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obald die Worte aus Karmuns Mund gekommen waren, war es beinahe unmöglich, nicht Reißaus zu nehmen. Seit Samstag konnte ich es nicht erwarten, ihn wiederzusehen, doch jetzt, in diesem Moment, wollte ich nur fliehen. Er machte mich so fiebrig, dass nur der Gedanke, nach draußen zu gehen, meine Handflächen zum Schwitzen brachte.
Als ich die Getränke zitternd an meinen letzten Tisch brachte, bemerkte ich, dass Draven noch an seinem saß. Nun, zumindest würde ich als Erste draußen ankommen und könnte noch etwas frische Luft holen. Vielleicht würde das helfen, meine Nerven zu beruhigen. Nachdem ich die letzten Getränke ausgeteilt hatte, legte ich auf dem Weg zum Balkon mein Tablett ab. Ich kämmte schnell meine Fransen über meine Stirn, um die Beule zu verdecken. Das letzte Mal waren hier unglaubliche Dinge passiert, sowohl beschämende als auch wundervolle.
Die Türen öffneten sich, als ich ihnen näherkam, doch als ich den Balkon betrat, realisierte ich, dass Draven bereits auf mich wartete. Mit seinem Rücken zu mir blickte er hinaus in die Nacht. Ich wagte einen weiteren Schritt vorwärts, in der Hoffnung, fürs Erste unentdeckt zu bleiben, aber die Türen hinter mir verrieten meine Präsenz, als sie sich mit einem
sanften Zischen schlossen. Er drehte sich zu mir, und es verschlug mir die Stimme. War er schon immer so groß gewesen, oder ließ ihn meine Nervosität noch imposanter wirken?
Er näherte sich mir ein paar Schritte und ich konnte mir nicht helfen, dieselben zurück zu machen. Eine seiner Augenbrauen hob sich, und er neigte leicht seinen Kopf, als ob ihn meine Vorsicht überraschte.
»Sophia meinte, es ginge dir schon besser«, sagte er und rückte einen weiteren Schritt näher, doch dieses Mal zwang ich mich, still zu stehen. Ich konnte zwar nichts antworten, schaffte es aber, zu nicken, um ein Ja auszudrücken. Es schien, als hätte er Schwierigkeiten, mein Verhalten nicht zu belächeln, was das Rot auf meinen Wangen nur verstärkte. Was war los mit mir? Ich sollte schleunigst etwas sagen, sonst würde das wieder ein peinliches Ende nehmen. Schließlich reduzierte er die Entfernung zwischen uns, und mit jedem Schritt, den er nahm, schoss meine Herzfrequenz ein Stückchen nach oben.
»Du siehst gut aus. In der Tat mehr Farbe im Gesicht als letztes Mal.« Auch wenn er so aussah, als hätte er voll und ganz die Kontrolle über sich, erkannte ich das leichte Grinsen, das seine Lippen umgab. Er stand mir jetzt so nahe, dass ich nach oben schauen müsste, um sein Gesicht zu sehen, doch leider fehlten mir dazu die Nerven.
Seine Hand schob sich unter mein Kinn und drückte mein Gesicht nach oben. Seine Augen waren so schwarz wie die Nacht, die sich hinter ihm ausbreitete. Dann folgten sie seinem Finger, der über meine Wange strich. Ich hatte anscheinend aufgehört zu atmen, da sich meine Brust verkrampfte, als würde mir die Luft ausgehen.
»W… Was … tun Sie?«
»Schhh, bleib still«,
flüsterte er, als einer seiner Finger kurz meine Lippen berührte, bevor er meine Wunde unter die Lupe nahm.
Er suchte nach der Beule und strich die Haare, die im Weg waren, nach hinten. Sie glitten zwischen seine Finger und ich konnte nicht anders, als meine Augen zu schließen. Seine Berührung hinterließ eine warme Spur auf meiner Haut, und mich überwältigte beinahe der Drang, meine Hand über seine zu legen. Mit seinem Daumen folgte er der roten Linie, die entlang der Wunde verlief. Langsam strich er über die Schnittwunde, vom einen Ende zum anderen, und ich biss auf meine Lippe, um nicht zu stöhnen. Ich konnte seine Augen auf mir spüren, aber ich wich seinem Blick nach wie vor aus.
