23
Obsessionen
I ch hatte gehofft, Sonntag wieder arbeiten zu können, aber wie sich herausstellte, hatte der Arzt Draven mitgeteilt, dass ich erst am Donnerstag anfangen sollte. Sophia hatte angerufen, um mir das mitzuteilen und gefragt, ob sie vorbeikommen und mir ihre Notizen der letzten Geschichtsstunden mitbringen sollte. Sie hatte mir auch versichert, dass Draven nicht viel über letzte Nacht gesprochen hatte, nur, dass er mir gute Besserung wünschte. Ich schlug fast mit der Faust in die Luft, aber Zweifel übernahmen bald jede Aufregung. Vielleicht hatte sie das nur gesagt, damit ich mich besser fühlte. Andererseits, die Tatsache, dass er einen Arzt geschickt hatte, bestätigte, dass er sich um mich sorgte.
Leider fand meine Besessenheit nach wie vor kein Ende. Ich wollte mit Libby darüber sprechen, wusste aber nicht, wie. Schließlich schleppte ich mich aus dem Bett, als mich der unwiderstehliche Duft von Pizza nach unten lockte. Nicht, dass ich Libby zu nahe treten wollte, aber die Pizza war ganz klar nicht selbst gemacht. Ich war am Verhungern. Ich hatte am Samstag nicht viel gegessen, und das, was ich runtergebracht hatte, schnell wieder hochgewürgt. Es war jetzt fast sieben Uhr abends und ich war so hungrig, dass mich mein Magen wütend anknurrte.
»Sieh mal, Libs, hab ich dir doch gesagt. Wenn sie das Essen riecht, kommt sie runter. Wie fühlst du dich, Kleine?« Frank lungerte auf der Couch und krallte sich einen der beiden Pizzakartons, während Libby ihm gegenübersaß und ihr Stück von einem Teller aß.
»Besser, danke. Gute Idee mit der Pizza, ich könnte ein ganzes Pferd verdrücken.« Ich setzte mich und bediente mich an einem Stück ohne Sardellen. Ich wurde einfach nicht warm mit Sardellen auf einer Pizza. In England wurden Sardellen als Pizzabelag gar nicht angeboten, und das war meiner Meinung nach auch gut so. Aber Frank liebte sie.
»Also, Schätzchen, ich dachte, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um, ähm … über letzte Nacht zu sprechen«, begann Libby mit verlegener Stimme, um mich nicht zu verärgern. Sie hatte natürlich das Recht, es zu erfahren, aber ich war noch zu aufgewühlt von der ganzen Sache und hatte keine Lust, ins Detail zu gehen.
»Ich weiß nicht, was du von mir hören willst.«
»Wie wär’s, wenn du mir erklärst, wieso du uns nichts von der VIP-Lounge erzählt hast?« Sie versuchte, einen ruhigen Tonfall zu bewahren, aber es war offensichtlich, dass es ihr gegen den Strich ging, nicht eingeweiht worden zu sein.
»Tut mir leid, dass ich es dir nicht erzählt habe. Aber du warst von Anfang an dagegen, dass ich dort arbeite, und ich wollte nicht, dass du dir noch mehr Sorgen machst.« Frank stimmte nickend zu, aber Libby schlug ihn auf den Arm.
»Was? Sie hat recht. Du hast es ihr nicht leichtgemacht, was ihre Arbeit dort betrifft und wärst aus allen Wolken gefallen, wenn sie dir vom VIP erzählt hätte«, sagte Frank, um mir den Rücken freizuhalten.
»Nicht unbedingt«, konterte Libby schmollend.
»Tut mir leid, Kaz, dass ich das Thema anschneide, aber Libby, seit dem ›Vorfall‹ bist du ein wenig paranoid, was deine Schwester betrifft. Ich kann dich verstehen, ehrlich, aber es ist an der Zeit, sie ihr eigenes Leben leben zu lassen, ohne ihr Steine in den Weg zu legen.« Wow! Das war die längste Rede, die Frank je geschwungen hatte. Ich wollte aufstehen und ihn küssen. Es war süß, wie er mich verteidigte. Meine Schwester war aber nicht immer so gewesen, erst, seitdem sie mich fast verloren hatte.
