sie stürmte zum Rand und beim Anblick der sechs goldenen Buchstaben füllten sich ihre Augen mit Tränen.

Stella.

„Gefällt es dir nicht?“

Sie blinzelte die Tränen fort, ging auf ihn zu und trommelte gegen seine Brust. „Natürlich gefällt es mir, du Idiot! Das ist das Netteste, was je jemand für mich getan hat.“ Dann warf sie sich in seine Arme.

Nicht einmal ihr Vater hatte je ein Boot nach ihr benannt.

Lachend hob Rick sie hoch und erwiderte die Umarmung, seine Sinne benebelt von ihrem Kokosduft.

„Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast“, sagte sie mit zittriger Stimme an seiner Brust. Sie befreite sich aus seinen Armen.

„Ich hab’s dir doch gesagt.“

Stella hatte es vergessen, doch jetzt fiel es ihr wieder ein, als sei es gestern gewesen. Seit jenem Sommer, wo sie die Dolphin zum ersten Mal gesehen hatten, redete Rick unaufhörlich davon, dass er sie kaufen wollte, und sie nahm ihm das Versprechen ab, dass er sie nach ihr umbenennen würde.

„Ich hätte nie gedacht, dass du es tatsächlich tust“, meinte sie ungläubig.

„Für mein Lieblingsmädchen tu ich doch alles“, witzelte er.

„Du hättest Nein sagen sollen. Ich war ein kleines Luder.“

Er nickte. „Ja, das stimmt.“

Sie schlug ihm wieder gegen die Brust, lächelte jedoch. Er erwiderte ihr Lächeln, und einen Moment lang standen sie einfach so da, verbunden durch die gemeinsame Erinnerung an eine schöne Zeit.

„Na, dann komm“, sagte sie kurz darauf. „Führ mich herum.“

Eine Wendeltreppe führte unter Deck, wo es viel schöner war, als Stella sich in ihren wildesten Träumen ausgemalt hatte. Poliertes Holz verleitete sie dazu, mit den Händen darüber zu fahren. In jedem Winkel glänzten Messingbeschläge. Deckenbalken und schwere Brokatvorhänge vor den Bullaugen, orientalische Teppiche und dunkle Ledersessel sorgten für Atmosphäre.

Es war nicht protzig, aber irgendwie sehr männlich. Rick schien sich in diesem nautischen Nirwana heimisch zu fühlen, und Stella sah ihn flüchtig in einem aufgeknöpften Seidenhemd und Kniehosen vor sich, wie er sich hier unten nach einem harten Tag einen starken Rum gönnte.

Sie blinzelte, als sich Rick vor ihrem inneren Auge in Vasco verwandelte.

„Hier der Salon, dort die Bordküche“, erklärte er und deutete mit dem Daumen über seine Schulter, wo sie flüchtig Edelstahl erblickte. „Unter uns der Maschinenraum …“ Er stampfte mit dem Fuß auf. „Bugwärts und achtern Kabinen, beide mit eigenem Bad. Ich dachte, du nimmst die Achterkabine? Die ist ein bisschen größer.“

„Gern.“ Sie zuckte die Schultern, doch ihr Puls raste angesichts ihrer wunderlichen Vision. „Klingt gut.“

Rick, der selbst bisher nur Fotos der überholten Jacht gesehen hatte, setzte sich in einen Sessel. Er fuhr mit der Hand über das edle Leder. „Wow, die haben fantastische Arbeit geleistet.“

Blinzelnd betrachtete Stella ihn. Wenn hier etwas fantastisch war, dann er. Wie er da saß, ganz Kapitän des Schiffes, erinnerte sie an eine Szene in Piratenherz, in der Lady Bingham dem Piraten nicht länger widerstehen kann – nachdem ihr bei einem besonders grauenvollen Überfall bewusst wird, wie kurz das Leben ist und dass sie nicht sterben will, ohne je wahre Lust erfahren zu haben.

Vasco sitzt breitbeinig auf einem Stuhl und streichelt dessen Armlehne zärtlich, als wäre es die Brust einer schönen Frau. Mary steht vor ihm und wartet, bis er sich vorbeugt, protestiert weder, als er ihr unter den Rock fasst, noch als er von hinten an ihre Oberschenkel greift und sie auf seinen Schoß zieht, sodass sie, mit wallendem Kleid, rittlings auf ihm sitzt.

„Es sieht viel besser aus als auf den Fotos“, murmelte Rick.

