17
Dravens Charme erlegen … Buchstäblich
I ch schlurfte nach unten, kurz bevor das Morgenlicht die Küche füllte. Niemand war wach. Gut. Ich stand noch immer etwas neben mir von den Ereignissen letzter Nacht, und Libby würde zweifellos Notiz davon nehmen. Hoffentlich konnte ich ihr den Rest des Tages aus dem Weg gehen, bis meine Schicht begann.
Der Gedanke an den Club machte Platz für neue Sorgen. Alles würde komplizierter werden, sobald die Leute erfuhren, dass ich im Begriff war, eine einmalige Gelegenheit abzulehnen. Für sie war es das vielleicht. Für mich aber war es nichts mehr als eine Katastrophe, die ich versuchte, rechtzeitig abzuwenden.
Ich saß grübelnd bei meinem Frühstück, das ich nicht hinunterbrachte, als ich mir den Kopf über den seltsamen Traum zerbrach. Hatte er mich aus einem Alptraum in meinem Traum geweckt? Wie war das überhaupt möglich? Ich hatte mein Zimmer durchsucht, in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, das bewies, dass es real gewesen war. Aber wie immer war es nur Hoffnung, nichts weiter. Was hatte mich so fixiert? Er hatte mich verführt, meinen Verstand manipuliert, aber was noch wichtiger war: Gab es einen Weg zurück?
Würde ich diesen Weg überhaupt einschlagen, wenn ich könnte? Ich kannte die Antwort. Es gab kein Zurück mehr. Er hatte jegliche Chance ruiniert, dass ich diese Gefühle jemals wieder für jemand anderen hegen könnte. Jack hatte gestern Nacht reinen Tisch gemacht, was seine Gefühle betraf, aber ich war zurückgescheut, noch bevor ich sie auskosten konnte. Ich wäre wirklich auf jemanden wie Jack eingegangen. Er war lustig, gutaussehend, charmant und vor allem ein perfekter Gentleman. Aber Jack war nicht das Problem – ich war es.
Ich fühlte mich zu dem Typ hingezogen, der sich nicht für mich interessierte und es auch nie tun würde. Oder lag ich da falsch? Seine Taten standen permanent im Widerspruch zu seinem Verhalten, sogar schon beim ersten Mal, als er mich im Club gesehen hatte, wo er in Sekundenschnelle von heiß zu kalt übergeschwenkt war. Dann waren da noch die Idioten vor dem Club, als er mir ritterlich zur Hilfe geeilt war. Ganz zu schweigen von dem Auto mit dem Chauffeur und dem Anruf bei Jerry. Zu behaupten, ich sei verwirrt, war gelinde gesagt eine Untertreibung.
Ich kämpfte weiter mit meinen Gedanken, bis ich aus der Dusche stieg und mich darauf konzentrieren musste, mich fertig zu machen. Ich wusste, ich war spät dran, als ich das erbärmliche Hupen von RJs kleinem Auto hörte. Es klang mehr nach einem Road Runner. Ich rannte mit halbnassen Haaren nach unten, während ich versuchte, sie in meinen üblichen Dutt zu winden, aber sie waren heute besonders unkooperativ. Die Strähnen an den Seiten hingen nass und wellig vor meinem Gesicht. Nach einem eiligen »Bis später!« zu Libby und Frank stieg ich ins Auto und sah zweifelsohne aus, als hätte man mich rückwärts einer Autowäsche unterzogen.
»Hey, geht es dir gut? Etwa erst aus dem Bett gestiegen?« Belustigt startete RJ den Motor, der jedoch nicht anspringen wollte. Dann rieb sie das Armaturenbrett und summte:
»Komm schon, altes Mädchen. Du bist schon warmgelaufen.« Ich lachte, und das Auto stotterte sich in Bewegung.
»Ob du es glaubst oder nicht, ich bin heute Morgen um 4:30 Uhr aufgewacht.« Sie warf mir einen ungläubigen Blick zu.
»Sag mir bitte, dass du nicht so lange gebraucht hast, um dich fertig zu machen?« Sie beäugte mich von oben bis unten und kannte sicherlich die Antwort.
Ich fummelte mit meinem Gurt, während ich darauf wartete, dass sie das Verhör wieder aufnahm.
»Also … Eine schöne Nacht gehabt?« Sie lächelte und biss auf ihre Lippe. Aber jetzt, mit diesem Blick auf ihrem Gesicht, war ich nicht sicher, was sie meinte. Ging es um die VIP-Lounge oder um Jack?
