Eine unvergessliche Fahrt
V
ielleicht hätte ich doch Libbys Rat annehmen sollen, denn bis ich im Club ankam, hatten sich meine Kopfschmerzen von einem leichten Pochen in ein Pressluftgehämmer verwandelt. Ich versuchte, sie zu ignorieren, aber sie waren überaus hartnäckig, also warf ich mir ein paar Schmerztabletten ein, die ich immer in meiner Tasche hatte.
Oben zog ich die kurzen Haarsträhnen nach vorn, um den riesigen Bluterguss zu verbergen, der sich jetzt voll entwickelt hatte. Erstaunlich, wie schnell er sich während der kurzen Autofahrt hierher verändert hatte. Blau und violett leuchtend kroch er meine Wange hinunter und umhüllte dabei den Kratzer. Doch egal, wie viele Haare ich über meine Stirn strich – die farbenfrohe Schwellung war nicht zu übersehen.
Also ging ich mit gesenktem Kopf an den Tischen vorbei und ließ meine Haare um mein Gesicht flattern. Ich sah nicht nach oben, bis ich in die Bar stolperte.
»Hey Schätzchen, wie geht’s? Wow, das ist ein ordentliches Veilchen. Sieht schmerzhaft aus. Was ist passiert? Bist du in einen Bus gelaufen?« Ich lächelte Karmun zaghaft an, in der Hoffnung, keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
»Ich bin hingefallen«, murmelte ich, bevor ich in das kleine Hinterzimmer flüchtete. Ein Blick in den Spiegel bestätigte mir, dass mein Gesicht fürchterlich aussah. Die Schwellung war jetzt so stark, dass sie das Pflaster an der Seite nahe meinem Haaransatz anhob. Ich versuchte, es glattzustreichen, aber es hatte seinen Halt verloren und blieb unkooperativ. Mit zur Decke gerichteten Augen atmete ich tief ein.
Toll. Meine zweite Nacht hier, und schon sah ich so aus, als hätte ich mir mit Rocky Balboa im Ring einen Boxkampf geliefert! Gerade als ich das Zimmer verlassen wollte, hörte ich meinen Namen, jedoch nicht gerufen, sondern gesprochen. Ich konnte nicht wissen, wer es war, ohne mich zu zeigen, also wartete ich. Die Stimme war mir nicht bekannt, aber sie war definitiv männlich. Ich wartete, aber außer der Band hörte ich nichts Außergewöhnliches, also ging ich hinaus. Niemand war hier, außer Karmun.
»Bist du dir sicher, dass du fit bist für die Arbeit?« Ich wollte Nein sagen, wusste aber, dass mich das schlecht dastehen ließe.
»Ja, alles okay. Sieht schlimmer aus als es ist.« Er wirkte nicht überzeugt, händigte mir aber trotzdem ein Tablett mit Getränken aus. Nach etwa einer Stunde Servieren wurde mir leicht schwindelig, also verzog ich mich kurz ins Hinterzimmer, um mit Schmerztabletten nachzuhelfen, da sie bisher kaum Wirkung gezeigt hatten. Riskant, das wusste ich, aber ich musste etwas gegen das Pochen tun, das unaufhörlich in meinem Schädel donnerte. Und die Rockband ›My Pretty Little Nightmares‹ trug auch nicht gerade zur Linderung der Schmerzen bei. Nun, sie trafen es auf den Punkt, denn in diesem Moment waren sie tatsächlich mein Alptraum. Schlagzeug und Bass trommelten im gleichen Rhythmus wie das Pulsieren in meinem Kopf, und ich setzte mich für eine Minute hin, mit meinem Kopf in den Händen.
Zieh das durch! Heute Nacht stand ohnehin nur eine vierstündige Schicht an, also nur noch drei Stunden, bevor ich nach Hause gehen und mich in mein Bett fallen lassen konnte. Aber dann fiel mir ein, dass mich Jack heute Abend nach Hause fuhr und Frank länger arbeitete. Mir würde wohl nichts anderes übrigbleiben, als Libby anzurufen. Keine Ahnung, wie ich noch drei Stunden aushalten sollte, geschweige denn noch ein paar Stunden obendrauf, die ich mit meinen Leuten unten verbringen wollte.
Als ich mich wieder nach draußen wagte, bemerkte ich, dass die meisten meiner Tische schon abgeräumt worden waren und Karmuns besorgtes Gesicht auf mich wartete.