Stella wich instinktiv einen Schritt zurück, als seine Stimme sie in die Gegenwart zurückholte.

„Es ist wundervoll, Rick“, stimmte sie zu. „Einfach … unglaublich.“

Lächelnd fuhr Rick fort, über das Leder zu streicheln. Er war froh, dass Stella diesen Moment mit ihm teilte.

„Lass uns rausfahren“, sagte er und stand auf. Der plötzliche Drang, die Segel zu hissen und sich vom Wind treiben zu lassen, schoss ihm ins Blut wie der erste Schluck Bier an einem heißen Sommertag.

„Ich weiß, wir müssen noch Lebensmittel besorgen, aber das können wir auch morgen. Lass uns eine Probefahrt nach Green Island machen. Wir könnten Schnorcheln gehen. Alles, was wir brauchen, haben wir an Bord … Na ja, Bier haben wir jedenfalls. Und wir können uns ein paar Fische angeln und dort die Nacht über ankern. Ich möchte an Deck liegen und in die Sterne gucken, wie damals, als wir Kinder waren.“

„Gern“, stimmte sie bereitwillig zu. Was sie jetzt vor allem brauchte war Ablenkung – sonst ging ihre Fantasie noch mit ihr durch. „Superidee. Darf ich sie steuern, wenn wir aus dem Hafen raus sind?“

Stella hatte praktisch segeln gelernt, bevor sie laufen konnte, doch es war viele Jahre her, seit sie zuletzt auf hoher See gewesen war.

„Weißt du überhaupt noch, wie das geht?“, neckte Rick sie.

Sie lächelte ihn an. „Es wird mir schon wieder einfallen. Ist wie Fahrradfahren, oder?“

Oder Sex.

Diana hatte ihr versichert, dass man das auch nicht verlernte.

„Keine Sorge, ich bin ja da, um dir zu helfen. Vertraust du mir?“

Genau dasselbe hatte Vasco auch Lady Mary gefragt.

Vertraust du mir?

Stella schluckte. „Ich vertraue darauf, dass du mich davon abhältst, dein sehr teures – Verzeihung, das sehr teure Boot der Firma – auf ein Riff zu setzen“, scherzte sie.

Rick lachte. „Da hast du recht. Na, dann komm, erster Offizier, los geht’s.“

In weniger als einer halben Stunde waren sie auf offener See, und Stella konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt so lebendig gefühlt hatte. Geduldig hatte sie gewartet, während Rick sie mit Hilfe des Motors aus dem Hafen manövriert hatte, und ihm dann geholfen, die Segel zu hissen. Sie hörte Lucinda singen, als die Segel sich im leichten Wund aufblähten, und ihr Herz hüpfte, als das Boot durch schaumgekrönte Wellen wogte.

Rick, der sein T-Shirt – natürlich – ausgezogen hatte, stand die ersten zehn Minuten hinter ihr am Steuerrad und frischte ihre Erinnerung hier und dort auf. Was unnötig war, denn das Boot war ihr sofort vertraut wie der eigene Herzschlag, und zur Not hätten sie jederzeit auf den technisch ausgefeilten, per Satellit gesteuerten Autopilot wechseln können, der Teil des neu eingebauten Computersystems war.

Es war herrlich, den wogenden Ozean wieder unter sich zu spüren. Sie schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne, das Steuerrad in ihren Händen wie eine Verlängerung ihrer selbst. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie Lucinda lachend mit den Delfinen auf den Wellen ritt.

Als Rick, der gerade damit beschäftigt gewesen war, ein loses Seil festzuknoten, aufblickte, sah er sie in dieser Sonnenanbeter-Pose stehen. Er hatte schon befürchtet, es sei ein Fehler gewesen, die Dolphin aus einer Laune heraus zu kaufen, ein überflüssiger Luxus, eine Übersprunghandlung nach Nathans plötzlichem Tod.

Jetzt war er sicher, dass es kein Fehler gewesen war.

Nathans Unfall hatte ihn tief erschüttert. Er war an jenem Tag dabei gewesen. Hatte Nathans leblosen Körper ohne Sauerstoffflaschen an die Wasseroberfläche kommen sehen. Hatte ihn hektisch an Bord gezogen, ihm Luft in die Lungen gepustet, die längst voller Meerwasser waren.

Hatte ihn angefleht, nicht zu sterben.

Um seinetwillen.

Um Stellas willen.

