S
obald ich die Augen auf den Vogel richtete, stieß er sich vom Verandageländer ab und flog weg. Jack flippte aus.
»Was zum Teufel war das? Auf jeden Fall der verrückteste Vogel, den ich je gesehen habe. Scheiß mich an, war das ein Adler?!« Ich wusste nicht, ob er mit mir oder mit sich selbst redete, aber er fügte ein kurz angebundenes »Gute Nacht« hinzu und stapfte zurück zu seinem Auto.
Es war das erste Mal, dass mir das unerwartete Auftauchen des Vogels gelegen kam. Es bestätigte zugleich auch, dass er nicht nur in meiner Fantasie existierte. Diesmal war es keine Einbildung.
Libby saß verdächtig unschuldig auf der Couch vor dem Fernseher, als ich ins Zimmer kam. Nun, wenn sie überzeugend wirken wollte, hätte sie nicht den Kanal mit den Football Highlights einschalten sollen. Sie hasste die meisten Sportarten. Ich zog sie gleich damit auf.
»Wer gewinnt?« Ich versuchte, mein Lächeln zu verbergen.
»Was? Oh, äh … Liverpool.« Das wagte ich zu bezweifeln.
»Hmm, eigenartig. Ich wusste gar nicht, dass Liverpool diese Woche gegen die Broncos spielt. Sicherlich ein sehr
interessantes Spiel.« Ich lachte, als ihr klar wurde, dass sie ins Fettnäpfchen getreten war.
»Okay, ich habe gar nicht ferngesehen.«
»Nein, wirklich? Hätte ich nie gedacht.«
Sie folgte mir in die Küche. »Im Kühlschrank sind noch Nudeln.«
Ich öffnete ihn, und mir kam der Autounfall einer Mahlzeit zerquetscht in einer Schüssel entgegen. Wie konnte man nur Nudeln verbrennen? Ich sollte mir für morgen vor der Arbeit etwas ausdenken, das man schnell zubereiten konnte.
»Schon okay. Eigentlich habe ich Lust auf Toast.« Ich schob zwei Scheiben in den Toaster und befüllte den Wasserkocher.
»Du auch?« Sie nickte, und ich nahm zwei Tassen aus dem Schrank.
»Also, er schien ganz nett. War das Jack?« Klar wartete sie nicht lange, das Thema anzuschneiden, also setzte ich mich zu ihr.
»Ja, das war Jack, und wir sind nur Freunde.« Sie wollte nur, dass ich glücklich war, so wie sie mit Frank. Ihrer Meinung nach müsste ich nur jemand Nettes kennenlernen, dann wäre alles in Butter. Nun, was sie nicht wusste – ich hatte bereits jemanden getroffen, aber heute Abend hatte er mir die Bestätigung ins Gesicht geklatscht, dass er alles andere
als nett war.
»Oh, küssen dich deine Freunde immer?« Ich wusste es! Sie hatte mich ausspioniert.
»Libby! Was hast du …?«
Sie schnitt mich ab. »Toast.« Sie zeigte auf den Rauch, der aus dem Inneren des Toasters aufstieg, und ich wedelte mit einem Geschirrtuch, um die graue Wolke zu verscheuchen. Ich entfernte das verkohlte Toastbrot und drehte die Temperatureinstellung von fünf auf zwei. Kein Wunder, dass alles verkohlt war.
»Schau, ich bin nicht die Einzige, die etwas anbrennen lässt«, meinte sie in einem selbstgefälligen Ton.
»Wenn du den Toaster nicht so hoch gestellt hättest, würde ich Toast statt Kohle bekommen. Und übrigens, lenk nicht vom Thema ab. Warum spionierst du mir nach?« Nachdem ich die schwarzen Quadrate im Müll entsorgt hatte, entschied ich mich, den Toast bleiben zu lassen und mich mit meinem Tee zu begnügen. Ich goss das kochende Wasser in die Tassen und ließ die Teebeutel ziehen.
»Ich habe nicht spioniert, sei nicht so dramatisch. Ich wollte nur sehen, wer es war, und als ich sah, wie er dich küssen wollte, habe ich weggesehen. Aber Mann, er ist niedlich und groß. Seit wann stehst du auf blonde Typen? Ich dachte immer, dein Traummann wäre groß und dunkel?« Ich reichte ihr den Tee und setzte mich wieder hin.
»Libby, so ist das nicht. Er ist ein Freund.«
»Weiß er
das auch?« Okay, sie hatte mich erwischt, aber ich wollte jetzt wirklich nicht darüber reden, also wechselte ich das Thema.
