8
Die Dravens
I ch war ein kleines, hilfloses Waldtier, das von dem Anblick wie wilde Beute gefangen war. Ich wusste, es war gefährlich, aber trotzdem musste ich hinsehen. Ich versuchte, meine Augen von dem vollkommensten Wesen, das ich je gesehen hatte, loszureißen. Und Heilige Scheiße! Dieser Mann war unglaublich. Er war einfach zu perfekt. Wie ein griechischer Gott, der gesandt wurde, um mich für meine Sünden zu bestrafen. Ich glaube, ich hätte nicht einmal bemerkt, wenn die Air Force One in das Gebäude gekracht wäre.
Mir war bewusst, dass ich ungeniert starrte und hoffte, dass es niemand bemerkte. Nicht, dass das mit Dominic Draven im Rampenlicht ein Problem wäre, denn jetzt konnte ich all den Wirbel verstehen. Eine Art magnetische Anziehung umgab ihn. Etwas Unnatürliches, fast quälend, aber gleichzeitig unfassbar faszinierend.
Er schritt allen anderen voraus, also wusste ich, dass er das Sagen hatte. Etwas weiter hinten fielen mir zwei Männer ins Auge. Einer davon war gigantisch. Die Menge starrte ihn nicht an. Kein Wunder, denn sein Gesicht war genauso einschüchternd wie seine Größe. Er hatte dunkle Haut, wie Leder, das über die Jahre zu viel der Sonne ausgesetzt war, übersät mit vernarbten Löchern. Vielleicht ein schwerer Pockenanfall. Natürlich, bei der Statur eines zwei Meter großen Wrestlers bezweifelte ich, dass viele sein Aussehen in Frage stellten.
Der Mann auf der anderen Seite war groß und athletisch, mit weißblondem, glattem Haar, das man gerade noch so unter seiner großen schwarzen Kapuze sehen konnte, die den größten Teil seines Gesichts verbarg. Ich hätte schwören können, dass Tattoos seine Wange zierten. Dann kam er näher, und der erschreckende Unterschied zwischen der weißesten Haut eines Albinos und der dunklen Tinte, die eine Seite kennzeichnete, wurde schnell ersichtlich. Er erinnerte mich an eine weiße Schachfigur, die von der dunklen Gegenseite überwältigt wurde.
Hinter den beiden, die wie Wachen aussahen, marschierten zwei weitere Männer, einer in eine japanische Robe gekleidet mit gütigen, asiatischen Zügen. Sein rabenschwarzes Haar war nach hinten gestrichen, und er hatte ein markantes, spitzes Kinn. Hohe Wangenknochen schmeichelten seinen orientalischen Gesichtszügen, die auf eine adelige Blutlinie hindeuteten. Der Mann an seiner Seite war das Helle neben seiner Dunkelheit.
Er sah engelhaft aus und stand im krassen Gegensatz zu den anderen, aber seine Augen legten etwas anderes nahe. Sie glichen schwarzem Eis, mit einem harten, strengen Glanz in ihnen. Seine Haut leuchtete beinahe. Selbst in dem schwachen Licht glühte sie, als hätte er den ganzen Tag damit verbracht, sich von Sonnenstrahlen wärmen zu lassen. Sein kurzes Haar erschuf einen Schein aus engen goldfarbenen Locken und erinnerte mich an eine hübsche, antike Puppe. Sein Gesicht hingegen beherbergte scharfe Kanten und schrie nach Arroganz und Stolz.
Aber all das waren unbedeutende Faktoren. Schatten im Hintergrund hinter dem Gott, der vor ihnen durch den Raum glitt. Sie bewegten sich entsprechend der Bewegungen ihres Gebieters und überflogen die Menge auf der Suche nach etwas Unerwartetem.
Er näherte sich jetzt langsam und blickte geradeaus, als ob jeder um ihn herum unsichtbar wäre. Allen Mädchen (und einigen Jungs) stand der gleiche Ausdruck in die eifrigen Gesichter geschrieben. Sie alle wollten von diesen verführerischen Augen gesehen, wahrgenommen werden. Nun, alle außer mir.