Libby zog eine Schnute.
»Hört mal, ihr wisst, wie dankbar ich für alles bin, was ihr für mich tut. Hierherzuziehen war die beste Entscheidung meines Lebens. Und ich weiß, du machst dir nur Sorgen, weil du mich liebst. Ich würde mir auch Sorgen machen, wenn …« Ich schluckte. Was Libby durchmachen musste, war unvorstellbar, und allein der Gedanke, es wäre ihr passiert, fügte mir physische Schmerzen zu. Als Libby mich ansah, wurden ihre Züge sanfter.
»Ich will damit sagen, dass ich dich verstehe. Ich will noch mal von vorne beginnen. Ich arbeite wirklich gerne im Club, und mit all den Sicherheitsleuten glaube ich, dass es der sicherste Ort auf dem Planeten ist.« Sie lächelte, und ich wusste, ihre schlechte Laune war verflogen, als die Neugier durchbrach.
»Dann erzähl mal, wie um alles in der Welt du dir diesen Job geangelt hast? Niemand in dieser Stadt hat jemals in der VIP-Lounge gearbeitet.« Sie starrte mich an, als hätte ich ein Wunder vollbracht, obwohl ich eigentlich nur nett zu Dravens Schwester gewesen war.
»Tja, ich komme nicht aus dieser Stadt.« Sie lachte, und ich erzählte ihr, wie ich Sophia im Geschichtsunterricht kennengelernt hatte und Flaschen in die VIP-Lounge tragen musste. Ich erklärte, dass sie mir den Job angeboten hatte, ließ aber den Teil aus, in dem Draven unhöflich zu mir gewesen war. Das zügelte nicht Libbys Gier nach Tratsch, also fragte sie mich über letzte Nacht aus, als er mich nach Hause gebracht hatte.
»Was willst du wissen?«
»Wie kam es dazu, dass er dich nach Hause gefahren hat? Ich meine, das ist fast so, als würde Alan Sugar seine Putzfrau nach Hause fahren!« Da war was dran, aber ich konnte es mir selbst nicht erklären.
»Ich weiß es nicht. Ich bin nach draußen gegangen, weil mir schlecht war, und plötzlich stand er da.«
»Was meinst du damit? Ist er dir gefolgt?« Offensichtlich liebte sie die Geschichte.
»Nein, nichts dergleichen. Ich meine, warum sollte er? Er wollte wahrscheinlich nur Luft schnappen.« Ein heimtückisches Grinsen hob ihre Mundwinkel, als sie zu Frank hinübersah, um sicherzustellen, dass sie noch seine Aufmerksamkeit hatte. Da wurde mir klar, dass die beiden bereits ausführlich über das Thema gesprochen hatten. Sie machte eine Geste mit der Hand, also fuhr ich fort.
»Also, er hat mich gefunden und entschieden, mich selbst nach Hause zu bringen.« Ich versuchte, leichtfertig zu klingen, als wäre es keine große Sache, aber das kaufte sie mir nicht ab.
»Oh komm schon, ich brauche Details!« Ihre Haare sprangen auf und ab, als sie ihren Kopf schüttelte. Ich rollte mit meinen Augen.
»Welche Details? Das war‘s. Er trug mich in seine Garage, wir stiegen in sein Auto, und er brachte mich nach Hause. Ende der Geschichte.« Ich nahm ein weiteres Stück Pizza, aber Frank reagierte auf das magische Wort ›Garage‹ und drehte sich zu mir.
»Garage, sagst du? Okay, welche Art von Garage? Wie viele Autos würdest du sagen? Hast du irgendwelche erkannt?« Frank hatte die Lautstärke des Fernsehers runtergedreht, um den Rest der Geschichte zu hören.
»Oh, ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe ein paar rote gesehen, die Ferraris sein könnten, aber da standen wirklich viele.« Frank war entschlossen, mehr Informationen aus mir herauszukitzeln.
»Okay, Ferraris, was noch? Und wenn du viele sagst, meinst du mehr als zehn?« Libby verdrehte ihre Augen, und ich versuchte, nicht zu lachen. Er meinte es todernst.