»Es war okay. Hör zu, tut mir leid, dass ich gestern so mürrisch war. Aber du weißt, ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen.«
Sie nickte, lächelte aber immer noch, als ob ich die Pointe nicht geschnallt hätte.
»Aber du hast es sicher gemocht, bei jemandem im Mittelpunkt zu stehen … richtig?« Aha, also ging es um Jack. Was hatte er ihr erzählt? Vorsicht war jetzt geboten.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Sie warf mir einen finsteren Blick zu. Gott, das war, als hätte man CSI Grisham auf meinen Fall angesetzt. Ich war überrascht, dass sie keinen Lügendetektor an meinen Arsch schnallte.
»Komm schon, wir alle wissen, dass Jack dich mag. Und er hat dich nach Hause gefahren und …«
»Und was?« Der beste Weg war, die gute alte, dumme Blondine zu spielen.
»Und was geschah als Nächstes?« Nun, zumindest bestätigte das, dass Jack nichts erzählt hatte, was im Umkehrschluss bedeutete, dass ich auch nichts erzählen musste.
»Okay, also was hat Jack gesagt?« Ein weiteres Grinsen. Sie hatte meine Frage wohl falsch verstanden.
»Er hat nichts gesagt. Das ist genau der Punkt, deshalb weiß ich, dass etwas passiert ist. Er ist sonst nie geheimnisvoll.« Jetzt fühlte ich mich echt schrecklich. Ich sollte bei Jack schleunigst reinen Tisch machen, da ich seine Gefühle nicht verletzen wollte.
»Es ist nichts passiert. Himmel, du bist wie ein Pitbull mit einem Lammkotelett!«
Sie prustete, zufrieden mit der Analogie. Ich sprach in einem ernsteren Ton weiter.
»Es ist wirklich nichts passiert. Er ist ein guter Freund, wir haben uns unterhalten, und er war der perfekte Gentleman. Das war‘s.« Sie gab sich mit einem Seufzer geschlagen.
»Schade. Ich glaube, er mag dich wirklich. Und es ist so lange her, seit er eine Freundin hatte.« Ihr fröhlicher Ton wackelte, aber ich konnte nicht verstehen, warum. Ich meine, es war eher ungewöhnlich, dass sich eine Schwester ernsthaft darum scherte, mit wem ihr Bruder ausging.
»Wieso, was ist passiert?« Jetzt war ich die Neugierige. RJ färbte wohl auf mich ab.
»Ich hätte es nicht erwähnen sollen, vergiss es einfach.« Was? Und das von der Klatsch-Königin RJ? Wie konnte ich jetzt das Thema einfach so fallenlassen?
»Nur eine Frage: Hat es etwas mit den Dravens zu tun?« Sie schleuderte ihren Kopf zu mir herum und blinzelte mich perplex an, aber mal ehrlich, es war nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen.
»Wer hat dir das gesagt!?« Sie schien aufgebracht, erhob ihre Stimme und ergriff das Lenkrad, als ob sie gleich in einen Kreisverkehr einfahren würde.
»War es Lanie? Die kleine …«
»Nein! Nein, sorry. Ich habe nur geraten, und nach dem, was du im Club über einige Geschichten gesagt hast, die nicht bloß Gerüchte wären, in Kombination mit Jacks Antwort, habe ich mir selbst ein Bild davon gemacht.« Sie entspannte sich ein wenig und fuhr etwas langsamer. Nicht, dass das kleine Auto viel schneller fahren könnte. Wenn überhaupt machte es nur mehr Lärm.
»Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel.« RJ traurig zu sehen, war herzzerreißend. Es schien genauso falsch wie letzte Nacht, als Jack wütend war. Es passte einfach zu keinem der beiden.
»Tut mir leid, dass ich es überhaupt zur Sprache gebracht habe. Vergessen wir es einfach«, sagte ich, in dem Versuch, eine gute Freundin zu sein, obwohl ich vor Neugier fast platzte.
»Okay. Ich würde es dir erzählen, aber das steht mir nicht zu. Ich bin sicher, er wird dich bald einweihen. Er mag dich wirklich, das weißt du doch, oder?« Das tat ich, und ich wünschte mir, ich könnte etwas dagegen tun, aber das konnte ich nicht. Ich war nicht mehr dieses Mädchen. Also sagte ich das Einzige, was mir einfiel, ohne zu viel preiszugeben.
