35
Showdown
A ls ich im Club ankam, verweilte ich für einen Moment im Auto und überlegte, ob ich das durchziehen sollte oder nicht. Ich könnte einfach hineingehen und Jerry sagen: ›Ich kündige‹. Ich müsste Draven nie wiedersehen, aber dieser Gedanke schmerzte mehr, als ich zugeben wollte.
Dann war da der andere Teil in mir, der sich nicht so leicht kleinkriegen lassen wollte. Wieso glaubte Draven, er könnte mich einfach so herumkommandieren und mir sagen, was ich außerhalb der Arbeit tun durfte und was nicht? Seine Worte letzte Nacht waren: ›Sie ist nur eine Kellnerin‹. Also warum all die Mühe meinetwegen? Aus diesem Grund wollte ich mich ihm stellen.
Ich wollte Antworten, ein für alle Mal.
Also atmete ich tief ein, stieg aus meinem Auto und ging hinein. Es war ruhig, und ein Déjà-vu überkam mich. Ich erinnerte mich nur zu gut daran, wie meine Auseinandersetzung mit Draven beim letzten Mal ausgegangen war. Nun, an diesem Punkt hatte ich nichts mehr zu verlieren. Was konnte er mir schon um die Ohren werfen, das mehr wehtat als alles, was er ohnehin schon getan hatte?
Ich tappte die Treppe hinauf. Sobald ich den VIP-Bereich betrat, starrten mich alle an, als wäre ich zum Tode verurteilt worden und gerade dabei, meine letzten Schritte zum elektrischen Stuhl zu gehen. Ich versuchte, all die Augen zu ignorieren, aber das schien unmöglich zu sein. Einige standen sogar auf, um einen besseren Blick zu erhaschen.
Mein Blut pumpte schneller durch meine Venen als der Jähzorn in mir wieder aufbrodelte. Ich versuchte, mich daran festzuklammern, aber sobald ich Notiz von Sophias betrübtem Gesicht nahm, verdampfte all die Wut in mir. Sie stand neben der Bar, als würde sie auf mich warten, doch sobald sie mich bemerkte, schaute sie schnell zur Seite, als ob sie sich für mich schämte.
»Sophia, geht es dir gut?«
Sie nickte nur und antwortete: »Hier lang, Keira.«
Ich war verblüfft, dass sie so kalt zu mir war. Würde es von nun an so ablaufen? Dass mich jeder Draven hasste? Wir näherten uns den riesigen Doppeltüren. Mein Herz raste. Ich dachte, halbneutraler Boden wäre wieder ein Balkon, aber offenbar lag ich falsch. Die riesigen geschnitzten Holztüren knarrten, als wir durch sie hindurchgingen, und ich folgte Sophia schweigend. Der breite, luxuriöse Flur wirkte endlos lang, und ich bereitete mich auf einen langen Spaziergang vor, als Sophia an der ersten Tür nicht weit vom Eingang anhielt.
Ich stand ihrem traurigen Gesicht gegenüber und fragte wieder:
»Was ist los?«
»Warum hast du das gemacht?«, fragte sie mich, bevor sie hinzufügte:
»Warum hast du dich in solche Gefahr gebracht?«
Schuldgefühle machten sich wieder in mir breit, aber ich wusste nicht, warum.
Bevor ich antworten konnte, hallte eine dröhnende Stimme durch den Flur, die unverkennbar Dravens war. Sie kam von dem Raum hinter der getäfelten Tür. Sophia führte mich hinein.
Ich fand mich in einem riesigen Büro wieder, umgeben von einem offenen Balkon, der einer Veranda glich. Zwei Seiten der Wände, die nach draußen führten, bestanden aus großen, bis zur Decke ragenden Steinbögen. Kalte Luft strömte von draußen hinein. Doch das war nicht das Einzige, was mich erschaudern ließ, als mich Dravens eisiger Blick traf.
