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L
ASS MICH RAUS!«, schrie ich und hämmerte meine Faust auf den Käfig, bis sie rot anliefen.
»Beruhige dich«, sagte Morgan mit nüchterner Stimme, aber ich konnte nicht aufhören. Mein Körper ließ es nicht zu. Mein Herz pumpte pures Adrenalin durch meine Adern, bis ich so gewalttätig wurde, dass ich mich selbst kaum wiedererkannte.
»DAS KANNST DU NICHT TUN!« Ich ließ Fausthiebe auf die Fensterscheibe regnen, in der Hoffnung, sie würde zerbrechen, aber das geschah nicht, also versuchte ich es mit meinem Fuß. Irgendwann würde sie zerschmettern, dessen war ich mir sicher. Aber das wussten sie auch, weshalb sie rechts ranfuhren, um es gar nicht so weit kommen zu lassen.
Ich bebte mit einer tödlichen Kombination aus Angst und Wut. Ich wollte ihnen die Augen auskratzen. Der Gedanke, wieder in der Gewalt dieses Mannes zu sein, trieb mich in den Wahnsinn. Ich war so verdammt dumm gewesen! Draven wusste von den Gefahren. Er hatte mich davor gewarnt, und ich war wie immer zu dickköpfig gewesen und dachte, ich hätte recht. Und jetzt würde ich teuer dafür bezahlen.
Sie hielten den Wagen an. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, als sie beide ausstiegen. Sie näherten sich mir von beiden Seiten. Verdammter Mist, wem sollte ich mich zuerst stellen? Morgan öffnete die Tür und stürzte sich auf mich, aber ich wehrte mich und trat mit meinem Stöckelschuh auf ihn ein.
»Aaarrrh! Verdammt, Catherine, lass das, sonst wird das noch sehr unangenehm für dich!«, warnte er. Allein der Klang seiner Stimme ließ mich völlig ausrasten. Also kickte ich mit meinem Fuß noch einmal in seine Richtung. Dieses Mal konterte er, packte mein Bein und zog mich zu sich. Mein Rock rutschte nach oben. Er verschlang mich mit lüsternen Augen, und für den Bruchteil einer Sekunde lockerte er seinen Griff.
Ich nutzte die Gelegenheit, um mein Knie in sein Gesicht zu rammen, und er heulte auf vor Schmerz. Ich versuchte, mich an ihm vorbeizukämpfen, aber in seinem Jähzorn briet er mir eins über und schlug mich mit einem heftigen Schlag nieder. Ich war wie betäubt, was ihm einen Vorteil verschaffte. Der metallische Geschmack von Blut explodierte in meinem Mund, aber der Schmerz blieb durch das Adrenalin, das durch meinen Kreislauf schoss, im Hintergrund.
»Wir haben dafür keine Zeit!«, zischte Andy, dessen Stimme jetzt ganz anders klang als vorher. Es war die Stimme, die ich in meinem Traum gehört hatte. Mein Herz blieb stehen, als sich eine ganz neue Angst in mir entfaltete.
»Etwas Hilfe wäre nett!«, fauchte Morgan zurück, als ich mich wie ein Fisch am Haken wand. Andy kroch durch die andere Tür, packte meine Handgelenke und riss sie in einem festen Griff über meinen Kopf. Dann kniete sich Morgan auf mich und setzte sich auf meinen Bauch. Mir wurde übel, als seine Augen meinen Körper mit sichtlicher Lust erkundeten. Er hielt etwas Spitzes hoch, das silbrig aufblitzte. Eine Spritze.
Er extrahierte Flüssigkeit aus einer kleinen Medizinflasche. Ich wusste, was auf mich zukam. Panisch stieß ich meine Hüften in die Höhe, um
ihn irgendwie von mir zu werfen, aber es half nichts. Morgan drückte mich nach unten, während Andy meine Arme weiter nach hinten zog. Es fühlte sich an, als würde er sie gleich aus meiner Schulter reißen.
»Nur die Ruhe, Kleines«, knurrte er mit einem bösen Grinsen. Eine Hand drückte auf meinen Bauch, um sich nach oben zu arbeiten. Die Metallstäbe in meinem Korsett gruben sich in meine Rippen. Er genoss sichtlich jede Minute und konnte sein krankes Lächeln nicht von seinem Gesicht wischen. Dann drehte er meinen Kopf zur Seite, bereit, die Nadel in meine Haut zu stechen.
