Sommerferien
Sommer und Weihnachten liegen ganz dicht beieinander, wenn es darum geht, uns durchs Netz Gefallene daran zu erinnern, wie das Leben aussehen sollte . Während sich alle meine verheirateten Freunde darauf vorbereiten, in die Sonne zu fliegen oder mit der Familie in das eigene Ferienhaus an der Küste zu fahren, habe ich überhaupt keine Pläne.
»Wir fliegen nächste Woche nach Bordeaux, ich kann es kaum erwarten«, sagt Holly, als ich Olivia am Montag vom Montessori nach Hause bringe. Holly hatte mich etwas früher völlig verzweifelt angerufen, weil ihre Kinderbetreuung abgesagt hatte, und mich gefragt, ob ich es irgendwie einrichten könne, Olivia abzuholen. Natürlich konnte ich das. Wenn das Freiberuflerleben für etwas gut ist, dann dafür: die letzte Notfallrettung zu sein. Also ließ ich alles stehen und liegen und u-bahnte mit Blaulicht durch halb London.
»Zum ersten Mal seit Olivia auf der Welt ist, fahren Adam und ich wieder allein weg. Die Dordogne soll einfach zauberhaft sein – man kann mit dem Kajak an den ganzen Schlössern entlangfahren.«
»Klingt fantastisch!«
»Adam wollte Strandurlaub machen, aber du kennst mich ja, ich bin nicht so der Typ dafür, die ganze Zeit am Strand rumzusitzen.«
»Ich hätte nichts dagegen, mit Adam am Strand zu sitzen«, witzle ich. »Hier soll es die ganze nächste Woche über regnen. «
Sie lacht. »Und du? Hast du irgendetwas gebucht?«
»Nein …«, antworte ich, dann füge ich hinzu. »Noch nicht.«
Ich bin immer noch ganz berauscht von der Nacht mit Johnny und, tja, wer weiß … Zu sehr möchte ich mich natürlich nicht aus dem Fenster lehnen, aber wenn es so weitergeht, wäre es doch vielleicht denkbar, zusammen zu verreisen. Ein paar Tage. Vielleicht.
»Fiona hat erwähnt, dass du dich mit jemandem triffst?«
Am Wochenende hatte ich Fiona gesehen, da mein Angebot akzeptiert worden war, mit Izzy zu einer Party zu gehen, um wiedergutzumachen, dass ich beim Sportfest als Patentante versagt hatte. Es war das erste Mal, dass wir uns seit dem Sportfest wiedersahen, und abgesehen von Fionas Frage nach meinem Auge und meiner nach ihrem Knöchel, redeten wir nicht weiter darüber. Von außen betrachtet sah alles ganz normal zwischen uns aus, innen jedoch fühlte es sich überhaupt nicht normal an.
Normalerweise hätten wir uns darüber totgelacht, wie ich mit dem Gesicht voran im Schlamm gelandet war, oder über den berühmten Vater getuschelt, der plötzlich bei der Tombola aufgetaucht war. Normal war es jedoch ganz und gar nicht, angestrengte Gespräche über die bevorstehenden Ferien zu führen, und über das Haus in Griechenland, das sie zusammen mit Annabel und ihrer Familie gemietet hatten – während man sich neue Vorhangmuster anschaute, die Annabel ganz spontan vorbeigebracht hatte.
Immerhin konnte ich den Nachmittag mit Izzy verbringen, was wirklich zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Ich bin da vielleicht nicht ganz unvoreingenommen, aber sie ist echt das tollste Mädchen der ganzen Welt. Sie plapperte fröhlich drauflos, als wir Hand in Hand zur Party liefen, als wir jedoch angekommen waren, wurde sie ungewöhnlich still. Ich nehme an, es lag an dem Clown, den sogar ich ganz schön gruselig fand.
Später kam ich mit ihm ins Gespräch, er hieß Chris und war Schauspieler. Er brannte förmlich darauf, mir zu erzählen, dass er Shakespeare im Old Vic Theater aufgeführt hatte und das Ganze hier nur vorübergehend machte, um die Zeit bis zur nächsten großen Rolle zu überbrücken – ich würde ihn doch sicher aus seiner letzten Rolle als Unfallopfer in einer bekannten Krankenhausserie kennen? Nein, das tat ich nicht. Auch nicht, als er seine rot gelockte Perücke und die Clownsnase abnahm und sich tot stellte, wobei seine Zunge zwischen den Zähnen heraushing.
