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Ein Besucher
M ein Herz pochte mit einer unnatürlichen Frequenz in meiner Brust, als meine größte Angst in mir entbrannte.
»Das passiert nicht, Keira. Reiß dich zusammen«, flüsterte ich mir selbst zu, ohne meine Augen von der Gestalt vor mir abzuwenden. Sie neigte ihren Kopf, als ob sie mich aus einer Entfernung von zehn Meter hören könnte, blieb aber regungslos. Es war nichts anderes als unheimlich, so viel war sicher.
»Äh, hey … Alles okay?«, fragte ich, denn einer von uns sollte etwas sagen. Wir konnten uns wohl kaum anstarren, bis die Sonne unterging. Oder, Gott bewahre, dass die skurrile Person da drüben beschloss, lieber mit ihrem Beil zu sprechen und die Antwort in mein Fleisch zu ritzen. Okay, neue Regel: keine Horrorfilme mehr, jetzt, wo ich mitten im Nirgendwo lebte. Nicht an einem Ort, wo einen Körper zu verstecken so einfach wäre wie eine Schaukel auf einem Spielplatz zu finden.
»Bist das du?« Eine weibliche Stimme durchdrang den stillen Wald. Meine Anspannung löste sich augenblicklich in Luft auf. Bei genauerem Hinsehen konnte ich eine kleinere Gestalt erkennen, die eine taillierte Damenjacke trug. Sie war schwarz mit einer großen, breiten Kapuze, die ihr Gesicht bedeckte und um ihre Knie flatterte. Wer auch immer sie war, sie sah auch aus der Entfernung klein aus, und ich selbst war nur 1,63 m.
»Wie bitte?«, fragte ich verwirrt, nachdem es endlich zu mir durchgesickert war, was sie gesagt hatte.
»Du bist es wirklich … Sie sagte, die Zeit sei reif, und hier stehst du nun.« Die musikalische Stimme schien mich anzuziehen, und ich wagte einen Schritt näher.
»Kennen … Kennen wir uns?« Ich versuchte, ruhig zu klingen, da ich sie nicht erschrecken wollte und sah zeitgleich nach unten, um nicht über den unebenen Boden zu stolpern und mir ein Bein zu brechen.
»Noch nicht, Electus, aber das werden wir bald. Und so wird auch Er«, sagte sie, und ich erschauderte bei der Art, wie sie ›Er‹ aussprach. Ich schüttelte meinen Kopf und fummelte mit dem Ende meines Jackenärmels.
»Ich glaube, du verwechselst mich mit jemandem«, sagte ich, was sie dazu inspirierte, sanft zu lachen. Weshalb genau, wusste ich nicht.
»Oh, ich denke nicht. Du wirst bald erfahren, wer du bist, keine Sorge.« Ich runzelte die Stirn, bevor ein humorloses Lächeln über meine Lippen kam.
»Das ist verrückt, du kennst mich nicht einmal! Hör zu, brauchst du vielleicht ein Telefon oder so?« Ich blickte zurück zum Haus und sprach weiter. »Wenn du dich verlaufen hast, dann ist mein Haus nur … Warte! Wo bist du hin?«, rief ich, denn als ich mich wieder umdrehte, war die verhüllte Frau verschwunden. Mein Kopf flog hin und her, aber sie war nirgends zu sehen.
»Ist das wirklich gerade passiert?«, flüsterte ich. Ich ging zu der Stelle, an der sie gestanden hatte, und schaute in alle Richtungen, aber da war nichts. Es war eigenartig und schwer zu erklären, aber ich fühlte mich auf eine seltsame Weise zu ihr hingezogen. Fast so, als ob sie all meine Antworten hätte. Aber was zur Hölle waren überhaupt die Fragen?
»Du redest wirres Zeug«, murrte ich zu mir selbst, schüttelte meinen Kopf und erhaschte dabei einen kleinen Lichtblitz auf dem Boden. Genau in dieser Sekunde schienen die Sonnenstrahlen durch die kleinsten Lücken in der dicken Baumkrone und trafen auf ein kleines, weißes Kärtchen. Ich bückte mich, um es aufzuheben, und sobald ich es berührte, verschwand die Magie, die es erleuchtet hatte. Ich schaute auf, um festzustellen, dass der Sonnenstrahl verschwunden war und der Wald um mich herum wieder dunkler wurde.