»Ähm, eher über zwanzig. Sie waren überall, aber ich kann mich nicht mehr genau erinnern, welche. Vielleicht ein gelbes … Ähm, mit dem Logo eines Stiers. Wie heißen die?« Strahlend rief er die Antwort, als würden wir ein Quiz spielen.
»Du meinst einen Lamborghini?«
»Ja, kann sein. Aber ich erinnere mich nur noch an eins, das in einem separaten Glasraum stand. So eins habe ich noch nie zuvor gesehen. Es sah echt alt aus.« Frank war kurz vorm Sabbern, als er sich über Libby beugte, um mir näher zu kommen und ja kein Wort zu verpassen.
»Mann, ich würde diesen Raum echt gerne sehen. Ich meine, der Aston Martin gestern, was für eine Maschine! Wie war es da drinnen? Hat er sie ordentlich rangenommen?«
»Rangenommen? Was meinst du genau?«, fragte ich kichernd.
»Ich meine, hat er das Gaspedal ordentlich durchgetreten?«
»Ja, er ist schnell gefahren. Ich glaube sogar über hundertfünfzig.« Ich lachte, als mich sein Gesicht wieder anstrahlte. Ich hatte Frank noch nie so begeistert gesehen.
»Das höre ich nicht gern«, murrte Libby, was dazu führte, dass Frank und ich in Lachen ausbrachen.
»Was?«, fragte Libby.
»Und das von Miss Strafzettel«, sagte Frank. Mein Mund klappte auf.
»Du hast einen Strafzettel bekommen? Wegen zu schnellem Fahren?« Libby machte ein verlegenes Gesicht.
»Nur einen.«
»Zwei«, korrigierte sie Frank.
»Ich nehme an, Mom und Dad wissen nichts davon«, sagte ich schmunzelnd, da sich das Blatt endlich gewendet hatte.
»Nein, und wenn du es ihnen erzählst, werde ich die Teebeutel verstecken.«
»Das würdest du nicht tun!«, rief ich mit vorgetäuschtem Schrecken.
»Ach, kommt schon, Mädels, zurück zum Auto. Ich habe ihn gefragt, welches Modell es ist, und er sagte, ein One-77. Noch nie davon gehört, also habe ich im Internet recherchiert. Ratet mal, was ich gefunden habe?« Er gab uns keine Zeit, etwas einzuwerfen und fuhr wie eine Dampfmaschine fort.
»Nun, es gibt einen Grund, warum er so genannt wird. Es wurden nur 77 von ihnen produziert! Und du wirst nie erraten, wie viel, Libs …« Er stieß ihren Arm an. Sie zwinkerte mir zu, bevor sie sich zu ihm drehte:
»Ach Liebling, wie viel?« Ich konnte nicht anders, als über ihren herablassenden Ton zu lachen, aber Frank nahm keine Notiz davon.
»1,7 Millionen Dollar. So viel stand gestern in unserer Einfahrt. Ich meine, es ist ein 7.3 Liter V12. Das sind doppelt so viele Zylinder wie in unserem Auto!« Er sah selbstzufrieden drein, als Libby ein Pfeifen losließ.
»Alles Kauderwelsch für mich.« Er sah sie verstört an und wünschte sich wohl in diesem Moment, wir wären Männer. Trotzdem schockierte mich der Preis. Ich meine, warum hatte er mich in so etwas Wertvollem nach Hause gefahren? Es ergab keinen Sinn.
»Du hast echt Glück. Die Chancen, dass dir so etwas passiert, stehen eins zu einer Million!« Er schüttelte seinen Kopf, als wäre das Ganze bei mir nur eine Verschwendung gewesen.
»Du meinst eins zu 1,7 Millionen, Schatz.« Libby klopfte auf seine Schulter, bevor sie sich wieder mir zuwandte. »Kommen wir zurück zu den wichtigeren Dingen … Wie hat er gerochen?«
»Was? Oh ja, das ist wichtiger – seine Körperhygiene?« Damit drehte Frank den Fernseher wieder lauter, um sich das Footballspiel weiter anzusehen.