Die Erinnerung an seinen eigenen Vater war im Laufe der Jahre verblasst. Nur ein paar ausgeblichene Fotos erinnerten an ihn – und die oft wiederholten Geschichten, je später der Abend und je mehr Bier floss, desto fantastischer. Anthony Granville war eine Legende.

Ricks Vorbild war Nathan. Und es war auch Nathan, der die Vormundschaft übernahm, als seine Großmutter ihn mit fünfzehn rauswarf, weil sie nicht mehr mit ihm fertig wurde.

Doch Nathan war ein strenger Lehrmeister. Hatte darauf bestanden, dass Rick seinen Schulabschluss per Fernstudium nachholte. Ließ ihn an Bord die Drecksarbeit erledigen.

Und dafür war Rick ihm dankbar. Auf seine Weise hatte er ihm vielleicht mehr Geborgenheit geschenkt als eine intakte Familie.

Er war so wütend auf Nathan gewesen, als er in Großbritannien gelandet war, nur dreißig Stunden nach dessen dramatischen Tod.

Wütend, weil er die schlechte Nachricht überbringen musste.

Wütend, weil Nathan nicht mehr da war.

Doch er wusste, dass er die Nachricht persönlich überbringen musste. Nathan hätte es so gewollt.

Der Gedanke, jemand anders würde es Linda erzählen – Stella erzählen – war unvorstellbar. Linda und Nathan waren zwar geschieden, doch Rick wusste, wie viel sie noch für ihn empfand.

Die Autopsie-Ergebnisse kurz vor der Beerdigung machten Nathans Tod nachvollziehbarer. Als Mann des Meeres verstand Rick, warum Nathan den Ozean einem Krankenhaus vorgezogen hatte.

Doch es hatte den Verlust nicht geringer gemacht.

Und sein spontaner Entschluss, die Dolphin zu kaufen, war aus der Trauer geboren, auch wenn er sich über seine Motive nicht ganz im Klaren war.

Doch als Stella die Augen wieder öffnete und ihn anlächelte, wusste er es genau.

Die Dolphin war ein Teil von ihnen. Von ihrer Vergangenheit. Und egal, was im Laufe der Jahre passieren würde, das Boot würde sie zusammenhalten.

Es war schon einige Jahre her, dass Stella zuletzt Schnorcheln gewesen war. Doch als sie ein paar Stunden später vor Anker gingen, lockte das kristallklare tropische Meer, und sie war in Rekordgeschwindigkeit unter Deck und wieder oben.

„Was zum Teufel hast du da an?“, fragte Rick, als sie neben ihm auftauchte, während er nach Schwimmbrillen und Flossen suchte.

Stella blickte auf ihren praktischen Badeanzug herab. „Gefällt dir die Farbe nicht?“

Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Hier gibt es um diese Jahreszeit Würfelquallen, Stella. In deiner Kabine müssten ein Neoprenanzug und ein Quallenschutzanzug hängen.

Stella blickte auf das Wasser und sehnte sich danach, es auf ihrer nackten Haut zu spürten, wie Lucinda in ihrem Traum.

„Ach, komm schon“, protestierte sie. „Hier draußen auf dem Riff sind wir doch relativ sicher.“

„Ich werde den Leuten sagen, was du dir dabei gedacht hast, wenn sie dir das Gegengift verabreichen.“

Stella zuckte die Schultern. „Das Risiko gehe ich ein.“

Rick schüttelte entschieden den Kopf. „Ich nicht.“ Er zeigte auf die Stufen, die unter Deck führten. „Los“, befahl er.

Stella verdrehte die Augen. „Ja, ja.“

Als sie ein paar Minuten später zurückkehrte, steckte sie von den Knöcheln bis zum Hals in einem hellblauen Lycra-Anzug.

„Ich hasse diese Dinger“, beschwerte sie sich und zupfte an dem eng anliegenden Material. „Ich sehe aus wie ein Moppelchen.“

Rick sah bewusst nicht hin. Wie Nathans Tochter in einem hautengen Quallenschutzanzug aussah, ging ihn nichts an.

„Das tut jeder“, meinte er und reichte ihr Flossen, Taucherbrille und Schnorchel.

Stella starrte ihn an. Nein, nicht jeder sah aus wie ein Moppelchen. Nicht ein Meter achtzig große Size-Zero-Supermodels. Zu denen sie definitiv nicht gehört. Und er schon gar nicht mit seinen durchtrainierten Beinen, den schmalen Hüften, die im krassen Gegensatz zu ihren Kurven standen. Er sah aus wie ein Yves-St.-Laurent-Model oder James Bond.