»Muss wohl aus ihrer Jackentasche gefallen sein«, grübelte ich, während ich am Boden kauerte und die weiße Visitenkarte in meiner Hand unter die Lupe nahm. Sie war unbeschrieben, und ich drehte sie um, um die andere Seite zu überprüfen, doch auch die glänzend schwarze Rückseite war leer. Ich legte meine Stirn in Falten und versuchte zu verstehen, was das zu bedeuten hatte, bis ich sie wieder umdrehte. Erst als ich das tat, sah ich es. Zwei Wörter, die leicht erhaben waren, aber nur aus einem bestimmten Winkel klar gelesen werden konnten …
›Club Afterlife‹
»Club After… Ahhh!« Ich begann laut vorzulesen, als ich aufschrie und gleichzeitig nach hinten fiel. Eine massive schwarze Kreatur flog aus dem Wald und kam direkt auf mich zu. Sie schnappte mir die Karte aus der Hand und biss fast meine Finger ab.
Ich hatte immer noch meine Hände schützend über meinen Kopf geschlungen, für den Fall, dass sie zurückkam, als ich schließlich einen Blick wagte. Mein Kopf schleuderte von der einen Seite zur anderen, bereit, mich noch einmal zu verteidigen.
»Herrgott! Was zur Hölle war das?!«, rief ich, meine Hand auf mein hämmerndes Herz gepresst. Was auch immer, es war riesig gewesen! Als ich sichergehen konnte, dass die Kreatur verschwunden war, richtete ich mich auf wackeligen Beinen auf und wischte nasse Blätter und Dreck von meinen Jeans. Dann begannen meine Gedanken zu rasen. Sah ich wieder Dinge, die nicht existierten? Bedeutete das mehr Pillen für die verrückte kleine Kazzy? Gott, ich hoffte nicht! Ich wollte zurück zum Haus laufen und Libby und Frank von dem Mädchen erzählen, war mir aber nicht sicher, was ich ihnen eigentlich sagen sollte.
Ich schloss meine Augen und rieb mir die Stirn, in der Hoffnung, dass das kein dunkles Omen gewesen war. Es war mein erster Tag hier!
»Toller Start, Keira«, schnauzte ich mich selbst an. Nun, entweder sah ich wieder Dinge, oder hier ging tatsächlich etwas Ungewöhnliches vor. Ich war nicht gerade heiß darauf, rückfällig zu werden. Nicht, wenn ich noch nicht einmal die Stadt gesehen und meine erste Tasse Tee gehabt hatte.
Aber mehr als alles andere verabscheute ich den Gedanken, dass irgendwo da draußen ein verlorenes Mädchen herumirrte. Und eine, die entweder ein paar Schrauben locker hatte oder noch betrunken von letzter Nacht war, also alles in allem ein verstörender Gedanke. Aber tief in mir wusste ich, dass sie weder verloren noch verrückt noch betrunken war. Zumal es ja nicht so war, dass ich mich allzu weit vom Haus entfernt hatte. Und seien wir ehrlich, jemand, der sich tatsächlich verlaufen hat, spricht nicht die erste Person an, die ihm über den Weg läuft, um dann ein kryptisches Kauderwelsch von sich zu geben, bevor er sich einfach so aus dem Staub macht.
Aber ich konnte es auch nicht dem Zufall überlassen. Somit beschloss ich zu versuchen, sie irgendwie zu erreichen, nur für den Fall. Sie konnte nicht weit gekommen sein.
»Wenn du noch da draußen bist und dich verirrt hast, dann geh weiter nach Norden und du findest mein Haus!« Ich kam mir wie ein Idiot vor, der dem Anschein nach Selbstgespräche führte. Mit einem Achselzucken drehte ich mich um und ging.