»Du solltest nach Hause gehen. Du siehst nicht gut aus.« Ich war im Begriff, zuzustimmen, als ich Dravens kalte harte Augen bemerkte, die mich anstarrten, was mich dazu bewegte, meine Meinung zu ändern. Keineswegs würde er von mir die Befriedigung bekommen, recht zu behalten. Er war von Anfang an dagegen gewesen, dass ich hier arbeitete, und wenn man mich nach nur einer Nacht nach Hause schickte, würde ihn das nur bestätigen. Nur über meine Leiche. Lieber ackerte ich mir die Seele aus dem Leib.
»Ich fühle mich schon besser. Ich habe gerade ein paar Schmerztabletten eingenommen.« Er schüttelte ein wenig den Kopf, gab aber nach, indem er mir ein weiteres Tablett aushändigte.
»Okay, aber wenn du dich schwindlig fühlst, gehst du nach Hause. Keine Widerrede.« Nickend nahm ich das Tablett entgegen und versuchte, es so stabil wie möglich zu halten.
Die Gäste fingen an, mich seltsam anzusehen, und ich fragte mich, wie oft ich wohl in ihre Tische gerannt war. Meine Sicht wurde immer verschwommener. Ich war erst seit einer Stunde hier, aber schon völlig erledigt. Vielleicht hatte Libby recht und ich hatte eine Gehirnerschütterung erlitten.
Ich schaffte es zurück zur Bar und kippte fast um, konnte mich aber gerade noch festhalten, bevor ich zu Boden ging. Mir war schlecht. Ich brauchte dringend Luft. Also packte ich meine Tasche und informierte Karmun, dass ich kurz eine Verschnaufpause auf dem Balkon einlegen würde. Er nickte nur, aber ich war mir nicht sicher, ob es mir galt. Noch nie zuvor war mir so schwindlig gewesen. Ich schüttelte den Kopf, erzielte aber nur den gegenteiligen Effekt, bis mir kotzübel war.
Kaum draußen angelangt, lief ich zum riesigen Pflanzentopf, der neben der Tür stand, um mich zu übergeben. Zum Glück hatte ich den ganzen Tag nicht viel gegessen und würgte hauptsächlich Flüssigkeit und Galle hoch. Meine Kehle brannte. Ich holte die Flasche aus meiner Tasche und nahm einen großen Schluck Wasser.
Die kalte Luft auf meiner Haut war angenehm, als die Hitze meines Körpers kleine Schweißperlen um meine Schläfen herum bildete. Ich wischte sie mit meinem Ärmel weg und wühlte in meiner Tasche nach den Schmerztabletten. Da ich gerade alles ausgekotzt hatte, würden ein paar mehr nicht schaden. Ich wollte gerade zwei aus dem Fläschchen schütteln, als sich die Tür plötzlich öffnete. Schnell ließ ich meine Hand mit den Pillen hinter meinem Rücken verschwinden.
Ich war dabei, Karmun zu sagen, dass ich nur noch eine Minute bräuchte, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Nicht Karmun erschien, und kein Gebet würde das ändern.
Draven schritt durch die Glastüren, sah sich um und fand mich an der Wand lehnend, wo ich mich abstützte. Schnell senkte ich meinen Kopf, damit ihm mein Gesicht verborgen blieb. Hitze strömte meine Wangen hoch, was das Schwindelgefühl nur noch verstärkte. Warum ich?
Gerade jetzt, als ich hier war, wollte er an die frische Luft, kurz nachdem ich in seinen Topf erbrochen hatte und aussah, als hätte mich ein Auto mitgeschleift! Auch wenn es der falsche
Zeitpunkt war, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie ich vor Draven aussah …
»Keira, was machst du hier draußen?« Gott, warum liebte ich es, wie mein Name aus seinen Lippen klang? Unglaublich, wie stark meine Obsession war, auch jetzt, wo ich mich miserabel fühlte. Sie lief offensichtlich tief in mein Innerstes.
»Tut mir leid, ich wollte nur etwas Luft schnappen, aber … Ich, ähm, habe jetzt genug.« Meine Pillen immer noch versteckt haltend, drehte ich mich um, um wieder reinzugehen, als sich sein großer solider Arm vor mir ausstreckte. Ich blieb abrupt stehen. Seine Hand bewegte sich weiter, bis sie auf der Steinmauer ruhte. Sein Arm wurde damit zu einer Barriere aus festen Muskeln, die mich von meiner Flucht abhielt. Er trug nicht seinen üblichen Anzug, sondern ein schwarzes T-Shirt, das sich eng an die Kurven seiner definierten Brust und seiner Bauchmuskeln schmiegte. Eine lange schwarze Jacke, die bis zu seinen Knien hing, vervollständigte den ›Badass‹-Style.
