Tod durch Pfannkuchen
Februar ist ein düsterer Monat. Das liegt an dem ständigen Nieselregen, dem Wind und dem tristen Grau in Grau. Meine Pullover sind schon ganz flusig und verfilzt, da ich sie nie ausziehe. Während ich versuche, mich an der Bushaltestelle unterzustellen, scrolle ich durch die Bikini-Selfies eines gewissen Models, das sich auf weißen Sandstränden rekelt.
»Die Frau ist über fünfzig! Wie macht sie das?«, frage ich Michelle, als sie mich später anruft und wissen möchte, ob ich an Max’ Geburtstag nächsten Monat auf die Kinder aufpassen kann.
»Keine Ahnung, aber sie ist wirklich eine Quelle der Inspiration. Vielleicht isst sie viel Salat?«
»Wer will denn bitte schön bei dieser Kälte auf einem Kopfsalat herumkauen? Mein Körper schreit nach Wohlfühlessen!«
Das erklärt natürlich, warum ich kein Bikini-Selfie aufnehme und auch niemals aufnehmen werde.
»Meiner auch! Bei den Pfannkuchen heute Abend werde ich ganz schön zuschlagen.«
»Pfannkuchen?«
»Heute ist doch fetter Dienstag, Pfannkuchentag. Hast du das etwa vergessen?«
Ja, das hatte ich vollkommen vergessen, jetzt verspüre ich jedoch eine Welle aus knusprig-gebratener zuckrig-zitroniger Vorfreude in mir aufsteigen. Das ist tatsächlich einer der Gründe, warum es schön ist, im Februar in London zu sein
.
»Danke für die Erinnerung, ich frage mich nur, ob mein Vermieter eine Bratpfanne besitzt.«
»Wie ist er denn eigentlich so? Nett?«
»Momentan streiten wir uns um das Thermostat und die Spülmaschine.«
»Klingt, als wärt ihr verheiratet«, sagt sie, lacht und hält dann plötzlich inne. »Entschuldige, ich wollte nicht taktlos sein …«
»Ach Quatsch, keine Sorge«, versuche ich sie ebenso wie mich selbst zu überzeugen.
Dann höre ich Kinderstimmen im Hintergrund. »Sie sind so aufgeregt darüber, dass sie die Pfannkuchen wenden dürfen«, vertraut mir Michelle an. »Sie losen gerade aus, wer als Erstes dran ist. Freddy will davon natürlich nichts wissen. Hoffentlich habe ich genug Teig gemacht. Letztes Jahr hat er fünf Pfannkuchen …«
»SECHS
!«, ruft Freddy ihr zu.
»Ich glaube, dieses Jahr werde ich ihn schlagen. Das ist einer der Vorteile daran, schwanger zu sein, so viele Pfannkuchen essen zu können, wie man möchte.« Sie lacht.
»Und was ist dann meine Entschuldigung?«, witzle ich, aber tief in mir schmerzt es plötzlich. Unterschiedlicher könnten unsere Leben kaum sein. Michelle in ihrer heimischen Glückseligkeit: hochschwanger und glücklich verheiratet in einem wunderschönen Zuhause. Plötzlich fühle ich mich einsamer als je zuvor.
»Bist du dir sicher, dass das mit dem Babysitten passt?«
»Ja, natürlich. Dann kann ich endlich mal wieder Zeit mit meinem Patenkind verbringen …«
»Danke noch mal, Nell. Bis bald.«
Nachdem wir aufgelegt haben, mache ich mich auf die Suche nach einer Bratpfanne. Was soll’s, dass nur ich da bin. Mehr Pfannkuchen für mich. Ich werde ganz hinten in einem Schrank fündig, gehe kurz vor die Tür, um in einem Lädchen
um die Ecke die nötigen Zutaten einzukaufen, und widme mich dann dem Teig.
Als Kind habe ich mich immer riesig auf den Pfannkuchentag gefreut. Meine Mutter machte die Pfanne heiß, und dann durfte jeder von uns Pfannkuchen wenden. Meinem Bruder Rich gelangen immer diese perfekten doppelten Saltos. Meine Pfannkuchen hingegen landeten irgendwo, nur nicht in der Pfanne. Es war so absurd, dass es zu einem dieser typischen Familienwitze wurde.