Ich nahm die Tischplatte vor mir ins Visier und versuchte dem Drang zu widerstehen, nochmals aufzublicken. Aber ich wusste, dass er näherkam, da meine Herzfrequenz durch die Decke ging. Es war RJ, die meinen Entschluss zunichtemachte.
»Oh mein Gott, er sieht hierher!«, flüsterte sie durch halb geschlossene Lippen. Dann tat ich das Undenkbare. Ich blickte auf zu einem Paar intensiver Augen, die erstaunlicherweise meinen Blick erwiderten.
Arktisch. Schwarz. Konsumierend.
Er verharrte vor unserem Tisch, und die Leibwächter hinter ihm schienen genauso verblüfft zu sein wie die restlichen Zuschauer. Wir waren beide erstarrt und nutzten die kostbare Zeit, um uns gegenseitig visuell zu verschlingen. Als wären wir die zwei einzigen Personen im Raum.
Die Gefühle, die er auslöste, attackierten mein System und überfluteten mich mit zu vielen neuen Empfindungen. Als wäre ein Blitz eingefahren. Ich fühlte nur noch die Elektrizität, die durch meinen Körper schoss. Wenn ich gedacht hatte, dass meine Herzfrequenz vorher verrückt spielte, stand ich jetzt kurz vor einem Herzstillstand! Er wandte seinen intensiven Blick nicht von mir ab. Meine Wangen nahmen jeden Rotton im Farbspektrum an. Dennoch gab etwas in mir nicht nach. Ich setzte mich ein wenig aufrechter, als ein Stückchen Tapferkeit mir die Kraft gab, seinem Blick zu trotzen. Ich bildete mir ein, ein Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen, aber es verschwand so schnell, wie es gekommen war.
Ich konnte RJ fast hyperventilieren hören. Er war der Inbegriff von Dominanz. Vor mir aufragend, alle Augen auf sich gerichtet, die jede seiner Bewegungen verfolgten. Als wäre er ein mythischer Krieger und sie die Armee, die auf sein erstes Kommando wartete. Obwohl, mit seinem massiven Körper in einem schwarzen Designer-Anzug war er eher die moderne Version eines Kriegers. Vielleicht wäre ›Anführer der Nacht‹ passender.
Da war einfach etwas so Verstörendes an ihm … Nein, nicht nur verstörend, fast schon überirdisch. Der ganze Club schien stillzustehen, mein Herz inkludiert. Er suchte nach etwas in meinen Augen, aber dann runzelte er die Stirn und durchbrach den Zauber, als wäre seine Suche erfolglos ausgefallen. Sein Ausdruck wurde hart und sein Stirnrunzeln vertiefte sich, was seine Augenbrauen enger zusammenzog. Dies löste seine Macht über mich, und ich senkte schließlich mein Gesicht, während ich ihm meinen Rücken zukehrte, um meine Scham zu verbergen.
Ich konnte noch immer seine Präsenz spüren, als hätte er seine Essenz unter meiner Haut vergraben. Ich konnte nicht anders, als an meinen Narben zu kratzen, die unter meiner Kleidung zu brennen begannen. Keine Ahnung, woher ich es wusste, aber ich konnte spüren, wie seine Augen meinen Bewegungen folgten.
Dann zerbrach etwas. Eine Verbindung zerschmetterte. RJ folgte ihm mit ihren Augen und drehte sich zu mir, um mir still mitzuteilen, dass sie nicht länger in Sicht waren. Endlich konnte ich wieder atmen.
»Oh mein Gott, was zum Teufel! Was ist gerade passiert? Habt ihr gesehen, wie der Fürst der Finsternis gerade vor unserem Tisch Halt gemacht hat? Kennt ihr zwei euch?«, fragte mich RJ, die wohl auf einer Mission war. Sie peilte mich mit einem neugierigen Blick an und sah hinüber zu Lanie, als ob sie Rückendeckung erwartete.