Ich konnte durch die Bäume hindurch das Ende des Pfades sehen, aber wenn ich noch weiter gegangen wäre, wäre er verschwunden, verdeckt von einer grünen Wand aus Wald. Ich beschleunigte mein Tempo, als sich der Himmel schwarz färbte. Würde heute Abend ein Sturm aufkommen? Ich machte mir Sorgen, dass dem Mädchen nichts anderes übrigblieb, als gegen die Wut von Mutter Natur zu kämpfen.
Als ich endlich wieder zu Hause ankam, schleuderte ich meine Schuhe zu Boden und machte mich direkt auf die Suche nach Frank, der sich ein Spiel im Fernsehen ansah.
»Äh … Frank?«
»Ja, Schätzchen? Hast du deinen Spaziergang genossen?«, fragte er, ohne seine Augen vom Bildschirm zu bewegen.
»Hmm, ja, es war toll, aber … Nun, kann ich dich etwas fragen?« Ich war mir noch nicht sicher, wie ich den Vorfall erklären sollte, ohne verrückt zu klingen.
»Schieß los.«
»Als ich da draußen war, dachte ich, ich hätte jemanden gesehen. Gehen die Leute dort oft spazieren?«
»Oh ja, wir haben hier viele Wanderer und Kinder, die sich da draußen austoben. Nicht weit vom Haus gibt es einen Weg, und weiter entlang befindet sich eine Lichtung, wo sie ihre Autos abstellen. Wenn du jemanden gesehen hast, dann ist das ganz normal. Obwohl es aussieht, als würde es gleich ziemlich stürmisch werden«, sagte er mit einem flüchtigen Blick aus dem Fenster.
»Also, wenn ich jemanden gesehen habe, denkst du, ich sollte mir keine Sorgen machen?«
»Nein, nicht, wenn sie nicht gesagt haben, dass sie sich verlaufen hätten. Dieser Weg ist nicht zu übersehen. Wenn du dir über etwas den Kopf zerbrechen willst, dann darüber, was deinen Geschmacksknospen gleich widerfahren wird.« Er drehte seinen Kopf zur Küche, und ich lachte.
»Ich denke, ich sollte sichergehen, dass die Küche nicht in Flammen steht. Soll ich dir ein Bier mitbringen?«, fragte ich und nickte zu seiner leeren Flasche.
»Würde nicht Nein dazu sagen, Kazzy«, sagte er lächelnd, und ich überließ ihn seinem Spiel, um den Schaden zu begutachten.
Der Geruch von verbrannter Pizza und Oregano wehte aus der Küche, als ich sie betrat und sah, wie meine Schwester mit einem Geschirrtuch herumfuchtelte, um den Rauch, der aus dem Ofen stieg, zu beseitigen. Das brachte mich zum Kichern. Bald folgte beherztes Lachen, als sie anfing, den Ofen zu beschuldigen. Ihr Blick auf mein Gesicht versetzte mich in Hysterie, und das bedauernswerte Schweinchengeräusch, das ich von mir gab, brachte mich zum Prusten, bis es fast schmerzte.
»Zumindest kann ich davon ausgehen, dass die Küche nicht brennt … Das, oder du bist ganz high vom Rauch!«, schrie Frank aus dem Wohnzimmer.
»Tja, ich hoffe, du magst deine Peperoni knusprig und na ja … Deine Krusten extra knusprig«, sagte Libs, die Franks Kommentar ignorierte und versuchte, das zu schneiden, was wie eine verkohlte Betonplatte aussah.
»Du hast schwarz und eingeäschert vergessen«, merkte ich an und ging zu ihr rüber, um ihre Wange zu küssen. »Wird schon essbar sein. Ich mag die Krusten ohnehin nicht«, versicherte ich ihr, während ich im Stillen dem Herrn dankte, dass ich noch keine Zahnfüllungen hatte.
