49
Ava
D ravens Finger, der an meinem Arm auf und ab strich und eine sinnliche Spur meine Haut entlang hinterließ, weckte mich auf. Er lag auf seiner Seite, gestützt auf seinen Ellbogen, und sah mich intensiv an. Wie lange stand ich bereits unter seiner Beobachtung? Gott, hoffentlich hatte ich nicht geschnarcht oder schlimmer, gesabbert!
»Guten Morgen, meine Kleine. Wie fühlst du dich?« Er drückte einen sanften Kuss auf meine Schulter.
»Überraschend gut, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich neben dir aufwache«, sagte ich mit einem Lächeln. Er studierte meinen Körper mit unangenehmer Genauigkeit, und ich wurde leicht nervös. Bei ihm zu sein, war wie eine Achterbahnfahrt voller Emotionen. In der einen Minute fühlte ich mich pudelwohl, in der nächsten spielte er mit meinen Hemmungen und machte mich wieder zur schüchternen Kellnerin.
»Bist du schon lange wach?«, fragte ich in der Hoffnung, dass er verneinte.
»Eine Weile«, war seine beiläufige Antwort, als er meine Haut mit seinen heißen Berührungen entflammte. Während er meinen Rücken erkundete, hob er mein Shirt und strich dabei über meine Rippen, was mich zum Kichern brachte.
»Kitzelig, wie es scheint?« Er grinste schelmisch.
»Nein, nein, bin ich nicht«, plapperte ich, als er versuchte, mir einen Lacher zu entlocken, indem er die gleiche Stelle noch einmal berührte.
»Warum plötzlich so defensiv, hm?« Seine Hand rutschte nach unten, wo er mein Shirt packte, um mich näher an sich heranzuziehen. Ich liebte es, wenn er so befehlshaberisch war. Als hätte ich ein klein wenig Kontrolle über ihn. Ich verstand schnell, wie ich das zu meinem Vorteil nutzen konnte.
»Du hast einige entzückende kleine Sommersprossen auf deinem Rücken, die dem Sternbild der Corona Borealis ähneln.«
»Nein, ganz sicher nicht.« Er machte sich über mich lustig, oder? Aber sein Gesicht war ernst. Ich hatte noch nie von dieser Sternkonstellation gehört, aber irgendetwas in seinem Ausdruck war eigenartig. Als ob er ein Puzzle geknackt hätte.
»Nun, ich starre dich schon seit Stunden an, also kann ich das wohl beurteilen«, sagte er ganz faktisch. Ich riss meine Augen weit auf.
»Nein, das hast du nicht!«
»Nein? Ich finde dich faszinierend. Viel zu lange war ich gezwungen, deinen Körper aus der Ferne zu bewundern. Jetzt werde ich jede Sekunde auskosten, dich zu studieren.« Dabei versteckte ich meinen Kopf unter der Decke.
»Bitte sag das nicht!« Aber er lachte nur über meine Reaktion.
»Und was ist falsch an dem, was ich gerade gesagt habe?« Er riss mir die Decke weg.
»Es ist peinlich«, murmelte ich und versteckte mein Gesicht in meinen Händen, jetzt, wo ich keine Decke mehr hatte.
»Okay, du kannst nicht gut mit Komplimenten umgehen. Erstaunlich, in Anbetracht der Umstände.«
»Welche Umstände?« Er grinste mich an, als wäre ich in seine Falle getappt.
»Nun, dir fehlt das Selbstvertrauen, mir zu glauben, wenn ich dir sage, wie unglaublich ich deinen Körper finde, aber du scheinst genug davon zu besitzen, um mir eine private Stripshow zu bieten. Zweimal, wenn ich das hinzufügen darf.«
»Einmal. Das zweite Mal zählt nicht. Deine Regeln, schon vergessen?«
»Was willst du damit sagen? Dass du gezwungen wurdest?«, flüsterte er mir ins Ohr, als würde er etwas Verbotenes aussprechen.
»Eher eingeschüchtert«, flüsterte ich zurück, als es an der Tür klopfte. Er stieß ein brüllendes Lachen aus, bevor er sagte:
»Herein.« Candra betrat das Zimmer mit einem Tablett in den Händen voller Muffins, süßem Gebäck, Bagels und Baguettes. Tatsächlich sah es so aus, als hätte sie gerade eine Bäckerei ausgeraubt. Aber am wichtigsten war die Kanne Tee, bei deren Anblick mein Herz schmolz. Sie nickte uns beiden zu, wünschte uns einen Guten Morgen und wuselte wieder hinaus.
