Das dritte Date
Trommelwirbel, bitte!
Es ist Freitagabend, und ich zupfe noch an meiner Frisur herum, bevor ich Johnny treffe. Wir haben uns fast zwei Wochen lang nicht gesehen, und ich freue mich schon wahnsinnig, bin jedoch auch ziemlich nervös. Offen gesagt: Meine Damen, es ist schon eine Weile her. Außerdem bin ich älter geworden als damals, bei der Sache mit Ethan. Damals war ich noch auf der richtigen Seite der vierzig, und glauben Sie mir, über Ärmel habe ich mir da noch keinen Kopf gemacht.
Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Früher war Sex kein großes Ding für mich, aber irgendwo auf dem Weg ist mir mein Selbstbewusstsein abhandengekommen. Vielleicht, weil mir das Herz gebrochen wurde? Oder weil ich beim Blick in den Spiegel deutlich mehr Falten entdecke? Oder vielleicht liegt es am Älterwerden insgesamt, man ist einfach verletzlicher geworden, und mit dem Bewusstsein, jemanden richtig gut zu finden, verleiht man der Sache ganz schön viel Gewicht.
Ich habe vor, Johnny zu fragen, ob er über Nacht bleiben möchte. Edward ist auf dem Land, es ist also die perfekte Gelegenheit, da wir ganz allein sind. Apropos ganz allein: Ich brauche dringend eine eigene Wohnung. Vor sechs Monaten bin ich bei Edward eingezogen, dabei war es eigentlich nur als Übergangslösung gedacht, bis ich wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Ich muss mich dringend nach etwas Langfristigerem umsehen, wo ich mehr Privatsphäre habe. Echt jetzt, mit über vierzig miete ich ein Zimmerchen, während alle meine Freunde sich in ihren schönen Häusern eingerichtet haben. Sich auf der Türschwelle zu küssen hat beim ersten Mal vielleicht Spaß gemacht, aber es sollte nicht zur Gewohnheit werden.
Andererseits hat sich diese Regelung für uns beide ausgezahlt. Edward ist nur selten hier, gerade mal ein paar Nächte pro Woche, und die angepasste Miete, weil ich mich um Artus kümmere, hat mir sehr geholfen. Genau wie Artus selbst. Aus einer einfachen Absprache ist mittlerweile so viel mehr geworden, Artus ist jetzt mein ständiger Begleiter. Keine Ahnung, wie ich das Jahr bisher ohne ihn hätte überstehen sollen.
Und was Edward und mich betrifft: Meistens kommen wir irgendwie miteinander aus, es gibt natürlich Höhen und Tiefen, wie auch bei anderen zusammenlebenden Paaren.
Aber ich will nicht lügen. Manchmal macht er mich wahnsinnig. Zum Beispiel bei der Sache mit dem Recycling oder wenn es ums Lichtausschalten geht oder als er mir vorgeworfen hat, ich hätte ihn in der Badewanne umbringen wollen. Und von unseren Diskussionen übers Klopapier möchte ich erst gar nicht anfangen, ich nenne sie unseren Klorollen-Krieg.
»Es gab doch noch zwei Ersatzrollen, wo sind die denn hin?«
Das war letzte Woche. Ich war gerade dabei, mir in der Küche einen Salat zu machen, um mich gesund zu ernähren (und hoffentlich dadurch auch noch ein paar Kilo abzunehmen, bevor ich mich nackt zeigen musste), als Edward plötzlich auftauchte und sofort zur Sache kam.
Ich sah vom Tomatenschneiden auf und erwiderte schlagfertig: »Ich kann nicht fassen, dass du die Klorollen zählst.«
»Und ich kann nicht fassen, dass du eine ganze Klorolle pro Woche verbrauchst.«
»Willst du wirklich, dass ich dir das erkläre?«
»Ich bin einfach nur neugierig. Was machst du mit dem ganzen Toilettenpapier? Unser Haushalt hat einen extrem hohen Verbrauch. Für mich ist das ein echtes Rätsel. «
»Das ist einfachste Biologie«, sagte ich erstaunt, und als er mich immer noch verständnislos anschaute, fügte ich hinzu: »Ihr schüttelt, wir putzen ab.«
Aber falls ich gedacht hatte, dass ihn das vor Verlegenheit verstummen lassen würde, lag ich falsch.