»Wie läuft es mit deinem neuen Kunden?« Ich wusste, es würde funktionieren. Sie liebte es, über ihren Job zu sprechen.
Libby plapperte dahin, bis Frank nach Hause kam. Ich nutzte die Gelegenheit, in mein Zimmer zu flüchten. Schön, endlich alleine zu sein. Ich machte mich bereit fürs Bett, wieder einmal in der Hoffnung, von ihm zu träumen. Nicht von der Arschloch-Version, die mir heute Abend begegnet war, sondern von meinem Draven.
»NEIN!«, warnte ich mich selbst. Das lief langsam aus dem Ruder und musste endlich aufhören! Draven spielte in einer anderen Liga. Es war sinnlos, von etwas zu träumen, das so unantastbar war. Ich ging ins Bad, füllte ein Glas Wasser und warf eine Schlaftablette ein. Diese Nacht wollte ich für mich allein.
Die Band spielte im Club, aber es war überraschend leer für die Uhrzeit. Jerry, der etwas aufgescheucht aussah, kam mit einem Tablett in der Hand zu mir. Sein Bruder folgte ihm. Es war das erste Mal, dass ich sie beide zusammen sah, aber nur Jerry sprach.
»Du wirst oben gebraucht, aber du musst schnell sein.« Er reichte mir das Tablett, aber ich schüttelte den Kopf.
»Nein, ich habe den Job abgelehnt. Ich arbeite nicht da oben, und du kannst mich nicht dazu zwingen.« Endlich hatte ich es ausgesprochen, und es fühlte sich gut an. Leider war das Gefühl von kurzer Dauer.
»Nein, aber Draven kann es. Also beeil dich!« Nun, das jagte mir Angst ein. Ich wollte mit Draven nicht noch einmal in Konfrontation geraten, also gab ich nach. Ich nahm das Tablett und ging zur hinteren Treppe, als Gary mit seiner verstörenden Stimme sagte:
»Pass auf, dass du nicht blutest.« Was zur Hölle? Warum hatte er das gesagt? Ich drehte mich um, um ihn zur Rede zu stellen, aber beide waren bereits verschwunden. Was war los mit diesem Typ? Haben die ›Gruseln‹ an seiner Schule unterrichtet, oder ist er so seltsam auf die Welt gekommen?
Ich näherte mich den Türen, die zur Treppe führten, aber diesmal war etwas anders. Die üblichen muskelbepackten Türsteher waren nicht in Sicht, also zuckte ich mit den Schultern und schob die Türen auf. Es war seltsam ohne die Geräusche der Leute, die sich im Club amüsierten. Es machte alles nur unheimlicher.
Die Tür oben stand bereits offen, und nach einem Moment des Zögerns schritt ich hindurch. Drinnen angekommen, fiel die
Tür zu und besiegelte damit mein Schicksal. Ich legte das Tablett ab und versuchte, sie zu öffnen, aber sie schien verklemmt zu sein oder schlimmer … versperrt
. Ich drehte mich um. Das Areal sah genauso aus wie am Abend zuvor. Die gleichen Ansammlungen von Leuten, die an denselben Tischen saßen, und wieder ging ich die gleichen Schritte den Weg entlang. Ich dachte an das einzige freundliche Gesicht, das ich hier finden würde und steuerte auf die Bar zu, in der Hoffnung, Karmun zu treffen.
Ich näherte mich dem Tisch in der Mitte, und meine Hände begannen zu zittern. Ich wünschte mir wirklich, es gäbe einen anderen Weg zur Bar, aber leider war dem nicht so. Ich ließ einen tiefen Atemzug meine Lungen füllen, damit ich nicht atmen musste, während ich vorbeiging. Ich war mir nicht sicher, warum ich das tat, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass sein Geruch etwas Eigenartiges mit mir anstellte. Ich würde nicht hinsehen. Ich würde ganz bestimmt nicht hinsehen. Ich schwor mir bei allem, was heilig war, nicht hinzusehen.
Ich sah hin.
Natürlich tat ich das. Ich war schwach. Er jedoch sah mich nicht an. Ich versuchte, meine Augen zu bewegen, aber sie schenkten meiner stillen Bitte keine Beachtung. Heute Abend war er nicht in einen Anzug gekleidet. Er trug ein enganliegendes T-Shirt anstelle von Hemd und Krawatte, behielt aber das Gilet. Mein Gott, war er sexy. Ich begann, ihn mental auszuziehen, stoppte aber, bevor es mich überwältigte.
