N
un, hier war ich wieder, konfrontiert mit dem gleichen Problem wie gestern. Blieb nur zu hoffen, dass es diesmal besser ablief. Mit dem nicht unbedeutenden Unterschied, dass ich keine Angestellte mehr war und er nicht mein Boss. Fürs Erste, zumindest.
Ich trabte an Cameron und Jo vorbei, die mir neugierige Blicke zuwarfen. Ich fragte mich, ob sie überhaupt wussten, dass ich gekündigt hatte. Wenn, kannten sie die Hintergründe wahrscheinlich nicht. Verdammt, nicht einmal ich wusste genau, warum, aber eine Sache wusste ich ganz genau – ich konnte dieses Spiel nicht länger mitspielen. Draven jeden Tag zu sehen, verstärkte nur meine Sucht, eine, die mir schadete. Trotzdem wollte ich immer mehr davon. Jedes Mal, wenn ich ihm gegenüberstand, wurde es schwieriger so zu tun, als würde ich ihn nicht so sehr begehren, wie ich es insgeheim tat, und das zehrte an mir.
Der VIP kam in Sicht, und mein Herz setzte ein paar Schläge aus, als ich zum Fuß der Treppe ging. Die beiden Türsteher zuckten nicht einmal mit den Wimpern, als ich näherkam. Sie traten ohne ein Wort zur Seite, und ich machte mich auf die Lippe beißend auf den Weg nach oben.
Ich betrat die VIP-Lounge. Alles wurde still, und ich senkte augenblicklich meinen Kopf. Nun, wenn die Leute unten nicht den Grund kannten, wieso ich das Handtuch geworfen hatte, dann wussten sie es ganz sicher hier oben, so viel war klar!
Als ich auf die Bar zusteuerte, bemerkte ich, dass keiner der Dravens anwesend war, dafür aber all die anderen Stammgäste, die ich dort üblicherweise sah. Es war seltsam hier ohne sie, als fehlte ein lebenswichtiges Organ.
Das Herz.
Ich hatte bereits den Entschluss gefasst, nicht denselben Fehler zweimal zu machen. Als also einer von Dravens Männern – Zagan – auf mich zukam und mich bat, ihm zu folgen, erhielt er von mir ein resolutes: »Nein.«
»Wie bitte?« Sein Ton war ruhig, genauso hypnotisch wie Dravens. Ich konnte sehen, wie er mich unter seiner langen schwarzen Kapuze hinweg prüfend in Augenschein nahm, aber diesmal ließ ich mich nicht einschüchtern.
»Ich sagte, nein. Ich werde ihn hier draußen treffen oder gar nicht«, antwortete ich mit einer starken, überzeugenden Stimme.
»Nun gut, ich werde ihn über deine Bedingungen informieren. Bitte warte hier«, sagte er lächelnd, als ob ihn meine Reaktion sehr amüsierte. Er verließ den Raum durch die riesigen Türen, von denen ich mir geschworen hatte, nie wieder in deren Nähe zu kommen. Die Erinnerung, dort mit Draven gefangen zu sein, war haarsträubend. Draven gestern gegenüberzustehen, hatte bewiesen, dass ich mir selbst nicht trauen konnte. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, wurde es schwieriger, meine Triebe zu kontrollieren. Alles, was ich wollte, war, Haut an Haut zu sein mit ihm, zu berühren, zu schmecken und ihm auf eine Weise nahe zu sein, die mir ganz klar verboten war.
Unterdessen hatte die Band unten angefangen zu spielen. Die Menge verdichtete sich, als sich der Club mit immer mehr Studenten füllte. Karmun kam freundlich lächelnd zu mir.
»Na hallo, Miss Johnson. Scheint, als könntest du nicht genug von uns bekommen?«, sagte er, bevor er einen Shot hinunterkippte.
»Hey Karmun, hast du mich vermisst?«, warf ich ihm vorlaut zu.
