13
Vip
I ch hatte mein gewohntes schwarzes Top und Jeans gewählt, nur dieses Mal ohne lange Ärmel, da es im Club ziemlich heiß wurde. Vor allem mit den vielen enthusiastischen Goths, die die Bar umschwärmten. Aber das war der Bonus, an einem Ort wie diesem zu arbeiten. Handschuhe stachen nicht heraus.
Ich trug mein Haar in meinem üblichen Knoten, fixiert mit einer Haarspange. Nichts deutete darauf hin, dass dieser Abend im Club anders sein würde, aber ein seltsames Gefühl nagte in meinem Bauch. Vielleicht lag es an dem eigenartigen Effekt, den das Treffen mit Sophia auf mich gehabt hatte. Oder vielleicht hoffte ich auch nur, dass etwas geschehen würde. So oder so konnte ich das Gefühl einfach nicht abschütteln.
»Oh Kazzy!«, rief Frank nach oben, offensichtlich bereit, loszufahren. Ich hatte Jerry am Telefon gesagt, dass ich für meine Schicht heute Abend keine Fahrgelegenheit bräuchte, da ich mit Frank fahren würde. Ehrlich gesagt war ich über Franks Angebot erleichtert. Nicht, dass ich undankbar klingen wollte, aber es wurde ein wenig peinlich, da ich anscheinend die Einzige war, die in einem protzigen Auto herumchauffiert wurde. Ich wollte nicht, dass die Leute dachten, man würde mich bevorzugt behandeln, und wenn man RJ Glauben schenken konnte, verbreiteten sich Gerüchte in dieser Stadt wie ein Lauffeuer.
Ich packte meine Tasche und eilte die Treppe hinunter, um Frank nicht warten zu lassen. Auf der letzten Stufe blieb ich stehen, als Frank mir die Haustür offenhielt. Ein weites Grinsen verzog sein Gesicht. Ein großes, glänzend-schwarzes Auto wartete auf mich.
»Bist du zur Mitarbeiterin des Monats gewählt worden oder was? Denn ich muss schon sagen, das ist ein netter Bonus.« Er zwinkerte mir zu, während ich meine Augen schloss und einen Seufzer ausstieß, bevor ich die letzten Stufen nach unten trabte.
»Ich dachte, du wärst eine Kellnerin, keine Börsenmaklerin?« Frank lachte über seinen eigenen Witz.
»Haha. Kein Wort zu Libby.« Darauf brach er in raues Lachen aus. Als Antwort erhielt er einen unbeeindruckten Blick, der nur seine Belustigung anheizte.
Super … Einfach toll.
Der Club war ruhig, als ich ihn betrat, und die Band war auch gerade erst eingetroffen. Ich erkannte auf Anhieb den Schlagzeuger – der gleiche Typ, dem RJ ihre Nummer an meinem ersten Abend hier gegeben hatte. Kein Wunder, dass sie heute wieder einen Abstecher hierher machen wollte. Wie hießen sie noch gleich? Acid, äh … Acid Criminals. Eigentlich waren sie gar nicht so schlecht.
Heute Abend arbeiteten Mike und Hannah und noch ein anderes Mädchen, das mir noch nicht vorgestellt wurde, von der ich aber wusste, dass sie Cassie Jones hieß. Hannah hatte kein Geheimnis über ihre Abneigung zu ihr gemacht.
»Du wirst gleich sehen, sie wird sich auf Mike wie eine Fliege auf einen Scheißhaufen stürzen. Nicht, dass ich Mike Scheiße nenne. Du weißt schon, worauf ich hinaus will. Sie wird die ganze Nacht an ihm kleben wie ein verlorenes Kätzchen, das seine Krallen kurz vor dem Angriff ausfährt! Dieses Mädchen ist Gift.« Natürlich war sie nicht die Erste, die mich vor ihr warnte. RJ, die ›Marktschreierin‹, hatte mich über jeden aufgeklärt, der in Evergreen lebte, inklusive aller Details. Gab es irgendjemanden in dieser Stadt, den sie nicht kannte? Nun, mir kam da sofort jemand in den Sinn, und ich konnte nicht anders, als meinen Blick nach oben zu lenken.