»Was hast du in deiner Hand?« Seine Stimme war hart und streng, was meine Lippen als Reaktion zittern ließ. Dann lehnte sich sein großer Körper etwas zu mir, und ich spürte wieder dieses Gefühl von Energie, das von seiner Haut ausstrahlte. Mein Kopf drehte sich immer heftiger, und ich stützte mich fester an der Wand ab. Jetzt, mit meinem Rücken flach gegen den Stein, wurde meine schwere Atmung zum Problem.
»Nichts … Gar nichts.« Ich schlang meine Finger fester um die Flasche, aber meine Handflächen schwitzten und begannen zu rutschen. Ich versuchte, die Pillen in meiner Tasche verschwinden zu lassen, als seine andere Hand um meinen Rücken herum schnellte. Ich schnappte nach Luft, als er eisern mein Handgelenk ergriff und es zurück nach vorne zog. Mein Puls ging durch die Decke, und zum ersten Mal traf ich seinen angsteinflößenden, schwarzen Blick.
Er nahm meine Hand in seine, schälte meine Finger von der Flasche und blickte mit Enttäuschung in seinen Augen nach unten. Ich hingegen versuchte, kläglich Worte zusammenzufügen, doch die prickelnde Hitze, die sich durch seine Berührung um meinen Körper herumschlang, machte das unmöglich.
»Ich toleriere keine Drogen in meinem Club.« Ich erschauderte beim Klang seiner autoritären Stimme, die die Nachtluft erfüllte. Ich wollte mich verteidigen. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich wäre irgendein Junkie. Erstaunlicherweise bildeten sich Worte auf meinen Lippen.
»Das sind keine Drogen! Ich meine … Nicht solche, nur normale Schmerzmittel. Bitte verstehen Sie, ich habe mir heute den Kopf angeschlagen und habe ein wenig Kopfschmerzen.« Das war in der Tat eine große Untertreibung. Tatsächlich fühlte es sich so an, als würde mein Kopf entzweibrechen und mein Gehirn wie ein Erdbeer-Smoothie heraustropfen. Mein Bewusstsein war im Begriff, zu schwinden, und ich senkte meinen Kopf wieder, damit er nicht sehen konnte, wie mies es mir ging. Ich fing schon an zu schielen, während ich vehement versuchte, meinen Fokus nicht zu verlieren.
»Lass mich sehen«, befahl er, als er seine Hand zu meinem Kopf hob. Ich dachte, ich würde vor Scham sterben. Immer wieder sagte ich in meinem Kopf: ›Bitte nicht, oh bitte nicht‹
. Und für den Bruchteil einer Sekunde hielt er tatsächlich inne, als hätte er mein geheimes Flehen gehört. Aber dann berührte seine Hand mein Kinn und hob es an, damit er mein Gesicht genau unter die Lupe nehmen konnte.
Keine Ahnung, welche Farbe meine Wangen annahmen, aber sie fühlten sich an wie Feuer. Ich konnte nicht in seine Augen sehen, also fanden meine eine Stelle auf seiner Schulter. Aber seine Hand bewegte sich weiter dorthin, wo sich der Bluterguss befand, und strich mein Haar zur Seite. Ich biss so hart in meine
Lippe, dass meine Zähne sie fast durchbohrten. Seine Finger berührten ganz sanft die Wunde, und als ich dachte, dass es nicht noch schlimmer werden könnte, wurde mir klar, dass das Pflaster abgefallen war.
Er seufzte, als ob er verärgert wäre und sagte in einem weicheren Ton:
»Das sieht nicht gut aus. Du solltest nicht hier sein. Du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung.« Oh toll, jetzt er auch noch. Wow! Was würde Libby sagen, wenn sie wüsste, dass sie und Draven einer Meinung waren? Was mich schließlich daran erinnerte, dass sie keine Ahnung hatte, dass ich im VIP arbeitete. Da ich aber wusste, wie sie reagieren würde, entschied ich, diese Neuigkeit einstweilen für mich zu behalten.
Jetzt, wo ich schon so weit gekommen war, wollte ich keinen Rückzieher mehr machen, also raffte ich meinen Mut zusammen.
»Mir geht es gut. Ich kann weiterarbeiten.« Ich setzte mich in Bewegung, um einen Abgang zu machen, aber nachdem ich so lange an derselben Stelle gestanden hatte, hatte ich nicht bemerkt, dass ich nur noch aufrecht stand, weil mich die Wand stützte. Meine Füße gaben nach, und hätte mich Draven nicht an der Taille gehalten, wäre ich gestolpert. Sein starker Arm schlang sich um meinen Bauch, während seine andere Hand meine Seite packte, was warme Funken über meine Haut jagte.