Die Pizza hätte aus Rigips sein können, so hungrig war ich. Sie schenkte mir ein Glas Milch ein und reichte mir den Teller. Ich kehrte mit einem Bier unter meinem Arm zurück ins Wohnzimmer und bemerkte, dass Frank sich nicht von seinem Sessel bewegt hatte. Er war perfekt vor dem riesigen Flachbildfernseher positioniert, und es schien, als wäre ein amerikanisches Footballspiel gerade in vollem Gange. Ich war an eine andere Art von Football gewöhnt, nämlich das klassische Fußball. Das hier erinnerte mich mehr an Rugby, nur mit viel mehr Polsterung.
»Prost, Kaz«, sagte Frank, den es keineswegs kümmerte, dass ich sein Bier unter meiner Achselhöhle versteckte, da ich keine Hand frei hatte.
Libby folgte mir und war im Begriff ihm zu sagen, er solle den Sender wechseln, aber ich warf ihr einen Blick zu, der ausdrückte, dass es mir nichts ausmachte. Mir war es eigentlich egal, was gerade im Fernsehen lief. Außerdem war Frank wie besessen, rief die Namen von Spielern, die ich nicht kannte und beschimpfte sie gleichzeitig mit Namen, die ich sehr wohl kannte.
Ich grinste, als er endlich bemerkte, dass seine Frau ihn finster anschielte, denn Libby tolerierte kein Fluchen. Sein Gesicht sah nun aus wie das eines kleinen Jungen, der beim Beschmieren der Wände erwischt worden war oder wie jemand, der sich mit einem Nagelknipser die eigenen Haare geschnitten hatte. Ich schluckte meine Belustigung hinunter und unterdrückte ein Lächeln.
Es gab also eine Person auf dieser Welt, die er tatsächlich fürchtete. Meine kleinwüchsige Schwester blieb stehen und wartete mit verschränkten Armen und schmollenden Lippen auf ein ›Entschuldigung‹. Natürlich musste sie nicht lange warten.
»Sorry, Babe, aber dieser Kerl ist ein Witz! Lässt einfach einen rechts vorbei und …« Nur ein Blick und eine Kopfneigung in meine Richtung brachten ihn zum Schweigen.
»Äh … Tut mir leid, Kaz.« Der verlegene Blick auf seinem Gesicht kräuselte meine Lippen.
»Es ist okay. Ich habe schon Schlimmeres gehört.« Und das war keine Übertreibung, denn zu meinen Zeiten als Kellnerin hatte ich mir angewöhnt, solche Dinge auszublenden. Schnaubend flatterte Libby in die Küche zurück, um ihre eigene Gourmet-Mahlzeit zu holen, während ich auf meine hinabblickte und mich dafür verfluchte, kaum etwas im Flugzeug gegessen zu haben.
Ich wartete, bis meine Schwester ins Zimmer zurückkam, bevor ich die Frage stellte, die, wie es schien, nur darauf wartete, aus mir herauszuplatzen. Sie nahm wieder ihren Platz ein, als ich sprach.
»Sagt mal, habt ihr schon mal von Club Afterlife gehört?« Auch ohne die Visitenkarte als Beweis würde ich den Namen nie vergessen. Beider Antworten waren gleichermaßen verräterisch. Meine Schwester ließ ihre Gabel mit einem Klirren fallen, und Frank hustete.
»Die wichtigere Frage ist: Wie hast du von Club Afterlife gehört?«, fragte meine Schwester, während sie mich finster anblickte, als wäre ich diejenige, die jetzt geflucht hätte.
»Entspann dich, Libs«, warf Frank mutig ein, doch seine Bemühungen wurden nur mit einem ›Pfff‹-Geräusch von Libby belohnt.
»Ich dachte, ich hätte ein paar Mädchen im Wald darüber reden hören. Wieso? Was ist so schlimm an dem Ort?«, fragte ich nach schnellem Nachdenken. Ich hasste es zu lügen, unter anderem, weil ich echt schlecht darin war. Aber was hätte ich sonst sagen sollen? Dass ich eine Visitenkarte gefunden hatte, die mir von einem verrückten Vogel gestohlen wurde? Wohl kaum.