»Geh!«, befahl Draven seiner Schwester, die mir einen mitfühlenden Blick zuwarf, bevor sie die Tür hinter mir schloss, um mein Schicksal zu besiegeln. Draven saß an einem Eichenschreibtisch, der so groß war wie ein Bett. Er sah mich prüfend an, aber keiner von uns sprach ein Wort, also entschied ich mich, zuerst das Schweigen zu brechen. Ich wollte das schnell hinter mich bringen.
»Du wolltest mich sehen?«, fragte ich, wohlwissend, was seine Antwort sein würde.
»Ich will eine Erklärung von dir!«, blaffte er mich mit einem finsteren Blick an, als hätte ich Verrat begangen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und legte meine Stirn in Falten. Um es noch schlimmer zu machen, schrie er wieder:
»Nun, ich höre!«
»Was willst du hören?«, entgegnete ich, was seinen Zorn nicht bändigte.
»Halte mich nicht zum Narren, Keira. Ich bin nicht in der Stimmung für Spielchen, also treib es nicht zu weit. Ich möchte wissen, warum du mir nicht gehorcht hast.« Er versuchte, Ruhe zu bewahren, doch es sah so aus, als würde er nicht mehr lange durchhalten.
»Tut mir leid, aber niemand hat mir mitgeteilt, dass ich außerhalb meiner Arbeit Befehle zu befolgen habe«, konterte ich sarkastisch und ignorierte absichtlich seine Warnung.
»Das ist schade, denn dann würdest du dich vielleicht mal einen verdammten Tag lang aus Schwierigkeiten raushalten!« Sein Körper bebte fast, als sein Temperament aufflammte. Unter seinem dunklen T-Shirt, das sich an den Armen verengte, als er seine Muskeln anspannte, sah er erschreckend stark aus. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn es jeden Moment unter der Belastung gerissen wäre. Er trug auch verblasste Jeans. Das war das lässigste Outfit, das ich je an ihm gesehen hatte. Aber das machte alles nur noch schwieriger, denn ich wollte ihm nahe genug sein, um ihn zu berühren. Ich setzte alles daran, ihn zu hassen. Ich musste ihn hassen, oder ich würde wieder als Verlierer aus diesem Kampf hervorgehen. Ich schluckte hart in dem Versuch, meine sinnlichen Gefühle für ihn zu begraben, aber ein Blick auf ihn reichte aus, um mich daran zweifeln zu lassen, dass ich das jemals zustande bringen konnte.
»Nun, wenn du mein Date nicht rausgeworfen hättest, wäre es nicht so weit gekommen. Hast du darüber schon mal nachgedacht?«, gab ich zurück und ballte meine Hände zu Fäusten.
»Dieser Junge hatte nichts in meinem Club zu suchen!«
»Was für ein Blödsinn! Was ist der wahre Grund, warum du ihn rausgeworfen hast?« Meine Stimme erhob sich. Ich konnte diese Ungerechtigkeit noch immer nicht fassen.
»Ich möchte nicht mit dir über diesen Jungen reden, den du ein Date nennst.« Er stieß ein hämisches Gelächter bei dem Wort ›Junge‹ aus, und das ging mir langsam gegen den Strich.
»Hör auf, ihn so zu nennen. Der einzige Grund, weshalb ich dich damit konfrontiert habe, war, weil du so reagiert hast!« Ich deutete mit meiner Hand auf ihn. Ich meine, was wollte er von mir?
»Diese Person ist nicht mein Problem!«, schnauzte er mich an.
»Und ich bin es?!«, rief ich zurück, aber er senkte sein Gesicht, als wollte er sich einer Antwort lieber enthalten. Er schwieg für eine Weile. Man konnte nur mein Keuchen hören. Dann schnitt seine Stimme durch die Stille und ließ mich vor Angst erschaudern.
»Wieso, Keira?« Sein Ton war eisig, voller Rüge und Missbilligung.
»Wieso was?«
»Wieso bist du in diesen Wagen mit Malphas gestiegen?« Seine Hände krallten sich in die Kante des Schreibtisches, der so aussah, als würde er gleich unter dem Druck zerbrechen.