Abrupt ließ er seine Hand fallen, trat zurück und sagte:
»Ich bin zufrieden.« Keine Ahnung, was er damit meinte, aber wann hatte ich jemals etwas in Dravens Welt verstanden? Okay, jetzt war wieder ein guter Zeitpunkt, etwas zu sagen, also holte ich tief Luft und versuchte zu sprechen, ohne so kopflos zu klingen wie ich mich fühlte.
»Ich … Ich möchte Ihnen dafür danken, was Sie letztens für mich getan haben. Und es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Umstände bereitet habe.« Da, es war endlich raus. Jetzt konnte ich nur seine Reaktion abwarten.
»Umstände? Mir sind keine Umstände bekannt, aber es war definitiv ereignisreich, meinst du nicht?« Ich war mir ziemlich sicher, dass ich einen Hauch Humor wahrnahm, und ich lächelte zurück, während ich noch immer auf meiner Unterlippe kaute.
Er drehte sich zur Tür, und mein Herz rutschte in meinen Bauch. Das war wohl das Ende unserer kleinen Begegnung. Als er jedoch neben mir innehielt, raste mein Herz wieder nach oben, um in meiner Brust wild zu hämmern.
»Habe ich sehr gerne getan, Keira.«
Er sprach meinen Namen mit solcher Leidenschaft aus, dass ich kurz davor war, wieder in Ohnmacht zu fallen. Instinktiv biss ich so fest auf meine Lippe, dass meine Zähne fast die Haut durchbohrten. Er war noch hier, und ich fragte mich, ob er darauf wartete,
dass ich etwas dazu sagte. Mir blieben nur Sekunden, das herauszufinden. Er beugte sich zu meinem Ohr runter und flüsterte:
»Oh, und Keira … Eine Schande, dass du wieder in deine Lippe beißt.« Damit verschwand er und ließ mich allein hier draußen stehen. Eine plötzliche Kälte überkam mich, doch ich wusste nicht, ob es am Wetter lag oder an Dravens Abwesenheit. Jedes Mal, wenn er in meiner Nähe war, bedeckte er meinen Körper mit einer Art elektrisch geladener Decke, die mich von innen wärmte. Und jetzt hatte er sie mir entrissen, sodass ich nur noch Kälte und Leere fühlte.
Als mein Kopf wieder halbwegs klar war, ging ich hinein, um meine Tasche und Jacke zu holen. Die fiese Blondine starrte mich finster von Dravens Tisch aus an. Erst als Draven davon Notiz nahm, wandte sie ihren Blick von mir ab.
Ich war völlig erschöpft, als ich zu Hause ankam. Von Kopf bis Fuß tat mir alles weh. Nicht von der Arbeit, aber vier Tage Nichtstun hatten meinen Körper an die Entspannung gewöhnt. Nein, tatsächlich war die Arbeit im Club einer der einfachsten Jobs, die ich je gehabt hatte. Abgesehen davon, dass ich jedes Mal die Zeit übersah, weil sie so schnell verging. Lag wahrscheinlich daran, dass ich meistens in Gedanken über Draven versank und mir den Kopf darüber zerbrach, was ich tun würde, wenn er mich ansprach. Was dazu führte, dass mir jegliche mentale Kraft fehlte, darüber nachzudenken, wie spät es eigentlich war. In seiner Gegenwart zu sein, war wie eine Droge. Je länger ich mich dort aufhielt, desto länger wollte ich bleiben, auch wenn ich heute nur eine Vier-Stunden-Schicht geschoben hatte.
Ich wollte gerade ins Bett, als mich Jack anrief.