»Draven wird dich dafür töten!«, brüllte ich, bevor er die Nadel tief in mein Fleisch bohrte.
»Draven wird mich holen. Er wird … Er …«
Doch die Worte verkeilten sich in meiner Kehle, als eine Wolke anfing, mich zu verzehren.
»Oh, darauf zählen wir, meine Liebe«, knurrte Andy.
Aber es war nicht mehr Andy.
Es war Sammael.
Ich wachte in einem Nebel auf, der meine Sicht trübte. Etwas fühlte sich falsch an, als wäre mein Körper nicht richtig positioniert, und es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, warum. Meine Hände waren verschnürt und über meinen Kopf gezogen, aber ich stand aufrecht. Die Erinnerungen kamen langsam zurück und machten meine Sinne etwas klarer. Ich wand mich in jede Richtung, aber es nützte nichts. Meine Hände waren an etwas an der Decke befestigt, sodass mein Körper herabhing wie ein Stück Fleisch vom Metzger. Ich schaute nach oben zu dem großen Haken, der an einer um einen Holzbalken
gewickelten Kette hing. Meine Füße berührten gerade noch den Boden, was es mir unmöglich machte, mich zu befreien.
»Du gehst nirgendwohin, Catherine. Nicht dieses Mal.«
Morgans Stimme kroch aus der Ecke des Raums, und ich erschrak bei dem Klang. Die Ketten über mir rasselten und quietschten, als ich mich bewegte. Ich drehte mich in jede Richtung, versuchte, irgendwie nach oben zu gelangen, aber ich war zu schwach. Morgan trat aus den Schatten und legte seine Hand über meinen Mund, als ich dabei war, den ersten Schrei auszustoßen.
»Schhhh … Beruhige dich, sonst muss ich dich wieder ruhigstellen. Also, wirst du ein braves Mädchen sein?« Ich konnte seine ekelhafte Haut schmecken, als er seine Hand auf meine Lippen drückte. Ich nickte nur. Alles, damit er mich nicht berührte und endlich seine Hand von mir nahm!
»Okay, kein Schreien mehr, und ich werde dir nicht mehr wehtun«, sagte er in dieser gruseligen Stimme, die mich in so vielen Alpträumen geplagt hatte. Aber als seine Hand von meinem Mund glitt, bewegte er sie zu meinem Hals um dort zu ruhen, während er mir lächelnd in die Augen blickte.
»Oh, wie sehr habe ich dich vermisst, Catherine. Jeden Tag habe ich von diesem Moment geträumt. Sie haben mir nicht einmal ein Bild von dir überlassen, also musste ich dich nur mit Hilfe meiner Erinnerung zeichnen«, fuhr er fort, als seine Hand weiter nach unten krabbelte, an meiner Brust vorbei und zu meinen Rippen. Mit seiner anderen Hand zog er mich näher, und mein Körper schwang an der Kette, was es mir unmöglich machte, mich von ihm zu distanzieren. Sein Gesicht war Zentimeter von meinem entfernt. Ich hielt den Atem an und schloss meine Augen. Hoffentlich würde mich Draven bald finden.
»Erinnerst du dich, wie es war, als wir noch zusammen waren? Wir waren so glücklich, und das werden wir bald wieder
sein. Ich verspreche dir, dass ich dieses Mal gut auf dich aufpasse.« Seine Hände packten meine Seiten, bis meine Augen tränten. Dann brachte er seine Lippen direkt über meine, und ich konnte nicht länger meinen Mund halten.
»Ich würde das nicht tun«,
flüsterte ich.
»Und wieso nicht, mein Mädchen?«, fragte er lächelnd, während seine Lippen über meinen verweilten, sodass ich seinem sauren Atem nicht entkommen konnte.
»Weil ich NICHT
dein Mädchen bin. Und der, dem ich gehöre, wird ausrasten, wenn er erfährt, dass du mich angefasst hast!« Hoffentlich klang ich so seriös wie die Warnung, die ich ihm mitteilen wollte.
»Oh, und was wird er wohl tun? Mir meine Seele nehmen?«, spuckte er aus. Ich konnte schon beinahe den billigen Whiskey schmecken.
»Er wird dich ganz einfach töten«, sagte ich ruhig. Zweifellos würde Draven nicht einmal mit der Wimper zucken, bevor er seine Gliedmaßen eine nach der anderen von seinen Knochen riss. Aber Morgan nahm sich seine Kontrolle zurück, indem er eine große Klinge hervorzog, die er an meinen Hals hielt. Ich winselte bei dem Anblick.