»Natürlich, meine Liebe. Ein Drink gefällig?« Nach dem, was letztes Mal geschehen war, als ich meinte, ich würde etwas flüssigen Mut benötigen, lehnte ich dankend ab.
»Wie du meinst«, sagte er, bevor er an das klingelnde Telefon ging. Er hob den Hörer ab mit einem verwunderten Gesichtsausdruck. Das Telefon läutete hier so gut wie nie, daher überraschte mich sein verdatterter Blick nicht. Was mich jedoch überraschte, war, dass er mir das Telefon brachte.
»Ist für dich.« Er reichte mir das Schnurlostelefon. Ich legte den Hörer an mein Ohr, in der Erwartung, eine vertraute Stimme zu hören, aber stattdessen bekam ich nur eine, die ich aus meinen Alpträumen kannte …
Meine Vergangenheit hatte mich eingeholt!
»Hallo ,Ca… Ähm, nein, ich denke, es ist jetzt Keira«, sprach die tiefe Stimme, aber ich war nicht bereit, die unaussprechliche Wahrheit zu akzeptieren.
»Wer ist da?«
»Oh, meine liebe Keira, du … weißt … wer … ich … bin!« Die verzögerten, spöttischen Worte zogen meinen Schmerz ins Unendliche. Mein Herz zerbröselte. Tränen füllten meine Augen und fielen auf meine Wangen.
»NEIN, NEIN, NEIN! DAS IST NICHT MÖGLICH!«, kreischte ich. Alle starrten mich an.
»Ich bin zurück, Keira. Und rate mal … Wir werden uns bald sehen. Sehr, sehr bald.« Mein Schrei war so laut, dass meine
Lungen beinahe versagten. Ich warf das Telefon zu Boden. Es zerbrach in Stücke. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen. Für ein paar verschwommene Sekunden starrte ich geradeaus. Mein Kopf schoss zur Seite, als ich hörte, wie sich eine Tür öffnete und Draven zum Vorschein kam.
Unsere Augen trafen sich für die eine Sekunde, die es dauerte, um eine angsterfüllte Träne zu lösen. Sein Blick folgte diesem Tropfen, der meine Wange hinunterkroch und mich so tief wie eine Rasierklinge schnitt. Seine Lippen bewegten sich, aber seine schwarzen, tiefen Augen ließen nicht von mir ab. Dann bewegte sich ein Fuß in meine Richtung, was mich aus dem fesselnden Zauber schüttelte, den Draven über mich gelegt hatte.
Ich musste weglaufen.
Also rannte ich.
So schnell, wie ich konnte. Ich musste weg von diesem Ort … Lauf!
… Er wusste, wo ich war … Lauf schneller, Keira!
… Er war hier … Lauf!
Ich hielt an diesem lebensrettenden Mantra fest. Ich würde laufen, bis ich frei war. Ich musste einfach nur weitermachen, einfach nur weiterlaufen, bis mir meine Freiheit sicher war. Er durfte mich nicht kriegen. Ich würde es nicht überleben. Nicht noch einmal.
Ich rammte die Türsteher und schoss an ihnen vorbei, bevor sie reagieren konnten. Am Fuße der Treppe standen mir wieder zwei Sicherheitsleute im Weg, doch ich stieß sie zur Seite. Das brachte mich zu Fall, und ich stürzte hart auf den Steinboden. Der Schmerz, der durch meine Gliedmaßen schoss, ging an mir vorüber.
Die Männer versuchten, mich zu ergreifen, aber ich krabbelte außer Reichweite, bevor ich wieder auf die Beine kam und durch die Menge stürmte. Wie hoch waren meine Chancen, hier rauszukommen? Cameron und Jo standen unter Dravens
Befehl, also waren die Aussichten nicht rosig. Somit rannte ich zur Bar, denn ich kannte einen unbewachten Ausgang. Ich fand, wen ich suchte, und steuerte auf Mike zu, der jemanden bediente.