»Ich mag Jack, sehr sogar, aber ich lasse mich nicht mehr auf Dates ein. Nenn es einfach schlechte Erfahrungen.« Sie zog ihre Lippen in den Mund und nickte verständnisvoll.
»Junge, jemand muss es dir echt angetan haben.« Ich nickte nur und hielt die Tränen zurück.
Wenn sie nur wüsste …
Der Rest des Tages verging ohne weitere Gespräche über letzte Nacht. Wir aßen zu Mittag im Freien, da sich die Sonne zur Abwechslung mal zeigte. Die meisten Studenten nutzten das verrückte Wetter. Es war immer noch recht kalt, aber nicht so extrem, dass nicht ein dicker Pullover Abhilfe schaffen würde. Der Rest der Bande trudelte ein, nachdem RJ eine Massen-SMS an alle versendet hatte. Das waren die übliche Gruppe und vier andere, die ich nicht kannte. Sie waren wohl Freunde von Jack, die ihn anstupsten, sobald ich in ihr Blickfeld geriet. Jack schlenderte herüber, um sich neben mich zu setzen und fragte liebenswerterweise, ob mir kalt sei. Ich sagte Nein, und wir unterhielten uns weiter über die heutigen Kurse.
In diesem Moment wünschte ich mir, das vertraute Kribbeln zu spüren, das man bekam, wenn man neben jemandem saß, in den man verknallt war. Ich meine, was war los mit mir? Er war umwerfend, und heute bildete keine Ausnahme mit seinem ausgewaschenen Led Zeppelin-T-Shirt, einer Lederjacke und einer Kapuzenjacke darunter. Oh, und die klassischen verblassten Jeans, an den Knien zerrissen. Sein Haar war ungezähmt und schlotterig, aber es hätte von Toni und Guy gestylt sein können, da er wieder einmal aussah, als käme er gerade von einem Men‘s Health-Magazin-Fotoshoot. Seine breiten Schultern drehten sich zu meinen, während er seinen ganzen Körper mir zuwandte. Er suchte die Nähe zu mir, so viel war klar.
»Wow, warum kaufen mir Mom und Dad nicht auch so einen?« RJs Augen sprangen fast aus dem Kopf, als ein brandneuer, schwarzglänzender Range Rover etwa zehn Meter von uns entfernt anrollte.
»Weil Mom und Dad keine Zehntausend haben, geschweige denn mehr als Hunderttausend für so eine Karre.« Jack drehte seinen Kopf angeekelt zurück, als ob er wüsste, wer sich darin befand.
»Ist das ein Range Rover Project Kahn?«, fragte einer von Jacks Freunden, der so aussah, als würde er gleich rüberlaufen, um an der Karosserie zu lecken. Ein anderer beantwortete seine Frage, ebenfalls völlig aus der Fassung.
»Ich dachte, die wären nur in Europa erhältlich. Mann, das nenn ich mal ein Auto.« Jeder Student glotzte das Gefährt an, als es zum Stillstand kam. Einige schossen sogar Fotos mit ihren Handys. Jack beugte sich zu mir, als wollte er versuchen, meine Aufmerksamkeit von der Person abzulenken, die im Inneren saß.
»Also, ich habe mich gefragt, ob du dir vielleicht einen Film heute Abend ansehen möchtest?« Oh nein, fragte er mich nach einem Date? Eine Vielzahl Ausreden ratterte durch meinen Kopf, als RJ mir zur Hilfe kam.
»Oh mein Gott, Kaz, da winkt dir ein umwerfendes Mädchen zu.« Ich drehte meinen Kopf und erkannte Sophias perfekte Figur in einem Designerkleid. Sie winkte mit einer manikürten Hand in meine Richtung. Ich stand auf und wurde knallrot, als mich alle außer Jack mit offenen Mündern angafften.
»Mal sehen, was sie will.« Ich ging zu ihr und dem großen schwarzen Biest von Auto rüber, das noch immer hinter ihr gurgelte. Als ich mich entfernte, hörte ich RJ sagen:
»Ist das tatsächlich Sophia Draven?« Und dann begann das Flüstern über das geheimnisvolle Mädchen.