»Weil ich es wollte!« Das war definitiv die falsche Antwort. Er sprang von seinem Stuhl hoch und stieß ihn mit so viel Kraft nach hinten, dass er die Steinsäule rammte und zersplitterte.
Ich schreckte verängstigt zurück und drückte meinen Rücken gegen die Tür. Er stand mir gegenüber. Meine Furcht war sichtbar in meinen Augen, was ihn dazu brachte, sich etwas zu beruhigen. Meine Handflächen pressten sich flach auf das Holz hinter mir. Ich wollte weglaufen. Nur sein Gesicht, das langsam weicher wurde, bewog mich dazu, es nicht zu tun. Keine Ahnung, warum, aber ich wusste, er würde mir nie wehtun. Dennoch war das nicht genug, um meine zittrigen Hände davon abzuhalten, auf der Platte zu vibrieren.
»Ich wollte dich nicht verängstigen, Keira. Vergib mir. Ich möchte nur eine ehrliche Antwort … Bitte«, sagte er mit Verzweiflung in seinen Augen.
»Ich bin aus Rache eingestiegen, okay? Ich wollte es dir heimzahlen«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Und deshalb bringst du dich selbst in Gefahr? Nur um mir eins auszuwischen? Das ist kein Spiel, Keira.« Er hob seinen Kopf und hielt seinen Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger.
»Dann solltest du vielleicht aufhören, eins daraus zu machen. Was zum Teufel kümmert es dich, was mit mir passiert? Du hast deine Gefühle klargemacht, und wie du selbst gesagt hast, ich bin nur eine Kellnerin!«, zischte ich, denn nur so konnte ich die letzten Worte wiederholen. Worte, die mich gestern Nacht beinahe auf die Knie gezwungen hätten. Meine Stimme wurde lauter, als der Schmerz in meinen Augen in Form von Tränen erschien.
»Ich habe das zu Malphas gesagt, damit er dich nicht beachtet. Aber ich hatte nicht den Hauch einer Chance, nicht wahr? Dafür hast du gesorgt.« Seine schwarzen Augen penetrierten meine Sinne.
»Was meinst du damit?«
»Nun, lassen wir das Revue passieren. Nicht nur, dass du den Mut aufgebracht hast, an meinen Tisch zu kommen, du hattest auch noch die Nerven, eins draufzusetzen, indem du mich vor ihm auf die Probe gestellt hast. Und nun, ich muss wohl nicht erwähnen, wie du ausgesehen hast«, beendete er seine Lektion. Ich war völlig baff.
Wie konnte er es wagen?
»Also, worum geht es hier? Ein angeschlagenes Ego? Und du hast kein Recht, mich zu maßregeln, wie ich ausgesehen habe. Ich meine – das von einem Mann, der ständig von Flittchen umgeben ist. Und ich bekomme eins aufs Maul, weil ich mich zu Halloween verkleidet habe?«
»So habe ich das nicht gemeint.« Er seufzte und wählte seine nächsten Worte mit Bedacht.
»Ich meinte, für ein Mädchen, das sich normalerweise so anzieht, keine Aufmerksamkeit zu erregen, hast du die falsche Nacht ausgesucht, um so auszusehen.«
»Wie auszusehen?«
»Unwiderstehlich«, sagte er mit einem Hauch von Spott, und das schockierte mich zutiefst. Dachte er das wirklich? Er trat näher an mich heran, und ich konnte die warme Kraft seines Körpers spüren, was all meine Träume auf einmal zurückbrachte und gleichzeitig meinen Verstand überwältigte.
»Ich verstehe dich nicht, Draven. In der einen Minute behandelst du mich so, als würde ich nicht existieren, und in der nächsten scheust du keine Mühen, mich zu beschützen«, flüsterte ich, was sein tiefes Stirnrunzeln zum Verschwinden brachte.
»Ich wünschte, es gäbe einen leichteren Weg, aber …«
»Aber was?«, drängte ich. Ich musste wissen, was hier vor sich ging. Ich musste wissen, was das zwischen uns war.