»Wie viele Leute frühstücken mit uns?«, fragte ich amüsiert, sprang auf und schnappte mir den größten Schokomuffin. Grinsend schenkte ich mir auch eine heiße Tasse Tee ein.
»Mir ist aufgefallen, dass ich dich nicht ausreichend versorgt habe. Heute wirst du mehr als nur ein paar Stücke Obst essen.«
»Du machst dir zu viele Sorgen um mich«, sagte ich, während ich im Schokoladenhimmel versank, was ihn zum Lächeln brachte. Ich war schon immer eine Naschkatze gewesen, egal zu welcher Tageszeit.
»Ich glaube, wenn es um dich geht, sorge ich mich nicht genug.« Er stand auf und positionierte sich mir gegenüber, sodass er mir besser beim Schlemmen zusehen konnte.
Nachdem ich meinen Heißhunger gestillt hatte, fielen mir der Reihe nach wieder die Fragen ein, die ich Draven noch immer nicht gestellt hatte.
»Du willst mich etwas fragen?«, meinte Draven amüsiert. Ich blickte überrascht zu ihm hoch.
»Wie kommst du darauf?«
Er nickte zu meinen Händen.
»Wenn dir etwas durch den Kopf geht oder du etwas auf dem Herzen hast, spielst du immer mit den Händen oder beißt auf deine Lippe«, sagte er, als wäre das allgemein bekannt. Unglaublich, wie aufmerksam er in dieser kurzen Zeit gewesen war, in der wir uns nähergekommen waren, um all diese kleinen Ticks von mir zu kennen.
»Nun, ich habe mich über ein paar Dinge gewundert, über die ich noch immer nichts weiß.« Es handelte sich um eine Frage, die mir seit gestern Nacht keine Ruhe mehr ließ.
»Und welche wären das?«
»Du wirst es nicht gerne hören«, warnte ich, was ihn offenbar neugierig machte. Also fuhr ich fort.
»Nun, ich würde gerne mehr über Celina wissen. Was ist mit Jack und ihr passiert?« Besser, langsam in das Verhör einzusteigen.
»Warum hätte ich mit dieser Frage ein Problem?«
»Weil das nur ein Teil ist.« Und da war es, das typische Stirnrunzeln, das er gegen mich richtete. Dieses Mal hielt es jedoch nicht lange an und wurde durch ein kleines Lächeln ersetzt.
»Celina ist ein Dämon, die sich in diesen Jungen verliebt hat.« Jetzt war ich diejenige, die die Stirn in Falten legte.
»Jack, besser?« Er änderte seine Wortwahl widerwillig.
»Nun, wie du ja weißt, ist es verboten.«
»Sie ist ein Dämon, wirklich? Armer Jack!«, stieß ich aus, aber angesichts der vergangenen Ereignisse ging meine Sympathie Draven gegen den Strich.
»Scheint wohl, als wäre er schon darüber hinweg.«
»Das stimmt nicht. Jack war am Boden zerstört. Ich meine, auf einmal fällt ihm das Mädchen seiner Träume in die Arme, und plötzlich läuft sie dir über den Weg, und puff! Fort. Er denkt, du hast sie umgebracht.« Ich lugte ihn über den Rand meiner Tasse an, aber Draven konnte das raue Lachen, das aus ihm herausbrach, nicht zurückhalten. Ich hatte ihn noch nie so viel lachen hören, und obwohl mir seine Reaktion nicht gefiel, liebte ich den Klang.
»Draven!«, warnte ich.
»Tut mir leid, aber das ist lächerlich. Ich war derjenige, der sie gerettet hat«, erklärte er, nachdem er sich wieder gesammelt hatte.
»Gerettet?«
»Sie hat unser Gesetz gebrochen. Sie stand kurz vor ihrer Bestrafung, aber ich hatte Gnade mit ihr. Seither arbeitet sie für mich und hat ihre Loyalität immer wieder unter Beweis gestellt. Sie ist ein wertvolles Mitglied meines Rats.«
»Oh, darauf wette ich«, murmelte ich, wieder einmal eifersüchtig.