»Schhh, beweg dich nicht, bevor wir noch einmal so einen Unfall wie letztes Mal haben. Und na ja … Dieses Mal würdest du dich nicht davon erholen. Wie hat sich das überhaupt angefühlt? Ich bin neugierig. Muss wohl schrecklich gewesen sein, oder?« Er zog das scharfe Metall von meiner Haut und zeigte damit auf meine Arme.
»Das war es wert!« Mein Blut unter meiner Haut kochte. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, ich wäre ein verdammter Dämon!
»Tz, tz. Sag das nicht, Catherine. Das ist nicht nett. Dafür werde ich dich bestrafen müssen.« Seine freie Hand kroch
hinunter zu meinem Oberschenkel. Seine Berührung war so widerlich wie tausend Spinnen, die über meine Haut krabbelten.
»FASS MICH NICHT AN!«, schrie ich, als ich um mich schlug, aber die Klinge kam zurück zu meinem Hals, und ich hielt augenblicklich inne.
»Benimm dich!« Tränen fielen auf meine Wangen und landeten auf der kalten Klinge unter meinem Kinn.
»Bitte nicht!«, flehte ich, woraufhin seine Gesichtszüge etwas weicher wurden, aber leider hielt ihn das nicht davon ab, mich genau zwischen meinen Beinen zu berühren.
»MORGAN! Lass das«, knurrte eine strenge Stimme. Er zog widerwillig seine Hand zurück, zwinkerte mir aber zu, bevor er in seine Ecke zurück schlich und an seiner Hand schnüffelte. Galle schäumte in meinem Mund über.
Sammael sah noch immer wie Andy aus, nur trugen weder er noch Morgan ihre Uniformen. Ein paar Campinglampen erleuchteten das Zimmer und warfen grauenvolle Schatten über die Länge.
»Sie ist stark. Sehr stark sogar für einen Menschen«, grübelte Sammael in einer tiefen, furchteinflößenden Stimme. Er bewegte die Schatten um mich herum wie Seeschlangen. Ich konnte fühlen, wie sie an meiner Haut knabberten, aber es war nicht real. Trotz der Schmerzen versuchte ich, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Komm schon, Keira, denk nach! Ich musste stark sein, mich zusammenreißen. Ich fand Sammael in meinem Kopf und drückte ihn weg, wie ich es schon bei Draven gemacht hatte, als er in meinen Geist eindringen wollte. Die Schatten zerbröselten zu Staub, und der Schmerz ließ langsam nach. Ich konnte wieder atmen, und mein Körper kippte nach vorn, erschöpft von der Anstrengung.
Sammael klatschte in die Hände, als wäre das alles sehr unterhaltsam für ihn.
»Sehr gut, meine Liebe. Ich bin beeindruckt. In der Tat eine Seltenheit. Kein Wunder, dass Dominic Draven dich für sich beansprucht hat. Eine nette Ergänzung zu seinem Gefolge.«
»Ich habe dir gesagt, dass sie anders ist«, fügte Morgan stolz hinzu.
»Ja, gute Arbeit. Jetzt gib ihr etwas Wasser, bevor sie noch in Ohnmacht fällt. Ich brauche sie bei Sinnen für das, was ich vorhabe«, verkündete er, und meine Atmung geriet völlig außer Kontrolle. Morgan drückte ein Glas an meine Lippen, aber er konnte nicht widerstehen, seine Hand an eine verbotene Stelle zu legen. Als er das Glas von meinen Lippen zog, spuckte ich alles auf sein Gesicht.
»SCHLAMPE!«, fauchte er. Seine Hand krachte wieder auf mein Gesicht. Ich spürte, wie meine Lippe aufplatzte und das Blut mein Kinn hinunter tropfte. Mein Kopf kippte nach vorn, als Sammael lachte.
»Sie hat Temperament. Nun, das muss sie auch, um Dravens Appetit zu stillen«, meinte Sammael, hörbar amüsiert.
»Nein, auf keinen Fall hat sie mit ihm geschlafen!«, rief Morgan. Jetzt war ich diejenige, die lachte, aber ich war mir nicht sicher, warum. Vielleicht wurde ich schon verrückt.
»HALT DEN MUND!«, bellte er mich an.
