Das erste Date
Nach dem etwas trostlosen Start in den Monat gibt London für mein erstes Date mit Johnny alles. Ein frisch gewaschener Himmel. Strahlender Sonnenschein. Milde vierundzwanzig Grad. Heute ist einer dieser perfekten Sommertage, die einen mit der Geiselhaft des harten Winters und dem vermasselten Frühling versöhnen und die Liebe zur eigenen Stadt neu entfachen.
Zur Feier des Wetters treffen wir uns in einem Pub am Fluss. Wir sind nicht die Einzigen, die diese Idee hatten, und es ist brechend voll. Ich sehe mich um – betrachte die vielen Leute, die sich auf der Terrasse drängen, lachen und sich mit Aperol Spritz zuprosten, dann wandert mein Blick zurück zu Johnny, der mir an einem Holztisch gegenübersitzt. Das Glück ist zum Greifen nah.
»So, dann erklär mir bitte mal, wie es sein kann, dass du noch Single bist«, sagt er gerade, während wir uns eine Flasche Wein genehmigen und ich ganz offiziell feststellen muss, dass es keinen Ort gibt, an dem ich gerade lieber sein würde als hier mit ihm, in einem leichten Sommerkleid mit einem Glas Rosé in der Hand.
»Vermutlich derselbe Grund wie bei jemandem wie dir«, kontere ich.
»Weil du noch nicht den richtigen Partner gefunden hast?« Er zieht eine Augenbraue hoch.
»Ist dir schon mal aufgefallen, wie abgedroschen das klingt?«
»Vermutlich besser als: Ich bin fremdgegangen, ich habe ein Alkoholproblem, oder: Ich wurde wegen meines seltsamen Sex-Fetischs verlassen.«
»Stimmt.« Ich muss lachen, bevor ich hinzufüge: »Du hast also einen seltsamen Sex-Fetisch?«
Jetzt lacht er. »Nur manchmal.«
»Und wie sieht der aus?« Ich bin angeheitert und flirte.
»Ich fühle mich seltsamerweise zu Frauen hingezogen, die nur einen Handschuh tragen.«
Ich stöhne auf. »In das Fettnäpfchen bin ich wohl von ganz allein getappt, oder?«
»Man könnte sagen, ich habe dich hingeführt«, antwortet er schlagfertig.
»Aber wie du ja weißt, habe ich nun ein vollständiges Paar Handschuhe. Du solltest also geheilt sein.«
Seine Mundwinkel kräuseln sich zu einem Lächeln. »Da wäre ich mir nicht so sicher.« Er beginnt unsere Gläser nachzufüllen, aber es sind nur noch ein paar Tropfen in der Flasche. »Ich denke, wir brauchen noch eine.«
»Nein, wir können doch nicht schon eine ganze Flasche ausgetrunken haben.«
»Flirten macht durstig«, witzelt er.
O Mann!
Sobald er zur Bar geht, verschwinde ich auf die Damentoilette. Ich muss ganz dringend aufs Klo, aber noch viel dringender muss ich Liza anrufen. Ich kann es noch gar nicht fassen! Dieses Knistern in der Luft. Wenn das mal kein perfektes erstes Date ist. Kaum hatte ich den Pub betreten und Johnny mich mit einem Lächeln begrüßt, war meine ganze Nervosität wie weggezaubert. Es herrschte sofort diese angenehme Vertrautheit zwischen uns. Jemanden bereits nackt zu kennen bricht vielleicht das Eis.
Es ging alles ziemlich schnell. Ich erzählte ihm von meiner Kindheit, dem Erwachsenwerden, meiner Arbeit als Lektorin in New York und meinem noch frischen Umzug zurück nach London. Ich muss zugeben, dass es eine etwas gekürzte und geschönte Version meines Lebens war, aber macht das nicht jeder so? Erzählt man nicht automatisch nur die »größten Hits«, wenn man jemanden zum ersten Mal trifft? Wen interessieren schon die grauenhaften B-Seiten?
Er beschrieb mir die Kindheit mit seiner Schwester in Surrey, seine Zeit als professioneller Tennisspieler – »für Wimbledon hat es allerdings nicht gereicht« –, von der er sich zumindest den Kredit für ein Haus finanzieren konnte und in der er ein paar Pokale gewann, »damit meine Mum was zum Polieren hat«. Jetzt arbeitet er als Tennislehrer in einem Privatclub, »wenn ich nicht gerade die Hüllen fallen lasse«, sagte er grinsend, und würde gerne einen Plattenladen eröffnen. Er ist lustig, selbstironisch und attraktiv und ganz eindeutig Single, seitdem er sich von seiner Freundin getrennt hat, mit der er zwei Jahre zusammen war und die zurück nach Kanada gezogen ist.