»Sieht wohl nicht so aus«, kommentierte er mit einem Hauch von Selbstgefälligkeit. Machte er sich über mich lustig?
Mein Oberteil war leicht nach oben gerutscht, und seine Haut hatte jetzt vollen Kontakt zu meiner. Die Hitze, die aus seinen Fingerspitzen strömte, hinterließ Spuren intensiver Stimulation auf meinem Rücken, was nur noch schlimmer wurde, als sich sein Griff verfestigte. Ich schloss meine Augen, als meine Beine völlig nachgaben, und kurz darauf befand ich mich in seinen
Armen. Mühelos hob er mich hoch und zog meinen Körper näher an seinen.
Ich erstickte beinahe vor Scham. Langsam schüttelte ich den Kopf und sagte:
»Nein, es ist okay. Ich kann gehen, wirklich.« Meine Stimme war erbärmlich schwach.
»Ganz ruhig, ich hab dich. Ich werde dich jetzt nach Hause bringen.« Sein Gesicht war voller Besorgnis, als er mich ansah. Es war das erste Mal, dass ich diese softe Seite an ihm sah, was ihm einen anderen, dennoch sexy Look verlieh. Aber dann wurde mir schnell klar, dass ich wohl träumte. Er würde sich sicherlich nicht die Zeit nehmen, sich um mich zu kümmern, nicht ein wichtiger Mann wie Draven. Ich war wohl im Hinterzimmer eingeschlafen. Das war‘s! Ich betete nur, dass Karmun mich fand und niemand anderes.
Aber es fühlte sich so real an. Würde ich in einem Traum auch so viel Schmerz verspüren? Mir war nur vage bewusst, dass wir nicht mehr allein waren. Ich konnte hören, wie Draven Befehle abfeuerte, und ich war mir ziemlich sicher, dass sie nicht mir galten, da ich noch immer in seine Arme gebettet war. Arme, die sich so solide anfühlten, als wären sie mit Stahl gefestigt worden. Ich fragte mich, ob sich Lois Lane so in den Armen von Superman fühlte.
Ich konnte nur Fetzen von dem hören, was gesagt wurde, wie ›Auto‹
und ›Mein Lord‹
, aber ich musste mir diesen letzten Teil eingebildet haben.
Als ich hörte, wie sich eine Tür schloss, wusste ich, dass wir wieder unter uns waren und wartete gespannt darauf, was er als Nächstes vorhatte. Er beugte seinen Kopf nach unten, zog mich näher an sein Gesicht und flüsterte:
»Schließ deine Augen.«
Der warme Duft seines Atems hypnotisierte mich, und ich folgte seiner Anweisung. Er drehte mein Gesicht nach innen, sodass es in seiner festen Schulter
vergraben war. Dann legte er seine Jacke so, dass sie meinen Kopf bedeckte und mich vor dem schützte, was auch immer im Begriff war zu geschehen. Ein Schauer kroch meine Wirbelsäule hoch beim Gefühl seiner großen Hand um meinen Nacken.
»Schau jetzt nicht hin, sonst geht es dir noch schlechter.« Ich verstand nicht, was er meinte, aber ich nickte unter dem Material, das nach warmem Leder roch. Plötzlich bewegten wir uns, aber ich hatte keine Ahnung, wohin. Wir waren noch draußen, dessen war ich mir sicher. Aber ich konnte keine Musik hören, auch nicht die Leute von drinnen.
Auch hing noch die Kälte in der Luft, obwohl ich sie an Dravens beruhigend warmer Haut geschmiegt kaum spüren konnte. In diesen Armen fühlte es sich an, als ob mir nichts auf der Welt etwas antun könnte. Der schützende Kokon, in den er mich gewickelt hatte, war so wohltuend, dass ich beinahe einschlummerte. Nur der lodernde Schmerz in meinem Kopf hielt diesen Moment davon ab, zur glückseligsten Erfahrung meines Lebens zu werden.
Ich konnte nicht erklären, wie wir uns fortbewegten, da es sich so anfühlte, als würde sich Draven überhaupt nicht rühren, eher als würden wir gleiten. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich wieder einmal nicht zwischen Realität und Fantasie unterscheiden konnte. Dann war es zu Ende, und ich spürte eine leichte Erschütterung, als ob er gesprungen und soeben gelandet wäre.