»Ja, was war das? Kanntest du ihn?«, steuerte Lanie bei, die damit der Spanischen Inquisition beigetreten war.
»Nein!«, sagte ich etwas zu schroff. Mein Verstand überlud sich bei ihrer Frage, ob ich ihn kannte. Damit hatte sie nämlich genau ins Schwarze getroffen. Und heilige Mutter, hatte es mich hart getroffen!
Ich hatte ihn tatsächlich erkannt.
Aus diesem Grund hatte ich so reagiert, als sich unsere Blicke kreuzten. Er war der Mann aus meinen Träumen. Die Träume, die jetzt zu mir zurückflossen wie eine einschlagende Welle. Ja, sie waren jetzt alle ganz klar. So klar sogar, dass es schwer war, sie nur als Träume zu betrachten. Sie schienen so real gewesen zu sein. Aber wieso hatte ich sie vergessen? Und noch wichtiger: Warum war ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, derselbe Mann, von dem ich die letzten paar Tage so lebhaft geträumt hatte? Nichts davon ergab einen Sinn!
Die Mädchen sahen nicht überzeugt aus, auch die Jungs nicht.
»Nun, so wie er dich angestarrt hat, kannte er wohl dich«, warf Drew ein und zuckte mit den Schultern als Antwort auf RJs giftigen Blick.
»Was habe ich verpasst?«, fragte Jack, als er zurückkam, mit einem Tablett voller Getränke in seinen Händen.
»Du wirst nie erraten, was passiert ist.« Chaz versuchte mit einer extra hohen Stimme, die Mädchen zu imitieren.
»Oh, bitte sag mir, das war endlich das Jahr, in dem er gestolpert und auf seinen reichen, präpotenten Arsch gefallen ist!« Er hob seine Hand und schlug dramatisch mit der Rückseite auf seine Stirn. Ich rückte etwas zur Seite, um ihm Platz zu machen. Er setzte sich wieder neben mich.
»Sorry, Alter. Rate noch mal.«
»Oh, ich weiß nicht. Irgendein Mädchen hat sich ausgezogen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Und selbst dann bezweifle ich, dass er hingesehen hätte. Er ist wahrscheinlich schwul, weißt du.« Er schickte mir ein boshaftes Lächeln. Ich schwieg, da mich die Erinnerung noch immer beschämte. Meine Gedanken rasten wie in einem Formel-1-Rennen.
»Kein Ausziehen nötig, er fand aber Gefallen an Kaz. Konnte nicht aufhören, sie anzugaffen.« Okay, jetzt verfärbte ich mich zu lila. Ich musste von allen weg, die mich anglotzten, und ich meinte nicht nur die Leute um mich herum, sondern den gesamten Club!
»Ich … Ich muss mal kurz auf die Toilette!«, platzte ich heraus. Es fühlte sich an, als würde mir gleich übel werden. Wahrscheinlich eine bescheuerte Reaktion, aber ich konnte mir nicht helfen. Ich musste nur raus hier.
Ich schob mich durch die Draven-Fans hinüber zu den Toiletten. Ich wusste, wo sie sich befanden, da Jack auf sie gezeigt hatte, als Antwort auf meinen unhöflichen Abgang. Ich entdeckte das Neonschild in der Nähe der Bar auf der gleichen Seite des Eingangs.
Einmal drinnen, beruhigte ich mich langsam, als ob die Luft hier klarer wäre. Es war niemand hier mit Ausnahme meines Spiegelbildes, das mich entsetzt angaffte. Ich sah fürchterlich aus! Nein, schlimmer als fürchterlich, ich sah krank aus. Ich war extrem blass, und meine Augen waren so dunkel, dass sie fast schwarz waren. Ich schämte mich. Kein Wunder, dass er mich angestarrt hatte. Er dachte wahrscheinlich, ich wäre irgendein Penner und fragte sich, was ein einfaches, schwaches, kleines Ding wie ich in seinem Club zu suchen hatte!
