Die Angst
Sie wartet beim Aufwachen auf mich. Wie eine Tyrannin in der Schule, die auf dem Flur lauert, um zuzuschlagen. Ich spüre sie, bevor ich überhaupt die Augen öffne, sie greift nach mir, verknotet meinen Magen, und ihre schweren Stiefel drücken auf meine Brust.
Es ist schon eine ganze Weile her, dass sie mich besucht hat. Ich lag zu Hause neben Ethan im Bett. Er schlief tief und fest, ich jedoch war noch nie in meinem ganzen Leben so wach gewesen. Eine Hitzewelle hatte Kalifornien im Griff, und trotz des Ventilators war es im Zimmer heiß und drückend. Nackt lag ich im Dunkeln, hörte seinem Atem zu. Versuchte, in diesem gleichmäßigen Geräusch Beruhigung zu finden, was mir nicht gelang. Heute vor einem Jahr. Ich erinnere mich noch so genau daran, da wir an diesem Tag im Krankenhaus gewesen waren.
Damals hat sie mich ziemlich stark verprügelt, ich war wochenlang verwundet und zerschlagen. Ich habe niemandem davon erzählt, nicht einmal Ethan. Es fiel mir schwer, meine Angreiferin zu beschreiben, da ich selbst nicht wusste, wer sie war. Ja, schlimmer noch, ich verspürte Scham, weil ich sie nicht abschütteln konnte. Ich warf mir selbst vor, schwach und erbärmlich zu sein. Es war alles meine Schuld.
Manche Leute würden diese Tyrannin Angststörung oder Depression nennen. Eine andere Bezeichnung ist Panikattacke. Viele beschreiben sie auch mit dem bekannten Bild des schwarzen Hundes, der sich nicht vertreiben lässt. Ich nenne sie ganz
einfach DIE
ANGST
. Eine namenlose Bedrohung, die mir die Luft zum Atmen nimmt. Das ist nicht dasselbe, wie sich ein wenig betrübt zu fühlen, weil man gerade pleite ist, oder genervt, dass es März ist und der Himmel immerzu grau in grau.
DIE
ANGST
lähmt. Greift nach dem Hals, sodass man nicht mehr atmen kann, und lässt das Herz ganz laut und schnell schlagen. Es fühlt sich an, als müsste man sterben, und ein Teil von einem will das sogar. Das macht es so schlimm. Wenn sie aufgehört hat, auf einen einzuprügeln, macht man selbst weiter. Sie ist ein schmutziges, kleines Geheimnis, und ich habe meins jahrelang für mich behalten.
Ich hatte gerade mit dem Studium begonnen, als ich DIE
ANGST
zum ersten Mal kennenlernte. Ich erinnere mich daran, dass ich mich gerade in einem Hoch befand, aufgeregt, zum ersten Mal nicht mehr zu Hause zu wohnen, weshalb es mich umso stärker traf, dass diese furchtbare Tyrannin dort auf mich wartete. Sie lauerte in den Schatten nach den Vorlesungen. Bereitete sich darauf vor, spät in der Nacht in den Studentenwohnheimen zuzuschlagen.
Ich war zu verängstigt, um meinen Eltern davon zu erzählen. Schließlich wollte ich sie nicht beunruhigen und auch nicht zugeben, was gerade mit mir passierte. Stattdessen versuchte ich sie nicht zu beachten, nach einer Weile muss sie sich gelangweilt haben und zu einer anderen armen Seele weitergezogen sein. Erst Jahre später begegnete sie mir erneut, als sie mich plötzlich bei der Arbeit besuchen kam und ich weinend versuchte, mich vor ihr auf der Damentoilette zu verstecken. Mittlerweile lässt sie mich meistens in Ruhe.
Bis heute.
Ich bleibe einen Augenblick liegen, versuche sie mit reiner Willenskraft zu vertreiben. Bei meinem Umzug nach London hatte ich gehofft, sie zurückzulassen, ohne Nachsendeadresse. Aber jetzt hat sie mich gefunden und wird nicht kampflos
aufgeben. Aber ich auch nicht.
Ich nehme allen Mut zusammen und schlage die Decke zurück. Eine Sache weiß ich genau: Man darf niemals einer Tyrannin nachgeben. Und DIE
ANGST
gehört zu den schlimmsten.
Wofür ich dankbar bin:
- Starken Kaffee, die Zuneigung eines Hundes und meinen Sinn für Humor, der mich selbst an den fürchterlichsten Tagen nicht verlässt.
- Zu wissen, dass morgen ein neuer Tag beginnt.