Achtzehn
Es war der Abend, an dem alles begann. An dem das mit Caja begann.
Aus den drei Teenagern waren Männer geworden, zwanzig und einundzwanzig Jahre alt. Wenn man sie nicht kannte, würde man nie vermuten, zu was sie in der Lage waren. Jung, intelligent, überaus attraktiv. Eine gefährliche Mischung, die sie ausnutzten.
Zwar kam es immer seltener zu Gewaltexzessen, aber das nicht etwa, weil sie zur Besinnung gekommen waren, sondern schlichtweg fürchteten, irgendwann doch erwischt zu werden, da man verstärkt nach diesen drei Männern suchte, die immer mehr Mädchen zu ihren Opfern machten. Mittlerweile genossen sie es daher, ihre Mitmenschen auf eine subtile, hintergründige Art zu demütigen, indem sie ihnen klar machten, wer der Überlegene war, in jeglicher Hinsicht. Sie bewegten sich nur Millimeter vor der Grenze zum Strafbaren, überschritten sie aber nicht mehr, zumindest was ihre Handlungen gegenüber anderen betraf.
Es machte ihnen Spaß, ein Mädchen mit nach Hause zu nehmen, ihr vorzuspielen, dass sie etwas Besonderes war, um sie dann fallenzulassen wie eine heiße Kartoffel.
Doch der Durst nach Blut, der Durst nach Gewalt rumorte immer noch in ihnen, wie ein knurrender, ausgehungerter Wolf.
Da es ihnen nicht reichte, Frauen psychisch zu demütigen, suchten sie sich eine neue, körperliche Beschäftigung – sie brachen in teure Häuser ein, deren Bewohner nicht zu Hause waren, und schlugen alles kurz und klein, was sich zerstören ließ.
Der Rausch, dem sie dabei verfielen, war fast so beflügelnd wie der, einen Menschen bis in die Bewusstlosigkeit zu misshandeln.
An diesem, in jeglicher Hinsicht besonderen Abend besuchten sie eine angesagte, überteuerte Bar in der Stadt. Bei Erik und Lejs floss reichlich Alkohol, Casper war nicht in der Stimmung dafür. Eigentlich hatte er allgemein vor, sich etwas von den beiden zu distanzieren. Erik war sein bester Freund, ja, um ihn tat es ihm auch leid, aber er wusste, dass sein Freund nicht in der Lage sein würde, sich von Lejs abzukapseln. Dafür war er emotional viel zu abhängig von ihm.
Casper war es satt. Er war es satt, so zu denken, so zu fühlen, wie er es tat, aber gleichzeitig hatte er auch nicht die Kraft, es ein für alle Mal zu beenden. Stattdessen hoffte er, sich schrittweise von den beiden trennen zu können, indem er immer mal wieder absagte, wenn sie sich verabredeten.
Außerdem wollte er in der Firma seines Vaters anfangen, wofür er aber vorher studieren musste.
All das hatte er sich eigentlich vorgenommen. Hätte er gewusst, dass es ganz anders kommen würde, wenn er in dieser Nacht sich nochmal überreden lassen würde, mit durch Bars und Clubs und später verlassene Häuser zu ziehen – vielleicht wäre er dann wirklich zu Hause geblieben.
Doch das war er nicht. Lejs und Erik holten ihn ab, er konnte also praktisch nicht Nein sagen.
Gleich in der ersten Bar stießen sie auf eine Gruppe sehr ansehnlicher und, wie sie schnell feststellten, williger Mädchen.
Da sie wirklich sehr gut aussahen und Casper lange keinen Sex mehr gehabt hatte, hoffte er sogar wirklich, dass dieser Abend für ihn mit einem befriedigenden Erlebnis enden würde.
Den Damen ging es offenbar ähnlich. Nach nicht mal einer Stunde waren sowohl Erik als auch Lejs mit einem Taxi und je einer vollbusigen Frau davongebraust. Nur noch Casper war übrig, doch er hatte immer noch eine mehr als zufriedenstellende Auswahl.
Letztendlich entschied er sich für die wohlproportionierte Blondine mit dem vielversprechend frechen Grinsen. Wenn sie das behalten würde und genauso kess im Bett war, konnte das wirklich guter Sex werden.
Ihre unartige Art verlor sie genau in dem Moment, als Casper ihr einen Drink spendierte und sie sich, still von ihren Freundinnen angefeuert, zu ihm setzte.
Sie war unsicher, wodurch Casper sofort die Lust verlor, aber immerhin hatte er sie jetzt schon eingeladen und die Preise in der Bar waren wie gesagt astronomisch hoch. Deswegen lud er sie trotzdem zu sich nach Hause ein, wo ihre Bekanntschaft genauso enttäuschend endete, wie er es ab dem Moment vermutet hatte, als sie so schüchtern »Hi« gesagt hatte.
Seit Casper von Erik und Lejs angerufen worden war, waren nur wenige Minuten vergangen. Casper nahm an, dass die zwei ihre Bar-Mädchen beide mit zu Erik genommen hatten, da sie so was öfter taten und nun grinsend vor Caspers Haustür standen.