»Aber den gibt es nicht. Und ich fürchte, wenn du nicht bereit bist, solchen Gefahren fernzubleiben, dann musst du auf mich hören und lernen zu gehorchen.« Und damit flog meine Bedachtsamkeit wieder aus dem Fenster.
»Gehorchen? Gehorchen? Wirklich, Draven … gehorchen?« Er verschränkte seine Arme über seiner Brust.
»Ja, Keira, gehorchen!«
»Unglaublich. Dann bitte erklär mir doch, Draven … Warum sollte ich das tun, wenn du mir keine Antworten oder Erklärungen gibst? Keinen einzigen Hinweis, warum mir so etwas immer passiert?!« An diesem Punkt könnte ich Gift spucken. Ich drehte meinen Kopf zur Seite. Ich konnte ihn nicht länger ansehen. Er würde mir nie die Wahrheit sagen, so viel war klar.
»Du bist nicht bereit für die Wahrheit, Keira. Und ich bin nicht der Einzige mit Geheimnissen, nicht wahr?« Er ließ seinen Blick zu meinen Armen schweifen, und ein Strom von Blut kroch in meine Wangen. Ich versteckte meine Arme hinter meinem Rücken. Dann spuckte ich die Worte aus, angetrieben von all dem Schmerz, den er mir zugefügt hatte:
»Du weißt nichts über mich!«
»Und du weißt nichts über mich. Übermut ist schließlich die Mutter, aus der alle Fehler geboren werden«, sagte er und fügte damit nur noch mehr kryptische Botschaften hinzu.
»Tja, bis ich die Wahrheit erfahre, warum sollte ich auf dich hören? Oh nein, sicherlich nicht. Ich werde meine eigenen Entscheidungen treffen, vielen Dank.«
»Das ist keine Option mehr.« Er war dabei, sich abzuwenden, als wäre dies das Ende der Diskussion, aber das war es verdammt noch mal nicht.
»Draven, ich glaube du vergisst, dass du nicht mein Vater und nicht mein Bruder bist, und ganz sicher kein Liebhaber. Nicht einmal ein Freund. Du solltest dir mal darüber Gedanken machen, was genau die Definition von BOSS ist!«, warf ich ihm ins Gesicht, bereit, mich aus dem Staub zu machen. Aber bevor ich die Gelegenheit hatte, die Tür zu öffnen, stemmte er seine Hand dagegen. Das brachte wieder Erinnerungen an die Nacht auf dem Dach zurück, was mich nur noch mehr verärgerte.
»Du kannst mich nicht einschüchtern.« Ich bewahrte eine ruhige Stimme, was nur funktionierte, weil ich mich seinem Blick entzog. Er beugte sich näher zu meinem Ohr und wehte seinen Duft um mich herum wie eine Wolke des Zweifels, die meine Worte umgab.
»Ich denke, wir wissen beide, dass ich weitaus mehr bin als all das«, flüsterte er, und mein Körper stimmte ihm leider zu. Mein Verstand jedoch schrie mich an. Ich schüttelte meinen Kopf und blickte über meine Schulter.
»Ich glaube nicht, dass deine zukünftige Ehefrau erfreut wäre, das zu hören.« Dann schlug er mit der Faust gegen die Tür, und ich kreischte. Ich spürte, wie das Holz bebte, bevor er einen Schritt zurücktrat und mir den Rücken zukehrte.
»Celina hat damit nichts zu tun.«
»Was, so wie Jacks Freundin nichts damit zu tun hatte?« Ich bereute die Worte, sobald sie meinen Mund verließen. Sein Zorn war zurück, und er peilte mich mit einem tödlichen Blick an.
»Was hat dein charmanter kleiner Ritter erzählt?« Das tat weh, aber aus völlig anderen Gründen, als er vielleicht dachte. Es war noch nicht so lange her, dass ich ihn für meinen Ritter gehalten hatte. Mein dunkler Beschützer, der sich gegen Horden von Dämonen stellte, aber jetzt? Jetzt schien er einer von ihnen zu sein.