Ich flüchtete in die Kabine und konnte das, was als Nächstes passierte, nicht stoppen. Ich würgte die eine Flasche Corona, die ich konsumiert hatte, heraus. Zum Glück öffnete sich die Tür erst, nachdem ich fertig war. Zwei Mädchen platzten in die Damentoilette, und es war nicht schwer zu erraten, über wen sie sich unterhielten.
»Und, oh mein Gott, hast du seinen Körper gesehen? Er wird jedes Jahr schöner. Was würde ich nicht alles dafür geben, eine Nacht mit diesem Mann verbringen zu können!«
»Du sagst es. Ich wette, er ist gut bestückt, wenn du weißt, was ich meine!« Es folgte ein mädchenhaftes Kichern.
»Ja, und er weiß wohl genau, wie man es benutzt!«
»Ja, Baby!« Die beiden dämlichen Teenager glucksten. Es machte mich wütend, dass sie so vulgär über ihn sprachen.
»Ja, aber hast du das Mädchen gesehen, das er anvisiert hat? Igitt.« Die blöde Kuh machte sogar ein Würgegeräusch. Ich war erzürnt, obwohl ich gerade noch dasselbe gedacht hatte. Trotzdem war es nicht gerade nett, so etwas zu hören.
»Ich weiß! Sie war überhaupt nicht hübsch. Schöne Haut, ja, aber viel zu blass.«
»Das war nur Make-up, darauf wette ich mein Leben.« Nun, hoffentlich würde dieses Mädchen auf dem Heimweg nicht wegen meines Hauttyps in unvorhergesehene Unfälle geraten, dachte ich schnaubend.
»Er hat sie nur angestarrt, weil er nicht glauben konnte, dass sie in seinen Club gekommen ist. Wenn wir dort einen Sitzplatz ergattert hätten, wären wir jetzt wahrscheinlich schon in der VIP-Lounge!« Oh Gott, es wurde immer schlimmer. Sie waren ganz klar geistesgestört!
»Wir müssen nächstes Mal früher kommen, um diesen Platz zu kriegen.«
»Ja, dann muss er nicht noch einmal diesen Anblick ertragen!« Sie kicherten wieder mit hohem Gequietsche. Mein Blut kochte, als ich aus der Kabine stapfte, meinen Kopf hoch nach oben gerichtet. Nach ihrer unterentwickelten Unterhaltung hatte ich darauf geschlossen, dass sie jung wären, aber tatsächlich waren sie noch Kinder. Sie trugen Lipgloss auf, als ich in Erscheinung trat. Ihnen fiel alles aus dem Gesicht.
Ich wusch meine Hände, die vor Zorn leicht zitterten, und trocknete sie ab. Nachdem ich fertig war, steuerte ich auf die Tür zu, aber kurz bevor ich meinen Abgang machte, drehte ich mich um, um meinen Senf dazuzugeben.
»Oh, und übrigens, er steht vielleicht nicht auf den Typ schlicht und blass, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht auf Kinder steht. Also, warum lauft ihr zwei nicht nach Hause, bevor ihr noch Hannah Montana verpasst?« Ich stolzierte hinaus, mit dem breitesten Lächeln auf meinem Gesicht, und ließ die beiden mit aufgeklappten Mündern zurück. Als ich mich grinsend zurück zu unserem Platz begab, schaute ich nach oben und bemerkte ein Paar Augen, die mich belustigt beobachteten.
Ich konnte die VIP-Lounge von hier unten deutlich sehen. Es schien, als wären ziemlich viele Leute dort oben, was seltsam war, denn nicht eine Person war nach ihnen raufgegangen. Vielleicht gab es einen separaten Eingang für die ›besonderen Gäste‹. Das war alles irrelevant im Vergleich zu der Statue des Mannes, die mich jetzt wie schon zuvor anstarrte. Ich konnte es in dem schwachen Licht schwer erkennen, aber ich hätte schwören können, dass ich ein Weiß aufblitzen sah, das durch ein Lächeln hervorgebracht wurde. Er war so verdammt rätselhaft. Mein Lächeln verebbte, und ich senkte meinen Kopf, entschlossen, meinen Blick gen Boden zu richten, während ich zu meinem Platz eilte.