Meine Gedanken schweiften zu der Frage, wie seine Haut wohl im Kerzenlicht leuchtete. Vor allem wollte ich sie berühren. Wäre sie weich oder hart unter seinen Muskeln? Er beugte sich zur Göttin neben sich, als seine Schwester ihm etwas zuflüsterte. Dann flog meine Deckung auf. Sein Kopf drehte sich so schnell zu mir, dass ich nicht rechtzeitig reagieren konnte. Den Rest des Weges rannte ich fast zur Bar.
Auf dem Weg dorthin stieß ich in eine Menge Leute, aber diesmal sah ich etwas anderes in ihnen als letzte Nacht. Mein Fluch! Er war zurück, um mich zu verfolgen, und ich schrie. Aber niemand bemerkte mich, auch nicht, als sie sich um mich herum versammelten. Ich ließ das Tablett fallen. Flaschen zerbarsten in Zeitlupe. Aber Moment … Hatte ich das Tablett nicht bereits abgestellt? Dieser Gedanke löste sich in Luft auf, sobald ich ihre Gesichter sah. Sie waren ungeheuerlich! Ich hatte Todesangst und wollte nur davonlaufen. NEIN! Nein, nein, das konnte nicht passieren. Nicht jetzt … Nicht schon wieder!
Ich sprintete los, aber es fühlte sich an, als wären meine Beine aus Metall. Glas knirschte unter meinen Füßen, und mein Herzschlag donnerte. Ich suchte nach einem Weg aus dieser Hölle, aber mit jedem Tisch, den ich passierte, offenbarten sich mir größere Schrecken. Dämonen – eine Welle nach der anderen.
Bei einem sah die Haut so aus, als ob sie von seinen Knochen schmolz, aber er lächelte nur, als wäre es völlig normal. Ein Brechreiz überkam mich beim Anblick seiner tropfenden Haut und dem lippenlosen Grinsen. Ich rannte an einem anderen Tisch an Männern vorbei, die keine Gesichter, sondern nur Zähne zeigten, die sich wie bei einem prähistorischen Säbelzahntiger verkeilten. Ihre Lippen wuchsen auf ihrer Stirn und liefen hinunter zum Kinn. Hin und wieder aber verdrehten und verzerrten sich ihre Gesichter in die gewohnten, normalen von letzter Nacht.
Ich war völlig außer mir. Ich drehte mich, suchte nach einem Versteck, nur um noch mehr Monster zu sehen. An dem Tisch, den ich gestern mit Vampiren verglichen hatte, saß ein Gruppe voller zerbrochener Schädel, durch deren Risse Blut pumpte. Sie drehten sich zu mir um und zeigten mit gebrochenen Fingern auf mich, die in der Luft verblassten, als entstammten sie der Asche verbrannter Leichen.
Meine Finger krallten sich in meinen Kopf, als ich auf meine Knie sank und mich zu einem winzigen Ball zusammenrollte.
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie eine Gestalt zu mir herüberkam. Alles verschwamm, wie damals, als ich ein Kind war. Ich konnte Realität und Wahnsinn nicht voneinander unterscheiden. Die Gestalt kam näher. Jeder Instinkt schrie in mir, wegzulaufen, aber die Angst lähmte mich. Ich hielt meinen Kopf und ließ meine Haare über mein Gesicht fallen. Tränen brachen aus meinen Augen aus, die den grauenhaften Anblick nicht ertragen konnten.
»Bitte lass sie verschwinden«,
flüsterte ich wie ein verängstigtes Kind.
»Das werde ich, meine Kleine. Keine Angst. Du bist jetzt in Sicherheit.« Erst als mir eine Stimme antwortete, wurde mir klar, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Ich erkannte die Stimme.
»Du kannst deine Augen jetzt öffnen. Fürchte dich nicht, Kleines.« Eine Hand berührte meinen Kopf, bevor sie zu meinem Kinn wanderte und es leicht anhob. Ich öffnete meine Augen, wie er es angewiesen hatte. Ich befand mich wieder innerhalb der vertrauten Wände meines Schlafzimmers.
Oh, danke Gott!
Ich lag in meinem Bett. Alles war nur ein Traum gewesen. Das Zimmer sah genauso aus, wie ich es verlassen hatte. Ich begann, meine Muskeln zu entspannen, aber dann erstarrte ich mitten in der Bewegung. Wenn dies ein Traum war, warum ragte dann eine Gestalt über mir? Ich schoss aus dem Bett und zog die Decke fest um mich, so schnell, dass ich beinahe stolperte.