»Er hat mir erzählt, dass du ihm seine Freundin weggenommen hast.« Ein gefühlloser Lacher stieß aus ihm hervor.
»Und du glaubst ihm natürlich. Ich nehme an, er hat Angst, es würde wieder passieren, indem ich dich ihm wegnehme? Parásitos!«, rief er wütend.
»Nenn ihn nicht so!« Natürlich kannte ich das spanische Wort für den Begriff Parasit. Er drehte sich überrascht zu mir um, also sagte ich:
»Ich spreche Spanisch.«
Er rollte nur mit den Augen.
»Jedenfalls ist er mein Freund, und ich werde mit ihm wieder hierherkommen, ob es dir gefällt oder nicht.« Und damit warf ich Dynamit ins Feuer.
»DAS WIRST DU NICHT!«, brüllte er, aber ich ließ mich nicht kleinkriegen.
»Du sagst also, dass ich ihn nicht mehr mit in den Club bringen darf?«
»Ich sage, dass dieser Junge nie wieder meinen Club betreten wird!« Er verschränkte seine Arme und strapazierte damit wieder das Material über seiner breiten Brust. Ich schluckte bei dem Anblick. Muskeln über Muskeln. Ein reines, dominantes Alphatier. Ich konnte nicht glauben, dass ich hier stand und mich ihm widersetzte. Ein Teil in mir wollte vor ihm scheuen, ihm meine Unterwerfung zuflüstern, aber die Kämpferin in mir schrie mit rebellischem Trotz.
»Okay, in diesem Fall musst du dir keine Sorgen mehr darüber machen.«
»Gut, endlich verstehst du es«, sagte er verfrüht, denn er hatte diese Runde nicht gewonnen.
»Du missverstehst mich. Du musst dir keine Sorgen mehr darüber machen, weil ich kündige!« Bevor ich seine Reaktion abwarten konnte, stürmte ich hinaus.
Ein lautes Krachen kam aus seinem Zimmer, aber ich marschierte einfach weiter und an Sophia vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Ich passierte auch Karmun an der Bar und den Rest der Leute, die an ihren üblichen Tischen saßen. Alle Augen waren wieder auf mich gerichtet, und das brachte mich zum Explodieren.
»Ja, starrt mich nur an!«, rief ich, streckte meine Arme aus und drehte mich auf einem Fuß, damit mich jeder sehen konnte. Dann trat ich einen Stuhl aus dem Weg, bevor ich dieser Hölle entfloh.
Ich hatte nichts wahrgenommen, bis ich es zu meinem Auto schaffte, wo ich wieder in Tränen ausbrach. Dieses Mal aber vor Wut, nicht vor Schmerz. Und schon bald fluchte ich wie ein Seemann auf dem Weg nach Hause.
»Arschloch. Was für ein egoistisches Arschloch!«
Ich war so außer mir, dass ich kaum atmen konnte. Ich strangulierte das Lenkrad, als würde ich die Kontrolle verlieren, wenn ich es nicht festhielt. Ich wollte nur in Jacks Arme laufen. Jedes Mal, wenn Draven von mir verlangte, mich von ihm fernzuhalten, hatte das den gegenteiligen Effekt. Es brachte mich dazu, rebellieren zu wollen.
Obwohl er mich nicht wollte, wollte er auch nicht, dass ich jemand anderen hatte. Und ich hatte noch immer keinen Schimmer, warum. Ich war zu aufgebracht, um nach Hause zu fahren, und ich wollte nicht, dass Libby mich so sah. Also fuhr ich zu meinem Lieblingsplatz, setzte mich dorthin und schwelgte in Erinnerungen.
Ich wollte die Wahrheit, aber alles, was ich bekam, waren weitere Rätsel, die ich nicht entschlüsseln konnte. Meine Vergangenheit war ein einziger Horrorfilm gewesen, in dem ich die Hauptrolle gespielt hatte. Ich hatte mich immer gefragt: Warum ich? Und jetzt schien ich mich permanent zu fragen: Warum ich nicht?
