Valentinstag
Dieses Jahr beachte ich ihn einfach nicht. Tue einfach so, als sei nichts passiert. Was allerdings nur eins bedeuten kann:
Absolute Social-Media-Abstinenz
.
Zum Glück hat mir der Valentinstag noch nie besonders viel bedeutet. In der Schule gehörte ich eher zu den Spätentwicklern, also hielt sich die Zahl meiner geheimen und auch aller anderen Bewunderer in Grenzen. Aber ich hatte natürlich meinen Dad, der mir jedes Jahr eine Karte schickte, die mit in Liebe
in seiner Handschrift unterschrieben war, und jedes Jahr tat ich, als wüsste ich nicht, von wem sie stammte.
Als ich älter wurde, bekam ich meinen gerechten Anteil an Karten und Blumensträußen, aber es fühlte sich immer zu künstlich an. Romantik muss doch noch mehr sein als überteuerte Blumen und hochpreisige Restaurants.
Zum Glück dachte der amerikanische Verlobte
darüber ähnlich wie ich, also verabredeten wir in einem Jahr, den Valentinstag einfach ausfallen zu lassen. Wir liebten einander. Wir mussten uns das nicht an einem bestimmten Tag beweisen. Aber dann ignorierte er ihn tatsächlich.
»Warum regst du dich so auf? Du hast doch gesagt, das sei alles nur kommerzieller Quatsch.«
»Das stimmt ja auch, aber ich fasse es einfach nicht, dass du mir noch nicht einmal eine Karte geschrieben hast.«
»Aber es war doch deine Idee, den Valentinstag dieses Jahr ausfallen zu lassen.
«
»Ja, aber das heißt ja noch lange nicht, dass du das wirklich
tun sollst.«
»Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich dachte, das wüsstest du!«
»Was? Dass meine Freundin in Rätseln spricht?«
»Hör auf zu schreien!«
»Ich schreie nicht. Du schreist.«
Manchmal wundere ich mich wirklich nicht darüber, wenn es heißt, Frauen und Männer reden aneinander vorbei. Nur weil man einmal etwas gesagt
hat, heißt das doch noch lange nicht, dass das wirklich so gemeint
ist. Das würde ja schließlich auch bedeuten, dass, wenn ein Mann eine Frau fragen würde, was los sei, und sie darauf »nichts« antwortet, sie tatsächlich nichts
meinen würde und nicht, dass sie aus einer Vielzahl von Gründen sauer auf ihn ist und er schleunigst herausfinden sollte, aus welchen.
Na ja, egal, dieses Jahr befinde ich mich schließlich eh in der Valentinstag-Abstinenz. Was auch nicht schwer ist, wenn man bedenkt, dass ich von zu Hause aus arbeite und nicht ins Büro muss. Aber das Warten bei der Bank bringt mich schließlich doch zu Fall. Haben Sie jemals versucht, Social Media vollständig zu boykottieren, während Sie in einer Warteschlange standen? Ungefähr zwei Minuten lang versuche ich mich in Achtsamkeit zu üben, dann gebe ich auf und scrolle mich durch unendlich viele Fotos von wunderschönen Blumensträußen, »kryptischen« Nachrichten irgendwelcher Stars und in den Sand geschriebenen Liebesbotschaften.
Am Ende bin ich völlig deprimiert. Wie albern. Was macht es schon, dass ich niemanden habe, der mir Blumen schickt? Ich bin eben eine starke, unabhängige Frau! In dieser Scheiß-drauf-Stimmung entscheide ich, in den Pub zu gehen. Dort wimmelt es sicherlich nur so vor Liebespärchen, aber ich weigere mich einfach, mich zu verstecken, wie irgendeine viktorianische Romanfigur. Ich nehme Artus mit
.
Und ein Buch. Alles ist besser, wenn man ein Buch dabeihat.
Im Pub ist es erstaunlich ruhig. Sieht aus, als hätten sich die meisten Paare für ein überteuertes Restaurant entschieden, nur ganz wenige sitzen im Raum verteilt. Abgesehen von ein paar herzförmigen Ballons hinter der Bar und dem Angebot eines besonderen Champagnercocktails zum Valentinstag, befinde ich mich auf relativ sicherem Terrain. Ermutigt und in kämpferischer Stimmung bestelle ich mir sogar den Cocktail und suche mir einen Platz.
Ich habe mich gerade hingesetzt, da entdecke ich in einer der Ecken ein bekanntes Gesicht. Es gehört dem heissen Dad
, den ich hier schon einmal getroffen habe. Ich bin aufgeregt und gleichzeitig froh, dass ich ausnahmsweise ein wenig Schminke aufgelegt und mir die Haare gekämmt habe. Er ist zwar bereits vergeben, aber ich habe schließlich auch meinen Stolz. Jetzt ist es mir doch etwas unangenehm, dass ich am Valentinstag allein hier bin, aber ich schiebe diese lästigen Gefühle vehement beiseite. Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste.