»Am meisten interessiert mich, warum er dich nach Hause gefahren hat. Ich meine, wieso er persönlich?«
»Ich weiß nicht, Libs, aber er ist dafür bekannt, sich gut um seine Mitarbeiter zu kümmern.« Frank lachte, und wir starrten ihn an.
»Ja, darauf wette ich, haha.« Er kicherte, und Libby schüttelte ihren Kopf, als wäre er ein frecher kleiner Junge.
»Ach kommt schon, liegt das nicht auf der Hand? Er steht auf sie!«
»WAS? Auf keinen Fall!«, rief ich ungläubig.
»Warum sagst du das?«, wollte Libby wissen. Diesmal war sie auf meiner Seite. Frank seufzte, als wären wir beide von gestern.
»Oh nein, er sorgt ja nur dafür, dass sie die Einzige ist, die jedes Mal nach Hause chauffiert wird. Dann wird sie befördert nach was … einer Schicht?«
»Aber ich …«, wollte ich Frank unterbrechen, doch er war gerade nicht zu bändigen.
»Dann schlägt sie sich den Kopf an, und er nimmt sie in seine Arme, nachdem sie in seinen Pflanzentopf gekotzt hat, möchte ich hinzufügen, und trägt sie zu seinem Millionen teuren Auto. Fährt sie zurück, bringt sie in ihr Schlafzimmer, wie ein verdammter Ritter in glänzender Rüstung, und ruft dann einen Arzt, um sicherzustellen, dass sie in Ordnung ist. Oh nein, da steckt sicher nicht mehr dahinter. Muss wohl der Boss des Jahres sein.« Frank gackerte wieder, während es Libby und mir die Sprache verschlagen hatte.
Dann wandte sich Libby mit einem großen Grinsen auf ihrem Gesicht zu mir und sagte:
»Vielleicht hat er nicht ganz unrecht, Kazzy.« Frank schien wieder zufrieden mit sich selbst zu sein über diese Schlussfolgerung, aber ich blieb skeptisch. Was zum Teufel würde so ein Mann von jemandem wie mir wollen?!
Dank meiner Pillen fand ich in dieser Nacht augenblicklich Schlaf. Auch wurde ich von keinen Alpträumen geplagt.
Und die nächsten Tage darauf träumte ich auch nicht mehr von Draven. Die Tage schienen sich in die Länge zu ziehen und machten mich nur noch ängstlicher, Draven wiederzusehen.
Am dritten Tag wurde ich schon verrückt vor Langeweile.
Draven war eine Droge geworden, und ich war ein Junkie, der seinen Schuss brauchte. Die Distanz fühlte sich wie eine Rehabilitation an. Ich stand definitiv kurz vor einer Überdosis, denn es gab nur eine Sache, die ich wollte, und es war die, die ich nie bekommen würde – Dominic Draven.
Aber kalter Entzug zeigte bei mir keine Wirkung. Schon sein Name rief eine Gänsehaut bei mir hervor. Seit jener Nacht, in der ich ihm so nahe wie nie zuvor gewesen war, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich spielte die Szene immer wieder in meiner Fantasie ab. Wie ein Lieblingsfilm, nur eine Mischung aus Horror und Romanze.
Auch Franks Worte wollten mir nicht aus dem Kopf gehen, und ich fragte mich immer wieder, ob da vielleicht etwas dran war. Aber egal, wie groß meine Wünsche waren, ich wäre eine Närrin, mich meinen Hoffnungen hinzugeben. Nette Gesten für andere waren nichts Außergewöhnliches, und es waren normalerweise die zu hohen Erwartungen, die letzten Endes zu bitteren Enttäuschungen führten.
Ich verbrachte den Montag mit Hausarbeiten für all meine Fächer, sodass ich zumindest auf dem aktuellsten Stand war, bevor ich wieder in den Unterricht ging. Libby hatte angerufen und sie über den Unfall informiert. Sie hatten ihr versichert, dass sie die Nachricht an meine Tutoren weitergeben würden. Schade nur, dass sie mir nicht versichern konnten, dass Reed keine Guillotine für meine Rückkehr bereitstellen würde. Jack rief auch an und fragte, wie es mir ging. Ich erzählte ihm von meinem Sturz. Er bestand darauf, vorbeizukommen um nach mir zu sehen, aber ich wimmelte ihn mit der Ausrede ab, dass ich noch immer etwas angeschlagen war.