»Sie ist eine gute Assistentin, Keira, mehr habe ich damit nicht gemeint. Für sie ist es hier besser, als nach unten verbannt zu werden, wo sie seinen Zorn abbekommt.« Er zeigte auf den Boden, und ich erschauderte über den Gedanken.
»Also du und sie, ihr habt nie …?«, drängte ich und versteckte mein Gesicht tief hinter meiner Tasse.
»Weißt du, ich finde diese Eifersuchtssache seltsam. Auf der einen Seite ist sie völlig absurd, auf der anderen Seite auch irgendwie entzückend. Immer noch irrational, aber trotzdem entzückend.«
»Ich bin froh, dass du das so unterhaltsam findest, aber ich bin nicht die Einzige, die leicht eifersüchtig wird, schon vergessen? Außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet.«
»Ich dachte, das hätte ich bereits deutlich gemacht?«
»Nun ja, sie hätte dich auch in die Irre führen können. Immerhin ist sie ein Dämon.«
»Ja, so wie ich«, sagte er defensiv.
»Genau mein Punkt. Du hast gelogen.« Schien, als hätte ich diese Runde gewonnen, da er sich geschlagen zeigte.
»Trotzdem ist die Antwort nein. Weiter.« Gott sei Dank war er immer noch gut gelaunt, aber ich wusste, dass meine nächste Frage das schnell ändern würde.
»Und Aurora?« Sobald ich ihren Namen aussprach, verwurzelte sich die Antwort in meinem sinkenden Herzen. Sinkend wie ein Schiffswrack, das auf dem Meeresgrund aufschlug.
»Keira, das läuft aus dem Ruder.« Er warf seine Hände frustriert in die Luft.
»Das ist keine Antwort«, flüsterte ich.
»Tja, das ist die einzige, die du bekommst.« Sein Ton signalisierte, dass er diesmal nicht klein beigeben würde. Ich hatte meine Antwort ohnehin schon, nur ohne Details. Aber Dravens Ex war immer noch hier, und ich befürchtete, dass das früher oder später noch zum Problem werden könnte. Wie könnte ich jemals gegen eine solche Schönheit ankommen? Eine, die kein Geheimnis daraus machte, dass sie ihren Ex zurückhaben wollte. Oh ja, das würde mir noch so was von einen Arschtritt verpassen!
»Von mir aus. Aber warum hat Jack keine Chance bekommen, sich von Celina zu verabschieden?«
»Glaubst du, das hätte es einfacher gemacht?« Sein Sarkasmus war deutlich hörbar.
»Ja, natürlich. Dann hätte er zumindest damit abschließen können.« Jack tat mir echt leid. Zuerst Celina, dann ich. Alle in den Händen des gleichen Mannes.
»Heißt das, du willst dem Jungen das Herz brechen und ihm die Wahrheit sagen?« Sein Ton war selbstsicher, als ob er dachte, ich würde nie so weit gehen. Doch da lag er falsch.
»Ja, ich werde die Sache klarstellen und zumindest versuchen, so ehrlich zu sein wie ich kann. Nur so kann er einen Schlussstrich ziehen, ohne permanent darauf zu hoffen, dass sie eines Tages wieder zurückkommt und zu glauben, dass du ihr Mörder bist.«
»Du machst es mir sehr schwer, wütend auf dich zu sein, wenn du die Gefühle anderer vor deine stellst.« Er kniete sich vor mich hin. Ich wollte etwas Abfälliges entgegnen, aber er begann sanft, meine Kieferpartie zu küssen, was mich beinahe vergessen ließ, worüber wir gerade gesprochen hatten.
»Okay, noch etwas. Was ist mit Layla passiert?« Sobald die Frage gestellt war, wünschte ich mir, ich hätte meinen Mund gehalten. Sein Griff an meinem Kinn verfestigte sich, sein Gesicht wurde hart, und seine Augen verwandelten sich in ein flammendes Violett.
»Das ist nicht dein Problem. Die Angelegenheit hat sich erledigt. Das ist alles, was ich dazu sagen werde.« Ich entschied mich, nicht weiter zu bohren, aber meine weiten Augen besänftigten ihn etwas.