»Ha! Die Liste der Dinge, die nicht schlimm sind an diesem Ort, wäre kürzer«, maulte meine Schwester, bevor sie zornig von ihrer Pizza abbiss. Aber wahrscheinlich war das gar nicht so schlecht, denn sie brauchte die zusätzliche Kraft, um überhaupt einen Bissen zu ergattern. Ich stocherte nur in einem festen Stück Peperoni, während ich nach einem Weg suchte, an die Informationen zu kommen, die ich wollte.
»Es ist nur ein Nachtclub in der Stadt, Libs. Mach kein Drama daraus.« Frank rollte mit seinen Augen als Antwort auf ihr theatralisches Verhalten.
»Oh ja. Das sagst du nur, weil du für ihren Sicherheitsdienst verantwortlich bist.«
»Ja, und glaubst du, ich würde das tun, wenn ich der Meinung wäre, dass dort etwas Verdächtiges vorginge?«
Sie schnaubte und ignorierte ihn, um mir dann zu sagen: »Er hat nicht einmal den Boss getroffen. Ich meine, wer stellt den Sicherheitsdienst für einen Club zur Verfügung, ohne überhaupt das Personal zu kennen? Und dann gibt es noch diese Gerüchte …«
»Private Leute machen das so, Libs. Und was die Gerüchte angeht: das ist alles, was sie sind. Gerüchte«, unterbrach Frank sie mit extra starker Betonung auf das Wort. Ich war knapp dran, nach diesen ›Gerüchten‹ zu fragen, hielt mich aber zurück, bevor ich noch Gefahr lief, einen Ehestreit vom Zaun zu brechen.
»Nun, wie auch immer. Ich werde keinen Fuß in diesen Club setzen.« Dabei brach Frank in Gelächter aus, und Libby zog eine Grimasse. Ich lächelte, obwohl ich nicht wusste, was Frank daran so lustig fand. Als er meinen Blick erhaschte, erklärte er:
»Es ist einer dieser Goth-Orte. Viel Heavy Metal-Geschrei und schwarzes Make-up. Nicht wirklich was für deine Schwester.« Lächelnd nahm ich Libbys rosafarbene, flauschige Pantoffel in Augenschein. Sie war so weit entfernt von einem Goth, wie es nur ging, und das lag nicht nur an den Schuhen.
Sie hatte natürliches, lockiges, feurig rotes Haar, das immer perfekt gestylt war. Anstatt normaler, heller Haut war sie braun gebrannt mit einer leicht sommersprossigen Nase, die sie von unserem Vater geerbt hatte. Sie hatte die schönsten grünen Augen, die Jadesteinen oder einer tiefen Lagune glichen, in die man an einem heißen Tag springen wollte. Sie gaben viel Einblick in ihren Charakter und ihre Gefühle, die im Moment völlige Abscheu ausdrückten, und das hatte nichts mit der Pizza zu tun.
»Klingt eher nach meiner Szene«, sagte ich in dem Wissen, dass Libby mich schief ansehen würde. Der Ort hatte jetzt definitiv meine Aufmerksamkeit erregt. Libby war im Begriff, ihren Senf dazuzugeben, doch Frank kam ihr zuvor mit:
»Ach ja, du stehst ja auf dieses Headbanging-Zeug, oder?« Ich musste grinsen, während Libby ihre Augen verdrehte.
»Ich mag Rock, ja. Eigentlich wäre es cool, wieder einen Job als Barkeeper zu bekommen. Falls du zufälligerweise jemanden kennst, der auf der Suche ist?«, fragte ich mit dem Hintergedanken, dass jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, um das Jobthema anzuschneiden.
»Denkst du nicht, dass es dafür noch zu früh ist? Du hast dich noch nicht einmal eingelebt, und du weißt, dass wir keine Miete oder sonst was von dir verlangen.« Als meine Schwester das sagte, wollte ich aufstehen und sie drücken, aber ich musste ihr auch klarmachen, dass ich das wollte. Ich hasste es, arbeitslos zu sein, aber was ich noch mehr hasste, war, zu viel Zeit zu haben, um zu viel zu grübeln und mich in der Vergangenheit zu verlieren. Das war ein gefährlicher Ort für mich. Außerdem waren Barkeeper-Jobs einfach zu bekommen, also sollte es hier nicht anders sein.