RJ hatte einige starke Ausdrücke verwendet, als sie über Cassie gesprochen hatte, was mich überraschte, da sie doch beide Goths waren. Aber das war kein Vergleich, informierte mich RJ. Cassie war kein echter Goth. Sie war nur der Trend des Monats, nämlich ein Emo.
Eine von denen, die sich an das anpassten, was eben gerade so ›in‹ war. Anscheinend stieg die Zahl der alternativ aussehenden Menschen zu dieser Jahreszeit aufgrund der Neuankömmlinge. Die meisten hofften, wahrgenommen zu werden und Zugang zur VIP-Lounge zu bekommen. Cassie war keine Ausnahme, und sie wollte es um alles in der Welt. Ihr Vater kannte wichtige Leute in hohen Positionen und hatte ihr den Job hier ergattert. Aber sie war siebzehn und durfte noch nicht hinter der Bar arbeiten, also sammelte sie Flaschen und Gläser ein, so wie ich an meinem ersten Abend.
RJ meinte, der Unterschied zwischen Cassie und ihr läge darin, dass RJ ein Goth mit Stil wäre und sich nicht so kleidete, um eine Ausrede zu haben, wie eine Schlampe auszusehen. An diesem Punkt sprang Lanie auf den fahrenden Zug auf und fügte ihre eigene Geschichte über einen älteren verheirateten Mann hinzu, der zufällig auch Cassies Lehrer war. Eine verheerende Mischung, die keinesfalls gutgehen konnte. Niemand hatte von der kleinen Affäre erfahren, aber trotzdem wusste die ganze Stadt Bescheid, was ich sehr verwirrend fand. Ich verstand nicht ganz, wie das funktionierte, aber Lanie erzählte mir noch mehr über die kleine Höllenkatze.
Ich war am anderen Ende der Bar in ein Gespräch mit Hannah vertieft und beobachtete, wie sich Cassie ins Zeug legte und kurz davor war, sich in Mikes Arme zu stürzen. Sie schnippte ihre Haare und beugte sich über ihn, um ihm ihr Dekolleté zu präsentieren. Er war ganz offensichtlich nicht interessiert und versuchte kläglich, das hormongesteuerte Mädchen abzuwimmeln. Der Arme trat unbeholfen von einem Fuß auf den anderen, um ihren Annäherungsversuchen auszuweichen, als er mich erblickte. Mit einem Zwinkern wehte er zu mir hinüber und ließ sie mitten im Satz stehen. Sie zitterte fast vor Wut. Als sie von mir Notiz nahm, sah sie aus wie eine Bulldogge, die Wespen kaute.
»Hey Kaz, wie läuft das College? Hast du bereits Bekanntschaft mit dem gefürchteten Reed gemacht?« Mike hatte mich freundlicherweise vor Reed gewarnt, aber um ehrlich zu sein, hatte ich ihm nur die Hälfte abgekauft, da mir seine Beschreibung doch sehr übertrieben erschienen war. Natürlich war ich jetzt schlauer und hatte meine Lektion gelernt.
»Ja, es läuft. Und wow, du hattest recht. Er stellt sogar den Sensemann in den Schatten, oder?« Er stieß ein herzhaftes Lachen aus, das mich ein bisschen an einen Piraten erinnerte. Hannah verließ uns mit einem triumphierenden Lächeln auf ihrem Gesicht, da sie die bösen Blicke genoss, die ich von Cassie erhielt. Schließlich stolzierte sie in ihren unpraktischen Absätzen zu uns rüber.
»Wer ist deine Freundin, Mikey?« Er knirschte bei dem Spitznamen und murmelte mir ›sorry‹ zu, bevor er sich ihr zuwandte.
»Das ist Keira. Keira, das ist Cassie.« Es war offensichtlich, dass er keine Lust darauf hatte, uns vorzustellen.
»Hey« war alles, was ihre zwei Gehirnzellen zustande brachten. Ich nickte nur als Antwort. Sie war ganz klar zufrieden mit sich selbst. Immerhin war ich – einfach und langweilig – keine Konkurrenz für sie. Sie wandte mir unverschämt den Rücken zu.