»Deine erstaunlichen, stürmischen Augen könnten das Herz eines jeden Mannes erobern.« Ich wurde hellrot.
»Es gibt jedoch ein Mädchen, das ich dir vorstellen möchte, denn sie würde dich sehr gerne kennenlernen. Dieses Mal richtig«, sagte er und zog mich aus meinem Stuhl, den ich nur widerwillig verließ. Auch wenn ich mir den Kommentar verkniff, bezweifelte ich, dass ich noch mehr Dämonen-Engel-Schönheitsköniginnen ertragen konnte.
Er hielt meine Hand, doch ich blieb stehen. Auf keinen Fall würde ich irgendjemandem gegenübertreten in Sweatpants und schmuddeligem T-Shirt.
»Kann ich mich wenigstens vorher umziehen? Und warum gehen wir auf den Balkon?« Er wirkte höchst belustigt.
»Ich bezweifle, dass es sie kümmert, was du anhast. Außerdem finde ich dich extrem süß in diesem Outfit.« Er stupste mich spielerisch in den Bauch.
»Ach ja? Das kannst du jemand anderem weismachen.« Mein nordenglischer Akzent kam stärker hervor als beabsichtigt, was ihn eine Augenbraue anheben ließ.
»Kein Wort!«, warnte ich, aber anstatt etwas zu kommentieren, flüsterte er mir nur ein ›Süß‹ zu und lachte.
»Du hast gesagt, dass ich sie dieses Mal richtig kennenlernen sollte. Habe ich sie schon einmal getroffen?« Er zwinkerte mir nur zu, als er mich durch die Glastüren führte, hinaus in den klarsten Tag, der mir hier je untergekommen war. Die Aussicht war atemberaubend in diesem Licht. Die Sonne tauchte die Landschaft in eine üppige, grüne Utopie. Ich bemerkte, dass wir allein waren, also drehte ich mich automatisch zu den Stufen, die zum Dach führten.
»Nicht da oben. Warte einfach. Sie wird nicht mehr lange brauchen«, sagte er, bevor er ein seltsames Geräusch ausstieß.
Aber Moment mal … Ich hatte das schon einmal gehört, kurz nachdem ich hierhergezogen war, als ich eine Begrüßung der anderen Art erhalten hatte.
Draven stand hinter mir, mit seinen Armen auf meinen Schultern, und blickte über meinen Kopf, was mit unserem massiven Höhenunterschied nicht schwer war. Dann erkannte ich, worauf er wartete. Eine schwarze Gestalt kam am weiten blauen Himmel in Sicht. In diesem Licht sah sie eher majestätisch als erschreckend aus.
Der Vogel kam näher, und ich blickte zu Draven auf. Er sah ihn ehrfürchtig an, als er seinen anmutigen Körper in den Sinkflug brachte und den Wind auffing, als wäre er Herrscher des Himmels, bis er schließlich einen anderen Winkel einschlug, bereit für die Landung auf dem Geländer. So nah wirkte er doppelt so groß, mit einer Flügelspannweite von beinahe zwei Metern. Ich konnte nicht anders, als einen Schritt zurückzuweichen, als das Geländer unter seinem Gewicht erschütterte.
»Rara Avis, Quieta non movere … Schhh«, (»Seltener Vogel, beweg dich nicht. Ganz ruhig«, auf Latein), beruhigte er das Tier, als es sich schüttelte und seine riesigen Federn neu positionierte, als wollte es sich bequem machen. Jetzt krabbelte ich beinahe hinter Draven. Mann, er war verdammt angsteinflößend. Er sah aus, als könnte er mir ein gutes Stück aus dem Gesicht beißen. Wolverine war kein Vergleich dazu, mit seinen Krallen, die tödlichen schwarzen Rasierklingen glichen.
»Keira, komm her. Du hast nichts zu befürchten«, sagte Draven, als er mich hervorzog und seine großen Hände auf meine Schultern legte, damit ich mich nicht losreißen konnte. Mein Herz raste.
»Sie wird dir nicht wehtun. Sie ist nur neugierig.« Dabei neigte der Vogel seinen Kopf, als ob er mich mustern wollte.