Der Rest der Nacht verging wie im Flug und ohne weitere Zwischenfälle. Jack bestand darauf, bei mir zu bleiben, während ich auf Frank wartete. Die anderen gingen noch zu Drew, aber ich wollte nicht, dass Frank länger als nötig auf mich warten musste, also lehnte ich ab.
»Wirklich? Ich könnte dich nach Hause fahren. Ich habe nur ein Bier getrunken«, versicherte mir Jack mit einem hoffnungsvollen Blick, bevor er mit einem schelmischen Zwinkern hinzufügte: »Ich werde mich benehmen.«
»Danke, aber Frank ist wahrscheinlich schon auf dem Weg. Nächstes Mal?« Hoffentlich verstand er das nicht falsch. Ich meine, vielleicht wäre ich früher einmal, zu einer anderen Zeit, auf jemanden wie Jack abgefahren. Er war wirklich nett und süß, mit einer fröhlichen, glücklichen Eigenart, die ansteckend war. Man konnte nicht anders, als zu lächeln, wenn er in der Nähe war.
Aber ich wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen. Wie konnte ich ihm klarmachen, dass ich kein Interesse an einer Verabredung hatte? Vielleicht könnte ich RJ gegenüber eine Andeutung zu meiner ›Keine-Dates‹-Regel machen. Aber was dachte ich mir da eigentlich? Etwas eingebildet, zu glauben, dass er mehr als nur Freundschaft wollte. Er war nur ein netter Kerl, ganz einfach.
»Okay, okay, ich geb auf. Aber was würdest du von einem Treffen halten? Ich zeige dir die großen, hellen Lichter unserer kleinen Stadt?«
Ich hob eine Augenbraue. »Helle Lichter?«
»Oh ja, es gibt eine wirklich helle Straßenlampe auf der Fünften. Nein wirklich, du solltest sie dir ansehen. Vegas ist ein Scheiß dagegen, Baby!« Ich lachte, und er lächelte mich sanft an, während seine Haare über seine Augen fielen. Er war wirklich groß. Ich hatte es im Club nicht bemerkt. Er hatte lange Beine und eine breite Brust, die von seiner Taille aus nach oben ein V formte. Er trug an den Knien zerrissene Jeans und ein T-Shirt mit einem Iron Maiden-Aufdruck unter einer Combat Style-Jacke.
»Ich muss mir deine Nummer von RJ holen, damit ich dich das nächste Mal abholen und wieder nach Hause bringen kann. Dann musst du nicht hier draußen in der Kälte warten.« Er hielt inne und berührte meine gekühlte Wange mit einem Finger. »Wir wollen nicht, dass deine hübsche Haut noch blasser wird.« Ich errötete wie immer und lächelte, da ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte.
»Oder ich blamiere dich einfach weiter. Das scheint etwas Farbe auf deine Wangen zu bringen«, sagte er lachend und stupste mich, um mir ein Lächeln zu entlocken.
»Ich kann auch alleine warten, wenn dir kalt ist. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass du dich verpflichtet fühlst, mit mir hier zu stehen«, sagte ich in dem Versuch, ihn nicht zu beleidigen. »Außerdem warten sie auf dich bei Drew.«
»Machst du Witze? Es macht mir nichts aus, mit dir zu warten. Außerdem prügeln sich RJ und Drew wahrscheinlich wieder nur, was ich schon hundertmal gesehen habe. Glaub mir, wenn ich sage, dass es langsam langweilig wird. Nee, ich ziehe es vor, hier bei dir zu sein.« Ich errötete wieder. Hoffentlich bemerkte er es nicht.
»Prügeln?« Ich versuchte, mir vorzustellen, wie sich ›der Goth und der Geek‹ in die Haare bekamen.