Dienstag war ein wunderschöner, klarer Tag, der die Herbstblätter so aussehen ließ, als wären sie von Sonnenstrahlen gemacht worden. Ich entschied mich, eine Decke zu nehmen und etwas zu tun, was ich schon seit Jahren nicht mehr getan hatte. Ich setzte mich in den Garten und malte die Aussicht mit Aquarellfarben, um die Schönheit einzufangen, die sich jeden Tag vor meinen Augen auftat. Malen war für mich wie Fahrradfahren. Ein wenig befremdlich nach all den Jahren, aber ich gewöhnte mich schnell wieder an den Pinsel. Wie eine Wiedervereinigung mit einem alten Freund.
Als ich fertig war, konnte ich nicht verhindern, dass mir Tränen aus den Augen liefen. Früher hatte ich Kunst geliebt, Bilder gemalt, die meiner Fantasie entsprangen oder Aussichten, die ich vor mir sah, in dem Versuch, ihre Reinheit einzufangen. Meine Flucht aus der Realität.
In dieser Nacht klingelte es an der Tür und Libby führte die wunderschöne Sophia in mein Zimmer. Ich war überrascht, sie in Jeans und einem Kapuzen-Sporttop zu sehen anstatt der üblichen glamourösen Kleidung. Sie trug auch ihre Haare zu einem Pferdeschwanz, der sie noch niedlicher und puppenähnlicher aussehen ließ.
»Oh, mein Bruder hat nicht übertrieben, als er meinte, es sähe schlimm aus.« Der Gedanke, dass Draven überhaupt über mich sprach, ließ mich lächeln. Auch wenn es nur um mein fürchterliches Aussehen ging.
»Wie fühlst du dich jetzt?« Sie kam zu mir ans Bett, wo ich gerade saß und ›Sense and Sensibility‹ las. Ich liebte es, zu beobachten, wie sie sich bewegte, mit solcher Anmut und Eleganz. Es war eher Tanzen als Gehen.
»Ich fühle mich viel besser. Du weißt, ich könnte früher zu arbeiten beginnen.« Sie grinste mich an, als ob sie wüsste, dass das nicht passieren würde.
»Nein, tut mir leid. Anweisung des Arztes. Und Dom würde es nicht zulassen.« Ich liebte es, wenn sie ihn so nannte. Als wäre er ein ganz normaler Durchschnittstyp. Genau das Gegenteil von dem, was ihn tatsächlich ausmachte.
»Hier, die Notizen, wie versprochen. Oh, und keine Sorge wegen Reed. Mein Bruder hat sich darum gekümmert.« Ihre Worte trafen mich wie ein Eimer voller Eis.
»Oh nein … Warum hat er das getan?«
Sie legte ihre Stirn in Falten, als sie mir ihre Notizen überreichte.
»Warum nicht? Der Arzt meinte, du machst dir deswegen Sorgen und Dom hat mich nach Reed gefragt, also habe ich ihm erklärt, dass er nicht gerade nachsichtig ist. Er wollte nicht, dass du deswegen in Schwierigkeiten gerätst, also hat er entsprechend gehandelt.« Sie zuckte ihre Schultern, als wäre es nicht der Rede wert.
»Ich will ihm nicht noch mehr Umstände bereiten. Schließlich ist er mein Boss, und er hat schon genug für mich getan.« Ich spielte verlegen mit meinen Handschuhen.
»Hör zu, mach dir nicht so viele Gedanken. Er weiß, dass du meine Freundin bist und nun ja … Ich habe nicht viele Freunde, also legt er sich doppelt so hart ins Zeug.« Ihre traurigen Augen passten nicht zu ihrem Lächeln.
»Tja, keine Ahnung, wie es sein kann, dass ein schönes Mädchen wie du nicht viele Freunde hat, aber ich bin froh, dass du meine bist«, war meine Antwort, was ihr Gesicht zum Strahlen brachte.