»Tut mir leid, dass ich so spät anrufe, aber RJ ist krank und wird morgen nicht zum College fahren.«
»Oh nein, geht es ihr gut?«
»Ja, sie wird es überleben. Die Grippe, wie es scheint, aber ihr Mundwerk steht nach wie vor permanent offen, also ist es wohl kein Ernstfall. Soll ich dich morgen abholen?«
»Ähm, ja … Ich meine, das wäre großartig. Aber nur, wenn es dir nichts ausmacht?« Lachend sagte er:
»Warum sollte es mir etwas ausmachen? Ich hol dich zur gleichen Zeit ab, okay?«
»Cool. Danke, Jack. Bis morgen dann.«
Aus irgendeinem Grund war ich wieder im Club, aber ich wusste nicht, warum. Hatte ich dort etwas vergessen? Ich durchforstete mein Gedächtnis nach einer Erklärung, jedoch vergeblich. Ich war bereits die Stufen nach oben gegangen und stand nun vor der Tür, die zur VIP-Lounge führte, ahnungslos, was ich als Nächstes tun sollte. Es war, als hätte ich im Traum einen Weg hierher gefunden, und jetzt hatte jemand einfach mit den Fingern geschnippt, um mich aufzuwecken.
Ich legte meine Stirn gegen die warme Holzplatte der Tür. Alles drehte sich in meinem Kopf. Die gedämpften Stimmen dahinter wurden lauter und verstärkten meine Kopfschmerzen. Ich musste raus, aber ich wollte nicht wieder nach unten gehen. Dort unten war es auch nicht besser.
Sobald der Gedanke in meinem Kopf empor spross, entriegelte sich die Tür gegenüber und öffnete sich einen Spalt. Das Geräusch erschreckte mich, und ich wartete mit angehaltenem Atem, aus Angst, etwas würde jeden Moment
durch die Tür stürmen. Nach einer Weile fand ich endlich den Mut, hindurchzugehen. Ich schob sie vorsichtig auf, noch immer unsicher, was dahinter auf mich lauerte, doch da war nichts, wie sich herausstellte. Ich glitt hindurch. Mir war bewusst, dass das ein großer Fehler sein könnte, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Es war, als würde mich jemand rufen. Oder beschwören.
Nachtluft traf mich. Anstatt wie erwartet ein anderes Zimmer zu betreten, fand ich mich auf einem langen, offenen Balkon wieder. Ein Dach ragte darüber, das ihn mit dem Hauptgebäude verband. Am anderen Ende zeigte sich eine Tür, aber so weit wollte ich mich noch nicht vorwagen. Also ging ich zur Steinbalustrade, deren Bögen mit dem Dach verschmolzen.
Ein großer Teil des Gebäudes war in der Form eines riesigen Innenhofs ausgeschnitten. Ich sah mich um und fand auf allen vier Seiten den gleichen Balkon. Alles war so riesig. Das war kein Haus, sondern ein verdammtes Schloss! Ich blickte hinab. In der Mitte befand sich ein seltsames, großes Kuppeldach, das mich an eine Moschee erinnerte. Es funkelte im Mondlicht und gab ihm den Anschein von poliertem Kupfer. Auf der Spitze ragte eine Skulptur empor. Ich konnte ein Paar Flügel erkennen, also handelte es sich wahrscheinlich um einen Vogel.
Ich war erstaunt darüber, was meine Augen wahrnahmen. Irgendwie passte nichts hierher. Alles sah so europäisch aus, aber die Kuppel erinnerte mich an den Nahen Osten. Nichts davon ergab einen Sinn. Etwas brachte mich zum Schaudern, als wäre ich hier nicht willkommen. Als wäre dieser Anblick nicht für meine Augen bestimmt.
Ich drehte mich wieder um, doch der Tür, durch die ich vorhin geschritten war, fehlte auf einmal der Griff. Meine Hände tasteten das Holz von oben bis unten ab, doch ich fand nichts. Ich presste mein Körpergewicht dagegen, aber nichts rührte sich. Ich war eingesperrt! Ich versuchte, nicht in Panik zu
geraten, wusste aber, sie würde mich bald überkommen. Jetzt blieb mir keine andere Wahl, als den Rest der offenen Halle zu durchqueren und mein Glück bei der anderen Tür zu versuchen. Toll! In welche Schwierigkeiten würde ich mich nun wieder bringen?
Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
Leider ging der Mond hinter einer Wolke unter. Völlige Dunkelheit überkam mich. Meine Atmung wurde schwerer und meine Hände zitterten. Wie durch Magie fackelte plötzlich die Lampe an der Wand neben mir auf, ein heller werdender Feuerball. Ich japste vor Schreck, und kurze Zeit später beruhigte sich die lodernde Flamme etwas. Ich legte meine Hände über meinen Mund, um nicht zu schreien.
Die Lampen waren aus eisernen Käfigen geschmiedet, die sich nach unten in lange, tödlich scharfe Spitzen drehten, die bis zum Boden reichten. Das Eisen schlang sich um dicke Stangen, die verbranntes Glas trugen. Die Flammen leckten die Luft, als ob der Sauerstoff sie aufbauschte.
Ich tastete mich weiter vor, bis ich die nächste Lampe erreichte. Auch sie entzündete sich, als hätte ich einen Sensor ausgelöst. Insgesamt gab es fünf. Sie alle flackerten nacheinander auf und erleuchteten meinen Weg den Flur hinunter, bis ich die Tür erreichte. Glücklicherweise besaß diese einen Griff. Sobald meine Hand das kalte Metall berührte, öffnete sie sich wie von Geisterhand.
Bevor ich eintrat, erloschen wieder alle Lampen, eine nach der anderen, und machten dabei knisternde, knallende Geräusche, gefolgt von Glas, das auf dem Boden zerbrach. Sie explodierten! Bevor die letzte ausging und ihre tödlichen Scherben auf mich regneten, huschte ich durch die Tür.
Einmal drinnen, versuchte ich, meine Atmung zu regulieren. So, wie es mir der Arzt gezeigt hatte, um meine Panikattacken zu kontrollieren. Ich rutschte die Tür hinunter und legte
meinen Kopf zwischen meine Knie, während ich mich darauf konzentrierte, meine Atemzüge zu zählen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, da ich noch gar keine Notiz von meiner Umgebung genommen hatte. Angesichts der warmen Luft, die mich umgab, befand ich mich nicht länger im Außenbereich. Schließlich wagte ich einen Blick. Wieder war alles dunkel. Jetzt packte mich erst recht die Angst. Ich wollte einfach nur irgendwohin, wo es sicher war, nicht so ungeschützt wie hier.
Mit zitternden Beinen erhob ich mich. Eine Tür öffnete sich, aber es war nicht die hinter mir. Ich rastete völlig aus, versuchte panisch, zurück zum Balkon zu kommen. Vielleicht nicht die beste Entscheidung, aber ich konfrontierte lieber explodierende Lampen als das Unbekannte, das offensichtlich in der Dunkelheit lauerte. Doch meine Hände suchten vergeblich. Wieder kein Griff, somit auch kein Entkommen!
»Wer … Wer ist da?« Meine Stimme zitterte, so wie der Rest meines Körpers.
»Du solltest nicht hier sein«, knurrte etwas Tiefes aus dem Schatten.
»Ich … Ich habe mich verirrt«, stammelte ich, in der Hoffnung, die Stimme gehörte jemandem, der mir helfen konnte.
»Oh nein, du hast dich nicht verirrt. Du wurdest gefunden.« Die Stimme kam näher und bescherte mir eine Gänsehaut. Ich versuchte, mich zu bewegen, aber aus irgendeinem Grund stand ich da wie angewurzelt.
