Panik und Potenzial
Eine Woche ist es schon her, dass ich zufällig Max getroffen habe, und ich muss die ganze Zeit an ihn denken. Ich will mich nicht einmischen – das habe ich schließlich versprochen –, aber ich mache mir Sorgen. Zu oft schon habe ich Berichte in der Zeitung darüber gelesen, was alles passieren kann, wenn der Druck zu stark wird. Mit Männern wie Max. Er war eine echte Stimmungskanone. Er hatte gerade ein Baby bekommen und wirkte so glücklich. Alle seine Freunde liebten ihn. Er war ein fantastischer Ehemann und Vater.
Deshalb beschließe ich, mich täglich bei ihm zu melden und ihn mit Nachrichten und Anrufen zu bombardieren. Im Grunde das Gegenteil von Ghosting. Es macht ihn wahnsinnig, und er fleht mich an, damit aufzuhören. Das lehne ich ab. Ich komme mir vor wie eine Kidnapperin, die Lösegeld erpressen will: Er spricht endlich mit Michelle, dafür bekommt er sein Leben zurück – ein Leben, ohne die zwanzig Nachrichten und mehrere verpasste Anrufe von mir pro Tag.
Ich hingegen bin nach meinem Arztbesuch ganz schön durch den Wind. Vielleicht ist es nicht so schlimm, in der Perimenopause zu sein, wie seinen Job zu verlieren (nein, noch viel schlimmer! War nur ein Scherz. Na ja, so was in der Art), aber zumindest ist es möglich, eine neue Arbeit zu finden, während mir eine Zukunft mit nächtlichen Schweißausbrüchen, Hitzewallungen und Hosen mit Gummizug bevorsteht – weil mir nach der enormen Gewichtszunahme nichts anderes mehr passen wird .
Der Beginn eines neuen Lebensabschnitts eben, ist ja klar, und zwar – wenn man das ganze Gerede über die Mitte des Lebens ernst nehmen kann – eines ganz tollen, auf den man sich freuen kann. Aber was ist, wenn man noch nicht reif für diesen neuen Abschnitt ist? Was ist, wenn man den Abschnitt davor noch gar nicht erreicht hat? Selbst wenn man sich nicht sicher ist, ob man überhaupt Kinder haben möchte, ist es doch zumindest ein gutes Gefühl zu wissen, dass es noch möglich ist. Wer möchte schon die Frau sein, der die Zeit davongelaufen ist? Keiner! Jede möchte diejenige sein, die die Entscheidungen trifft. Von der Seitenlinie aus zuzuschauen ist eine Sache, aber was passiert, wenn das Spielfeld weggenommen wird? Jubelt man dann weiter, oder bleibt man allein und traurig zurück?
Irgendwer hat sicher einen Artikel darüber geschrieben. Wenn es um Frauen und das Thema Kinderkriegen geht, hat schließlich jeder etwas dazu zu sagen. Wie viele Artikel habe ich in meinem Leben wohl schon darüber gelesen, welche Risiken eine zu junge, alleinerziehende oder zu alte Mutter mit sich bringt (je nach Tag und Zeitung)? Unzählbare! Die Warnungen der sogenannten Experten, nicht erst Karriere zu machen und das Kinderkriegen auf später zu verschieben, stehen den Verunglimpfungen von jungen, alleinerziehenden Müttern gegenüber, die auf staatliche Unterstützungen angewiesen sind.
Wirklich jede und jeder hat eine Meinung dazu. Wenn man mal näher darüber nachdenkt, ist es eigentlich seltsam, dass wir das so stillschweigend akzeptieren und als ganz normal hinnehmen. Jahrelang wurde mir eingeredet, dass der fünfunddreißigste Geburtstag einer Frau der Stichtag dafür ist, dass sich die Fruchtbarkeit nun wirklich verabschiedet und sich vom nächstgelegenen Felsen stürzt. Während, wenn man dem ganzen Gerede glaubt, das man so lesen kann, der fünfzigste Geburtstag für die Freuden steht, die damit einhergehen, sich mit undankbaren Teenagern herumzuschlagen oder Spender-Eizellen zu googeln .
Ich kann es kaum erwarten!
Männer hingegen kaufen sich einen Sportwagen und eine Lederjacke.
Das Ganze geht mir so nah, dass ich in meiner neuesten Podcastfolge darüber rede. Auch über Johnny. Der Arztbesuch hat ihn in meine Erinnerung zurückgeholt, und er war auch nicht ganz unschuldig an meinem Tief. Ich weiß immer noch nicht, warum er mich einfach so abserviert hat, aber das wird vermutlich für immer einer dieser ungelösten Kriminalfälle bleiben: »Der verschwundene Dating-Partner – eine wahre Geschichte«.
Immerhin habe ich mittlerweile verstanden, dass ich eigentlich nicht ihn als Person vermisse – wir haben uns ja nur dreimal getroffen –, sondern die ganzen Versprechungen, die damit einhergingen. In meinem Podcast nenne ich ihn deswegen Mr Potenzial, das war schließlich das Aufregendste an ihm.
Potenzial ist eine gefährliche Sache.
Wofür ich dankbar bin:
  1. Dass »ganz schön durch den Wind« zu sein und in einem »Tief« zu stecken, etwas ganz anderes ist als DIE ANGST  – es liegen Welten dazwischen.
  2. Es so viele Wege gibt, Max zu kontaktieren (zu drängen): E-Mail, SMS , WhatsApp, Anrufe (auch wenn er meine Dankbarkeit nicht teilt).
  3. Meinen Podcast: Ich habe mittlerweile zweiunddreißig Hörerinnen!
  4. (Noch) Nicht die Frau zu sein, der die Zeit davongelaufen ist.
  5. Nicht in Panik zu geraten. [11]