»Sie?«, fragte ich überrascht, als mir klar wurde, wen er mir vorstellen wollte – sein furchteinflößendes Haustier. Oh Gott, warum konnte er nicht einfach eine Katze haben, wie ein normaler Mensch? Nein, es musste natürlich eine gefährliche Kreatur sein, die katastrophalen Schaden anrichten konnte. Was hatte er sonst noch – einen Bären in seinem Sommerhaus?
»Ja, das ist Avis, kurz Ava.« Er bewegte sich auf sie zu und streichelte sie liebevoll. Sie liebte es eindeutig und bewegte ihren Kopf unter seiner Hand nach oben und unten. Ich lachte.
»Sie ist überwältigend!«, sagte ich voller Bewunderung. Es schien, als würde sie mich verstehen, da sie Draven ein Krächzen schenkte.
»Sie will wissen, warum du solche Angst vor ihr hattest«, übersetzte er, als er ihre Brust streichelte. Dabei plusterte sie sich auf und streckte ihre Flügel aus.
»Wirklich, das will sie wissen?«
»Ava ist mein Auge im Himmel. Wenn ich dich nicht sehen konnte, habe ich von ihr Besitz ergriffen, was es mir ermöglichte, über dich zu wachen, wenn du schliefst.«
»Du konntest mich sehen? Also jedes Mal, wenn ich …?«
»Nicht jedes Mal, nein. Auch Ava hat über dich gewacht, aber du hast sie manchmal erschreckt. Sie war sogar ein bisschen beleidigt.« Er sah zu mir herab, genau wie Ava, als beschuldigten mich jetzt beide.
»Äh, tut mir leid«, murmelte ich verlegen, aber angesichts der Tatsache, dass mich dieser Vogel umbringen konnte, war meine Angst wohl berechtigt.
»Willst du sie streicheln?«, fragte Draven, doch ich versteckte sofort meine Hände hinter meinem Rücken.
»Schon okay, ich glaube nicht, dass sie das möchte. Und sie mag es, wenn du es tust. Ich sehe gerne zu«, sagte ich, wieder mal ein Feigling. Er lachte mich nur aus.
»Du hast doch keine Angst, oder, Keira?« Er spielte wieder die Karte der umgekehrten Psychologie aus. Ich nickte schnell, während ich mir auf die Lippe biss.
»Komm, gib mir deine Hand«, sagte er, und als ich es nicht tat, sah er mich streng an. Als ich mich immer noch nicht bewegte, wurde Draven ungeduldig. Es war Zeit, zu anderen Mitteln zu greifen. Er legte beide Arme um meinen Rücken und beugte seine Lippen nahe an mein Ohr, sodass seine Haare nach vorne fielen. Seine Hände fanden meine Handgelenke und packten sie.
»Komm schon, du verletzt sie damit. Sie will doch nur mit dir befreundet sein.« Er wusste, dass Schuldgefühle bei mir immer zogen, also gab ich nach und ließ ihn meine Hände zu ihr führen.
»Sie wird sich benehmen, nicht wahr, Ava?« Das war ein Befehl, und sie senkte ihren Kopf, damit ich sie leichter streicheln konnte. Meine Hand streckte sich zu ihr aus, aber ich zögerte.
»Sie wird dir nicht wehtun, Keira.« Seine Hand ruhte auf meiner, als er anfing, meine über ihre weichen, schwarzen Seidenfedern zu streichen. Ich krabbelte mit meinen Fingern über ihren Rücken, und sie kreischte wieder. Es schien ihr wohl zu gefallen. Nun, alles in allem, hatte ihr Schnabel meine Hand noch nicht abgetrennt und war damit davongeflogen. Ich nahm mir ihren Hals vor, den Draven bereits gekrault hatte. Plötzlich spannte sie ihre beeindruckenden Flügel auf, was mich in die Höhe springen ließ.
»Ava, hör auf mit der Angeberei!«, schimpfte Draven, doch sie drehte nur ihren Kopf zu ihm und neigte ihn, als wollte sie sagen: ›Warum sollte ich?‹ Der Anblick war zum Totlachen.
»Ja, warum solltest du, hm, Ava?«, sagte ich zu ihrer Verteidigung, was die Verbindung zwischen uns besiegelte, denn auf einmal schien ich ihre beste Freundin zu sein. Sie tappte am Geländer entlang, näher zu mir, und rieb sich sanft gegen mich. Ihre Federn kitzelten meinen Hals. Kichernd streichelte ich ihren Rücken.