»Was hast du deinem Schnittchen angetan, dass sie heulend dein Haus verlassen hat?«, fragte Erik amüsiert. Er hatte bereits eine neue Bierflasche in der Hand, die er mit seinem Feuerzeug zischend öffnete.
»Sie hat’s einfach nicht gebracht«, murmelte Casper, während er sich Schuhe überstreifte und nach der Lederjacke in der Garderobe griff.
»Du hättest mit uns mitkommen sollen. Unsere haben es definitiv gebracht«, prahlte Erik, der noch einen roten Lippenstiftabdruck am Hals vorzuweisen hatte, den er Casper vielversprechend zwinkernd präsentierte. »Und ihre Lippen waren nicht nur dort sehr geübt.«
Casper seufzte genervt, zog hinter sich die Tür ins Schloss und nickte Richtung Straße. »Können wir dann?«
Er fühlte sich körperlich vollkommen unausgelastet, weswegen er sich die Angebereien seines Freundes nicht mehr anhören, sondern so schnell wie möglich loswollte.
»Klar, wo geht’s heute hin?«, fragte Lejs deutlich nüchterner als Erik.
Achselzuckend lief Casper voran. »Wir werden sehen.«
Dass sie ausgerechnet das Haus von Cajas Vater dazu auserkoren hatten, ihr heutiger Spielplatz zu sein, war ein unglücklicher Zufall. Obwohl es einige Sicherheitsmaßnahmen gab, die Casper aber aus seinem eigenen Haus kannte, mogelten sie sich doch auf das Grundstück und da die Tür zum Garten nicht verschlossen war, mussten sie nicht mal ein Schloss aufbrechen.
»Ich wollte auch immer einen Pool haben«, schwelgte Erik in Erinnerungen und tauchte seine Hand in das angenehm lauwarme Wasser.
»Bist du hier, um planschen zu gehen oder um das verschissene Haus zu zerlegen?«, fragte Lejs. In seiner Stimme schwang sowohl Belustigung als auch Vorfreude mit.
»Also von mir aus können wir auch schwimmen gehen. Mein Schwanz könnte eine Abkühlung gebrauchen«, lachte Erik.
Kopfschüttelnd drückte Casper die Terrassentür, die einen Spalt breit geöffnet war, vollständig auf, trat ins Innere und fand schließlich den Lichtschalter.
»Sicher, dass keiner da ist?«, fragte Erik, der ihm und Lejs gefolgt war, als er sich so umsah.
»Klar, oder hast du irgendwo ein Auto gesehen?«, entgegnete Lejs sicher.
»Vielleicht haben die ja eine Garage«, überlegte Erik schulterzuckend.
»Hast du ein Garagentor gesehen?«
Eriks Schweigen genügte Lejs, der sich umsah und nachdachte, was er als Erstes kaputt machen konnte. Entschieden lief er zur ausladenden Essecke und trat mit voller Kraft gegen einen der eleganten Designerstühle, der über den Boden rutschte und zwei weitere Stühle mit sich zu Boden riss.
Casper griff bestimmt nach einer Vase vom Tisch, die er in seinen Händen wiegte, bevor er sie mit einem lauten Krachen in die gläserne Front Richtung Pool schleuderte.
Ein Lachen brach aus ihm heraus, so gut fühlte sich das an.
»Ich sehe mich mal oben um«, kündigte er an, als er die Treppe ins Obergeschoss entdeckt hatte. Während er die Stufen nach oben erklomm, brach hinter ihm ein regelrechtes Konzert aus Geräuschen von zerscheppernden Gegenständen aus.
In der zweiten Etage waren alle Türen verschlossen, bis auf die zum Badezimmer. Ein ungutes Gefühl kam in seiner Brust auf, das er jedoch ignorierte.
Den Spaß, den er gerade hatte, wollte er sich nicht verderben lassen von seiner albernen Paranoia.
Vielleicht würde er ja nach dieser Nacht aufhören damit. Vielleicht würde er es ja wirklich schaffen, seinen eigenen Weg zu gehen. Frei von Lejs, frei von Erik.
Deswegen musste er es noch einmal genießen.
Vollgepumpt mit Adrenalin schlenderte er durch den Flur, öffnete mal hier, mal da eine Tür, doch er fand nichts, was interessant genug war, um einzutreten.
Bis er zu diesem einen, speziellen Zimmer kam, zu dem er sich nichtsahnend Zutritt verschaffte.
»Scheiße, autsch! Verfluchter Mist, gottverdammter! Mann, tut das weh!«
Verwundert beobachtete er das Mädchen, das vor ihm auf einem Fuß hin und her sprang und laut vor sich hin fluchte. Soweit er das einschätzen konnte – immerhin verzog sie schmerzverzerrt das Gesicht –, war sie ein relativ kleines, aber sehr schönes und außerdem ziemlich leicht bekleidetes Mädchen. Ihre langen dunklen Haare sprangen, genau wie sie, auf und ab und versperrten manchmal die Sicht auf ihr hübsches Gesicht.
Reiß dich zusammen, Casper! Du weißt, was das bedeutet!
Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, dass da tatsächlich jemand vor ihr stand, zu dem sie nun aufblickte. Augenblicklich versuchte er, nicht länger verblüfft, sondern zornig auszusehen.
»Was machst du denn hier?«