»Hey Keira. Was ist los? Du …« Ich schnitt ihn ab und versuchte, mein Hecheln zu kontrollieren.
»Bitte, Mike … Hi… Hi… Hilf mir … Ich muss hier raus … Bitte!«,
stammelte ich, aber er zog mich einfach zur Seite und nach hinten, bevor er mich zur Hintertür schubste.
»Geh da raus und halte dich rechts, dann kommst du zum Parkplatz. Geh!«
»Danke.« Ich drückte ihm einen schnellen Kuss auf die Wange, bevor ich mich aus dem Staub machte. Das Licht ging an und zeigte mir den Weg. Ich zog mein Telefon aus meiner Tasche und wählte eine Nummer, die ich auswendig kannte.
»Merseyside Polizei«, antwortete eine monotone Frauenstimme.
»Inspektor Matthew.« Ich war hörbar panisch, aber das schien sie nicht aus der Fassung zu bringen.
»Ich fürchte, er ist im Moment nicht an seinem Schreibtisch.« Mein Herz sank.
»Gut, aber könnten Sie ihm sagen, er soll mich zurückrufen? Es ist sehr wichtig! Sagen Sie ihm, Keira Johnson will ihn sprechen. Er wird wissen, worum es geht.« Damit legte ich auf, gerade, als sie nach meiner Nummer fragte. Er kannte sie, also wollte ich keine Zeit mehr verschwenden. Ich musste nur weg von hier!
Mein Auto kam in Sicht, aber die wenigen Lampen, die rundherum verstreut waren, brachten nicht viel Licht. Wo hatte ich einen Fehler gemacht? Wie hatte er mich gefunden?
Ich musste das geradebiegen. Ich musste so weit weg von hier wie möglich. Da traf mich der nächste Horrorgedanke … Wenn er wusste, wo ich arbeitete, dann wahrscheinlich auch, wo ich
wohnte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich wusste er, wo ich wohnte. Er hatte heute zu Hause angerufen – der Typ, der so schwer geatmet hatte. Oh verflucht!
Ich rüttelte am Türgriff meines Wagens, doch natürlich war er verschlossen, und ich fummelte nach den Schlüsseln in meiner Tasche. Ich konnte mich nicht fokussieren, und als ich sie schließlich fand, fielen sie mir aus der Hand. Ich bückte mich, sah aber nur Kies ohne Schlüssel.
Sie waren weg.
»Suchst du die hier?« Erschrocken sprang ich hoch. Vincent Draven lehnte lässig an der Motorhaube meines Trucks, mit meinen Schlüsseln in seiner Hand.
»Ähm … Ja, danke.« Ich versuchte, gelassen zu klingen, aber mein Herz hatte sich noch nicht erholt. Ich streckte meine Hand aus, aber er weigerte sich, mir die Schlüssel zu überreichen. Stattdessen umschloss er sie mit all seinen Fingern. Mein Puls schnellte in die Höhe.
»Ich denke, ich behalte die hier noch für einen Moment«, sagte er in seiner üblichen schwelenden Stimme, die so hypnotisierend war wie die seines Bruders und auch die gleiche, trübende Wirkung auf meine Sinne hatte. Ich nahm einen tiefen Atemzug und drückte die beruhigende Wolke, die sich plötzlich in meinem Verstand ausbreitete, beiseite, um die Kontrolle wiederzuerlangen. Ich hatte noch kein Wort gesagt, also tat er es, aber dieses Mal atmete ich durch meinen Mund, um den Duft nicht eindringen zu lassen.
»Wo willst du hin, Keira?«, fragte er, und ich nahm noch zwei weitere Atemzüge, bevor ich ihm antwortete.
»Etwas ist dazwischengekommen. Ein Notfall in der Familie. Ich muss los.« Ich versuchte, meine Stimme so stabil wie möglich zu halten, aber das erwies sich als unmöglich, denn mein Blut schwirrte in blinder Panik durch meinen Körper.