»Hm, interessant. Normalerweise mag sie keine Frauen, aber dir scheint sie recht zugetan zu sein«, kommentierte Draven, und ich warf ihm einen schockierten Blick zu.
»Und das sagst du mir erst jetzt?!«, zischte ich durch meine Zähne, aus Angst, Ava zu erschrecken.
»Sagen wir einfach, ich hatte so eine Ahnung, dass sie dich genauso liebt wie es ihr Besitzer tut.« Da war es wieder. Das Liebesgeständnis. Ich glaube nicht, dass ich mich jemals daran satthören könnte.
Er trat zu Ava heran und flüsterte ihr etwas zu, das ich nicht hören konnte. Dann streckte er einen nackten Arm aus, da er noch immer nur seine Jeans trug, und rief:
»Aqui!« Ich wusste, dass es ›hier‹ auf Spanisch bedeutete. Dann sprang sie auf seinen Arm und grub ihre Krallen in seine Haut, die jedoch keinen Kratzer abbekamen. Er zuckte nicht einmal. Er packte ihren Schnabel und schüttelte ihn spielerisch. Ein echt niedlicher Anblick.
»Bist du bereit, Baby?«, fragte er sie, als er in ihr schönes Gesicht aufblickte. Ihre Augen wurden ganz groß vor Aufregung. Sie quietschte als Antwort.
»Du wolltest ja unbedingt angeben, also zieh eine gute Show ab, altes Mädchen!« Er zog etwas Schwarzes, Stacheliges hervor. Dann spielte er mit ihr, tat so, als ob er ihr etwas zuwerfen würde. Es erinnerte mich ein bisschen an Sandy und mich, den Hund meiner Großeltern, mit dem ich immer gespielt hatte, um sie dazu zu bringen, hinter dem Stöckchen herzulaufen, bevor ich ihn geworfen hatte.
Das zweite Mal jedoch warf er es. Es schoss wie eine Rakete in die Luft und flog so weit, dass ich es aus den Augen verlor. Dann drückte er seinen Arm nach oben, um Ava anmutig abheben und in den Himmel aufsteigen zu lassen. Sie flog, bis sie außer Sichtweite war, so schnell wie die Kugel aus einer Pistole.
»Was hast du ihr da zugeworfen?«, fragte ich, als wir wieder hineingingen.
»Das willst du nicht wissen.«
»Doch, will ich«, sagte ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher war.
»Es war ein Vogelfuß.« Er lachte, als er mein Gesicht sah, das wohl so aussah, als hätte ich einen schrecklichen Geruch in der Nase. Franks Füße zum Beispiel.
»Sie frisst andere Vögel, so verzehrt sie ihre Seelen. Aus irgendeinem Grund bevorzugt sie die Füße. Die hebt sie sich immer für den Schluss auf.«
»Igitt! Das ist wirklich ekelhaft. Woher weißt du das überhaupt?«
»Ich habe dir ja gesagt, dass du es nicht wissen willst. Ava lässt mich in ihren Geist, und manchmal, wenn ich in sie eindringe, wird sie leider hungrig.« Er zog ebenfalls ein angewidertes Gesicht.
»Okay, ich glaube, ich habe mein Limit auf der Skala der verrückten Dinge erreicht.« Er lachte über meinen Humor, und kleine Funken der Freude flogen in meinen Magen umher. Ich liebte es, dass ich ihn zum Lachen bringen konnte.
»Woher kommt sie?«
»Ava ist von Beginn an an meiner Seite. Sie war ein Geschenk meines Vaters, um uns alle im Auge zu behalten. Sie ist natürlich ein Dämon. Ihr Wirt ist so etwas wie eine Kreuzung zwischen einem Raben und einem goldenen Adler. Sie hat auch ihre eigenen Kräfte. Aber irgendwie hat sie sich von Anfang an zu mir hingezogen gefühlt, und deshalb mag sie keine … Nun, du weißt schon.«
»Du meinst andere Frauen, mit denen du zusammen warst?« Ich rollte mit den Augen bei seinem Zögern.