Ich wollte ihn so sehr, dass es mir physisch Schmerzen bereitete, so, wie es Jack beschrieben hatte. Jetzt hatte ich jede Chance, ihn wiederzusehen, über den Haufen geworfen. Als ich Jacks Freundin erwähnt hatte, hatte er es nicht verleugnet, also verbarg sich da vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit. Vielleicht wollte er mich kontrollieren, weil ich mit Jack dort gewesen war. Steckte da mehr dahinter, als die beiden mir weismachen wollten?
Was auch immer es war, ich war der festen Überzeugung, dass es hier nicht um Mord ging. Die Dravens lebten nicht wie andere Menschen, aber was auch immer sie waren, so weit würden sie nicht gehen. Andererseits – was wusste ich schon über sie?
Sehr wenig.
Sophia war immer übervorsichtig gewesen, Informationen über ihre Familie preiszugeben. Ich wusste nicht, woher sie kamen oder wie sie ihre Moneten verdienten. Ich wusste nicht einmal, wie alt sie waren. Erstaunlicherweise wusste das niemand, und das in einer Stadt, die zur Hälfte ihnen gehörte.
Nachdem ich für ein paar Stunden grübelnd dagesessen hatte, entschied ich mich, zum Auto zurückzugehen und Jack anzurufen. Es klingelte nur zweimal, bevor er ranging.
»Hey, Keira, was geht? Vermisst du mich schon?« Er lachte herzlich, und meine Stimmung hob sich schnell.
»Ich habe mich nur gefragt, ob du heute Abend was vorhast?«, fragte ich, plötzlich besorgt, dass er mich abblitzen lassen würde.
»Ja, ich habe ein Date mit einer hübschen Blondine, aber ich weiß nicht, wo ich mit ihr hingehen soll. Vielleicht hast du einen Tipp?«
Ich grinste.
»Oh, ich denke, Kino ist eine gute Wahl.«
»Mmm, ich kenne dort niemanden, der mir diese Mengen an Drogen abkauft, aber ich habe noch einen Van voller Waffen, also vielleicht hab ich Glück … Du könntest mir helfen, sie zu verticken, was sagst du dazu?« Damit brachte er mich so hart zum Lachen, dass ich wieder grunzte.
»Ah-ha, hätte fast noch einen aus dir herausgekitzelt. Ich hab‘s gehört!«, machte er weiter, und ich kicherte.
»Ich hol dich ab. Wann hast du Zeit?« Gott, ich hoffte bald.
»Jetzt passt es gut. Und wenn du mir ein paar gute Komplimente machst, hast du vielleicht Glück und ich verwöhne dich mit einem nicht so tollen Essen im Diner.«
»Nun, ich mochte deine Haare schon immer.«
»Verkauft an das Mädchen in ähm … Was trägst du?«
»Rot.«
»Verkauft an das Mädchen in Rot. Mmm, rot«, sagte er wie Homer Simpson.
»Okay, wir sehen uns gleich, Homer .« Ich legte auf und startete den Motor. Es dauerte nicht lange, bis ich bei RJs Haus ankam. Jack wartete bereits auf den Stufen. Er trug seine üblichen zerrissenen Jeans und ein Rock-T-Shirt – heute von den ›Ramones‹. Sein Haar war noch feucht. Er war wohl noch schnell unter die Dusche gesprungen, und als er ins Auto stieg, roch es auch so.
»Hey Süße, wie war dein Tag?« Er schnallte sich an.
»Ich hatte schon bessere, also musst du dich heute extra hart ins Zeug legen, um mich aufzumuntern«, murmelte ich, als ich aus der Einfahrt fuhr.