»Es kommt mir zu gut vor, um wahr zu sein«, sage ich, als ich Liza aus der Kabine anrufe.
»Jetzt hör schon auf, so pessimistisch zu sein. Nicht alle Männer sind Arschlöcher. Nur die, für die ich mich interessiere.«
»Ich habe einfach nur Angst, das ist alles. Ich will nicht noch einmal verletzt werden …«
Als ich mit dem Pinkeln fertig bin, ziehe ich ab.
»Ich glaube, ich mag ihn.«
»Wie viel hast du getrunken?«
»Zwei Gläser Wein.«
»Dann nimm noch eins.«
Ich wasche mir die Hände und mustere mich im Spiegel. Zum Glück nimmt der Wein etwas von der Schärfe, und ich komme mir irgendwie verschwommen und weich gezeichnet vor. Ich trage ein wenig Lipgloss auf, lockere meine Haare auf und gehe zurück in den Pub. Ich entdecke Johnny auf einem dieser weichen Chesterfield-Ledersofas mit Knöpfen auf den Polstern .
»Draußen wurde es langsam ein wenig kühl. Ich dachte, hier ist es vielleicht gemütlicher.«
Mein Glas ist bereits gefüllt. Ich schlängle mich an dem niedrigen Tischchen vorbei und setze mich neben ihn, mein nacktes Bein berührt seins.
»Danke«, sage ich mit einem Lächeln, als er mir mein Glas reicht, und trinke einen großen Schluck. Johnny hat einen Côtes de Provence gekauft. Einen sehr hellen: Er geht runter wie Wasser.
»Ich muss gerade daran denken, wie wir uns zum ersten Mal im Pub über den Weg gelaufen sind, du hattest einen Platz hinten in der Ecke …«
»Ja, ich weiß es noch genau. Es war mein Geburtstag.«
»Wirklich?«
Für den Bruchteil einer Sekunde wünsche ich mir, ich hätte es nicht erwähnt. Ich will schließlich nicht den Eindruck erwecken, ich hätte keine Freunde. Aber der Rosé bahnt sich rasant einen Weg durch meinen Körper, und jeder Filter, den ich sonst habe, löst sich auf. »Ja, alle meine Freunde waren zu beschäftigt, und so bin ich schließlich mit Artus im Pub gelandet – so schlecht war der Geburtstag dann letztendlich gar nicht.«
»Das liegt bestimmt daran, dass du mich getroffen hast«, neckt er mich.
Ich verdrehe die Augen. »Ich glaube, es lag eher an der Portion Fish and Chips.«
Er lacht. »Schade, dass ich es nicht wusste. So hätte ich dich viel leichter anbaggern können. Ein kleines Happy-Birthday-Ständchen, und schon wären wir ins Gespräch gekommen, auch wenn ich ziemlich schlecht singen kann.«
Ich sehe ihn verwundert an. »Du hast mich angebaggert?«
»Und wie!«
»Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Wie kann das denn bitte sein? Ich habe dir doch sogar Oliver als meinen Boten gesandt. «
Ich reiße die Augen auf. »Das nennt man Kinderarbeit!«
»Er hat eine Tüte Haribo und eine zusätzliche Stunde Screen-Time bekommen, er war ziemlich glücklich damit.«
Er lächelt und sieht mich mit seinen jeansblauen Augen an, und während ich seine Worte in mich aufnehme, verwandelt sich mein Erstaunen in Freude.
»Ich dachte, du wärst sein Dad. Und du wärst verheiratet«, gebe ich zu.
»Ich und verheiratet?«
»Was denn? Guck mich nicht so entsetzt an«, sage ich lächelnd. »So unglaublich unwahrscheinlich ist das jetzt auch wieder nicht …«
Er lacht und nimmt einen großen Schluck Wein.
»Oder doch?«
»Fragst du mich gerade, ob ich ein Typ zum Heiraten bin?« In seinen Augen blitzt Belustigung auf.
Plötzlich bin ich nervös. »Nein, so war das nicht gemeint … ich meinte …« Irgendwie weiß ich jetzt selbst nicht mehr, was ich denn eigentlich sagen wollte. Ich hatte wohl ein bisschen zu viel Wein, und meine Flirtversuche laufen gerade ganz schön aus dem Ruder …
»Das war doch nur ein Witz.«
Ich gebe ihm einen Klaps.
»Entschuldige, ist mir so rausgerutscht. Vergibst du mir?«
»Das muss ich mir erst mal überlegen.«
»Okay, aber lass dir nicht zu lange Zeit.«
»Und warum bitte schön?«
Dann, bevor ich weiß, wie mir geschieht, zieht er mich an sich heran und küsst mich. Später bringt er mich nach Hause und hält dabei meine Hand. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, worüber wir uns auf dem Weg zurück unterhalten haben. Wir lachen viel und machen zweideutige Scherze, darin sind viele Leute gut, wenn man den ganzen Dating-Profilen Glauben schenkt, auch wenn ich es bisher nicht erlebt habe .