»Das bedeutet mir sehr viel. Wir sind so oft umgezogen, und überall, wo ich hingehe, wollen die Leute nur mit mir befreundet sein aufgrund dessen, wer ich bin und nicht, was ich bin, wenn das irgendeinen Sinn macht?«
»Klar. Wegen deines Namens.« Sie nickte, und ich bemerkte, dass plötzlich etwas Helleres in ihren Augen aufflackerte. Aber es war wohl nur der Lichteinfall.
Wir plauderten noch eine Stunde über andere Dinge, bevor sie ging und mich wieder in ihre Arme zog. Dieses Mal umarmte ich sie zurück, und mein Körper wurde warm, als ich ihre Haut berührte. Sie roch wie ihr Bruder, nur dass die mädchenhafte Version von Blumen und Honig den holzigen, erdigen Geruch übertünchte. Und trotzdem hatte der Duft eine seltsame Wirkung auf mich. Ich wollte sie gar nicht mehr gehen lassen.
Mittwoch war identisch mit Montag – nass und stürmisch. Ich hatte auch noch ein paar Hausarbeiten für Geschichte zu erledigen, aber Sophias Notizen enthielten all die Antworten, die ich suchte. Ich musste mich dafür nochmals bei ihr bedanken. Nur noch ein Tag in völliger Isolation, und ich wäre wieder ein freier Vogel. Ich konnte es kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen. Aber vor allem konnte ich den Club nicht erwarten. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich dort so sicher und geborgen, als ob nichts jemals diese Wände durchdringen könnte. Nicht einmal meine Vergangenheit.
Jack und RJ besuchten mich an diesem Abend, und ich erzählte ihnen von meinem neuen Job. RJs und Jacks Reaktionen hätten unterschiedlicher gar nicht sein können.
»Oh mein Gott, das ist so cool! Erzähl mir alles!«, jubelte RJ, als Libby uns Limonade brachte. Jack hingegen sah so aus, als würde er sich gleich übergeben.
»Wieso, wann, wie?«, drillte RJ, und ich erzählte ihnen, wie alles begonnen hatte. Dennoch war sie sichtbar enttäuscht, dass ich sie nicht schon früher eingeweiht hatte.
»Ich wollte das Angebot ausschlagen«, sagte ich zu meiner Verteidigung.
»Das hättest du auch tun sollen«, warf Jack ein, ganz klar aufgebracht.
»Und wieso? Klingt wie ein Traumjob für mich«, sprang RJ für mich ein.
»Weil Keira zu nett ist, um eine Sklavin dieses Arschlochs zu sein.« Er fuhr mit seiner Tirade fort, als wäre ich gar nicht hier, und ich verspürte den plötzlichen Drang, Draven zu verteidigen. Jack kannte ihn nicht einmal, also was war sein Problem?
»Was soll das bedeuten?«, fragte ich schroff.
»Ich will nicht gemein klingen, aber du weißt nicht, was wir wissen … Nun, was ich weiß. Seltsame Dinge passieren dort oben. Dinge, die einfach falsch sind.« Ein Schauer rieselte über meine Wirbelsäule, aber alles, was er damit erreicht hatte, war, mehr Fragen aufzuwerfen.
»Tja, warum bringst du mich nicht auf den neuesten Stand der Dinge, wenn ich offensichtlich so ahnungslos bin?« Ich wurde frustriert und verlor meine Geduld.
»Hör zu, ich will nicht darüber sprechen. Vertrau mir einfach, bitte. Wenn du dort oben bleibst, wirst du nur verletzt.«
Sie gingen kurz danach und ließen mich verwirrt zurück. Das wurde langsam lächerlich. Ich musste aus RJ herauskitzeln, was geschehen war, dass Jack die Dravens so sehr hasste. So, wie Jack sich verhielt, würde man glauben, ich hätte mich einem Kult angeschlossen, der flauschige Häschen abschlachtete!
Ich ging zu Bett, noch immer aufgewühlt über Jacks Worte. Ich hoffte nur auf eines – die eine Sache, die ich jetzt wirklich brauchte.
Meine Droge. Meine Besessenheit.
Meine Träume von Draven.