»Hallo, Keira. Ich dachte, wir könnten uns gemeinsam auf den Weg zum Geschichtsunterricht machen.« Sie umarmte mich, als hätte sie mich seit Jahren nicht gesehen. Der Duft ihres Parfüms haute mich fast um. Sie roch wie ein luxuriöser Blumengarten. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Hängenden Gärten von Babylon denselben Effekt hatten. Sie war dabei, ihren Arm unter meinen Ellbogen zu schieben, entschied sich dann aber anders.
»Ich Dummerchen habe meine Tasche vergessen. Tu mir einen Gefallen und hol sie mir vom Rücksitz, wärst du so nett? Ich muss dem Fahrer sagen, wann er mich abholen soll.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Klar.« Ich öffnete die hintere Autotür. Das Gefährt war hoch für meine 1,60 m, ohne das Trittbrett auf der Seite zu verwenden, also setzte ich meinen Fuß dorthin und hievte mich nach oben. Das stellte sich als kolossaler Fehler heraus, da ich es etwas übertrieb und mit dem Oberkörper nach vorn auf den Rücksitz fiel. Alles halb so schlimm, hätte sich nicht herausgestellt, dass der Rücksitz nicht wie erwartet unbesetzt war. Nein, denn anstatt mit dem Gesicht voran in den Ledersitz zu fallen, plumpste ich in den Schoß eines Mannes.
»Oh Gott, bitte nicht«, flüsterte ich in das Hosenbein eines Anzugs.
»Keira?« Und mit diesem einen Namen wusste ich, dass, egal wie viele Gebete ich nach oben sandte, der Mann nach wie vor derselbe wäre.
»Leider«, murmelte ich. Für eine Sekunde hielt ich meine Augen fest verschlossen. Ich wusste, ich war ihm nicht nur eine Entschuldigung schuldig, sondern sollte auch schleunigst mein Gesicht aus seinem Schoß ziehen, da ich mir sicher war, ich war hier nicht länger willkommen. Das gleiche galt auch für einen bestimmten Teil seiner Anatomie.
»Es … Es … Es tut … tut mir so leid, Mr … Draven.« Sein Nachname würgte sich aus mir heraus, als ob es mir körperlich wehtäte. Es war das erste Mal, dass ich seinen Namen direkt vor ihm aussprach. Oder eher vor seiner Leistengegend. Oh Scheiße, Gott, verdammt, kacke, scheiße, scheiße, scheiße! Ich fluchte innerlich und tat mein Bestes, nicht das F-Wort fallen zu lassen.
»Keira, es ist …«, begann er, als sich seine Hände um meine Arme legten, um mich hochzuziehen. Die Kraft dieser Bewegung zog mich praktisch den Rest des Weges ins Auto. Jetzt fand ich mich ihm gegenüber, während meine kürzeren Haarsträhnen meine brennenden Wangen bedeckten. Mein Herz hatte wohl für eine ganze Minute aufgehört zu schlagen, als ich das Unglaubliche realisierte. Draven hob seine Hand und strich mit einem sanften Schwung die Haare aus meinem Gesicht, zurück hinter mein Ohr.
»Keira.« Er flüsterte meinen Namen, und meine Reaktion war nicht aufzuhalten.
»Ich träume.« Mein erster Gedanke flog mir aus dem Mund, und auf dem Weg nach draußen schlich er sich nicht nur an dem ›Dummes Zeug Schwafeln‹-Filter vorbei, sondern sprengte das verdammte Ding komplett in die Luft!
»Komme ich ungelegen?«, drang Sophias unheilvolle Stimme ins Auto, und ich fragte mich, ob sie diesen kleinen ›Unfall‹ nicht vielleicht arrangiert hatte. Draven und ich zeigten die gleiche Reaktion. Wir sprangen auseinander, nur Dravens Hand verweilte für ein paar weitere Sekunden auf meiner Wange, bevor er sie zur Faust ballte und zur Seite fallen ließ. Mit einem Biss auf meine Lippe wagte ich einen Blick hinauf zu seinem Gesicht, was mich mit schmerzhafter Sehnsucht erfüllte. Seine dunklen Augen huschten zu mir, und ich sah ein Flimmern von Sanftmut, bevor sie sich wieder in raues schwarzes Eis verwandelten. Grausame Gleichgültigkeit.
