»
W
arum fürchten wir uns vor der Dunkelheit, wenn es das Licht ist, das uns mehr vom Land der Alpträume zeigt?«
Ich lauschte, während die Schritte von oben näher rückten. Mein Körper zuckte zusammen, als mich ein natürlicher Reflex überkam. Jede Faser in meinem Wesen schrie. Jeder Sinn warnte mich vor der Gefahr. Der Geruch des feuchten Raums kroch in meine Nase, als würde eine Leiche in einer Ecke verfaulen. Meine Handflächen bluteten schon von den Fingernägeln, die ich in sie bohrte, und meine Knöchel wurden weißer, bis jeder Finger schmerzte.
Ich konnte ihn hören. Die Stiefel, die er immer trug und die ihn nun näher zu mir brachten, waren wie die Trommeln der Hölle. Ihr Klang meine eigene, seelische Folter. Sie waren dick besohlt wie Bikerstiefel. Dennoch hörte ich nie das tiefe Dröhnen eines Motorrads, wenn er zu mir kam. Ich wusste, ich hatte nicht viel Zeit, bis der faulige Atem eines wahren Monsters über mein Ohr streichen würde, um mir zu erklären, wie sich die Dinge, die die Hölle erschuf, anfühlen können … Wie sie lieben können.
Ich glaubte ihm nicht, denn wie sollte ich auch?
Mein Atem verfing sich in meiner Brust. Ich zählte immer die Zeit, die mir noch blieb, in Herzschlägen. War dies das Ende? Mein Ende? War das die Zeit, meine letzte Minute, in der mich die Dunkelheit verschlingen würde?
Unnatürliches Licht flutete den schwarzen Raum, und eine Gestalt, ähnlich der einer Silhouette des Todes, erschien. Egal wie oft er in meiner Nähe gewesen war, ich konnte nach wie vor nicht verhindern, wie ein hörbarer Atemzug meinen zerbissenen, geschwollenen und blutigen Lippen entfloh. Angst ergriff sie, ließ sie unkontrollierbar erzittern, so wie es immer geschah, wenn ich etwas sah, das ich mir nicht erklären konnte. Ich wollte stark sein. Ich musste es sein, denn sonst würde ich diesem Fluch nie entkommen.
Die Zeit war gekommen.
Seine Zeit war zu Ende.
Die messerscharfen Kanten, die ich nicht losließ, bohrten sich in meine Hände und verschmierten sie mit Blut. Ich hörte den ersten Schritt auf der Treppe, aber ich würde nicht noch einmal aufschauen. Also kehrte ich dem Angesicht des Todes meinen Rücken zu und tat, was ich tun musste.
»Leb wohl«,
sagte ich mit einem letzten Atemzug, bevor nur noch Blut meine Sicht verdeckte.
Erschreckt öffnete ich meine Augen, plötzlich hellwach. Es dauerte einen Moment, bis ich meine Umgebung wieder klar wahrnahm und feststellte, dass mich alle Passagiere anstarrten. Ich glaube, ein Langstreckenflug macht jeden ein wenig unruhig, daher überraschte es mich nicht, dass mein unerwartetes Aufspringen in meinem Sitz einige erschrockene Blicke auf mich zog. Das war in Ordnung. Ich hatte mich schon so an diese Blicke gewöhnt, dass sie für mich ganz natürlich waren. Ich war eine
Meisterin darin, nichts zu fühlen, also starrte ich geradeaus und tat so, als ob niemand sonst da wäre.
Ich kratzte meine Arme, so wie ich es immer tat, wenn mich dieser wiederkehrende Traum heimsuchte und ein übelkeitserregendes Gefühl in meinem Magen erweckte. Die vertraute Bitterkeit von Galle entfaltete sich in meinem Mund. Ein dunkler Nachgeschmack, der immer meinen Träumen folgte. Ich blickte hinunter und seufzte, als ich die langen Ärmel aus Baumwolle beäugte, die meine Arme bedeckten. Der Traum hatte verborgen, was tatsächlich geschehen war, aber mein Unterbewusstsein spielte es immer auf dieselbe Weise ab, ganz gleich, ob die Details stimmten oder nicht.
»Hattest du einen Alptraum, Schätzchen?« Ich sprang beinahe aus meinem Sitz, als mich die erste Person nach Stunden der Stille ansprach. Eine üppige, grauhaarige Dame in einem geblümten Oberteil, das aussah, als wäre es aus Vorhängen gemacht worden, lächelte mich an, während sie auf die einzigen Worte wartete, die ich zu sagen vermochte.
»So was in der Art.«