»Ja, und ich werde immer auf RJ setzen. Sie kämpft dreckig, zumindest habe ich es ihr so beigebracht.« Er zwinkerte mir zu, als der Groschen endlich fiel. Er hatte mich verarscht.
»Du solltest keine leichtgläubigen Mädchen verarschen. Das ist gegen das Netter-Kerl-Gesetz«, hänselte ich zurück.
»Oh, aber wo bleibt da der Spaß?« Er rieb seine Hände und pustete in sie hinein, bevor er plötzlich innehielt.
»Warte … Du denkst, ich wäre ein netter Kerl?« Er sah mich strahlend an. Die einzige Antwort, die er von mir bekam, war ein Lachen. Er schloss sich an und machte sich wieder daran, seine Hände zu wärmen.
»Bist du sicher, dass du nicht gehen willst? Ich komm schon klar. Der Club ist noch offen, und die Türsteher sind gleich da drüben«, sagte ich und zeigte über meine Schulter.
»Ich werde es überleben, denke ich. Und sollte ich Erfrierungen bekommen, kannst du mich wieder gesund pflegen. Ich erwarte jedoch erstklassige Gesundheitsfürsorge: Schwammbäder, Rückenmassagen, baumelnde Trauben vor meiner Nase … Du weißt schon, all den Schnickschnack.« Er stand jetzt direkt vor mir und pikte sanft in meine Rippen. Ich, natürlich extrem kitzelig, kicherte und grunzte auch ein wenig zu meiner Verlegenheit. Ich wich zurück, als sich ein böses Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete und er seinen Finger ausstreckte – eine Warnung, dass er es noch mal tun würde.
»Was für ein süßes Geräusch du da gerade gemacht hast«, sagte er spöttisch, versuchte aber, selbst nicht zu lachen. Gerade dann kam Franks Auto in Sicht. Jack nickte, als wollte er fragen, ob das der Typ sei, auf den ich wartete.
»Ja, das ist Frank. Danke, dass du mit mir gewartet hast, Jack. Es war … amüsant«, sagte ich, und er grinste mir zu. Ich drehte mich um, aber bevor ich gehen konnte, sagte er:
»Oh, komm her.« Dann wickelte er seine großen Arme um mich und gab mir eine Bärenumarmung. Er flüsterte mir ins Ohr: »Es war sehr schön, dich kennenzulernen, Keira.« Dann ließ er mich los, ging von dannen und winkte über seine Schulter.
Ich riss mich zusammen und stieg leicht errötet ins Auto. Frank wandte sich mir zu und sagte:
»Mann, du machst dir schnell Freunde, Kind.« Die Tatsache, dass er mich Kind nannte, ließ mich kopfschüttelnd grinsen.
»Also, wie war es?« Mit einem Nicken zu den Türstehern fuhr er los. Zuerst schaute ich zurück auf die Männer, als sie winkten, aber dann fiel mir etwas anderes auf. Eine Gestalt stand regungslos auf dem Balkon, der sich an einer Seite des Clubs befand. Ich musste mich fragen – war er es?
»Es war toll. Alle waren wirklich nett«, sagte ich, nachdem ich realisiert hatte, dass Frank immer noch auf meine Antwort wartete. Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Ja, ist mir aufgefallen. Er schien wirklich freundlich zu sein«, neckte er und zeigte mit einem Daumen über seine Schulter dorthin zurück, wo Jack und ich gestanden hatten.
»So ist es nicht«, sagte ich defensiv.
»Ja, klar. Ich werde dazu auch nichts mehr sagen. Aber sei gewarnt. Deine Schwester wird dich ausquetschen, wenn du nach Hause kommst.«
»Was, sie ist noch wach?« Das war schlecht. Sie würde wahrscheinlich jedes Detail über den Abend wissen wollen, und wenn ich Frank nicht davon überzeugen konnte, ›die Sache mit Jack‹ für sich zu behalten, war ich geliefert! Sie würde mich quälen und quälen, bis ich jedes Wort wiederholte, das er zu mir gesagt hatte, um es mich nie vergessen zu lassen.