»Wenn du deinem Bruder bitte sagen könntest, dass es mir leidtut und ich ihn ein anderes Mal treffen werde …«
»Warum sagst du es ihm nicht selbst?« Er nickte in die Richtung, aus der ich gerade gekommen war. Eine große, dunkle Gestalt, gekleidet in einen langen schwarzen Mantel, der bis zum Boden reichte, steuerte mit schnellen Schritten auf uns zu. Er sah furchteinflößender aus als je zuvor. Zwei Männer folgten ihm – Zagan war einer von ihnen. Mein Körper fühlte sich an, als würde mich jemand schütteln, so sehr zitterte ich. Ich musste fliehen. Ich würde wahrscheinlich keine weitere Gelegenheit dazu bekommen. Bevor er also noch näherkommen konnte, schlug ich einen Haken zu der Seite, die Vincent nicht blockierte.
Aber gerade, als ich mich umdrehte, stand plötzlich Zagan vor mir und brachte mich prompt zum Stillstand. Seine langen dicken Narben sahen tief und wütend aus. Ich war mir nicht sicher, aber es schien, als würde sich sein Tattoo um die Narben herum drehen.
Ich wusste nicht, wie das möglich war oder wie er mich überhaupt so schnell erreicht hatte. Er hatte sich unmöglich so schnell bewegen können. Aber er war nicht der Einzige mit diesem erstaunlichen Talent, denn als ich zurück zu Draven blickte, stand er mir gegenüber. Nahe genug, um die Hitze zu spüren, die von seinem imposanten Körper ausstrahlte. Ich drückte mich gegen die Autotür. Die Kälte des Metalls sickerte durch meine Kleidung. Langsam bewegte ich meinen Kopf nach oben.
»Ich würde das nicht noch einmal versuchen, wenn ich du wäre«, warnte Draven, und der Klang seines Befehls brachte mich zum Zittern.
»Ich muss gehen!«
»Und wohin genau?« Er sah auf mich herab, aber ich konnte seinen Blick nicht erwidern. Wenn ich das tat, würde ich ihm wahrscheinlich alles erzählen.
»Wie ich deinem Bruder bereits gesagt habe, habe ich einen Notfall in der Familie.«
»Wirklich? Das glaube ich nicht, Keira.« Er sah zu seinem Bruder und streckte seine Hand aus. Ohne ein Wort zu sagen, reichte ihm Vincent meine Autoschlüssel.
»Bitte! Du verstehst nicht, ich muss los …« Vielleicht half es zu betteln. Schließlich traf ich seinen Blick, und weitere Tränen rollten meine Wangen hinab. Sein Gesicht veränderte sich nicht, aber er wirkte nicht mehr so wütend. Nein, wenn überhaupt, eher unheilvoll gefasst und kontrolliert.
»Wer war das am Telefon, Keira?«, wollte er wissen und stellte somit die einzige Frage, die ich nicht beantworten wollte.
»Du kannst mich hier nicht gegen meinen Willen festhalten!«, rief ich und fand endlich den Mut, der tief in mir vergraben war.
»Du wirst feststellen, dass ich das sehr wohl kann …«, sagte er, beugte sich zu mir und beendete den Satz mit:
»… ganz leicht sogar.«
Dies wurde mit so fester Überzeugung ausgesprochen, dass ich nichts tun konnte, als ihm zu glauben. Mein Handy vibrierte in meiner Gesäßtasche. Das war meine Chance, und ich wusste genau, welche Karte ich ausspielen würde.
»Das ist der Polizeibeamte, und wenn ich nicht antworte, wird er die Bullen schicken, um nach mir zu suchen. Er weiß, dass ich hier bin«, war diesmal meine Warnung. Aber er beugte sich nur noch näher zu mir und ich schrak zusammen, als er seine Hand auf dem Metallrahmen meines Trucks über meinem Kopf platzierte. Versehentlich nahm ich einen tiefen Atemzug durch meine Nase und ließ meinen Körper mit seinem warmen Duft erfüllen. Er kam ganz nahe an mein Ohr.