»Also, Mikey, denkst du, du kannst mich heute Abend dort hinauf schmuggeln?« Sie schnippte ihr gebleichtes Haar zum millionsten Mal, machte eine Blase mit ihrem Kaugummi und ließ sie platzen. Ich konnte das Lachen nicht zurückhalten, das meinen Lippen entfuhr. Mit einem tödlichen Blick wirbelte sie herum.
»Was ist so lustig?« Wie ein verzogener Teenager stemmte sie ihre Hände in die Hüften, was es für mich umso schwieriger machte, mein Gesicht zu wahren.
»Nichts« war alles, was ich sagte, bevor ich mich abwandte, um Hannah beim Putzen zu helfen. Mir tat das Mädchen leid. Ich meine, allein die Idee zu versuchen, sich nach oben zu schleichen, ohne von den gigantischen Türstehern erwischt zu werden, war einfach zu absurd. Sie litt eindeutig an Wahnvorstellungen.
Die Nacht wurde stressig. Es überraschte mich nicht, dass sowohl Jerry als auch Gary heute voll im Einsatz waren. Zum Glück erledigte Gary seinen Job irgendwo anders, während sich Jerry mit uns hinter der Bar abrackerte. Obwohl die Hölle los war, hatten wir alles unter Kontrolle. Jerry kam immer wieder auf mich zu, um mir zu sagen, was für eine gute Arbeit ich leistete und wie beeindruckt er war, dass ich so schnell den Dreh raushatte. Ich erinnerte ihn daran, dass ich jahrelang hinter einer Bar gestanden und kein Problem damit hatte, Gäste zu bedienen und mir gleichzeitig große Bestellungen zu merken. Danach kam er nur mehr mit Kommentaren wie ›Mach so weiter, Kleine‹ und ›Sie hat‘s echt drauf‹, was sehr liebenswert war.
Die großen Bestellungen kamen hauptsächlich von den Gruppen, die die vielen Sitzbänke rund um den Club besetzten. Jack war mit einer solchen Bestellung zur Bar gekommen. Er hatte um eine andere Bedienung gebeten, um mich nicht mit acht Getränken zu überfordern, aber ich hatte ihn mit meinen Multitasking-Fähigkeiten beeindruckt. Ich war nicht überrascht, dass Cassie, die Schlange, ihm half, die Getränke an seinen Tisch zu bringen. Jack war ihr nächstes Ziel, aber ich konnte es ihr nicht übelnehmen. Mit Ausnahme der VIP-Lounge war er der attraktivste Mann im Club, und das blieb nicht unbemerkt.
Der Barbereich beruhigte sich für einen kurzen Moment. Ich nutzte die Gelegenheit, um einen Abstecher zur Toilette zu machen. Als ich zurückkam, wartete Jerry auf mich mit einer Kiste in seinen Händen. Er wirkte äußerst ungeduldig. Ich spähte in die Kiste. Sie enthielt Flaschen gefüllt mit einer grünen Flüssigkeit und bedruckt mit alten Etiketten, die mir fremd waren. Jerry sah unbehaglich aus, was ich nicht von ihm gewohnt war.
An diesem Punkt wurde meine Nacht seltsam …
»Du musst mir einen Gefallen tun. Bring die hinauf zur anderen Bar.«
»Ähm … andere Bar?« Verdutzt glotzte ich ihn an und fühlte mich wie ein Idiot.
»Du weißt schon, da oben.« Er deutete mit seinem Kopf in Richtung des oberen Stocks, und ich geriet sofort in Panik. War das ein Witz oder ein Test? Das war die eine Regel, die mir eingedrillt worden war. Verdammt, die ganze Stadt kannte die einzige Regel von Afterlife, und jetzt, nach nicht einmal zwei Wochen, verlangte er von mir, sie zu brechen? War dieser Mann verrückt?
