Den Finger auf dem Abzug
Sonntag telefoniere ich mit Liza. Sie steckt wie so oft im Stau auf der Autobahn fest und ruft mich über WhatsApp an. Wir unterhalten uns über alles Mögliche – ich erzähle ihr von der Babyparty; sie stöhnt an genau den richtigen Stellen auf – aber nach ein paar Minuten kommt es mir so vor, als wolle sie nicht nur einfach so mit mir quatschen. Irgendetwas ist los.
»Also, ich habe Ethan am Wochenende gesehen.«
Mein Herz macht bei der Erwähnung seines Namens einen Sprung. Das war es also. Ich will alle Einzelheiten und gleichzeitig lieber nichts wissen. Frag nicht, Nell. Frag nicht. Das wird böse enden.
»Und? Wie geht es ihm?«
Pause. Ich mache mich auf den Aufprall gefasst.
»Er hat jemanden kennengelernt.«
Frontalzusammenstoß. Ich werde durch die Luft geschleudert.
»Ich wollte nicht, dass du es von jemand anderem erfährst.«
Tausende von Fragen wirbeln durch meinen Kopf. Ich halte eine davon fest. »Wer ist sie?«
»Irgendeine Frau eben, er hat sie auf einer Party kennengelernt.«
Irgendeine Frau.
Sie sagt das so einfach, als wäre nichts dabei, aber mich haut es um.
»Ist sie hübsch?«
Sofort hasse ich mich dafür.
»Sie ist nicht du, Nell. Das wird sie niemals sein.
«
Ein schweres Gewicht drückt auf meine Brust. Es fühlt sich an, als müsste ich ersticken. Am liebsten würde ich in Tränen ausbrechen. Nichts davon passiert.
»Das bedeutet nichts.«
»Woher willst du das wissen?« Ein schmerzender Klumpen bahnt sich einen Weg meinen Hals hinauf, ich schlucke ihn hinunter. Ich sollte darüber hinweg sein. Es sollte mir egal sein.
»Weil ich von dir rede, nicht von ihm. Es sollte dir
nichts bedeuten.« Ihre Stimme am anderen Ende der Leitung klingt entschlossen. »Du bist gegangen, denk daran. Du hast dich weiterentwickelt.«
Lizas Gewissheit ist wie ein Netz, das unter mir ausgebreitet ist. Ihre Worte fangen mich auf, als ich falle.
»Habe ich das wirklich? Jetzt mal ganz ehrlich?« Meine Stimme ist nur noch ein Flüstern.
Wie ein Staffelläufer übergibt sie mir den Stab.
»Tja, es liegt in deiner Hand.«
Wofür ich dankbar bin:
- Liza, die mich durch die Flut an Dating-Seiten führt und ein Profil für mich erstellt. Das hört sich allerdings für meinen Geschmack ein bisschen zu yogamäßig an, und ich weiß auch nicht, ob ich mich selbst als »spirituelle Lebenskraft« beschreiben würde.
- Endlich die Entscheidung gefällt zu haben, ins kalte Wasser zu springen und mich wieder nach draußen zu trauen. Ethan hat sich weiterentwickelt, jetzt bin ich dran.
- Dass niemand mich aufschreien hört, als ich feststelle, dass meine Treffer in der Dating-App aussehen, als wären sie Freunde meines Dads.
- Den Dreiklang aus Käseflips, einer Dose Gin Tonic und Galgenhumor. Moment, wäre das nicht was für mein Profil?