»Hey, ganz ruhig … Alles in Ordnung. Ich werde dir nicht wehtun.« Er bewegte sich mit erhobenen Händen auf mich zu, als hätte ich eine Waffe. Er sah aus wie in meinem Traum, nur trug er keine Jacke, sondern ein T-Shirt und eine schwarze Hose. Augenblicklich sah ich nach unten, um sicherzustellen, dass ich
noch meine Handschuhe anhatte, wovon er Notiz nahm. Ja, sie waren noch da.
»Ich habe dich nicht angefasst«, versicherte er mir in einem weichen Ton, aber er verstand meine Ängste, was das Aufdecken meiner Narben betraf, völlig falsch.
»Ich weiß, aber … Aber was machst du hier?« Ich versuchte, meine Stimme ruhig zu halten, aber das erwies sich als schwierig, weil mein Herz so schnell wie ein in Gang gesetztes Düsentriebwerk pochte.
»Ich sollte gehen.« Das war nicht die Antwort, die ich mir erhofft hatte, weshalb ich mit dem Ersten herausplatzte, was mir in den Sinn kam.
»Bitte nicht!«
»Du willst, dass ich bleibe?« Er schien überrascht, und ich fragte mich, ob er in letzter Zeit in den Spiegel geschaut hatte?
»Ich verstehe nicht. Habe … Habe ich geträumt? Träume ich immer noch?«,
fügte ich flüsternd hinzu.
»Ja und nein. Es war ein Alptraum, aber jetzt, nun, das ist eine andere Sache.« Er tat langsame Schritte in meine Richtung. Die Brise, die durch mein offenes Fenster zog, ließ mich erzittern. War er so in mein Zimmer gekommen? Und was hatte es mit den kryptischen Botschaften auf sich?
»Wieso, was ist jetzt?«, fragte ich, als er sich zu mir beugte, ohne seine Augen für eine Sekunde von meinen zu nehmen. Ich konnte ihn im Dunkeln lächeln sehen. Ich wusste, was kommen würde. Das war der Moment, in dem er gehen würde. Er schenkte mir das gleiche Lächeln, das ich immer bekam, wenn ich nicht wollte, dass es endete. Aber was faselte ich da? Das war auf keinen Fall ein Traum. Es fühlte sich zu real an.
Viel zu real.
Er hielt etwas in seiner Hand, als er mir so nahekam, dass ich mein Genick nach hinten neigen musste, um sein Gesicht zu sehen. Er blickte auf mich herab.
»Ist dir kalt?« Er hob seine freie Hand und berührte mein Gesicht mit dem Handrücken, den er meinen Hals hinunterfahren ließ. Das musste real sein! Ich schloss meine Augen, als sich meine Nerven anspannten, hoffend, dass sein nächster Schritt der sein würde, auf den ich eine gefühlte Ewigkeit gewartet hatte.
Er beantwortete seine eigene Frage.
»Ja, dir ist kalt.« Dann, mit einer schnellen Bewegung, schlang sich meine Decke wie ein Mantel fester um mich herum. Er zog mich näher an sich heran. Ich konnte seinen Atem fühlen, als er meinem Gesicht noch näher kam. Ich hingegen hatte aufgehört zu atmen, aus Angst, er würde mich wieder verlassen. Ich musste etwas sagen. Ich brauchte Antworten, auch wenn ich sie nur in meinen Träumen erhielt.
»Danke. Aber bitte … Ich muss es wissen.« Das Mondlicht war gerade hell genug, um zu sehen, wie sich eine seiner Augenbrauen hob. Ich fuhr fort, bevor ich noch vergaß, was ich sagen wollte.
»Ist das real? Bist du real, oder schlafe ich noch?« Er schenkte mir ein beinahe trauriges Lächeln.
»Ja, tust du. Aber dich wird kein weiterer Alptraum mehr verfolgen. Nicht heute Nacht.« Seine Stimme klang härter. Fast schon besitzergreifend.
»Aber warum? Ich meine … du …« Ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte, also half er mir auf die Sprünge.
»Warum träumst du immer wieder von mir, meinst du?« Ich nickte, obwohl ein Teil von mir genau wusste, warum. Ich war verrückt. Ich war besessen. Meine Träume waren nur Symptome meiner Krankheit.
»Ich weiß nicht, warum, aber lass mich dir eines sagen …« Seine Hände distanzierten sich von meinem provisorischen Kragen und bewegten sich nach oben, bis seine Fingerspitzen die kühle Haut an meinem Hals entlang streichelten. Ich konnte das
tiefe Erschaudern, das direkt von meiner Wirbelsäule kam, nicht zurückhalten. Dann machte er es noch schlimmer und fügte dem Zauber, den er über mich hatte, die Worte hinzu, die ich hören wollte.