Sie setzte sich die Taucherbrille auf und sah ihn an. „Willst du nicht mitkommen?“, fragte sie und deutete demonstrativ auf seinen Anzug, den er erst zur Hälfte angezogen hatte.

„Bin schon fertig.“

Sie schnorchelten mehr oder weniger den ganzen Nachmittag. Ein paar Mal machten sie Pause, um etwas zu trinken, und Rick probierte seine hochmoderne Unterwasserkamera aus, ansonsten tummelten sie sich stundenlang im warmen tropischen Wasser, als wären sie wieder Kinder und spielten Pirat und Meerjungfrau.

Stella hatte fast vergessen, wie herrlich es war, die Sonne auf dem Rücken zu spüren, während man in ein verwunschenes Unterwasserreich eintauchte. Wo Fische in allen Farben des Regenbogens um sie herum schossen und zwischen Korallen umhertollten, die einen einzigartigen und faszinierenden Unterwassergarten formten.

Wo die dunklen Schatten riesiger Mantarochen und kleiner Riffhaie in der Ferne lauerten.

Wo die Stille der Schönheit ungeahnte Tiefe verlieh.

Es war schon nach fünf Uhr, als sie aus dem Wasser kamen. Stella zog wieder dieselben Sachen an, Rick schälte sich nur den Anzug bis zur Hüfte herunter, was ihn gleich wieder wie James Bond aussehen ließ. Sie warfen ein paar Angelleinen aus, um sich ihr Abendessen zu fangen, tranken dabei ein kaltes Bier und sahen sich Ricks Fotos auf dem Laptop an. Sie lachten und schwelgten in Erinnerungen, und Rick zeigte ihr Bilder von seiner letzten Bergung – eine Fregatte aus dem neunzehnten Jahrhundert vor den Jungferninseln.

Sie fingen zwei Forellenbarsche, und Rick garte sie auf einem kleinen Grill, den er von unten holte. Der Fisch zerging auf der Zunge. Sie ließen die Beine über Bord baumeln, betrachteten die langsam roter werdende Abenddämmerung, während die Wellen sanft gegen den Schiffsrumpf schlugen, und Stella spürte, wie der Jetlag sie einholte.

Rick räumte ihren Teller ab, und sie ließ sich auf das Deck sinken, die Knie angezogen, und blickte in die Sterne, die einer nach dem anderen am Himmel erschienen. Von unten konnte sie Geschirr klappern hören, und als Rick endlich zurückkam, hatte die Nacht ganz vom Himmel Besitz ergriffen, und die Sterne funkelten wie Diamanten über ihnen.

Ein Dreiviertelmond hing tief am Himmel und warf eine Lichtspur auf die Meeresoberfläche.

„Bist du noch wach, Schlafmütze?“, fragte Rick.

Sie antwortete mit einer Gegenfrage. „Nimmt er zu oder ab?“, fragte sie.

„Er nimmt zu“, wusste Rick, legte sich neben sie auf das noch sonnenwarme Holz und blickte ebenfalls in den Himmel. Er hatte seinen Quallenschutzanzug ausgezogen und trug nur seine Boardshorts.

Stella seufzte. „Es ist so wunderschön. Ich wette, du bekommst nie genug davon.“

„Nein. Nie.“

Unzählige Stunden hatte er nachts an Deck verbracht, wenn Nathan ihm erklärte, wie man sich an den Sternen orientierte. Manch einer mochte es schon damals hoffnungslos altmodisch finden, wo Bergungsunternehmen doch schon seit Jahrzehnten mit ausgefeilten Navigationssystemen und Autopilottechnologie arbeiteten, doch es hatte Rick mehr als einmal aus der Klemme geholfen, wenn die Technik versagte.

Und er liebte es, Nathans Stimme zuzuhören, wenn er über den Himmel redete, als sei jeder einzelne Stern sein Freund. Er kannte nicht nur die Gebilde oder Positionen am Horizont, sondern auch die ganzen alten Seefahrerlegenden.

Was die Sterne anging, war Nathan ein wandelndes Lexikon gewesen, und Rick hatte sein Wissen aufgesogen wie ein Schwamm.

Und dann hatte er es an Stella weitergegeben, die bei jedem Wort ehrfürchtig an seinen Lippen hing.