»Ich werde dich auf ein mieses Dessert nach dem Hauptgang einladen.«
»Mmm, ich freue mich schon riesig auf dieses Lokal.«
»Zumindest sind die Limonaden kalt. Für mich ist das ein großes Plus.«
Wir parkten vor dem Diner und gingen hinein. Jack suchte uns einen Platz, während ich kurz zu den Toiletten ging. Ich war gerade auf dem Weg nach draußen, als ein Kellner an mir vorbeiging und mir einen seltsamen Blick zuwarf. Hatte ich einen Kurs mit ihm? Er kam mir nicht bekannt vor. Eines war sicher – es erfreute ihn nicht, mich hier zu sehen.
Ich rutschte in die Bank gegenüber von Jack. Eine Cola wartete bereits auf mich.
»Tut mir leid, dass ich schon bestellt habe. Sie sind nie so schnell, also habe ich panisch die Bestellung aufgegeben.« Ich prustete meine Cola vor Lachen heraus.
»Okay, das war unappetitlich.«
»Danke. Wenn du mich das nächste Mal zum Lachen bringen willst, achte darauf, dass ich nichts im Mund habe«, murrte ich und wischte mein Gesicht mit einer Serviette ab.
»Notiert.« Er salutierte. »Also, willst du mir erzählen, warum du einen schlechten Tag hattest? Oder muss ich dich verhören à la Jack Bauer?«
»Clever. Aber sag mal, wieso reden Männer immer über Jack Bauer?«
»Das ist eine Männersache. Er ist wie eine Vaterfigur für uns. Und komm schon – wer würde nicht gerne ein CTU-Agent sein?« Er reichte mir das Menü.
»Die Kellnerin hat mir die heutigen Spezialitäten aufgezählt. Ich kann sie dir nennen, aber wenn du sie gerne von jemandem hören willst, der heute echt miese Laune hat, rufe ich noch mal nach ihr.«
»Nicht nötig, danke.«
»Wie du willst. Also, schlechter Tag?«
»Oh ja. Ich habe gekündigt«, verkündete ich, meine Augen auf die Menükarte geheftet.
»Wirklich?! Wie kam es dazu? War es wegen letzter Nacht?« Ich wusste nicht, ob ich es ihm erzählen sollte.
»Sagen wir mal, letzte Nacht war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
»Oh, wow. Hör zu, ich will dir keine Probleme bereiten, auch wenn ich froh bin, dass du das Handtuch geworfen hast.« Nun, wenigstens einer von uns.
»Wie auch immer, lass uns etwas essen. Was würdest du empfehlen?«
»Das Lokal auf der anderen Straßenseite.« Und wir lachten beide, als die Kellnerin uns einen bösen Blick zuwarf.
Nachdem Jack die Rechnung beglichen hatte, machten wir uns auf den Weg zum Auto. Wieder lief ein Typ an uns vorbei, der mir den gleichen, unfreundlichen Blick zuwarf wie der Kellner im Diner. Sie hatten nichts miteinander gemeinsam, aber ihre bösen Blicke waren identisch. Sogar Jack bemerkte es und meinte:
»Mensch, was ist sein Problem?« Ich schüttelte nur meinen Kopf und grübelte, bis mich Jacks Stimme aus meinen Gedanken riss.
»Erde an Kaz, hallo!«
»Sorry, was hast du gesagt?«
»Nur, dass du die Schlüssel brauchst, um die Tür zu öffnen.« Er schüttelte imaginäre Schlüssel in seiner Hand.
»Oh ja, das wäre hilfreich«, sagte ich mit Humor. Wir stiegen in meinen Wagen und ich folgte Jacks Wegbeschreibung zum Kino. Wir scherzten beide über das Essen und den schrecklichen Service im Diner, als ich fragte:
»Warum gehst du überhaupt dorthin?«
»Oh, Celina und ich waren oft dort«, sagte er so nebenbei, während ich beinahe einen Herzinfarkt erlitt und kurz davor war, viel zu hart auf die Bremse zu steigen. Dravens rothaarige Verlobte!
»Hast du gerade … Wie hast du sie gerade genannt?«
»Celina. Warum?«