»Nun, dann sollten wir Inspektor Matthews nicht warten lassen.« Dann schlang er seinen starken Arm unter meine Jacke und mein Oberteil. Ich sog heftig die Luft ein, als seine
Handfläche meine Haut berührte. Sie drückte ihren Weg die Krümmung meiner Wirbelsäule hinunter, bis er in meine Tasche griff und das Handy herauszog. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich überhaupt nicht mehr atmen. Erstaunlich, dass ich selbst in dieser Situation einen Gedanken daran verschwendete, wie es sich anfühlen würde, wenn seine Hand andere Gebiete meines Körpers erkundete.
Dann fiel bei mir erst der Groschen. Woher wusste er, wer Inspektor Matthews war? Hatte er mitbekommen, dass ich ihn angerufen hatte? Er stellte sich wieder gerade hin, klappte mein Handy auf und nahm den Anruf entgegen.
»Inspektor Matthews.« Sobald er antwortete, stieß ich einen lauten Hilfeschrei aus, aber meine Stimme schaffte es nicht aus meinem Mund. Dravens Hand reagierte blitzschnell. Ohne mich zu berühren, hielt er seine Handfläche vor meine Kehle, bevor er eine feste Faust formte, als würde er mir meine Stimme stehlen und in seinem eisernen Griff einsperren.
Ich konnte nicht sprechen!
Mein Mund bewegte sich, aber vergeblich. Kein Ton kam über meine Lippen. Meine Hände flogen zu meinem Hals, aber alles, was ich spürte, war ein Kribbeln in meinem Kehlkopf. Ich wollte weglaufen, aber sobald der Gedanke in meinen Kopf eindrang, legte Vincent seine Hand auf meine Schulter und drückte mich gegen die Autotür.
Draven schüttelte nur den Kopf und vermittelte mir damit ein felsenfestes ›Nein‹, während er gelassen weitertelefonierte.
»Ja, Inspektor, es geht ihr gut. Ein wenig durcheinander, wie Sie sicher verstehen können, aber es wird ihr besser gehen, nachdem sie sich etwas ausgeruht hat.« Seine Hand formte immer noch eine Faust. Ich wehrte mich nicht mehr. Vincent war mir überlegen, und ich konnte nicht gegen seine Kraft ankämpfen.
»Sie wird im Club bleiben. Hier ist sie in Sicherheit«, sagte er, und ich schüttelte panisch meinen Kopf. In Sicherheit,
was für ein Blödsinn! Ich war alles andere als sicher mit diesem wahnsinnigen Kontrollfreak und seinem Bruder. Ich hatte mich so sehr in ihm getäuscht. Die ganze Zeit über war er der Feind gewesen, und ich war zu blind vor Liebe gewesen, um es zu sehen!
»Sie wird Sie zurückrufen, wenn sie sich beruhigt hat. Ich bin mir sicher, sie hat viele Fragen … Nein, das ist bereits erledigt.« Ich fragte mich, was er sonst noch alles ›erledigt‹ hatte. Meine Tränen flossen ungehemmt, und ich wischte sie mit meinem Ärmel weg, hilflos wie ein verängstigtes Kind.
»Ich danke Ihnen für die schnelle Zusendung der Akte. Und bitte, grüßen Sie den Oberinspektor für mich.« Er legte auf und ließ das Handy in seiner Manteltasche verschwinden, zusammen mit meinen Schlüsseln.
Schließlich öffnete er seine Faust, was mir meine Stimme zurückbrachte. Hustend schnappte ich nach Luft. Seine Finger fingen an, meinen Hals zu streicheln. Ich versuchte, ihn abzuwehren, aber sein Griff wurde enger, bis ich aufhörte mich zu wehren und meine Atmung wieder einen halbwegs normalen Rhythmus einnahm.