Er ging jetzt, und ich konnte dem Drang nicht mehr widerstehen, etwas zu sehen. Also drehte ich ganz langsam meinen Kopf, damit er es nicht bemerkte. Dennoch musste er meine Bewegung unter seiner Jacke gespürt haben, denn er zog mich noch fester an sich heran. Sein Herz pochte nahe an meinem Körper, und mein eigenes schlug dadurch nur schneller. Alles fühlte sich so intim an, dass es schwer war, sich nicht davon treiben zu lassen.
Das Geräusch seiner Schritte ließ mich schlussfolgern, dass er über einen Steinboden schritt, und auch die Luft war nicht mehr so kühl. Wir befanden uns irgendwo drinnen und gingen nun eine Treppe hinab. Mein Körper rüttelte leicht bei jedem Schritt, und ich konnte nicht anders, als meine Hand in seinem T-Shirt zu verknoten, um mir Halt zu geben. Ich war mir auch sicher, dass er auf mich herabsah, als ich dies tat, aber ich konnte sein Gesicht nicht sehen, da mein Kopf noch an seiner Schulter vergraben war.
Als wir zu meiner Enttäuschung stoppten, hielt ich meinen Atem an und wartete darauf, dass er mich absetzte. Seine Arme mussten ihn inzwischen umbringen. Kein Mensch konnte so lange ohne Schmerzen einen Körper tragen. Überraschenderweise geschah das aber nicht. Nein, stattdessen hörte ich das Knarren einer Tür. Er ging weiter und ließ sie hinter uns zuschlagen. Ich zuckte bei dem Geräusch zusammen, und er drückte mich noch einmal, als ob er still kommunizieren wollte, dass ich in Sicherheit war.
»Nicht mehr weit.« Seine Stimme war stark und stabil und verblüffenderweise nicht einmal angespannt nach all der Anstrengung. Ja, er war mehr als fit, aber ich hatte keine Ahnung, dass er übermenschlich war. Der Typ war eine Maschine!
Als wir durch eine weitere Tür schritten, wusste ich, dass wir am Ende unserer Reise angelangt waren. Seine Arme lockerten ihren Griff, sodass ich meinen Kopf drehen und endlich etwas sehen konnte.
Wir schienen uns in einem Autohaus zu befinden. Da standen so viele neue Autos, mindestens zwanzig, und die Hälfte davon war mir völlig unbekannt. Es sah eher aus wie ein Museum, denn ein paar von ihnen standen auf eigenen Podesten. Manche waren mit Laken bedeckt, und eines davon sah extrem alt aus. Aber das Außergewöhnlichste von allen befand sich in einem separaten
Glasraum. Damit war klar, dass ich träumte, denn ich konnte schwören, dass das Auto zitterte, als ob es verzweifelt versuchte, auszubrechen. Was zum Teufel ging in meinem Kopf vor?
Draven näherte sich einem Mann, der einen flachen Hut und einen langen grauen Mantel trug.
»Soll es der Enzo oder der Phantom sein, mein Lord?« Keine Ahnung, was er da schwafelte, aber wahrscheinlich wollte er wissen, welches Auto Draven nehmen wollte. Und dann war da wieder dieses Lord
-Ding. Ich konnte es einfach nicht begreifen. Ich bereitete mich darauf vor, dass mich seine Hände losließen, und obwohl der Schmerz nun langsam über meinen Hinterkopf schlich, war die Wonne, in Dravens Armen zu sein, nicht zu übertreffen. Eine Wonne, von der ich mich nicht verabschieden wollte.
»Nein, ich bringe sie im Aston nach Hause«, sagte er in seinem üblichen befehlshabenden Ton. Der Mann nickte und fügte hinzu:
»In Ordnung, Sir.« Er öffnete die Tür zu einem sehr niedrig gelegenen, silbernen Sportwagen. Er sah mehr wie ein Panther aus als ein Auto, mit seinen schlanken Kurven und dem wütenden Grill. Ich hatte fast schon Angst davor, mich hineinzusetzen.
»Sieht so aus, als ob ich dich früher nach Hause fahren könnte, als du gedacht hast«, sagte Draven mit einem sanften Ton und einem Grinsen, das ich deutlich sehen konnte.
»Oh, ähm … Es ist okay, du musst das nicht tun. Ich weiß, du bist beschäftigt, mit Arbeit und so … Ich habe mein Handy in der Tasche und kann Libby anrufen … Sie hat ein Handy …« Mein Hirn sprudelte wirres Zeug hervor, und ich wollte mir dafür selbst eine Kopfnuss geben, obwohl mein Kopf schon genug schmerzte.