»Warum ich?« Ich wiederholte meinen Satz, als er mich nur anstarrte. »Warum nicht jemand anderes? Vielleicht jemand, der schon länger hier arbeitet. Ich weiß, dass Cassie …«
Was schwafelte ich da eigentlich? War ich wirklich dabei, mir die einzige Chance, endlich dort hoch zu kommen, entgehen zu lassen, um Emo-Barbie den Vortritt zu lassen? Ich war hin und her gerissen, als Mr Hyde in mir JA! schrie. Aber der zimperliche Dr Jekyll hatte Todesangst vor dem, was passieren könnte.
»Deshalb musst du es tun. Du bist die Einzige, die kein Drama daraus macht.« Nein, ich fantasiere nur über Draven, überall wo ich hingehe, und träume fast jede Nacht davon, wie er mich in meinem Schlafzimmer küsst. Oh nein, überhaupt nicht dramatisch, dachte ich sarkastisch.
»Ich brauche jemanden, der nichts Dummes anstellt und schnell ist. Rein und raus, ohne, ähm … Na ja, ohne bemerkt zu werden.« Er sprach den letzten Teil aus, als ob er befürchtete, er hätte mich beleidigt, wo es doch nur die Wahrheit war. Ich war die Einzige, die nicht auffiel. Ich spielte meine letzte Karte aus in der Hoffnung, er würde nachgeben.
»Wieso nicht du oder Gary? Ich könnte die Bar im Auge behalten und …« Er schnitt mich ab, zweifelsohne bereits ahnend, was ich sagen wollte.
»Ich kann die Bar nicht unbeaufsichtigt lassen, und Gary bekommt schon einen Nervenzusammenbruch, wenn man nur die VIP-Lounge erwähnt, also ist das ein eindeutiges Nein.« Er nahm mein Schweigen als Einwilligung, schob die Kiste in meine Hände und machte einen Abgang. Für einen Moment stand ich regungslos da und fragte mich, was ich tun sollte. Ich schaute langsam nach unten auf neun grüne Gesichter, die auf mich zurückblickten. Die alten Flaschenetiketten waren alle gleich, ohne Namen, aber alle waren mit einer schönen, geflügelten, nackten Fee bedruckt, die im Liegen einen grünen Cocktail schlürfte.
Zuerst wollte ich Jerry herbeirufen und ihm sagen, dass ich das Ganze für eine schlechte Idee hielt. Ich könnte auch einfach die Kiste fallen lassen und die Fliege machen, was wahrscheinlich auch nicht die praktikabelste Lösung wäre. Ich mochte diesen Job und wollte ihn nicht verlieren. Während ich mich der Treppe näherte, fragte ich mich, wie zur Hölle ich meine Füße dazu bringen konnte, mich die Stufen nach oben zu tragen. Ich war fast da, als Gary aus dem Nichts auftauchte und mich zu Tode erschreckte.
»Nicht diese Treppen! Es gibt eine Tür auf der anderen Seite der Bühne. Das ist die, die sie immer benutzen.« Er plapperte in einem Ton, als würde er von außerirdischem Leben sprechen, das nicht hierhergehörte.
»O…kay.« Als würde ich nicht ohnehin schon alle Nerven verlieren. Er sah so verängstigt aus wie ich. Wovor zum Teufel hatte er solche Panik? Ich war doch diejenige, die man den reichen Wölfen zum Fraß vorwarf.
Ich machte mich auf in die Richtung, in die er nickte, als seine Hand meinen Arm griff. Sein Gesicht wurde ganz weiß.
»Tu dir selbst einen Gefallen und mach so schnell wie du kannst!« Oh toll, wie beruhigend!
Ich flatterte die Bühne entlang, bis ich die Tür sehen konnte, von der er gesprochen hatte. Kein Wunder, dass sie mir noch nie aufgefallen war. Sie war gut versteckt. Ich war gerade dabei, meine Kiste abzustellen, um die Tür zu öffnen, als sich zwei riesige Jungs vor mein Sichtfeld schoben. Meine Nerven lagen nun völlig blank. Ich richtete meinen Blick auf sie und versuchte, mir etwas einfallen zu lassen, was ich sagen konnte. Ein Teil von mir hoffte, sie würden mir den Zugang nach oben verwehren. Aber natürlich öffneten sie mir einfach die Tür, ohne ein Wort zu verlieren. Ich schritt hindurch und hüpfte vor Schreck, als sie hinter mir zufiel und mein Schicksal besiegelte.
Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich gönnte mir einen Moment, um mich zu sammeln, da ich nah dran war zu hyperventilieren. Was vor mir lag, würde man eher in einem Schloss vorfinden. Die Treppe war riesig! Man hätte ein Klavier nach oben tragen können und noch immer reichlich Platz auf beiden Seiten gehabt. Alles war aus dem gleichen Stein wie der Rest des Gebäudes gebaut, aber anstelle von Blöcken machte es den Anschein, als ob es aus einem großen Stück gehauen wäre. Es war unglaublich.
Ich stellte die Kiste ab und dehnte kurz meine Arme und Finger. Rote Markierungen und tiefe Einschnitte zierten meine Handflächen. Meine Finger knackten, als ich eine Faust formte und sie wieder öffnete. Meine kümmerlichen, dünnen Arme waren nicht für diese Aufgabe geschaffen, und ich hatte gerade mal den Club durchquert. Gegenüber von mir befand sich noch eine Tür, die genauso aussah wie die letzte. Die Versuchung, auf Erkundungstour zu gehen, war groß, aber die Angst erwischt zu werden noch viel größer.
Meine Füße trugen mich die altertümlichen Stufen hinauf, als hätten sie einen eigenen Willen. Mit Ausnahme von schmiedeeisernen Kerzenhaltern waren die Wände kahl, aber diese besaßen keine flackernden Glühbirnen für den nötigen Effekt. Man würde glauben, das Kerzenlicht wäre nicht ausreichend, aber tatsächlich konnte ich meine Umgebung ohne Probleme erkennen. Ein passendes Geländer aus gedrehtem Eisen schlängelte sich die Treppe entlang. Am Ende des kleinen Treppenabsatzes befanden sich zwei Türen. Ich wusste, welche ich öffnen musste, aber wie schon zuvor hatte ich noch immer den Drang, einen Blick durch die andere zu werfen.
Das rhythmische Brummen der Acid Criminals im Hintergrund wurde lauter, während sich mein Herzschlag dem Bass anpasste. Ich blieb hinter der geschnitzten Holztür stehen und fragte mich: ›Was nun?‹ Sollte ich klopfen oder einfach hineinspazieren? Ich entschied mich, einfach hineinzugehen. Mich würde ohnehin niemand klopfen hören, oder? Mit angehaltenem Atem stellte ich die Kiste ab und drehte den kunstvollen Knauf. Dann mal los, dachte ich, meine Unterlippe fest zwischen meine Zähne gepresst.
Ich betrat, was wie die Garderobe für eine Gothic-Produktion aussah. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken. Gott sei Dank war das Licht genug gedimmt, um mein leuchtend rotes Gesicht zu verbergen. Ich konnte die Bar auf der anderen Seite des Raums sehen und einen Weg durch die Stühle und Tische voller seltsam aussehender Menschen.
Ich sah mich um und versuchte, so viel wie möglich mit meinen Augen aufzusaugen, als ich mich zur Bar nach vorne kämpfte. Der Raum war atemberaubend, wie aus einer anderen Epoche. Vielleicht ein stattliches Haus, das vor einigen Jahrhunderten erbaut worden war. Aber auch neue, moderne Aspekte komplettierten das Interieur. Die Mischung aus Alt und Neu war äußerst harmonisch. Die gleichen gedrehten, schmiedeeisernen Leuchten, die sich durch den ganzen Club zogen, rundeten das Ambiente ab, aber diesmal wurden sie von echten Kerzen anstelle von Strom erleuchtet.
Die Möbel waren eine Mischung aus antiken, geschnitzten Stühlen und modernen Metalltischen, überzogen mit üppigen Stoffen, die für den extra Touch an Luxus sorgten. Dunkelrote Teppiche bedeckten den Boden mit seinen schwarzen Schieferfliesen. An den Wänden hingen Lampen und gedrehte Eisenkunstwerke – wunderschöne Stücke, gefertigt aus verflochtenem Metall, das in- und auseinander floss. Manche besaßen Metallrosen, die an Reben befestigt waren. Andere waren geformt wie Mond und Sonne, die von Metallklauen angegriffen wurden. Es war mit Abstand der seltsamste Raum, den ich je gesehen hatte.