»Zeig es ihr!«, richtete er dann sein Wort an Sammael, aber der blieb kühl angesichts Morgans Wutausbruch.
»Sie hat seine wahre Gestalt schon gesehen, Morgan. Ihr ist egal, wer er ist. Sei nicht so naiv. Natürlich hat sie ihn gefickt. Er wäre nicht in der Lage, so einer Versuchung zu widerstehen. Sicherlich hat er sie bei der ersten Gelegenheit zu der Seinigen gemacht.«
»Das glaube ich nicht!« Morgan war empört, was mich nur mehr zum Lachen brachte. Das war schließlich der einzige Gegenschlag, der mir blieb.
»Frag sie.« Sammael deutete zu mir. Keuchend kam Morgan auf mich zu. Sein Gesicht war verzerrt vor Hass. Die Schadenfreude, die ich dabei empfand, war nicht zu bändigen.
»Was er sagt, ist wahr. Ich gehöre jetzt ihm, und weißt du, was? Ich habe jede verfickte Minute genossen. Jetzt gehöre ich ihm, Arschloch!«, warf ich ihm über meine blutigen Lippen ins Gesicht. Er schlug wieder auf mich ein. Der Schmerz brannte auf meiner Wange. Das war es trotzdem wert gewesen. Dann ging er zu Sammael und gab ihm das Messer.
»Tu es. Wir hatten einen Deal«, fauchte er, aber Sammael hielt seine Hand hoch.
»Das haben wir, und ich werde meinen Teil der Vereinbarung erfüllen, aber ich werde das nicht brauchen.« Er grinste, und obwohl Andy eigentlich ein freundliches Gesicht hatte, schaffte er es, es bösartig und furchterregend aussehen zu lassen. Das Gesicht eines Killers, eines blutrünstigen Bastards. Mein Körper wurde steif vor Angst. Die Hoffnung erlosch langsam in mir. Draven hatte mich immer noch nicht gefunden. Meine Zeit war um.
Mit jedem Schritt, den Sammael machte, erhöhte sich meine Herzfrequenz. Jeder Herzschlag ratterte in meinem Brustkorb. Tränen rannen unkontrolliert mein Gesicht hinunter. Mein Körper bebte so stark, dass die Ketten gegen den Holzbalken schlugen. Morgan positionierte sich hinter Sammael für eine bessere Sicht. Sein krankes Hirn genoss es, mich panisch und völlig angsterfüllt zu sehen.
Dann krallte sich Sammaels Hand in meine Taille. Gewaltsam riss er mich zu sich, und ich konnte spüren, wie der Holzbalken über mir unter dem Druck schwankte. Ein stechender Schmerz schoss meine Seite hoch, und ich winselte.
»Nur um dich zu warnen, meine Liebe … Das wird wehtun«,
summte er, während er seine Lippen leckte. Ich konnte den schwarzen Teer riechen, der mir schon im Traum
untergekommen war. Er packte meinen Arm, riss meinen Handschuh weg und enthüllte meine Narben, die jetzt feurig rot glühten von der Hitze, die durch mein Blut floss. Schweißperlen liefen mir über die Stirn und tropften auf meine Lippen, wo sie sich mit Tränen und Blut vermischten.
»Warum benutzen wir nicht deinen Arm? Den bevorzugst du doch, nicht wahr?« Sein mörderisches Grinsen war widerlich. Er hielt eine Hand hoch und zeigte mir die tödlichen Krallen, die aus seinen Nägeln wuchsen. Sie erinnerten mich an Avas. Schwarz und messerscharf. Er tat es nicht schnell, oh nein, sondern qualvoll langsam. Vier lange Risse schlitzte er mir in die Haut, und ich heulte vor Schmerzen.
»DRAVEN!« Sein Name hallte in der Nacht, bis ich nicht mehr schreien konnte und mir der Atem ausging. Die Schmerzen verkrampften meinen Körper. Ich stand kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, während ich an den Ketten baumelte wie ein schwerer Sack. Holzsplitter rieselten auf den Boden, als das Metall gegen den Balken rieb. Ich konnte spüren, wie Blut aus meinem Arm schoss, mein Kleid durchtränkte und zu meinen Füßen tropfte. Mein Kopf fiel nach hinten, und meine Augen verdrehten sich in ihren Höhlen. Ich wollte nur noch in Ohnmacht fallen. Worte schwirrten um mich herum, doch ich registrierte sie kaum. Da war nur Schmerz und Blut.