»Nein.« Er sagte dieses Wort mit bestimmter Endgültigkeit, und ich biss auf meine Lippe, um ihm nicht zu widersprechen.
Mit meinem Körper noch in seinen Armen ging er zum Aston und platzierte mich auf dem Sitz. Er war so behutsam, als wäre ich aus feinem Porzellan. Seine Hände glitten unter meinen Beinen hervor, als er mich absetzte, und sein Gesicht war so nah, dass es beinahe meines berührte. Ich konnte nicht atmen und schloss wieder meine Augen, aus Angst, sein Blick wäre wieder auf mich fixiert.
»Alles okay?« Wieder war seine Stimme weich, als er die Worte nah an meinen Lippen sprach. Ich hielt meine Augen geschlossen und nickte nur. Ich konnte immer noch nicht glauben, was gerade vor sich ging.
»Braves Mädchen«,
hörte ich ihn flüstern, aber dann schloss sich die Tür. Hatte er das wirklich gesagt?
Ich öffnete meine Augen und versuchte, mich auf das Licht zu fokussieren. Das Interieur des Autos war überwältigend. Der Sitz, der mich umgab, krümmte sich um meinen Körper wie bei einem Rennwagen. Ich glaube, man nennt sie Schalensitze. Neben der Fahrerseite befand sich eine geschwungene Mittelkonsole mit Bedienelementen, die mir fremd waren. Vielleicht war er James Bond und die Knöpfe feuerten Raketen und Schleudersitze ab.
Der Rest des Autos bestand aus schwarzem Leder, cremefarbenen Akzenten und einem eleganten Chrom-Finish. Auch das Lenkrad sah aus, als wäre es für die Hände eines Profis gemacht, wie ein Schwert für einen Krieger. Es wollte gefahren werden. Es forderte dich heraus, es anzufassen. Es wollte dich testen, sehen, ob du die Power unter Kontrolle hattest. Die silbernen Flügel, die in der Mitte eingebettet waren, gaben der Maschine den letzten Schliff, als ob sie von den Göttern selbst erschaffen worden wären.
Dieses Auto war definitiv für einen Mann wie Draven gemacht.
Ich wusste nicht viel über Autos, aber ich hätte wetten können, dass es ein kleines Vermögen kostete. Ich zuckte, als sich die Fahrerseite öffnete und sich Dravens lange, muskulöse Beine ins Innere bewegten. Das Auto war vor einer Steinmauer geparkt, und es sah nicht so aus, als ob der Platz ausreichte, um das Gefährt zu wenden. Bei näherer Betrachtung konnte ich eigentlich keine Garagentür erkennen, also hatte ich keine Ahnung, wie wir herauskommen würden. Draven musste mein konfuser Gesichtsausdruck aufgefallen sein. Er las meine Gedanken.
»Schnall dich an«, sagte er, während er mich ansah, was mich wieder in meine Lippe beißen ließ. Dann gingen die Lichter aus, und alles wurde dunkel. Ein unsicheres Geräusch entkam mir, und seine Stimme war ruhig, als er sagte:
»Keine Angst. Vertrau mir.« Ich wusste nicht, wieso, aber das tat ich. Es gab nur eine Person, der ich nicht traute, und das war ich selbst.
Meine Hand ging hoch zu meinem Kopf, als ich versuchte, die Schmerzen zu stoppen. Wir waren noch immer im Dunkeln. Zum Glück konnte er mein Unbehagen nicht sehen.
»Versuch dich zu entspannen, und der Schmerz wird vergehen.« Seine tiefe Stimme schnitt durch die Stille. Ich sah zu ihm. Für eine winzige Sekunde konnte ich einen violetten Schimmer in seinen Augen erhaschen, doch er verschwand, als er den Motor startete.
Das Biest erwachte zum Leben. Ein Klang wie hunderttausend Krieger, die in die Schlacht stürmten. Das Licht der Scheinwerfer fiel auf die Steinmauer vor uns, die jetzt noch näher zu sein schien als zuvor. Er ließ den Motor aufheulen, als ob er das Tier reizen wollte. Plötzlich verlor ich meine Orientierung, durch das tosende Brüllen und die immense Kraft, die mich in den Sitz drückte. Aus schierer Angst kniff ich meine Augen zu und krallte mich am Sitz fest, bereit für den Aufprall.
Aber er kam nicht. Stattdessen schienen wir schneller zu fahren. Wer hätte gedacht, dass der Tod so schmerzlos war? Was mich zu der Frage brachte: War Draven mein Engel, der mich an den Himmel übergab, oder mein Dämon, der mich in die Hölle zerrte? Aber als ich anfing, mich zu beruhigen, wurde mir klar, dass ich noch atmete.