Dann befahl sie harsch:
»Hala Olmak.« (»Bleib still«, auf Türkisch) Ich konnte mich nicht bewegen – weder Arme noch Hände oder Beine, mit Ausnahme von meinem Kopf. Etwas manipulierte meinen Geist. Ich versuchte es auszusperren, konzentrierte mich darauf, die Kraft zu unterdrücken, die mich kontrollieren wollte. Panisch
suchte ich nach einem Weg, mich zu befreien, also begann ich, in meinem Geist ein Bild von mir zu zeichnen, das sich bewegte. Zuerst konnte ich mit meinen Fingern wackeln, dann bewegte sich einer meiner Arme. Nicht lange, und mein Körper war wieder mein eigener. Schnell sprang ich zur Seite.
»Wie hast du das gemacht?!«, blaffte die Stimme, anscheinend sehr zornig. Ich antwortete nicht, da ich meine Position nicht verraten wollte, während ich weitere Schritte zur Seite machte.
»Hier, lass mich dir etwas Licht geben. Wir wollen nicht, dass du dich wieder verletzt. Ich kenne deine Angewohnheit, hinzufallen.« Seine Stimme war kontrolliert, aber etwas kantig am Ende. Eine Kerze entzündete sich irgendwo in der Nähe, die den Raum für ein paar Meter um mich herum erleuchtete. Ein orangefarbenes Glühen breitete sich aus und verblasste in der Dunkelheit. Ich kniff meine Augen zusammen, um mich an das Licht zu gewöhnen. Ich wagte eine Bewegung. Vielleicht würde ich noch eine Tür finden, die mir die Flucht ermöglichte. Mein Fuß stieß gegen etwas, aber ich konnte mich an der Wand hinter mir stabilisieren.
»Vorsicht, Keira.« Er kannte meinen Namen? Es war definitiv die Stimme eines Mannes, extrem tief und rau, aber ich konnte sie noch immer nicht zuordnen. Sie schwebte durch den Raum, was es mir unmöglich machte, herauszufinden, woher sie kam. Das Licht hüpfte auf meiner Haut und brachte sie zum Glühen. Er wusste also, wo ich war, aber ich konnte nicht einfach hier stehen und darauf warten, dass er mich schnappte. Eine weitere Kerze erleuchtete den Raum, aber ich konnte nur die Wand und den Boden sehen. Mit Seitwärtsschritten tastete ich mich den Weg entlang, als die Stimme um mich hallte.
»Ich würde nicht in diese Richtung gehen, wenn ich du wäre.« Es klang wie eine Drohung, aber das hielt mich nicht auf. Die Luft
veränderte sich. Ich kam irgendetwas näher, doch ich wusste noch nicht, was.
»Was willst du?«, sagte ich, als ich etwas Mut fand.
»Ist das nicht offensichtlich? Dasselbe, was du willst. Der Grund, wieso du hierhergekommen bist … Zurück zu mir.«
Ich machte vier große Schritte, konnte aber im Dunkeln nichts sehen, da das Kerzenlicht nicht bis zu mir reichte. Ich stieß in etwas auf Hüfthöhe und fiel fast kopfüber. Doch dann streckte sich eine Hand nach mir aus und hielt mich fest, bevor ich in die Tiefe stürzte. Starke Hände zogen mich zurück. Schneller, als ich der Bewegung folgen konnte, wurde ich herumgewirbelt und fest gegen eine Wand gedrückt.
Sanft hielt er meinen Hinterkopf in einer Hand, damit er nicht gegen den Stein schlug. Sein Körper beugte sich näher zu mir, während seine Hand hinunter glitt bis zu meinem Hals. Jetzt befand sich sein Daumen an meiner Kehle, ohne Druck auszuüben.
Es schien meine Atmung zu beruhigen. In meinem Inneren wütete Panik, doch nach außen hin blieb ich gelassen. Wir waren noch immer von Dunkelheit umgeben. Das Gesicht vor mir blieb mir verborgen, aber es fühlte sich so an, als befände ich mich wieder draußen. Was mich zu der Frage brachte, ob das, was mich soeben beinahe zu Fall gebracht hatte, ein weiterer Balkon war? Wenn dem so war, hatte ich dem Mann mein Leben zu verdanken. Ich entspannte meine Muskeln, und die Stimme reagierte.
»Genau so, ganz ruhig.« Trotz meiner misslichen Lage verärgerten mich seine Worte.