Aber der Raum selbst war gar nicht das Eigenartigste. Nein, es waren die Gruppen von Menschen, die sich hier tummelten. Ich versuchte, meinen Kopf gesenkt zu halten, aber das erwies sich als schwierig. Wie ein Kind ins Disneyland mitzunehmen und es zu bitten, die Parade zu ignorieren. Ich war so vertieft, dass ich augenblicklich vergaß, was ich hier tat. Ich schlich mich um den Weg herum, der zur Bar auf der anderen Seite führte, um den Augen zu entfliehen, die auf mich gerichtet waren.
Einige sahen mich gutherzig an, andere hart und böse, mit ihren bedrohlichen, blutroten Kontaktlinsen. Ihre Kleidung war höchst ungewöhnlich. Einige trugen normale Alltagskleidung, andere Klamotten, die scheinbar aus einer anderen Welt stammten. Eine Gruppe war so kostümiert, dass man hätte meinen können, sie wären einem klassischen Historiendrama aus dem 18. Jahrhundert entflohen.
Eine andere Gruppe hätten Komparsen aus einem Vampir-Film sein können, mit langen schwarzen Mänteln und dazu passenden langen schwarzen Haaren. Augen wie rote Abgründe aus Hass und Lippen in sadistisches Grinsen geschwungen. Ich zitterte, als ich vorbeiging.
Ich würde darauf tippen, dass meine Fantasie wieder einmal mit mir durchging. Aber hier gab es so viel Treibstoff für mein hyperaktives Gehirn, dass ich nicht wusste, was real war und was nicht. Ich könnte schwören, dass mich an einem Tisch, den ich passierte, alle anknurrten. Sie trugen enge Locken aus weißem Haar und glänzend-silberne Fingernägel, die scharf waren wie Metallspitzen. Kein Wunder, dass mir der Atem fehlte.
Ich näherte mich jetzt der Mitte und schlich den ersten Balkon entlang. Ich konnte ganz klar die Leute unten sehen, die im Vergleich so normal wirkten. Sie tanzten und waren mit Geselligkeit beschäftigt, nichtsahnend der Schrecken hier oben in der VIP-Lounge. Der Gedanke, dass sie alle auf uns herabsehen konnten, von unten aber keiner etwas von oben erkennen konnte, war äußerst unbehaglich. Jetzt wurde mir klar, wieso dieser Bereich jedem untersagt war. Menschen würden in Panik und Gerüchte außer Kontrolle geraten.
Ich fragte mich, was sie hier für Geschäfte tätigten. Welche Art von Business war das, in dem man so viele verschiedene, skurrile Menschen antraf? Es erinnerte mich an eine Horrorfilm-Convention, wo sich alle als ihre Lieblingsfiguren verkleideten. Ich hatte Business-Anzüge und hübsche Models als bezahltes Entertainment erwartet, aber nicht das.
Ich versuchte, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren und die unheimliche Stimmung abzuschütteln, die an meiner Haut klebte. Der Balkon, auf dem ich mich befand, zog sich in einen Halbkreis und ragte weiter hinaus als die anderen. Es war offensichtlich, warum es so entworfen wurde, da man so eindeutig die beste Aussicht auf den Club unterhalb hatte. Im Gegenzug bedeutete das, dass man sich nirgendwo verstecken konnte, außer am kleinen Platz direkt darunter.
Aber das überraschte mich nicht im Geringsten, wenn man bedachte, wem dieser Club gehörte. Ich versuchte krampfhaft, nicht hinzusehen, aber es war, als würde ich gegen den Willen der Götter handeln, wenn ich meinen Kopf nicht drehte. Meine Augen brannten, als ich dagegen ankämpfte. Ich wusste, dass er hier war, konnte ihn fühlen. Es fühlte sich bizarr an, wie die Empfindung, die mich überkam, wenn ich von ihm träumte. Ich schien wach zu sein, aber auch irgendwie nicht. Ich konnte mir nichts davon erklären, zumindest nicht in Worte fassen, die Sinn ergaben.