Dann legte er seine Hand über die strömende Wunde und füllte meine Adern mit dem Feuer der Hölle. Es fühlte sich an, als würde sich mein Blut mit Lava vermischen, das brennende Böse. Ich konnte nichts hören außer meiner eigenen Schreie. Immer wieder brachen sie aus und füllten den Wald mit dem Lärm meiner Qualen.
»Er wird bald hier sein. Er hat dich sicher schon gehört und weiß, wo du bist«, sagte Sammael, als würde er sich darauf freuen, Draven endlich gegenübertreten zu können. Erschöpft hing ich an den Ketten. Das Blut hatte aufgehört, von meiner
Wunde zu tropfen, und als ich nach oben blickte, bemerkte ich, dass meine Haut rot leuchtete von dem Effekt, den seine Berührung hinterlassen hatte. Als ich meinen Kopf senkte, schrie ich bei Sammaels Anblick.
Sein Gesicht war noch hässlicher als in meinem Traum. Der schwarze Teer um sein Gesicht herum war lebendig, wand sich hinein und hinaus aus seiner toten, grauen Haut, als wäre die Substanz das Einzige, das ihn noch zusammenhielt. Blut ergoss sich aus seinen ekelhaften Lippen und regnete wie meines auf den Boden. Die rauen Metallnähte, die einst seine Lippen vernäht hatten, waren aufgeschnitten, nach außen gebogen und durchbohrten seine rissige Haut.
Der Anblick ließ mich fast kotzen, und ich wusste, genau das würde passieren, wenn er mir wieder näherkam. Seine Flügel wickelten sich um seinen Körper wie ein Tuch, das an den Enden mit Krallen versehen war. Sie bestanden nicht aus Federn wie bei Draven, sondern sahen aus wie Finger mit Schwimmhäuten, schwarz und tropfend mit Teer. Das war es, was Morgan mich sehen lassen wollte. Er wollte mir Dämonenformen zeigen, in der Hoffnung, dass ich vor Draven davonlaufen würde, wenn ich seine wahre Gestalt sah. Er war ein Narr, geblendet von Illusion. Sammael hatte ihm gesagt, es wäre vergebens, doch er wollte es nicht wahrhaben.
»Ich werde jetzt gehen. Er wird gleich hier sein. Ich muss die anderen herbeirufen. Du erinnerst dich doch noch an deinen Teil der Abmachung, Morgan, oder?« Sammael legte eine lange, schuppige Hand auf seine Schulter, da Morgan seine Augen nicht von mir nehmen konnte.
»Morgan!«
»Ja, natürlich … Afterlife«,
antwortete er. Ich schluckte. Was hatten sie vor? Dann wurde es mir klar. Wahrscheinlich wollten sie Draven hierherlocken, um den Club zu stürmen. Wollten sie
wirklich versuchen, Afterlife zu Fall zu bringen? Oh, nein, es war eine Falle!
»Nein, das könnt ihr nicht tun!«, rief ich verzweifelt. Sammael lachte und spuckte mehr Blut, das wie Säure blubberte, als es auf den Boden traf.
»Darüber musst du dir nicht den Kopf zerbrechen, meine Liebe. Du hast deinen Part erfüllt. Vielleicht werden wir uns in einem anderen Leben wiedersehen, aber für den Moment werde ich dich Morgan überlassen«, sagte er und biss seine Zähne zusammen, die über seinen genagelten Lippen hingen. Die Drähte waren im Weg, und das Schleifen von Knochen gegen Metall erzeugte ein grauenhaftes Geräusch.
»Warum machst du das?« Winselnd versuchte ich, mich hochzuziehen, aber meine Handgelenke bluteten an den Stellen, wo meine Fesseln die Haut aufgescheuert hatten.
»Aus Rache, natürlich. Dein geliebter Draven hat mir das angetan.« Er zeigte auf seinen verdrahteten Mund.
»Er und sein Bruder dachten, sie hätten das Recht, sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Als wären sie das Gesetz! Nachdem mein Partner Belphegor keine Verwendung mehr für mich hatte, bat er deinen dunklen Prinzen um Hilfe, mich für immer zum Schweigen zu bringen«, sagte er bitter.