»Du kannst mich nicht kontrollieren, also lass deine verdammten Hände von mir!«, rief ich und versuchte, mich aus seinem Halt zu ringen, aber er hielt mich an meiner Schulter zurück. Sein Griff war stählern, doch nicht schmerzhaft.
»Das sehe ich«, sagte er trocken.
»Ich habe dich etwas gefragt. Was willst du von mir?« Mein Versuch, mehr verärgert als verängstigt zu klingen, scheiterte.
»Hab keine Angst, Keira. Ich würde dich niemals verletzen.« Ich wusste nicht, wieso, aber ich glaubte ihm. Vielleicht lag es an der beruhigenden Bewegung seines Daumens, der noch immer über meinem Kehlkopf schwebte. Seine Hand glitt schließlich von meiner Schulter hinunter zu meiner Taille. Wieder versuchte ich mein Glück, mich loszureißen, aber blitzschnell ergriff er meine Hüfte und drückte mich härter gegen die Wand.
»Bleib still!« Er war ganz eindeutig frustriert. Dann nahm er einen tiefen Atemzug, als würde er versuchen, seinen Frust hinunterzuschlucken.
»Zuerst wirst du meine Fragen beantworten.« Sein Gesicht beugte sich zu meinem herab. Es fühlte sich so nah an, dass sein süßer, berauschender Atem meine Sinne durchdrang.
»Was … Was willst du wissen?« Ich schüttelte meinen Kopf. Was würde er denn schon von mir wissen wollen?
»Warum bist du hierhergekommen?«, fragte er leise. Ich zögerte. Seine Hand rutschte meine Seiten hoch, wodurch er sexuelle Funken durch meinen Körper schickte. Meine Brust weitete sich, und ich stieß ein leises Stöhnen aus, was ihn dazu brachte, seine Zähne zu zeigen. Sie waren gerade und schneeweiß, mit Eckzähnen so scharf, dass ich schlucken musste.
Hatte er Fangzähne?
Als ich nicht antwortete, ließ er meinen Hals los und streichelte meine Wange, um mir die Worte zu entlocken.
»Komm schon, Kleine. Sag es mir.«
Ich grübelte über eine Antwort, die nicht der Wahrheit entsprach, aber letzten Endes fand ich keinen Grund dazu.
»Ich bin hierhergekommen, um Dominic Draven zu finden.« Ich war mir fast sicher, dass er lächelte, als er meine Antwort hörte.
»Ist das so? Nun, du hast Glück, denn … Du hast ihn gefunden.«
Ich unternahm einen letzten Versuch, mich zu bewegen, aber er war zu schnell und schnappte sich mein Handgelenk.
»Oh nein, das wirst du nicht.«
»Du lügst! Draven würde mich nicht hierbehalten. Er würde nicht einmal …« Ich hielt mich zurück, bevor ich noch zu viel ausplauderte.
»Er würde was nicht, Keira?« Als ich ihm nicht antwortete, schüttelte er mich leicht.
»Er …«
»Sag es mir!«, schrie er ungeduldig.
»Er würde sich nicht um mich scheren!« Ich versuchte, seine Augen zu sehen, aber die schwarze Nacht hinter ihm verstärkte nur seine dunkle Gestalt.
»Oh wirklich? Du kennst mich also so gut, ja? Hast du jemals daran gedacht, dass es einen Grund gibt, warum ich dich hierbehalte?« Seine Stimme klang jetzt anders. Wut vermischt mit Schmerz.
»Nein, warum?!«, rief ich, während ich immer noch vergeblich versuchte, mich zu befreien. Als er genug von meinen Anstalten hatte, drückte er seinen Körper flach gegen meinen, und ich erstarrte vor Schock. Eine Stahlmauer aus Muskeln presste sich gegen meine kleine Gestalt. Er sagte in einem seriösen Ton:
»Ich versuche, dich zu beschützen. Wie ich schon sagte, du solltest nicht hier sein … Zumindest nicht mit mir.« Verzweiflung war in seinen Worten hörbar, und ich schluckte hart.