»Ja, aber ich wusste, ihre Verbindung zu dir würde anders sein. Glaube mir, sie benimmt sich normalerweise nicht so gut wie heute. Sie hat mich in der Vergangenheit schon ein paarmal an der Nase herumgeführt. Als sie jung war, durchlief sie eine Phase, in der sie kleine Dörfer terrorisierte und zielte auf die jüngeren. Aus irgendeinem Grund hasste sie Kinder.« Er schüttelte seinen Kopf. Ich konnte mir gut vorstellen, wie furchterregend das gewesen sein musste.
»Aber mit dem Alter wurde sie ruhiger und mürrischer. Jetzt verbringt sie die meiste Zeit allein.«
»Ich finde sie süß«, sagte ich und legte meine Arme um seinen Hals, was einer seiner Schwachpunkte war, denn er tat genau das, was ich wollte – er küsste mich.
»Ich hasse es, deine gute Stimmung zu vermiesen, aber da ist etwas im Anmarsch.« Er grinste.
»Was meinst du?«
»Gleich wird meine Schwester durch die Tür stürmen und dich von mir wegzerren.« Was ihn offenbar nicht glücklich machte.
»Warum?« Aber auch ich war nicht begeistert von der Idee, ihn länger als eine Minute zu verlassen.
»Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dich für die Party heute Abend schick zu machen.« Oh nein!
»Nein, nein, du musst mit ihr reden! Bring sie zur Vernunft«, flehte ich ihn an, aber er hielt nur seine Hände verteidigend hoch.
»Würde ich gerne tun, aber sie ist sehr durchsetzungsfähig.«
»Aber du bist ihr Bruder, und sie wird sicherlich tun, was du sagst. Bitte, sie muss aufgehalten werden!« Ich war nahe am Betteln an diesem Punkt, was ihn zum Grinsen brachte.
»Keira, so schlimm ist es auch nicht. Außerdem, du glaubst, ich bin hardcore, wenn ich wütend werde? Du hast noch nie Sophias Temperament gesehen.« Ich war mir nicht sicher, ob er mich auf den Arm nahm, also stemmte ich meine Hände in meine Hüften, um ihm zu zeigen, dass das völlig inakzeptabel war. Er machte aber meine ganze Dramaturgie zunichte, als er seine Hände auf meine Taille legte und meine Stirn küsste.
»Dämon, schon vergessen? Und sehr entschlossen noch dazu.« Er bemerkte mein Stirnrunzeln und fuhr fort: »Es ist am besten, sie einfach machen zu lassen. Sie freut sich darauf. Immerhin hatte sie nie eine Schwester, die …«
»Die sie als menschliche Puppe verwenden konnte?«, beendete ich seinen Satz mit Sarkasmus.
»Ich wollte sagen, die sie lieben konnte.« Und natürlich spürte ich gleich die Schuld, auf die er ganz klar gesetzt hatte.
Dann ging er zur Tür und öffnete sie, bevor Sophia klopfen konnte. Sie spazierte gemächlich herein. Wahrscheinlich hatte sie sich sehr bemüht, sich ganz casual zu kleiden, aber wie immer kläglich versagt. Sie hätte noch immer mit Leichtigkeit einen Pariser Runway hinlegen können.
Ihre Skinny Jeans sahen aus, als ob man den Stoff an sie angenäht hätte. Dazu kam ein langes weißes Top, das einem Kleid ähnelte und von einer Schulter fiel. Ihr Haar hing in einem hohen Pferdeschwanz, was ihren Locken den Eindruck verpasste, als wollten sie gleich herausspringen. Aber eines war nicht zu übersehen – sie sah verdammt erfreut aus.
»Zeit, sich in Schale zu werfen!«, verkündete sie klatschend und grinste wie die böse Katze aus Alice im Wunderland. Dann wirbelte sie herum, als wüsste sie genau, dass ich folgen würde.
Ich schlurfte ihr hinterher. Sie gab mir nicht mal eine Minute, um mich umzuziehen. Mit gesenktem Kopf trabte ich an Draven vorbei, aber er stoppte mich, küsste mich auf den Kopf und sprach: »Sei nett, meine Keira.«
Tja, ich war im Begriff, mich in die Hände eines Dämons zu begeben.
Und gleich würde man Alice in den verdammten Kaninchenbau werfen.