»Aber wie du siehst, habe ich einen Weg gefunden, und dank dir bekomme ich endlich Vergeltung. Er ist nicht der Einzige mit Macht, und jetzt habe ich einen Vorteil. Siehst du, ich habe nichts zu verlieren, denn sie haben mir alles gestohlen. Jetzt hat Draven einen Schwachpunkt, und schon bald wird er zu spüren bekommen, was ich unter seiner Hand ertragen musste. Er hat mir alles genommen, und jetzt werde ich ihm alles nehmen. Alles!«
Mit einem letzten Schnapper seiner Zähne verließ er den Raum, und mir wurde endlich klar, wo ich mich befand – in der Blockhütte im Wald, wo ich hingefallen war. Der Mond
saß noch strahlend hell am Himmel, und ohne Wolken, die ihn verdeckten, überflutete sein Licht die Hütte.
Gleich nachdem Sammael uns verlassen hatte, schlich Morgan gierig auf mich zu, wie die Kakerlake, die er war. Seine schmutzige Hand fuhr meinen vernarbten Arm hinunter.
»Jetzt werden wir für immer zusammen sein, Catherine. Dafür werde ich sorgen«, sagte er, als ob das etwas wäre, was ich hören wollte. Ich versuchte ein letztes Mal, ihn zur Vernunft zu bringen, auch wenn es bei einem Wahnsinnigen wie ihm wahrscheinlich zwecklos war. Ich sprach seinen richtigen Namen zum zweiten Mal in meinem Leben aus, und es fühlte sich an, als würde der Klang meinen Mund mit Säure füllen.
»Douglas, bitte, ich bin nicht deine Schwester. Mein Name ist Keira, nicht Catherine. Du willst mich nicht. Es ist Catherine, die du suchst.« Zuerst wirkte er schockiert, bevor seine Mimik Züge von Wut annahm.
»Mein Name ist Morgan, und dir ist es nicht erlaubt, über meine Schwester zu sprechen. Sie hat mich geliebt!«, kreischte er. Das war vielleicht meine letzte Chance, Zeit zu gewinnen.
»Was ist mit ihr passiert?«, fragte ich ihn, da er sich von mir abgewandt hatte. Somit hatte ich zumindest Fortschritte gemacht.
»NEIN, NEIN, NEIN!«, schrie er hysterisch, bevor er anfing, sich selbst auf den Kopf zu schlagen. Ich konnte nur hoffen, dass er härter zuschlagen und sich dabei selbst außer Gefecht setzen würde.
»Du darfst ihren Namen nicht aussprechen, NIEMALS! Sie hat mich nicht verlassen.« Nach unten gebeugt ergriff er seinen Kopf mit beiden Händen und riss schmerzvoll an seinen Haaren. Er hatte völlig den Verstand verloren. Er brauchte Hilfe, so viel war klar.
»Sprich mit mir, Douglas. Sag mir, was mit ihr geschehen ist«, versuchte ich, ihn mit beruhigender Stimme zu beschwichtigen.
»Ich habe sie geliebt! Und sie hat mich geliebt. Alles war perfekt, bis er
aufgekreuzt ist.«
»Wer?«
»Dieser Junge. DIESER RICHARD!
Ich habe ihn gehasst. Ich habe ihn verabscheut, aber sie wollte, dass ich ihm eine Chance gebe. Wie er meine Catherine ansah … SIE GEHÖRTE MIR!« Er zitterte wie ich am ganzen Körper. Dann kam es.
Das Geständnis einer verdorbenen Seele.
»Ich habe die beiden erwischt. Sie liebte jetzt ihn, nicht mehr mich. Als ich ihr verboten habe, ihn wiederzusehen, rastete sie aus. Sie verstand es nicht. Er liebte sie nicht, nicht so wie ich. Ich wollte sie doch nur beschützen!« Seine Arme flogen dramatisch in die Höhe, als er sich in seiner Geschichte verlor.
»Ich ertappte sie dabei, wie sie sich hinausschlich, um ihn zu treffen, also folgte ich ihr. Sein Auto war nicht so gut wie meins … Und auch nicht seine Bremsen«, murmelte er mit einer unheimlichen, schadenfrohen Stimme. Ich erschauderte. Dieser Mensch war das pure Böse. Seine Krankheit hatte schon vor langer Zeit seinen Verstand verschlungen.
»Ich rammte sie direkt gegen einen Baum und stellte dann meinen Wagen ab, um zu sehen, wie er in Flammen aufging. Aber ich wollte näher ran. Ich wollte sein Gesicht sehen. Dieses verdammte, perfekte Gesicht …« Die Worte kamen so angespannt aus seinem Mund, dass es sich anhörte, als wäre er am Ersticken.