»Dann lass mich los und ich werde gehen«,
flüsterte ich.
»Ich fürchte, dafür ist es zu spät. Ich werde mir etwas anderes überlegen müssen.« Das klang nicht gut, also flehte ich ihn an.
»Es tut mir leid, dass ich hergekommen bin, aber bitte … bitte nicht …« Blitzschnell packten seine Hände meine Handgelenke.
»Bitte nicht was?«
»Bitte beseitige mich nicht.« Eine Träne drückte sich aus der Ecke meines Auges. Er lachte humorlos.
»Warum sollte ich dich beseitigen wollen? Wie kommst du auf so etwas?« Seine Hände zogen sich enger um meine Handgelenke. Es schien, als hätte ihn mein Geständnis verblüfft.
»Weil ich … zerbrochen bin.«
Meine Tränen wurden so schwer, dass sie meine Wangen hinunterfielen. Plötzlich ließ er meine Handgelenke los, als ob er wüsste, dass sie die Ursache meines Schmerzes waren. Er machte einen Schritt zurück.
»Oh, Keira.«
Er sprach meinen Namen wie eine Liebkosung gegen meine Wange. Ich schüttelte meinen Kopf, aber er stoppte dies, indem er mein Gesicht mit seinen großen Händen umrahmte. Dann benutzte er seine Daumen, um die Tränen des Schmerzes von meiner Haut zu wischen.
»Nun, wenn das der Fall ist, dann muss ich dich wohl wieder zusammenflicken«, sagte er mit einer heiseren Stimme, als ob es ihm selbst Schmerzen bereitete. Dann veränderte sich etwas. Die Luft um uns herum wurde dick, zu dick zum Atmen, und ich kannte den Grund, als ich ein grollendes Stöhnen hörte. Ich blickte zu ihm nach oben. Sein Gesicht blieb mir noch immer verborgen, doch ich erkannte, dass er auf meinen Körper hinabsah und wusste genau, was das Stöhnen bedeutete.
Es war ein Laut des Hungers.
Seine Hände verließen mein Gesicht und wanderten langsam meinen Hals hinunter. Sie verweilten dort aber nur für einen Moment, bevor sie weiterreisten. Seine großen Hände griffen meine Brüste, während seine Daumen auf meinen verhärteten Brustwarzen verweilten. Funken flüssigen Begehrens schossen zwischen meine Beine. Ich konnte nicht anders, als meinen
Kopf zurückzuwerfen und mein eigenes Stöhnen in die Nacht zu entsenden. Dann umspannten seine Hände meinen Unterleib, doch sie hielten sich davor zurück, weiter nach unten zu wandern. Dann sprach er.
»Aber bevor du gehst, schulde ich dir noch eine Antwort auf deine Frage.« Er wich einen Schritt zurück, und ich war kurz davor, zu protestieren.
»Du hast mich gefragt, was ich will.« Ich hörte ihm nur halb zu, da der Mond hinter der Wolke hervorgekrochen war und die wunderbare Wahrheit enthüllte. Die Wahrheit, die ich von Anfang an gekannt hatte.
Es war Dominic Draven.
Er zog etwas aus seiner langen Jacke. Metall blitzte im Mondlicht auf. Ich erstarrte, als er das Objekt näher an mein Gesicht brachte. Ich wollte weglaufen, aber bevor ich dem Gedanken folgen konnte, schlang sich sein Arm fest um meine Taille. Er hob mich zu seinem Gesicht hoch, bis sich unsere Lippen auf gleicher Höhe befanden. Dann beugte er sich vor, bis sie sich beinahe berührten, während er seine Antwort flüsterte:
»Ich wollte immer nur dich.«
Plötzlich stach er mir in den Hals, so hart, dass ich vor Schmerzen aufschrie, bevor alles vor meinen Augen verschwamm und mein Körper in seinen Armen erschlaffte.
Arme, die mich nicht mehr loslassen wollten.