»Du kannst jetzt deine Augen öffnen«, sagte Draven ohne Emotion in seiner Stimme. Ich folgte seiner Anweisung. Wir waren auf einer Straße, aber wir fuhren so schnell, dass ich nicht wusste, wo wir uns befanden. Alles war verschwommen vor meinem Fenster.
Nervös fragte ich: »Wo ist die Mauer hin?«
Ein leises Lachen kam von seinen Lippen, gepaart mit einem Lächeln, das mir bisher unbekannt war. Mit dem schwachen Licht des Interieurs, das die Dunkelheit kaum durchbrach, war der Ausdruck auf seinem Gesicht schwer zu erkennen, aber seine Augen verwandelten sich von ihrem üblichen kalten Schwarz zu dem Hauch von Violett.
»Diese Wand war die Tür, und sie hat sich wie jede andere geöffnet. Was du gesehen hättest, wenn du nicht deine Augen geschlossen hättest.« Das Blut strömte in mein Gesicht. Ich war froh, dass das Licht im Auto nicht ausreichte, um es zu erleuchten. Ich verlor langsam meinen Verstand, und jetzt wusste Draven es auch.
»Was ich gerne wissen würde … Glaubst du wirklich, ich hätte uns beide in eine Steinmauer gefahren?« Er lachte, und mir wurde immer heißer. Er machte sich über mich lustig und das zurecht, aber ich musste mich irgendwie verteidigen.
»Woher hätte ich denn wissen sollen, dass Sie eine eigene Fledermaushöhle besitzen? Und nur so nebenbei, es hat verdammt noch mal nicht wie eine Tür ausgesehen, und ich habe mir den Kopf angeschlagen. Ein wenig Nachsicht wäre nett.« Oh mein Gott! Was habe ich gerade gesagt? Woher kam das?
Und noch wichtiger, wie sollte ich das jemals zurücknehmen? Ich starrte aus dem Fenster, und wieder einmal war ich kurz davor, mir die ganze Haut von der Unterlippe zu ziehen. Jetzt wünschte ich mir mehr denn je, dass das ein Traum war. Was würde er wohl denken? Der Mann hatte mich gerade Gott weiß wie weit getragen, brachte mich in dieser krassen Karre nach Hause, und das war meine Antwort. Was war ich nur für ein Idiot … IDIOT!
»Fledermaushöhle?« Er warf mir einen Blick zu. Ein Lächeln blitzte auf seinen Lippen auf, doch sie zuckten, als ob er versuchte, es zu unterdrücken. Meine Antwort war ein Ächzen, das ich nicht unterdrücken konnte. Er musste bemerkt haben, wie sich mein Kopf beschämt gesenkt hatte, weshalb er bei seinen nächsten Worten einen sanften, aufrichtigen Ton anschlug.
»Du hast recht. Es tut mir leid, du konntest es nicht wissen. Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr verängstigt.« Ich war mir ziemlich sicher, dass er ein wenig reuevoll klang. Leider hatte ich Angst, meinen Mund zu öffnen, falls mir wieder ein verbaler Durchfall bevorstand. Mit einem Räuspern sagte ich: »Es ist okay. Manchmal scheint mich mein Verstand auszutricksen.«
Er wandte seinen Kopf zu mir und sah somit nicht auf die Straße. Das war keine gute Idee, denn es fühlte sich an, als würden wir über hundertfünzig Kilometer pro Stunde fahren. Es hatte den Anschein, als wollte er etwas fragen, entschied sich aber dagegen. Was natürlich meine Neugier weckte, also drehte ich mich zu ihm und fragte: »Was?«
Keine Ahnung, woher das neue Selbstvertrauen kam. Vielleicht war der Schlag auf meinen Kopf die Ursache.
»Du denkst nicht wie andere Leute, oder?« Sein Gesicht war ernst, was bedeutete, dass er sich diesmal nicht über mich lustig machte. Er dachte tatsächlich, ich wäre verrückt. Das schmerzte wie ein brennender Pfeil, der mein Herz durchbohrte. Meine geistige Gesundheit war meine Achillesferse. Als ich nicht
reagierte, nahm er mein Gesicht in Augenschein. Ich musste wie ein verzogenes Kind ausgesehen haben, als ich einfach nur meine Arme verschränkte. Nun mal ehrlich, was für eine Antwort erwartete er? ›Ja, Draven, ich bin ein Freak!‹
»Glaub mir, Keira, das ist keine schlimme Sache.« Seine Hand bewegte sich, als wollte er mich berühren, aber stattdessen ließ er sie auf den Schaltknüppel fallen. Ich war dabei, ihm zu antworten, aber gerade dann ertönte im Auto der Gesang von ABBA, und mein Herz blieb fast stehen. Die Worte ›Gimme Gimme Gimme‹ dröhnten durch den Innenraum, und als ich keine Anstalten machte, abzuheben, meinte er:
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das deins ist.« Er lachte wieder, nur dieses Mal konnte er das Grinsen nicht von seinem Gesicht wischen.