»Aber brauchst du dafür eine ganze Handvoll Papier? Ein Blatt würde doch vollkommen ausreichen.«
»Nein, ich nehme keine Handvoll .« Ich fuchtelte mit dem Messer herum und fragte mich, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen war, ihn umzubringen oder ihm zu erklären, dass es gängige Praxis ist, benutzte Tampons in Klopapier zu wickeln, bevor man sie in den Mülleimer wirft. Vielleicht würde ihn das umbringen? Ihm würde wahrscheinlich bei der Erwähnung von – o Schreck, o Graus! – Hygieneprodukten die Luft wegbleiben.
»Selbst, wenn du fünfmal am Tag zur Toilette gehst, macht das nur fünf Blatt, eine Rolle besteht aus zweihundertvierzig Blatt, das ergibt: achtundvierzig Tage. Das ist doch wirklich einfachste Mathematik.«
Ich sah ihn völlig fassungslos an. Nicht nur ihn, auch meine Gesamtsituation. Wie war es dazu gekommen? Wo hatte ich die Abzweigung verpasst, die zu einem funktionierenden Erwachsenenleben mit einem hübschen Häuschen, Ehemann und Gesprächen über den nächsten, fantastischen Sommerurlaub führte, und war stattdessen hier gelandet?
»Das meinst du jetzt nicht ernst, oder?«, schrie ich. »Das Gespräch ist beendet. Ich werde hier keine Rechenschaft über meinen Klopapierverbrauch ablegen. Muss deine Frau das auch machen?«
Zumindest besaß er den Anstand, an diesem Punkt zu erröten.
Aber das Gespräch führte bei mir immerhin zu der Erkenntnis, dass ich ganz dringend einen anderen, besser bezahlten Job benötigte, da ich mir allein mit dem Schreiben von Nachrufen keine eigene Wohnung leisten konnte – aber was sollte ich tun? Keine Ahnung. Immer wieder lese ich, man solle seinen »Leidenschaften« folgen, aber wie, bitte schön, soll ich mir den Unterhalt damit finanzieren, mir online Immobilienangebote in Südfrankreich anzusehen …
Aber jetzt mal im Ernst … nein, eigentlich war das schon mein voller Ernst. Ich muss an all meine verheirateten Freunde denken. Es ist so viel günstiger, Teil eines Paares zu sein. Als ich noch mit Ethan zusammenlebte, haben wir uns die Miete und alle Rechnungen geteilt, und er hat den Klorollenverbrauch noch nicht einmal erwähnt. Aber er hat andere Dinge getan. Schlimmere.
Aber das ist jetzt Vergangenheit.
Ich betrachte mich im Spiegel. Nachdem ich eine Ewigkeit damit verbracht habe, meine Haare zu stylen, trage ich sie nun doch im Zopf. Ich ziehe ein paar Strähnen an den Seiten heraus, dann schnappe ich mir meine Jacke und meine Tasche, schließe meine Zimmertür hinter mir und gehe die Treppe hinunter.
Genau in diesem Augenblick höre ich einen Schlüssel im Schloss und sehe Edward.
»Ich dachte, du kämst heute nicht nach Hause«, platzt es aus mir heraus, Enttäuschung überfällt mich, als er mit seinem Klapprad hereinkommt. »Es ist doch Freitag.«
»Ich habe etwas vergessen«, sagt er und nimmt den Helm ab. »Bin gleich wieder weg, um halb neun fährt der nächste Zug.«
Es gibt doch einen Gott.
»Gehst du aus?« Er bemerkt mein Outfit.
»Ja, ich treffe mich mit Johnny.«
»Ah, gut.« Er nickt, aber sein Gesichtsausdruck ist genauso emotionslos wie sonst. Also zumindest immer, wenn er nicht gerade über Klorollen oder die Umwelt redet.
Als er in die Küche geht und Artus begrüßt, werfe ich noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel im Flur. Mit meinen Haaren bin ich auch jetzt nicht so richtig zufrieden. Ich zupfe weiter daran herum.
»Offen steht dir besser.«
Im Spiegel sehe ich Edward hinter mir stehen, er schaut mich an.
»Danke.« Ich lächle und beachte seinen Einwand nicht weiter. »Mir gefällt es besser so.«
Er sieht verlegen aus. »Oh, okay, na dann einen schönen Abend.«
Ich kraule Artus noch einmal schnell hinter den Ohren, sage Tschüss und gehe hinaus. Erst nachdem ich schon fünf Minuten den Bürgersteig entlanggelaufen bin, löse ich die Haarspange und lasse die Haare herunterfallen. Ich werfe sie zurück und laufe weiter.