»Ich wollte ihn verstümmelt sehen, Knochen ohne Fleisch, damit meine Schwester die Wahrheit sehen konnte. Aber als ich sie sah, waren sie beide noch am Leben. Meine Schwester rief nicht meinen Namen. Nein, sie rief seinen!
Nach allem, was ich für sie getan hatte. Er hatte sie vergiftet, sie gegen mich
aufgehetzt. Sie mussten bestraft werden, und es war mein Recht, sie zu bestrafen. Also wartete ich, bis all das Benzin ausgetreten war, nahm ein Feuerzeug und schickte sie dorthin, wo sie hingehörten!«
Tränen traten aus meinen Augen, als er seine seelenzerreißende Geschichte beendete. Der verzweifelte Versuch eines armen Mädchens, wahre Liebe zu finden, nur um von ihrem Bruder aus Eifersucht ermordet zu werden. Galle kam in mir hoch und ich spuckte sie zur Seite. Das war krank, verrückt und unfassbar grausam!
»Du siehst also, Catherine, du wirst mich nicht mehr verlassen. Nicht für einen anderen Richard. Dieses Mal werde ich dich behalten. Für immer!« Er kam mir wieder näher und legte seine Hände auf mich, als wollte er beweisen, dass mein Körper ganz allein ihm gehörte.
»Bitte, Douglas, du willst das nicht tun«, flehte ich, als seine Hände um meinen Rücken glitten, hinunter zu meinem zerrissenen Rock. Er packte den ganzen Stoff in seinen Händen. Der Gedanke daran, was er mit mir anstellen wollte, war unerträglich.
»Jetzt bin ich an der Reihe. Ich wollte eigentlich warten, bis wir vor Gott den Bund der Ehe eingehen, aber da du es ja schon mit diesem Ding
getrieben hast, diesem Scheusal,
kann ich es auch gleich hier und jetzt tun, noch bevor er hier aufkreuzt. Wäre das nicht ein schöner Anblick für ihn?« Verzweifelt versuchte ich, ihm zu entkommen, aber jede Bewegung schoss einen stechenden Schmerz in meine wunden Handgelenke.
»Beruhige dich, meine Liebe. Du wirst noch lernen, mich zu lieben … mit der Zeit. Und wir haben viel Zeit.«
Er küsste meinen Hals und arbeitete sich langsam nach oben zu meinem Gesicht. Seine Hände hielten meinen Rücken fest und zogen mich hart an ihn heran. Ich biss so hart wie ich konnte in seine Unterlippe. Sein Blut floss in meinen Mund. Schreiend
wich er zurück und schlug eine Hand auf seine blutigen Lippen. Angewidert spuckte ich sein Blut auf den Boden. Es war mir egal, was mir als Nächstes blühte. Meine Seele gehörte nur einem Mann, und ich würde es diesem Ekelpaket alles andere als einfach machen.
»Das war nicht nett. Weißt du, was mit bösen Mädchen passiert?« Er ohrfeigte mich so hart, dass mein Kopf zur Seite schnalzte wie bei einer Stoffpuppe. Aber diesmal hatte ich nicht so viel Angst wie damals. Ich war nicht mehr das jämmerliche Mädchen, das zitternd in einem Keller verrottete. Ein hämisches, tiefes Lachen kam von meinen blutigen Lippen. Schon fast … dämonisch.
»Hör auf zu lachen!« Seine Rückhand schlug wieder auf mich ein, in dem Versuch, mich unter Kontrolle zu bekommen, aber ich war nicht mehr aufzuhalten.
Dann hörte ich ein Geräusch. Das schönste, das ich je gehört hatte, und mein unheimliches Gelächter verwandelte sich in einen mörderischen Schrei.
»AVA!« Morgans Kopf peitschte zur Tür, die im Wind klapperte. Ava stieß ein hohes Kreischen aus, als sie mich hörte. Meine Rettung war auf dem Weg.
»Bist du bereit, Morgan?« Meine Stimme war eiskalt. Blutrünstig. Völlig fremd.
»Bereit wofür?«, fauchte er und drohte mir wieder mit seinem Messer, als hätte er die Oberhand. Mit einem abscheulichen Grinsen blickte ich zu ihm hoch und flüsterte:
»Für meine Rache!«