»Wo werden Nells Pfannkuchen wohl dieses Jahr landen?«, fragte Dad lachend, während sie sich in der gesamten Küche verteilten. Ich glaube, der absolute Gewinner war der Pfannkuchen, der an der Decke kleben blieb und von der Lampe zu Ende gebrutzelt wurde, weshalb Mum besorgt loskreischte, weil sie dachte, das ganze Haus würde in Flammen aufgehen. Was für eine Vorstellung. Tod durch Pfannkuchen.
Aber Pfannkuchentag ist auch nicht mehr das, was es einmal war, so ganz allein mit Artus. Er lauert darauf, dass mir etwas auf den Boden fällt, um es sich zu schnappen. Trotzdem ziehe ich es durch und öffne gerade den obersten Knopf an meiner Jeans und frage mich, ob ich mir einen vierten Pfannkuchen gönnen soll, als ich den Schlüssel im Schloss höre und Edward von der Arbeit nach Hause kommt.
Plötzlich überfällt mich Panik. Die Küche sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ich reiße mich zusammen, als er in seiner Warnjacke in die Küche tritt, er trägt sein Klapprad und schnüffelt wie ein Bluthund. »Was kochst du?«
»Pfannkuchen …« Ich zeige auf die Bratpfanne.
»Natürlich. Es ist ja fetter Dienstag.« Er stellt sein Fahrrad ab und nimmt den Helm vom Kopf. »Mmh, Pfannkuchen habe ich schon seit Jahren nicht mehr gegessen.«
Ich hatte einen Tadel für den Zustand der Küche erwartet.
»Gibt es in Frankreich keinen Pfannkuchentag?« Ich muss an seine Frau Sophie denken
.
Er nickt. »Doch, La Chandeleur. Aber natürlich mit Crêpes, wie auch sonst.«
Ach, deshalb sind französische Frauen nicht dick. Sie essen nur dünne Pfannkuchen.
»Sophie isst sie nicht. Sie achtet lieber auf ihre Linie.«
Die Entscheidung gegen Pfannkuchen Nummer vier ist gefallen.
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich …?« Er zeigt auf die große Schüssel mit Teig. »Sie riechen einfach zu verführerisch.«
»Nein … nein, überhaupt nicht, greif zu. Ich würde dir ja anbieten, dir einen zu machen, aber im Wenden bin ich eine ziemliche Null.«
»Echt? Das war immer meine Stärke. Das kommt vom jahrelangen Tennisunterricht, ausgezeichnete Reflexe.« Er krempelt sich die Ärmel hoch und gibt Teig in die Pfanne, vorsichtig verteilt er ihn, bis der gesamte Boden bedeckt ist und der Pfannkuchen langsam goldbraun wird, dann wirft er ihn mit gekonntem Schwung aus dem Handgelenk in die Luft, ein echter Experte. Er landet perfekt. »Tada!« Er grinst breit und strahlt über das ganze Gesicht. Ich bin baff. Diese Seite von ihm kannte ich noch nicht.
»Wow, fantastisch.« Ich applaudiere ihm, und er deutet eine Verbeugung an.
»Hier, versuch es doch auch …«
»Nein, wirklich besser nicht. Du möchtest vermutlich keine Pfannkuchen an deiner Decke kleben haben.«
»Ich habe früher Tennisstunden gegeben. Guck, ich zeige es dir …« Er lässt eine weitere Kelle Teig in die Pfanne laufen, und bevor ich michs versehe, bekomme ich Nachhilfe im Pfannkuchenwenden. Nach ein paar kläglichen Versuchen – einer wickelt
sich tatsächlich um den Wasserkocher – landet, wer hätte das gedacht, tatsächlich einer in der Pfanne. Eine echte Premiere! Unglaublich!
Wofür ich dankbar bin:
- Ich danke dir, Jesus, für die Pfannkuchen.
- Meinen Vermieter Edward, der nicht nur mein Begleiter an diesem Pfannkuchentag war, sondern auch noch vorgeschlagen hat, sie mit Nutella und Marshmallows zu dekorieren: So viel leckerer als diese ganzen glutenfreien Versionen mit Blaubeeren, fettreduziertem Joghurt und Chia-Samen, die meine Feeds verstopfen.
- Nicht Michelles Küche aufräumen und putzen zu müssen, die auf den Fotos, die sie mir später schickt, nicht gerade nach heimischer Glückseligkeit aussieht, sondern eher wie eine Szene aus einem Horrorfilm.
- Niemals ein Bikini-Selfie aufnehmen zu müssen. Letztendlich habe ich sieben Pfannkuchen gegessen und bin jetzt offiziell ein Fresssack.
- Schlafanzughosen mit Gummizug.