»Ich mag es.« Er senkte seinen Kopf, sodass er meinen Blick auffangen konnte. Meine Haut brannte unter seiner Hand, die noch immer meinen Hals hielt. Er lächelte wieder, als könnte er den Beweis spüren.
»Aber warum?«, fragte ich schließlich. Seine Reaktion ließ mich erbeben, als seine Finger ihren Griff um meinen Hals verfestigten. Seine Daumen übten Druck unterhalb meines Kinns aus und zwangen mich, aufzusehen. Mein Atem verfing sich in meiner Luftröhre, als mich die Intensität übermannte, die auf mich gerichtet war. Etwas Violettes blitzte auf, das wie ein Feuerring um seine schwarzen Augen kreiste, und ich versuchte, zurückzuweichen. Doch diese Bewegung wurde mir nicht gewährt. Seine Hände ließen mich nicht los, und er schüttelte den Kopf.
»Du hast mich gefragt, warum«, erinnerte er mich, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Nicht, als er eine Hand bewegte, um mit seinem Daumen meine Unterlippe zu streicheln. Ich konnte nur nicken. Auch das erwies sich beinahe als unmöglich, als seine Finger den tiefen Ausschnitt meines T-Shirts erkundeten.
»Bitte.«
Ich flehte um mehr. Egal was, nur mehr
. Seine Hand ballte eine Faust um das Material. Für einen Moment schien es, als ob ihn mein kaum geflüstertes Wort beinahe dazu brachte, mein T-Shirt in Stücke zu reißen.
»Die Gründe werden sich mit der Zeit offenbaren, aber fürs Erste …« Er ließ schnell meine Kleidung los, und mir entkam ein kleiner Protestlaut. Obwohl das gar nicht nötig war, weil seine beiden Hände mein Gesicht umrahmten, um mich näher zu
ziehen, sodass seine Lippen den Rest direkt über meiner Haut flüstern konnten.
»Zweifle nie an dir, Keira. Du bist wunderschön.« Ich schloss meine Augen, als seine Worte mich durchdrangen. Er dachte, ich wäre schön?
»Ich …« Ein schwaches Geräusch in der Ferne unterbrach mich und erregte seine Aufmerksamkeit. Sein Blick schnellte zum Fenster, als würde etwas nach ihm rufen.
»Die Zeit ist um, Kleine.« Aber bevor er sich wieder einfach so aus dem Staub machen konnte, trat ich zur Seite und schüttelte seinen Griff ab. Er sah schockiert aus, als ob er das nicht erwartet hätte. Nun, wenn das mein Traum war, dann hatte ich hier die Kontrolle, nicht wahr? Obwohl es sich meistens nicht so anfühlte.
Es schmerzte mich, so weit von seinem Körper entfernt zu sein, aber heute musste etwas anderes geschehen. Ich war noch nicht bereit, das alles hier loszulassen. Ich wich zurück in eine Ecke und brachte Abstand zwischen uns, was ihm überhaupt nicht zu gefallen schien. Von der anderen Seite des Zimmers aus konnte ich sogar die harten Linien seines Verdrusses erkennen.
»Warum musst du gehen, wenn das mein Traum ist?« Tapfer sprach ich das Offensichtliche an, trat aber weitere Schritte zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte ich nach unten, um sicherzustellen, dass ich nicht wieder ins Stolpern geriet.
»Das ist eine gute Frage, aber leider eine, die ich nicht beantworten kann.« Der Atem seiner Worte peitschte über meine Lippen, als er wieder direkt vor mir stand. Es war mir unbegreiflich. Wie hatte er mich so schnell erreicht?
Bevor ich reagieren konnte, packten seine Hände grob meine Hüften und zerrten mich zu seinem Körper. Er schmunzelte, als ob ihn mein erschrockenes Keuchen amüsierte, und beugte sich langsam zu meinem Ohr. Ich hielt mich an seinem Bizeps fest, nur um Halt vor der Flut von Empfindungen zu finden, die er
in mir verursachte. Dann kamen sie. Die geflüsterten Worte, die einen der schönsten Träume beendeten, den ich je erlebt hatte. Und wie immer verharrten seine letzten Worte in meinem Kopf, was es unmöglich machte, solch eine befehlshabende Stimme zu ignorieren.
»Süße Träume, meine Keira. Denn dieses Mal verspreche ich …« Er hielt inne, bevor er tief den Duft an meinem Hals einatmete und seinen Schwur gegen meinen schlagenden Puls ablegte.
»… diese Träume zu beschützen.«