»Ähm … Fr-a-a-a-n-nk?«, sagte ich in meiner süßesten Stimme, seinen Namen in die Länge ziehend.
»J-a-a-a?«, antwortete er im gleichen Ton.
»Könnten wir Libby vielleicht die Jack-Geschichte nicht erzählen?« Er hob seine Augenbrauen, und ein hinterlistiges Lächeln kroch über seine Lippen.
»Oh, Jack, also, ja?« Verdammt! Ich zog die Süße-Welpen-Glubschaugen-Masche ab und dann … Volltreffer! Ich wusste, es würde funktionieren. Sein Gesichtsausdruck signalisierte, dass er sich geschlagen gab.
»Okay, okay. Ich verspreche es. Kein Wort.« Deshalb liebte ich Frank.
»Danke. Sie würde auf mich einreden, bis mir die Ohren abfallen.« Er war auf der Hauptstraße angelangt. Es war nicht mehr weit bis nach Hause.
»Ganz bestimmt. Sie hackt noch immer auf mir rum, weil ich dir diesen Job besorgt habe. Apropos, hast du Jerry gesehen?« Ich lächelte, als ich an ihn dachte. Frank hatte ihn angerufen, um ihn wissen zu lassen, dass ich dort sein würde und hatte ihm wohl eine Beschreibung von mir gegeben, denn am Ende war Jerry, der Manager, zu mir herübergekommen, um sich vorzustellen.
Er hatte auch gefragt, ob ich wegen der unerwartet frühen Ankunft der Dravens eher anfangen könnte. Der Club war heute gerammelt voll gewesen, und sie hatten an der Bar eindeutig zu wenig Personal. Ich hatte ihm gesagt, dass es kein Problem wäre, und er war vollauf begeistert. Dazu kam, dass er auch müde und völlig erledigt aussah. Nicht überraschend bei der Nacht, die er hatte.
»Ja, hab ich, danke dafür. Er hat gefragt, ob ich eine kleine Schicht gleich morgen einlegen könnte.«
»Das ist toll, aber …« Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz herum.
»Aber?«
»Aber Libby wird auf die Barrikaden steigen. Ich versuche ihr andauernd zu erklären, dass sie sich zu viele Sorgen um dich macht, aber sie kommt einfach nicht zur Vernunft«, sagte er mit einem schuldbeladenen Blick in meine Richtung.
»Ich weiß, aber ich werde das schon regeln. Ihr Herz sitzt am richtigen Fleck.« Ich mochte nicht, wo das Gespräch hinführte, also änderte ich es schnell. »Oh, übrigens, bevor ich es vergesse … Danke für den tollen Sitzplatz heute Abend. Es war irre viel los.«
»Wovon redest du, Kind?«
»Du weißt schon, der Tisch, den du für uns reserviert hast.«
Frank gab mir einen leeren Blick und schüttelte dann den Kopf.
»Tut mir leid, Liebes. Das ist super, aber das war ich nicht.«
Ich legte meine Stirn in Falten. Wer hatte uns diesen Tisch reserviert? Aber was noch wichtiger war: Warum sollte das überhaupt jemand tun?
»Muss wohl dein Freund Jerry gewesen sein«, sagte ich.
»Das bezweifle ich. Er ist ein toller Kerl, aber nicht gerade entgegenkommend. Und diese Plätze sind in der Regel im Vorhinein ausverkauft.«
»Wirklich?« Jetzt war ich noch mehr verdattert. Er nickte, und wir ließen das Thema fallen. Jedoch grübelte ich weiter in dem Versuch, das Rätsel zu lösen. Natürlich führten mich meine Gedanken wieder zurück zu der einsamen Gestalt, die auf dem Balkon gestanden hatte.
Wie lange hatte sie mich beobachtet?
Und noch wichtiger …
War er es gewesen?