Ich konzentriere mich auf mein Buch und lese, aber das fällt mir mit dem heissen Dad
in greifbarer Nähe gar nicht so leicht. Er sitzt an einem Tisch, seine Begleitung ist hinter ihm versteckt. Das ist bestimmt seine Frau. Verstohlen drehe ich meinen Kopf, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Ich frage mich, wie sie wohl aussieht. Bestimmt einfach großartig. Er hat bestimmt eine tolle Frau, ein süßes Kind haben sie schließlich auch. Er wirft einen Blick in meine Richtung – Mist –, ich sehe schnell weg.
»Hier, Ihr Valentinstag-Cocktail«, sagt der Kellner, der mir den Drink bringt.
»Danke!« Ich lächle. Das Glas ist mit einem Partyspieß verziert, auf dem eine in Herzform geschnittene Erdbeere steckt.
Plötzlich komme ich mir doch wie eine einsame Verrückte und nicht wie eine starke und unabhängige Single-Frau vor. Schnell esse ich die Erdbeere und lehne mich vor, um außer
Sichtweite zu gelangen. Mein Telefon piept: in Liebe.
Ich muss lächeln. Mein Vater wünscht mir wie immer einen schönen Valentinstag.
Ich muss an den Valentinstag im letzten Jahr denken. Nach der Sache mit dem Ausfallenlassen zauberte mir der amerikanische Verlobte
eine Spaghetti alla Puttanesca. Das klingt jetzt vielleicht nicht nach viel, aber so kann man nur denken, wenn man noch nie eine gute Puttanesca probiert hat, und seine ist einfach die beste. Das Rezept stammt von seiner italienischen Großmutter, und es schmeckt sowohl salzig als auch süß, dazu servierte er die Sorte von Al dente-Pasta, die zum An-die-Wand-Werfen gemacht ist. Ich muss bei der Erinnerung daran lächeln.
Ich vermisse ihn so sehr.
Die Erkenntnis trifft mich als harter, kräftiger Schlag in die Magengrube. Ob er wohl auch an mich denkt? Tauche auch ich plötzlich an diesem Tag in seinem Kopf auf? Oder ist er schon einen Schritt weiter, und ich bin für ihn nur noch eine verblassende Erinnerung?
Schluss jetzt mit den trüben Gedanken!,
höre ich plötzlich Crickets Stimme in meinem Ohr und frage mich, ob sie den Tag heute auch schwierig findet. Seit dem Interview mailen wir uns regelmäßig, und ich entscheide, ihr eine kurze Nachricht zu schreiben, wenn ich wieder zu Hause bin. Apropos, ich stürze meinen Valentinstag-Cocktail hinunter. Zeit zu gehen. Ich muss niemandem etwas beweisen. Am wenigsten mir selbst. Ich stehe auf und ziehe an Artus’ Leine, dann wende ich mich der Tür zu …
»Entschuldigen Sie …«
Und renne geradewegs in den heissen Dad
hinein.
»Oh, das wollte ich nicht.«
Oder ist er in mich hineingerannt?
»Entschuldigung, habe ich Sie erwischt?«
Er trägt ein Pint Bier und ein Glas Wein. Da fällt mir auf, dass er etwas davon verschüttet hat
.
»Nein, überhaupt nicht. Alles in Ordnung, ist eh nur dieses alte Ding …« Ich nuschle. Ich nuschle wirklich.
»König Artus, nicht wahr?«
»Nein, Nell.«
Oh, Mist, der Cocktail war wirklich ganz schön stark. Er ist mir zu Kopf gestiegen. »Entschuldigen Sie, ich dachte, Sie meinten …« Ich rede nicht weiter. Das ist am sichersten.
»Tja, freut mich, dich kennenzulernen, Nell. Ich sollte jetzt wohl besser gehen …« Er macht eine Geste in Richtung seines Tisches in der Ecke.
»Ja, ich auch.«
»Vielleicht sieht man sich ja mal in der Gegend.«
»Ja, vielleicht.«
»Auf bald, König Artus.« Er lächelt, und um seine Augen herum zeigen sich Lachfältchen. Er hat wirklich ausgesprochen schöne Augen.
Ich erwidere sein Lächeln, während ich mich bereits zum Gehen umdrehe, bemerke ich seine Hand, in der er das Weinglas hält. Er trägt keine Handschuhe.
Und er trägt auch keinen Ehering.
Wofür ich dankbar bin:
- Muss ich das wirklich noch ausführen??? Der heiße Dad ist Single!