Ich fummelte in meiner Hosentasche und murmelte:
»Das ist das Handy meiner Schwester.« Aber ich bezweifelte, dass er mir glaubte. Ich blickte auf die Nummer. Es war RJ. Scheiße! Ich hatte sie total vergessen und nahm den Anruf zögernd entgegen, während ich mir wünschte, dass diese Nacht sowie meine Demütigung endlich zu Ende gingen.
»Hey, RJ, hör zu, es tut mir leid … Oh, hey Jack. Ich dachte … Oh nein, ich musste nach Hause, mir ging es nicht so gut.« Draven wurde plötzlich ganz starr, und seine Hände krallten sich um das Lenkrad. Ich verstand die plötzliche Veränderung nicht, führte das Gespräch aber weiter, in der Hoffnung, es schnell beenden zu können.
»Ja, tut mir leid, ich wollte anrufen. Nein, ist okay, ich bin schon fast zu Hause.« Jack klang nicht zufrieden, und Draven sah nicht glücklich aus.
»Nein, es geht mir gut, ich habe mir nur den Kopf gestoßen. Nein, nein, im Wald, nicht bei der Arbeit. Hör zu, wir sprechen uns später, okay? Alles gut, es ist nur ein Kratzer.« Draven warf mir einen Blick zu, der ganz klar Lügnerin
ausdrückte.
»Okay, ja, wir sprechen uns morgen. Entschuldige, was? Mit wem ich nach Hause fahre? Äh …« Scheiße, Scheiße, Scheiße. Was sollte ich sagen? Draven wollte wahrscheinlich nicht, dass jemand davon erfuhr, also sagte ich:
»Frank, ja. Okay, wir hören uns dann.« Seufzend legte ich meinen Kopf gegen die Rückenlehne. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er sich entzweien. Ich konnte ein Paar Augen auf mir fühlen, aber ich ignorierte sie. Das Telefonat hatte die Stimmung gedrückt. Hätte ich doch nur nicht abgehoben und von zu Hause aus zurückgerufen. Ich hatte den Drang, das Schweigen zu brechen.
»Tut mir leid, ich habe vergessen, dass mich meine Freunde mit nach Hause nehmen wollten.« Meine Stimme verwandelte sich zurück in ihren üblichen beschämten Ton. War ja klar, dass das Selbstvertrauen nicht lange anhalten würde.
»Frank?«
Das brachte mich kurz zum Nachdenken. Vielleicht wollte er wissen, wieso ich Frank als Ausrede benutzt hatte. Aber warum sollte ihn das scheren?
»Ich dachte, äh, Sie wollten nicht, dass es jemand weiß.« Ich nickte auf das Auto, und sein scharfer Blick verschränkte sich mit meinem.
»Du denkst, ich hätte ein Problem damit, wenn die anderen wüssten, dass ich dich nach Hause fahre?«
»Ich … Nun, ich meine, Sie und Ihre Familie … Sie wissen, ich erzähle nichts. Ich bin diskret, und ich weiß, Sie schätzen Ihre Privatsphäre und zurecht, deshalb habe ich gedacht …« Dass ich wirklich aufhören sollte, blödes Zeug zu labern! Glücklicherweise entspannte er sich und lächelte sogar.
»Keira, es ist in Ordnung. Ich weiß, dass du nicht über mich oder meine Familie sprichst.« Seine Worte erfüllten mich mit einem Gefühl, das tief genug bis in meine Knochen eindrang. Immerhin klang das nicht nach einem Mann, der Abscheu gegen
mich hegte. Ich wollte mehr sagen, aber wir fuhren bereits den Schotterweg entlang. Ich wusste, dass es bald Zeit war, sich zu verabschieden und versprach mir selbst, keine Zeit zu vergeuden. Einfach Danke zu sagen und auszusteigen.
Er stoppte das Auto und stellte den Motor ab. Dann wurde es mir klar. Das Allerletzte, was ich tun wollte, war …
Aus seinem Auto zu steigen.