Schließlich drehte ich mich um und sah einen großen ovalen Tisch, der die Form des Balkons widerspiegelte. Er stand auf einem erhöhten Podest, sodass jeder die ahnungslosen Leute beobachten konnte, die dachten, dass man hier nur reiche Geschäftsmänner antreffen würde. Dies repräsentierte ganz klar die Stellung der Personen, die um ihn herumsaßen. Etwas überflüssig, meiner Meinung nach, da es auch ohne die Theatralik auf der Hand lag.
Der Tisch war der größte in diesem Raum. Jede Person besetzte einen schmiedeeisernen Stuhl mit hoher Rückenlehne. Allerdings gab es keine Stühle an der Vorderseite, um nicht die Sicht des Oberhauptes zu versperren. Und dieses Oberhaupt war natürlich Dominic Draven selbst.
Er war der atemberaubendste Mensch von allen hier. Er schien größer zu sein als alle anderen. Auch sein Stuhl glich eher einem Thron. Doppelt so groß und noch erstaunlicher mit Dominic Draven, der seinen Platz einnahm. Die Lehne, die sich von den Füßen nach oben schwang, war kunstvoll aus Holz geschnitzt. Die beiden Seiten trafen sich oben an der Spitze in einem Bogen, der mit Eisen verflochten war. In die Mitte war das gleiche Wappen gemeißelt, das ich an der Eingangstür bemerkt hatte. Der Mittelteil der Lehne war mit violettem Samt bezogen, und ich vermutete, dass man diesen auch auf der Sitzfläche vorfinden würde. Die Armlehnen waren aus etwas gefertigt, das aussah wie Stein oder vielleicht Marmor. Aber all das war unwichtig im Vergleich zu dem lebendigen Meisterwerk, das darauf thronte.
Er schien mich nicht zu bemerken, also blieben meine Augen auf seinem perfekten Gesicht hängen. Ich war so verzaubert, dass ich die anderen Leute am Tisch kaum wahrnahm. Er war der Einzige, den ich sah. Ich folgte seinem Körper von der Taille aufwärts, wie ich es schon das erste Mal in der Waldlichtung in meinem Traum getan hatte. Jedes Detail war mir korrekt in Erinnerung geblieben.
Er trug einen schwarzen Nadelstreifenanzug, ein Gilet sowie ein Hemd und eine Krawatte in Schwarz. Meine Augen folgten dem Material, das sich über seine kraftvollen Schultern spannte, und hielten am Hals inne. Mein Herz flatterte, und mein Magen schmerzte in dem Wissen, dass ich bei dem besten Teil angelangt war … seinem Gesicht. Aber ich verlor die Nerven. Ich konnte es nicht ertragen, in seine Augen zu blicken, aus Angst vor dem, was ich dort vorfinden würde.
Schließlich war ich im Begriff, alle Regeln zu brechen.
Schnell zog ich mich in die Realität zurück und sauste mit hängendem Kopf in Richtung Bar. Sie war nicht weit vom großen Tisch entfernt, also hatte ich keine große Distanz zurückzulegen. Die Bar ähnelte der im unteren Bereich, nur war sie etwas kleiner. Tatsächlich war sie das einzige Objekt in diesem Raum, das mich daran erinnerte, dass ich mich noch im selben Club befand und nicht in einem Schloss in Europa. Ein Mann stand hinter der Bar, und plötzlich wurde ich aus einem ganz anderen Grund nervös – Konfrontation .
Ich ging zu ihm hin und stellte die Kiste auf der Theke ab. Er drehte sich zu mir. Nach all dem, was sich hier abspielte, hatte ich die Schmerzen in meinen Armen und Händen gar nicht registriert. Mit zusammengebissenen Zähnen streckte ich meine Finger aus.