»Ich weiß, Libs. Aber ehrlich gesagt bin ich mehr als bereit, wieder zu arbeiten. Das tut mir gut. Neuer Start und all das.« Libby nickte widerwillig, bevor sie aufstand, um ihre halb aufgegessene Pizza in den Müll zu werfen. Ich wusste, wieso sie sich so verhielt. Sie befürchtete, dass ich es wieder zu schnell anging, aber ich brauchte eine Beschäftigung, die mich ablenkte.
»Tatsächlich habe ich einen Freund, der mir noch einen Gefallen schuldet. Wenn du willst, kann ich ein gutes Wort für dich einlegen, falls er zusätzliche Mitarbeiter sucht.«
»Ja, das wäre toll. Ist das eine Bar in der Stadt oder was?«, fragte ich aufgeregt.
»Na ja, du hast ja gesagt, du magst die Musik«, sagte Frank mit einem Augenzwinkern, und mein Herz begann zu hämmern. Ich hatte keine Ahnung, warum, denn ich wusste ja nichts von dem Ort. Außer, dass Libby offensichtlich etwas dagegen hatte.
»Du meinst …?« Ich wartete mit angehaltenem Atem, um sicher zu sein, dass ich ihn nicht missverstanden hatte. Obwohl ich nicht mal wusste, warum ich unbedingt dort arbeiten wollte.
»Ja, mein Freund Jerry ist der Manager, das sollte kein Problem sein. Wie ich schon sagte, er schuldet mir was.«
»Wow, das wäre großartig. Danke, Frank.«
»Danke, Frank was?«, fragte meine Schwester, als sie ihren Weg durch die gewölbte Tür machte.
»Frank hätte da vielleicht etwas für mich«, sagte ich mit Begeisterung. Libby hingegen würde meinen Optimismus nicht teilen.
»Dann ist das ja geklärt. Ich werde morgen mit Jerry sprechen«, verkündete Frank mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck, als ob er gerade eine epische Schlacht gewonnen hätte. Libby schaute immer noch skeptisch, verkniff sich aber einen weiteren Kommentar. Dennoch bezweifelte ich, dass das für Frank das Ende der Diskussion bedeutete.
Als das Spiel zu Ende war, kämpften meine Augen damit, offen zu bleiben. Libby, die vorher schon bemerkt hatte, wie müde ich war, hatte bereits mein Bett für mich fertig gemacht.
Ich machte meinen Weg nach oben wie ein Zombie, ohne wirklich darauf zu achten, wohin ich eigentlich ging. Es war, als wüssten meine Füße, wo sich das Bett befand, also brauchten sie mich nicht, um für sie mitzudenken. Das war gut, denn mein Kopf fühlte sich an, als wäre mein Gehirn durch rosa Schaum ersetzt worden. Ich schlief ein, bevor mein Kopf die Horizontale erreicht hatte.
In dieser Nacht waren meine Träume seltsam und schwer zu deuten. Ich befand mich wieder im Wald, geriet aber in Panik, denn diesmal war ich diejenige, die verloren war. Das Wetter war stürmisch und wild und brachte einen Regenguss hervor, der mich bis auf die Haut durchnässte. Die Kälte stach wie unsichtbare Glasscherben und betäubte mein Gesicht. Ich rutschte immer wieder auf dem schlammigen Boden aus, während aus allen Richtungen Zweige und Äste an meiner Kleidung zerrten. Angst überkam mich, als die Kreaturen der Nacht zum Leben erwachten. Aber ein Geräusch durchdrang das Toben des Sturms und ließ mein Blut erstarren.