Ich konnte nicht glauben, was hier geschah. Das
konnte nicht real sein.
Wie stellte er das an? Was war er? Ich wollte brüllen, hatte aber Angst, dass er wieder die Kontrolle übernehmen würde, also blieb ich ruhig. Er musste meine Gedanken gelesen haben, denn er hob seine Hand zu meinem Gesicht und wischte mit dem Daumen über meine nasse Wange.
»Braves Mädchen«, flüsterte er sanft, bevor er sich Vincent zuwandte, der seine Hand von meiner Schulter löste.
»Also, wirst du uns jetzt ohne Gegenwehr begleiten?«, fragte Draven in einem weichen Ton, aber ich hatte andere Ideen. Sobald sich die Gelegenheit offenbarte, würde ich abhauen!
»Hmm, wohl nicht. Schade.«
Wieder einmal hatte er irgendwie meine Gedanken gelesen.
»Ich denke, wir sollten das beenden. Die Leute werden unruhig«, sagte Vincent zu seinem Bruder mit einem Nicken in Richtung Cameron und Jo, die Leute in den Club ließen. Sie spähten zu uns rüber. Ich wollte um Hilfe rufen, doch wieder einmal tat ich es nicht aus Angst, wie Draven reagieren würde.
Er drehte sich zu Zagan, den ich völlig vergessen hatte.
»Zagan, du weißt, was zu tun ist. Kümmere dich darum«, befahl er. Ich mochte nicht, wie das klang, also flehte ich:
»Bitte, tu ihnen nicht weh! Ich werde … Ich werde mitkommen.« Niemandem sollte meinetwegen etwas zustoßen. Draven sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an, aber meine Bitte stieß auf taube Ohren. Er wandte sich Vincent zu, als hätte er ihm eine stille Frage gestellt.
»Nun, versuch dein Glück, aber ich bezweifle, dass du mehr Erfolg haben wirst als ich«, sagte Draven zu ihm. Vincent reagierte darauf, indem er seine Hand auf die Seite meines Kopfes legte. Ich versuchte, mich zu ducken, aber jetzt war Draven an der Reihe, mich festzuhalten, damit Vincent tun konnte, was auch immer er vorhatte.
Draven kam mir so nahe, dass er mich flach gegen das Auto drückte. Seine Hände fesselten meine Handgelenke und hielten sie an meinen Seiten fest. Es ging auch nicht an mir vorüber, wie er leicht mein Top nach oben schob, sodass er Kontakt mit meiner Haut herstellen konnte. Ich zitterte, als mich seine Berührung wie ein leichter Stromschlag traf. Dann begannen seine Daumen, kleine, beruhigende Kreise zu streichen.
Sein Bruder ergriff mein Kinn und drehte mein Gesicht zu seinem, um mir tief in die Augen zu blicken. Ich zuckte zusammen, als der Klang seiner Stimme in meinen Geist eintrat, obwohl kein Ton von seinen Lippen kam.
Ich wollte fliehen, aber das war unmöglich, solange mich gleich zwei Dravens gefangen hielten. Also tat ich, was ich immer tat, wenn ich schlimme Dinge von mir fernhalten wollte – ich kämpfte dagegen mit ganzer Kraft an. Ich schob seine Stimme weit nach hinten in meinen Kopf, ohne mich auf seine Worte zu fokussieren. Ich ließ sie zu einem langen Murmeln verschmelzen, bis sie sich anhörten wie dumpfe Stimmen hinter einer dicken Tür. Sie versuchten, lauter zu werden, während sein Blick intensiver wurde, also presste ich fest meine Augen zusammen, drückte weiter und weiter, bis es schließlich aufhörte und alles still wurde.
Ich stieß einen langen, erschöpften Seufzer aus, als ich wieder Herr über meine Atmung war. Als ich meine Augen öffnete, runzelte Vincent die Stirn, so wie es Draven immer tat.