»Alles okay?«, fragte mich eine seidige, akzentuierte Stimme. Ich blickte hoch zu einem Mann, der mich sanft anlächelte. Er war offensichtlich von marokkanischer Abstammung mit einem dunkleren Hautton, tiefdunklen Augen und langen schwarzen Haaren, die über seine Schultern hingen. Seine Augen waren freundlich, was mich beruhigte im Vergleich zu den prüfenden Blicken, die mich auf dem Weg hierher begleitet hatten.
»Pardon?«, fragte ich verdutzt, was ich augenblicklich bereute.
»Ich habe dich gefragt, ob du okay bist, meine Liebe. Du musstest einen langen Weg nach hier oben zurücklegen und, nichts für ungut, aber du siehst nicht aus, als wärst du für diese harte Arbeit gemacht.« Er gluckste.
»Ja, alles gut, danke. Mir wurde gesagt, dass Sie diese Kiste benötigen, also haben sie mich geschickt … Nun, Jerry hat mich geschickt … Ich meine, er hat mich nicht geschickt … Nur gefragt.« Hör auf zu reden! Ich plapperte wie ein verirrtes Kind. Er konnte das Lächeln nicht von seinem Gesicht halten, da er sich wohl denken konnte, weshalb ich so zerstreut war.
»Vielen Dank. Wir brauchen sie tatsächlich ganz dringend, da wir schon die letzte Flasche geleert haben und wir sind extrem unterbesetzt … Wegen, ähm … Nun, sagen wir mal, unvorhersehbarer Umstände.« Ich verstand nicht, was er meinte. Niemand verwendete den Begriff ›unvorhersehbarer Umstände‹, um zum Ausdruck zu bringen, dass jemand entweder gekündigt hatte oder gefeuert worden war.
»Ich bin Karmun, und du bist?« Er streckte seine Hand aus. Ich beugte mich vor, um sie zu schütteln, als jemand meinen Namen rief.
»Keira, bist das du?!« Die gleiche vertraute Stimme, die ich heute in Geschichte gehört hatte, erklang direkt hinter mir. Ich zog meine Hand zurück und drehte mich zu ihr um. Die Kombination aus Überraschung und Panik, dass sie mir gefolgt war, weil ich offensichtlich jede erdenkliche Regel gebrochen hatte, brachte meinen Körper dazu, gegen meine Befehle zu rebellieren. Ich verlor meinen Halt und stieß seitwärts mit jemandem zusammen.
Wider all meiner Hoffnungen war es nicht Sophia, die stand mir grinsend gegenüber. Die Person, die mich aufgefangen hatte, hielt mich aufrecht. Ich war im Begriff, mich ihr mit tausend Entschuldigungen zuzuwenden, als Sophia kicherte und den Namen aussprach, der mir nur allzu vertraut war.
»Guter Fang! Keira, ich möchte dir Dominic Draven vorstellen.« Ich hob meinen Kopf und sah sein perfektes Gesicht, das auf meine scharlachroten Wangen herabstarrte. Schnell richtete ich mich auf und wich instinktiv einen Schritt zurück. Mir war noch heiß von seiner Berührung, die meine Haut gebrandmarkt hatte.
Seine Augen folgten meinen, und ich schaffte es, ein leises ›Verzeihung‹ zu murmeln, das niemand hören würde. Er durchdrang mich mit stählernen, gefühlskalten Augen und brachte damit meine Knie zum Schlackern. Ich versuchte, einen Teil meiner Kontrolle zurückzugewinnen, um ein weiteres Malheur zu verhindern.
Woher kannte Sophia ihn? Vielleicht war sie seine Freundin. Sie war genau die Richtige. Jenseits von Schönheit und Perfektion. Der Inbegriff von Begehren und eine Muse für Künstler und Schriftsteller. Plötzlich hatte ich ein mulmiges Gefühl im Magen. Ich würde niemals, nicht in einer Million Jahren, gut genug sein. Nicht für einen Mann wie ihn.
Aber dann sagte sie etwas, das meine unausgesprochenen Gedanken beantwortete, und alles machte plötzlich Sinn.
»Bruder, das ist Keira. Das Mädchen, von dem ich dir erzählt habe.«