»Ich nehme alles zurück, was ich übers Onlinedating bisher gesagt habe. Ich bin bekehrt worden«, sage ich, als wir anhalten, damit er mir seinen Pullover um die Schultern legen kann. Er ist weich und warm, und allein schon die Geste ist so schön. Es geht nicht nur um die großen Dinge, wenn man Single ist. Oft nimmt man schon die kleinen Dinge wahr. Wenn man allein ist, gibt es keinen, der bemerkt, wenn einem abends kühl wird.
»Bist wohl kein großer Fan, was?«
»Ich hatte meinen Account schon stillgelegt. Ich habe mich nur wieder angemeldet, weil ich deine Nachricht bekommen habe.«
»Ich hätte dich an diesem Schneetag fragen sollen, ob du mit mir ausgehen willst, dann hättest du dir die sechzig Pfund Mitgliedsbeitrag sparen können.«
»Und die Dates«, füge ich reumütig hinzu.
»So schlimm?«
»Das in dem Escape-Room war am schlimmsten.«
Er lacht.
»Ich übernehme trotzdem die volle Verantwortung.«
»Nein, das glaube ich nicht.« Er lächelt mich von der Seite an, und trotz des Pullovers merke ich, wie mir ein leichter Schauder über den Rücken läuft.
»Tja, dann hoffe ich mal, dass dieses Date dich entschädigt.«
»Hm …« Ich tue so, als müsste ich darüber nachdenken.
»Hey!«
»Das war doch nur ein Witz«, sage ich, genau wie er vorher. Er muss lachen und ich auch.
Aber ich erzähle ihm nicht, was ich wirklich denke: dass dieses Date mich nicht nur entschädigt, sondern mich glücklich macht und ich mich jung und sorglos fühle und es das erste Mal ist, seitdem Ethan und ich uns getrennt haben, dass mir ein anderer Mann gefällt und ich mir vorstellen könnte, dass etwas Ernsteres daraus wird .
Ich bin zwar betrunken, aber so betrunken bin ich nun auch wieder nicht.
»Hier wohnst du?«
Zehn Minuten später kommen wir an meiner Haustür an.
»Ja …«, antworte ich gerade, als wir plötzlich mitten im Scheinwerferlicht stehen.
»Ah, das blendet.« Johnny lässt meine Hand los.
»Entschuldige, das ist der Bewegungsmelder«, erkläre ich hastig, und halte mir die Hand über die Augen. Keine Frau in meinem Alter steht gern um kurz vor Mitternacht, nach zwei geteilten Flaschen Wein, nur wenige Zentimeter von ihrem heißen Date entfernt mitten im Scheinwerferlicht.
Aber es kommt noch schlimmer. Artus fängt an zu bellen, und dann …
»Wer ist das?«
Ich folge mit dem Blick Johnnys ausgestrecktem Finger, sehe, wie sich oben in der ersten Etage die Vorhänge bewegen und ein schläfriges Gesicht mit einer Brille zu uns herunterblinzelt.
O Gott.
»Das ist Edward, mein Vermieter«, sage ich, als wäre es das Normalste von der Welt, mit über vierzig in einem gemieteten Zimmerchen zu leben und einen Vermieter zu haben, der einen im Schlafanzug beobachtet.
Okay, ich gebe zu, es könnte auch ein T-Shirt sein, was er da trägt, aber eben genauso gut ein Schlafanzug.
»Dann verabschiede ich mich jetzt wohl besser …«
»Ja.« Ich nicke und gucke nicht mehr zum Fenster. »Vielleicht ist das besser.«
Einen Moment lang bin ich etwas enttäuscht, aber nicht sehr lange. Dann küsst er mich noch einmal. Sogar noch länger als beim letzten Mal, und schlingt seine Arme um meine nackten Schultern. Ich fühle mich wieder wie ein Teenager, der vor dem Haus seiner Eltern geküsst wird, und es ist mir ganz egal, wer dabei zusieht. Ich merke noch nicht einmal, dass irgendwann der Scheinwerfer wieder ausgeht und wir in das weiche, schummrige Licht der Straßenlaternen getaucht werden.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dort stehen.
Wofür ich dankbar bin:
  1. Die zweite Flasche Wein.
  2. Dass Johnny so unglaublich gut küssen kann.
  3. Seine Nachricht, in der er sagt, es sei ein wunderschöner Abend gewesen, und mich dann für Samstagabend zum Essen einlädt.
  4. Berocca-Vitamintabletten.