Es war das Geschrei eines großen Vogels, der sich wie ein Warnruf anhörte. Ich duckte mich aus Reflex und kauerte mich hin, meine Arme über meinen Kopf geschlungen, als der Vogel direkt über meine zitternde Gestalt hinwegfegte. Ich konnte nicht sagen, ob ich noch weinte oder nicht, da meine Wangen sowohl nass vom Regen als auch von meinen Tränen waren. Mit zitternden Lippen flehte ich:
»Ich will nach Hause.«
Doch es schien, als ob jemand anderes meinen verängstigten Hilferuf hörte. Ich schaute auf, als ein grelles Licht den wütenden Himmel erhellte. Erst als ich frische Tränen wegblinzelte, konnte ich die lilafarbene Kugel erkennen, die zu pulsieren begann und größer wurde.
Sie erleuchtete das Waldleben um mich herum, wo ich kniete, und all die schwarzen Schatten von Dämonen, die mich umzingelt hatten, wichen zurück. Meine Angst verdoppelte sich beim Anblick von Hunderten von Kreaturen, die wie Krebse nach hinten krabbelten, in einem verzweifelten Versuch zu fliehen. Manche schnappten nach mir, mit Kiefern voller klingenscharfer Zähne, als ob es meine Schuld wäre, dass sie den Rückzug antreten mussten.
Als die letzte Kreatur aus meinem Blickfeld verschwunden war, richtete ich mich auf und untersuchte die Lichtquelle genauer. Sie sah jetzt aus wie eine riesige, brausende Gaskugel. Ich konnte die Kraft spüren, die von ihr ausstrahlte. Wie eine kleine Sonne, die mein Gesicht erwärmte und Schweißperlen produzierte, um meine getrockneten Tränen zu ersetzen.
Zuerst war ich wie gefesselt, während mein Verstand versuchte, eine Erklärung zu finden. Aber am Ende überkam mich ein schierer Impuls, und ich begann, meine Füße vorwärts zu bewegen. Die Kugel schien sich davon zu ernähren, denn mit jedem meiner Schritte wurde sie größer. Als ich stehen blieb, sprach sie zu mir.
»Komm zu mir.« Die Stimme war erstaunlich hypnotisch und summte in meinem Kopf, sodass ich meine stolpernden Füße noch einmal in Bewegung setzte.
»Ja, komm zu mir … Du gehörst zu mir.« Ich fühlte, wie meine Angst mit jeder Silbe, die von ihr in mich hineinfloss, dahinschmolz. Als ob mich die Energie in einer Wärmequelle wiegen würde, die so behaglich war, dass ich nicht anders konnte, als dieser Stimme zu gehorchen. Ich machte die letzten Schritte, bevor ich meinen Arm ausstreckte, um sie zu berühren. Meine Fingerspitzen waren so nah, dass mein Blut unter meiner Haut kribbelte.
»Ja, sei mein … Electus … Das auserwählte Mädchen … Meine Auserwählte«, gab sie von sich, bevor plötzlich die Hand eines Mannes aus dem lilafarbenen Nebel auftauchte und starke Finger sich um meinen Arm schnürten – Fleisch und Knochen, die nun meine Haut umhüllten. Seine mühelose Kraft zog mich nach vorn in die feurige Hitze der Dunkelheit. Das solide Band seiner Arme umschloss mich in einer Umarmung und presste mich an seine muskulöse, betonharte Brust.
Ich wollte vor Schreck aufheulen, denn ich konnte nichts sehen außer schwarzer Dunkelheit und verließ mich somit rein auf die starke, schützende Berührung eines Mannes. Warum ich ihm vertraute, wusste ich nicht, aber aus irgendeinem Grund hatte ich mich nie sicherer gefühlt.
Ich versuchte, mich zu bewegen, um zu sehen, was passieren würde, wenn ich das tat, als die Arme um mich herum besitzergreifend enger wurden und mich sogar noch näher zogen. Und dann sprach ein sehr autoritäres, männliches Wesen seine Dominanz aus.
»Mein!«, brüllte es, als ich spürte, wie mein eigener Wille in einen endlosen Abgrund rutschte und mein Körper in die Arme meines dunklen Besitzers stürzte.
Ein flüsterndes Wort entkam meinen Lippen …
»Ja.«