Seine geballte Hand entspannte sich, ehe sie wieder eine Faust bildete. Er beugte sich nach unten, um eine Gucci-Tasche hochzuziehen, die zu Sophias Kleid, den Schuhen und dem kompletten Outfit passte. Dies veranlasste mich prompt, zurückzurudern, als hätte mich seine Hand gestochen. Dravens Augen verließen mich nicht. Auch wenn ich es nicht für möglich hielt, aber sein Blick transformierte sich von Wut zu Abscheu.
»Es … Es tut mir aufrichtig leid, Sir«, stotterte ich noch einmal, als ich aus dem Auto krabbelte. Noch bevor ich seine Reaktion auf meine murmelnde Entschuldigung hören konnte, machte ich schnell die Fliege. Ich lehnte mich mit dem Rücken ans Auto und versuchte, meinen Atem zu finden.
»Danke, Dom. Bis später«, sagte Sophia und lachte über das Knurren, das sie als Gegenleistung erhielt. Ich wollte nur weglaufen. Stattdessen drehte ich mich einfach um, um mit gesenktem Kopf in die andere Richtung zu schlurfen. Sophia holte mich ein und ergriff meinen Arm.
»Komm, sehen wir zu, dass wir den gefürchteten Reed hinter uns bringen.« Ich pflasterte ein Lächeln auf mein Gesicht und winkte meiner Gruppe von Freunden zu, die sich bereits auflöste. Sie starrten verblüfft in meine Richtung, aber nur Jack wirkte betrübt. Sophia bemerkte, wie hasserfüllt er sie ansah.
»Wer ist das, dein Freund?« Ich erstickte ein nervöses Lachen, und sie warf mir einen seltsamen Ausdruck zu.
»Nein, wie kommst du darauf?« Sie lächelte und schaute wieder nach vorn, als wir uns dem Eingang des Gebäudes näherten.
»Nun, eigentlich war es mein Bruder, der bemerkt hat … Ähm … Wie sehr du mit ihm in ein Gespräch vertieft warst. Es war nur eine Vermutung.« Mir verschlug es die Sprache. Und dann machte ich wieder dieses eigenartige, grunzende Geräusch. Wie ein Versuch, eine große Pille zu schlucken, die sich auf halbem Weg verkeilte. Warum zur Hölle würde er mich erwähnen, geschweige denn überhaupt bemerken?
»Nein, das ist nur Jack, der Bruder meiner Freundin RJ. Ich, äh … Ich date nicht.« Das war wohl das Motto des Tages. Ich fühlte mich wie eine Kandidatin in einer Quizshow, bei der man vom Moderator mit dramatischer, lauter Stimme vorgestellt wird, bevor er etwas über dein persönliches Leben erzählt, so ähnlich wie:
»Ich möchte Ihnen unsere nächste Kandidatin, Keira Johnson, vorstellen. Keira liebt es, über ihren Boss zu fantasieren, der kaum Notiz von ihr nimmt. Sie kommt aus England, zeichnet gerne die Monster, die sie in ihrem Kopf sieht, und vor allem erwähnt sie täglich, dass sie nicht datet … KOMM ZU UNS HERUNTER!«
Ich hätte noch mehr dazu erdichten können, aber ich wollte den Tag überstehen, ohne mich wie ein kompletter Loser zu fühlen. Schlimm genug, dass mir jetzt noch Reed bevorstand, ganz zu schweigen von dem Gespräch mit Sophia, in dem ich ihr klarmachen musste, dass ich das Jobangebot nicht annehmen konnte. Mit ihrem niedlichen, puppenartigen Gesicht würde mir das wahrscheinlich genauso leichtfallen, als müsste ich einem ganzen Kindergarten erzählen, dass der Weihnachtsmann nur erfunden sei.
Wir fanden beide unsere Sitze, die zufällig dieselben waren wie letztes Mal. Ich bekam auch die gleichen Blicke, aber ein Blick von Sophia reichte aus, um sie davon abzuhalten und auch das Flüstern zu unterlassen. Jeder wusste jetzt, wer sie war, und wie es schien, waren sie alle genauso eingeschüchtert von ihr wie ich. Ich beschloss, bis zum Ende der Klasse mit der Jobsache zu warten. Somit blieb mir zumindest noch eine Stunde, um mir zu überlegen, wie ich das Thema am besten angehen sollte.
»Also wegen heute Abend … Ist es okay, wenn du schon um sieben statt um acht startest?« Was für ein Pech. Und noch dazu an dem einzigen Tag, an dem sich Reed verspätete. Sie bemerkte, wie ich zur Tür lugte und vergeblich nach ihm suchte.