»Frustrierend, nicht wahr?«, sagte Draven zu seinem blonden Bruder.
»Überaus«,
war seine irritierte Antwort.
Draven und sein Bruder ließen endlich von mir ab, und ich sackte zurück gegen die Tür. Ich war völlig ausgelaugt. Was auch immer Vincent war, er war verdammt mächtig, so viel war sicher. Ich hatte keinen Schimmer, was sie erreichen wollten, aber etwas sagte mir, dass ich es bald herausfinden würde.
»Egal, wir haben andere Mittel … Takeshi«, sagte Draven und winkte dem Japaner, der hinter ihm erschien. Der Mann war mir nicht unbekannt. Er saß immer an Dravens Tisch und trug das Gleiche wie sonst auch. Er zog ein schwarzes Quadrat aus Stoff aus einem seiner langen Ärmel, bevor er ein Fläschchen darauf zerbrach, das Material mit der Flüssigkeit tränkte, und es Draven überreichte. Ich hatte das Gefühl, dass das nichts Gutes für mich bedeutete, also ergriff ich meine letzte Chance.
Zagan hatte sich aus dem Staub gemacht. Ich stürzte auf die Öffnung zu und rannte. Ich konnte spüren, wie die Distanz zwischen Draven und mir größer wurde, aber in meiner Eile
rutschte ich aus und verlor meinen Halt. Ich wartete darauf, dass meine Knie auf dem Beton aufschlugen, aber Draven packte mich von hinten, bevor ich zu Boden ging.
»Oh nein, das wirst du nicht, meine Kleine.« Seine Arme hielten mich fest, als ich darum kämpfte, mich zu befreien. Einer davon umkreiste meine Taille, um meinen Oberkörper still zu halten und mich davon abzuhalten, mich zu drehen. Also beschloss ich, einen letzten Hilfeschrei abzugeben, aber Draven machte mir einen Strich durch die Rechnung, indem er den Stoff auf meine Lippen drückte. Das Material bedeckte mein halbes Gesicht, Nase und Mund, sodass mir bald nichts anderes übrigbleiben würde, als einzuatmen.
Ich wehrte mich mit allem, was ich hatte, und hielt fest meinen Atem an. Ich kratzte an seiner Hand, die fest über meinem Gesicht lag, aber es war mir unmöglich, mich zu befreien, und er wusste es. Meine Augen waren überströmt von Tränen. Ich konnte nicht glauben, dass meine Alpträume wahr wurden. Ich konnte nicht glauben, dass das wieder passierte!
»Wehr dich nicht, Keira. Atme einfach«,
flüsterte er mir ins Ohr. Aber das erzeugte den gegenteiligen Effekt, als ich versuchte, mich aus seinem Muskelkäfig zu befreien.
»Gib den Kampf auf.«
Seine Stimme war weich, sanft und beruhigend. Mein Körper begann, darauf zu reagieren und gab langsam den Kampf auf, den ich nie hätte gewinnen können. Er konnte es auch spüren, denn sein Griff lockerte sich allmählich. Meinen Lungen ging der Sauerstoff aus. Wenn ich nicht bald atmete, würde ich in Ohnmacht fallen, also sog ich Luft ein.
»Genau so … Braves Mädchen. Beruhige dich und atme ganz tief«,
summte er leise, und schon bald trugen seine Arme mein Gewicht anstatt dagegen anzukämpfen. Ich fühlte, wie seine Hand von meinem Mund glitt, meine Haare nach hinten strich und mich enger in die Wiege seines Körpers zog.
»Meine kleine Keira, schlaf jetzt. Du bist in Sicherheit.«
Seine Stimme schwebte in meinem Kopf. Ein rosiger Nebel wehte über mich, und seine Worte waren das Letzte, woran ich mich erinnerte, bevor ich wieder in seinen Armen Schlaf fand.
»Du bist jetzt mein.«