»Wir sind noch ganz am Anfang«, antworte ich Holly jetzt vorsichtig. »Ich will es nicht versauen.«
»Das klingt doch super, Nell.« Sie sieht aus, als würde sie sich ehrlich für mich freuen. »Du wirst es schon nicht versauen! Jeder Mann, der mit dir ausgehen kann, darf sich glücklich schätzen. Ethan war ein Idiot.«
Ich weiß, dass sie nur nett sein möchte, aber Ethan einen Idioten zu schimpfen führt nicht gerade dazu, dass ich mich besser fühle, sondern stellt nur noch mehr meine Urteilsfähigkeit infrage.
»Na ja, ich sollte jetzt wohl besser gehen … ich lerne gleich das neue Baby von Max und Michelle kennen. Habt einen schönen Urlaub in der Dordogne.«
»Oh, grüß sie von mir!« Holly umarmt mich. »Halt mich auf dem Laufenden und danke noch mal für heute. Du warst echt die Retterin in der Not.«
Tom ist winzig und perfekt, ich habe Angst, ihn kaputt zu machen.
»Jetzt sei aber nicht albern«, sagt Michelle lachend. »Wenn Max bisher noch keins unserer vier Babys zerstört hat, wird es dir sicher auch nicht passieren.«
Sie will ihn mir geben, aber ich schrecke zurück und setze mich auf einen Stuhl gegenüber. »Nein, wirklich nicht. Ich lasse ihn bestimmt fallen. «
»Das habe ich auch versucht, um dem Windelwechseln zu entgehen«, witzelt Max, der gerade ein paar Becher Tee bringt und mir einen davon reicht. »Hat nicht funktioniert.«
»Wie ist es denn so?«
»Anstrengend«, sagen die beiden wie aus einem Mund, dann sehen sie sich an und lachen.
»Ich muss diese Woche zurück zur Arbeit, deshalb kommt Michelles Mutter für ein paar Wochen, um uns zu helfen.«
»Oh, das klingt gut.«
»Und im August fahren wir nach Cornwall«, fügt Michelle hinzu.
»Ihr fahrt in Urlaub?« Ich wollte gar nicht, dass es so anschuldigend klingt. Sogar Max und Michelle mit einem Neugeborenen und drei Kindern unter zehn Jahren schaffen es zu verreisen? Ich fühle mich einmal mehr wie eine Versagerin.
»Ja, wir haben ein tolles Haus am Strand gemietet – die Kinder werden sicher begeistert sein.«
Wie auf Kommando kommen eben diese Kinder ins Wohnzimmer gerannt und bombardieren ihren kleinen Bruder und mich mit Küssen und Glitzerschleim, woraufhin ich mich lieber verabschiede. Natürlich nicht, ohne mich als Babysitterin anzubieten.
Ehrlich gesagt, habe ich mich in letzter Zeit so sehr um die noch ganz neue und zerbrechliche Beziehung mit Johnny gekümmert, dass ich gar nicht so richtig mitbekommen habe, dass alle außer mir in Urlaub fahren. Nachdem er am Sonntag gegangen war, schrieb er mir eine Nachricht, wie viel Spaß er letzte Nacht gehabt habe, und ich antwortete: »Ich auch.« Es ist wirklich erstaunlich, wie jung und lebendig man sich durch eine neue Liebe fühlen kann. Als würde sich die Welt öffnen und sich anstelle von geschlossenen Türen und Einbahnstraßen jede Menge abenteuerlicher Reisen und vielfältiger Möglichkeiten auftun .
Als ich mir das eingestehe, fühle ich mich ein wenig schuldig, da ich gerade meine wöchentliche Podcastfolge aufnehme. Als würde ich durch meine neue Liebe den Feminismus verraten und irgendwie scheitern. In meinem Kopf höre ich meine eigenen Parolen und die von meinen (vermutlich nicht existierenden) Hörerinnen, dass man keinen Mann braucht, um sich vollständig zu fühlen, und ich allein genauso glücklich sein kann. Aber ich bin eben schon über vierzig. Ich habe doch schon bewiesen, dass ich auch ohne Beziehung überlebe. Und nein, ich brauche keinen Mann. Aber ich habe ein Grundbedürfnis nach Liebe. Hat das nicht jeder?
Und wo wir gerade dabei sind: Zu einem Sommerurlaub würde ich auch nicht Nein sagen.
Wofür ich dankbar bin:
  1. Die Stummschaltfunktion, sodass ich nicht die ganzen Urlaubsfotos von Stränden und blauem Himmel sehen muss, während der Regen an meinem Fenster hinabrinnt.
  2. Den Clown Chris, der mich daran erinnert hat, dass es in Sachen Job noch schlimmer aussehen könnte.
  3. Cricket, die auch nicht in Urlaub fährt und mir schreibt, um Pläne für das Wochenende zu machen.
  4. Die vierzehn Menschen, die meinen Podcast heruntergeladen haben: vierzehn echte Hörerinnen!