Wie viele Stunden hatten sie als Kinder so auf dem Rücken an Deck eines Bootes gelegen, nach Sternbildern gesucht und auf die erste Sternschnuppe der Nacht gewartet?

Ihr Arm berührte seinen, als sie auf das Kreuz des Südens zeigte, und ihm wurde klar, wie sehr er das alles vermisst hatte.

Diese … Vertrautheit.

Zwei alte Freunde, die sich am Ende eines perfekten Tages entspannten.

„Hey“, sagte Stella und legte den Kopf in den Nacken, weil sie am Rand ihres Blickfelds sah, wie das Mondlicht in einem Stück Metall reflektierte, das an einer Stange auf dem Achterdeck befestigt war. Sie blinzelte. „Ist das ein Duschkopf?“

Rick reckte ebenfalls den Hals und lächelte. „Genau. Ich wollte immer schon unter freiem Himmel duschen können.“ Lächelnd brachte er den Kopf in eine entspanntere Position zurück.

Lachend wandte auch sie den Blick wieder dem Nachthimmel zu. „Du hast wohl an alles gedacht, was?“

Er nickte. „Ich habe viele Jahre von diesem Boot geträumt.“

Sie schwiegen eine Weile und lauschten dem sanften Schlagen der Wellen.

Bis Stellas Gähnen die Stille unterbrach. „Ich bin todmüde.“ Sie schloss die Augen. „Sonne, Meer und Jetlag sind eine fatale Kombination.“

„Du darfst nicht schlafen gehen, bevor wir eine Sternschnuppe gesehen haben, Stella. Sieh doch.“ Er stieß sie an die Schulter. „Da ist das Sternbild der Zwillinge.“

Stella schlug die Augen wieder auf, folgte brav dem Verlauf des perfekt geformten Bizeps bis hinauf zur Spitze seines ausgestreckten Zeigefingers und schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Du hattest schon immer eine Schwäche für Zwillinge.“

Sie lachten, und als er gerade seinen Arm sinken ließ, geschah es: Eine Spur aus Licht schoss über den Nachthimmel und erleuchtete ihn für ein paar Sekunden.

Stella schnappte nach Luft, und Rick flüsterte: „Schnell, wünsch dir was.“

Stella dachte an Lucinda und Inigo. Und die gute Joy mit der Geduld eines Hiob. Sie kniff die Augen zu, als das Licht verblasste und wünschte sich einen zweiten Bestseller.

Rick wandte den Kopf. „Was hast du dir gewünscht?“

Stella öffnete die Augen, und seine Nähe verschlug ihr den Atem. Selbst in der Dunkelheit, die sie umgab, schienen seine blauen Augen zu strahlen. „Das ist ein Geheimnis“, murmelte sie. „Wenn ich es dir verrate, geht der Wunsch nicht in Erfüllung.“

Er schüttelte den Kopf. „Du warst schon immer eine Romantikerin. Ich hätte wissen müssen, dass du eines Tages Liebesromane schreibst.“

Seine Stimme klang leicht und herzlich, nicht vorwurfsvoll wie Dales. Dale hatte das Wort Roman kaum über die Lippen gebracht. Sie lächelte. „Sagt ausgerechnet der Mann, der wollte, dass ich mir etwas wünsche“, konterte sie.

Er lachte. „Touché.“

Sein Lachen hatte eine eigentümliche Wirkung auf ihr Innerstes, und am liebsten wäre sie die ganze Nacht mit ihm hier draußen geblieben und hätte sich den Sonnenaufgang angesehen, doch ihre Augenlider wurden immer schwerer.

Gähnend richtete sie sich auf. „So! Ich muss ins Bett.“ Sie stand auf und sah auf ihn herunter, wie er in nichts als locker sitzenden Boardshorts auf dem Deck seines Bootes lag und es dennoch schaffte, so auszusehen, als beherrschte er den ganzen Ozean. „Wir sehen uns morgen früh.“

Er nickte. „Ich komme auch gleich“, murmelte er.

Stella wandte sich zur Treppe und spürte seinen Blick. Sie hörte noch sein leises „Gute Nacht, Stella“, war jedoch zu müde, um zu antworten. Stattdessen ging sie an der Kombüse vorbei durch den Salon zur Achterkabine. Sie machte sich nicht die Mühe zu duschen, zog nur ihre Shorts aus und kroch ins Bett.

Kaum berührte ihr Kopf das Kissen, fing sie auch schon an zu träumen.

Sie träumte von Vasco.