»Reed hat Probleme mit seinem Auto. Er wird etwas später kommen.« Sie kicherte wie ein freches Kind, aber ich hatte keine Ahnung, wieso.
»Woher weißt du das?«, fragte ich, als sie böse grinste, aber bei ihr sah es noch immer süß aus.
»Habe es von einem der Tutoren gehört … Also, heute Abend?« Was sollte es, früher oder später musste ich das hinter mich bringen.
»Ja, was das betrifft … Ich glaube, das ist keine gute Idee.« Ich versuchte, sie nicht anzusehen, aber sie drehte sich mir mit verschränkten Armen zu. Sie schien verwirrt und verletzt. Ich fühlte mich wie der Kinderfänger aus Chitty Chitty Bang Bang!
»Warum? Ich verstehe das nicht. Ist es meinetwegen?« Was? Wie kam sie denn darauf?
»Nein, nein, natürlich nicht! Ich denke nur, es ist einfacher, wenn ich unten bleibe. Dein Bruder schien extrem verärgert zu sein über die Idee, und na ja …«
Schmunzelnd schnitt sie mich mitten im Satz ab.
»Zerbrich dir nicht den Kopf über ihn. Er findet die Idee nicht so schlecht. Unsere Familie ist sehr privat, und er misstraut neuen Menschen, aber das ist kein Grund, den Job abzulehnen. Er muss sich nur an dich gewöhnen.« Sie entspannte sich, als hätte sie mich damit überzeugt.
Das hatte sie nicht.
»Trotzdem, ich denke, es wäre das Beste …« Und wieder sprang sie ein.
»Es wird super laufen. Hör mal, wir benötigen wirklich dringend mehr Personal, und du bist von all den Lügen und dem Kleinstadt-Klatsch noch nicht verdorben. Außerdem springt ein viel höheres Gehalt für dich raus.«
»Tatsächlich?« Ich wollte nicht gierig klingen, aber ich brauchte wirklich ein Auto, und wenn ich das schaffte, ohne meine Ersparnisse anzufassen, wäre das ein Plus.
»Oh ja, mehr als dreißig Dollar die Stunde.« Wow, also das war eine weitaus höhere Summe als ich erwartet hatte. Ich fragte mich, warum es so viel war. Musste man am Ende jeder Schicht Blut spenden oder was?
»Okay, das ist eine Überlegung wert«, sinnierte ich, und sie lächelte triumphierend.
»Sparst du für etwas?« Was, konnte sie jetzt meine Gedanken lesen?
»Ja, ich brauche ein eigenes Auto. Ich kann mich nicht andauernd auf meine Schwester, ihren Mann oder den Chauffeur verlassen.«
»Und auf Freunde?«
»Ja, manchmal. Ich meine, RJ und ich fahren meistens zusammen hierher, aber es wäre schön, auch mal selbst fahren zu können, damit sie es nicht immer tun muss.« Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sie nach Informationen fahndete, aber ich konnte bei Gott nicht herausfinden, wieso.
»Und nach der Arbeit, wird Jack dich von nun an nach Hause fahren?« Für eine Minute fragte ich mich, ob sie Libbys Spionin war. Was hatte es mit all den Fragen auf sich?
»Äh …«
»Uns kam zu Ohren, dass du den Chauffeur gestern abgelehnt hast.« Sophia lächelte, als mein Gesicht anscheinend errötete.
»Ich will nicht undankbar klingen. Ich finde es toll, dass ihr mir das anbietet … Es ist nur, es ist ein wenig … Sieh mal, die Sache ist …«
»Schon verstanden. Ich habe Dom gesagt, es könnte dir peinlich sein, wenn er dich anders behandelt als die anderen.«
»Was meinst du?« Meine Brust verengte sich.
»Manchmal feuert er einfach seine Befehle ab, ohne an die kleinen Dinge zu denken.« Mein Verstand war in Aufruhr. Ich wusste nicht, was das bedeutete, aber eine Sache war klar: Draven hatte den Befehl zu meiner eigenen Sicherheit gegeben.
Gerade dann hechtete Reed herein, keuchend und hochrot. Flecken von etwas, das wie Öl aussah, übersäten sein Hemd, und seine Hose wies dunkle Spuren auf, als hätte er soeben einen Reifen gewechselt. Ich grinste.
Karma.